OGH 4Ob621/88

OGH4Ob621/8815.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois W***, Kraftfahrer, Braunau am Inn, Michaelistraße 30, vertreten durch Dr. Manfred Denkmayr, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wider die beklagte Partei Josef M***, Staplerfahrer, Nestelbach bei Graz, Lassnitztal Nr. 70, vertreten durch Dr. Günther Forenbacher, Rechtsanwalt in Graz, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert S 95.280,--, Revisionsstreitwert S 88.750,-- s.A.), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26. Mai 1988, GZ 6 R 97/88-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 17. Februar 1988, GZ 17 Cg 256/87-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger brachte am 23. April 1987 im Auftrag seines Arbeitgebers, der Transportunternehmung Franz A***, Braunau am Inn, mit einem Lkw-Zug Aluminiumbarren von Ranshofen zur R***-I***, Ö*** GesmbH G*** (kurz: Fa. R***).

Dort half er dem bei diesem Unternehmen als Staplerfahrer beschäftigten Beklagten beim Entladen des Lkw-Zuges. Hiebei wurde der Kläger an der rechten Hand verletzt.

Der Kläger begehrt vom Beklagten

an Schmerzengeld S 80.000,--,

an Verdienstentgang S 8.750,--,

an Kleiderschäden S 530,--,

an Nebenspesen S 1.000,--,

zusammen S 90.280,-- s.A.

sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Unfallschäden.

Der Beklagte habe den zum Abladen der Paletten verwendeten Hubstapler so unaufmerksam gelenkt, daß die rechte Hand des Klägers zwischen diesem Fahrzeug und einer Palette eingeklemmt worden sei. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß der Kläger beim Entladen des Lkw-Zuges freiwillig mitgeholfen und den Unfall selbst verschuldet habe. Es handle sich um einen Arbeitsunfall, bei dem der Beklagte als "Aufseher im Betrieb" anzusehen sei.

Das Erstgericht wies einen Teil des Zahlungsbegehrens (S 88.750,--) mit Teilurteil ab und traf folgende weitere Feststellungen:

Das Beladen des Fahrzeuges war Aufgabe der Aluminiumwerke Ranshofen, das Entladen Sache der Fa. R***, bei der der Beklagte seit 1981 als Hilfsarbeiter und seit 1982 regelmäßig als Hubstaplerfahrer tätig ist. Die abzuladenden Aluminiumbarren waren palettenartig gebündelt. Die Größe eines solchen Bündels betrug 80 x 80 x 100 cm, das Gewicht ca. 1 Tonne. Zum Abladen wurde ein Hubstapler benützt. Mit diesem Hubstapler konnte von der Entladerampe aus nur die erste Reihe der Paletten mit der ca. 1 m langen Hubstaplergabel ohne sonstige Vorkehrungen entladen werden. Um auch die weiteren Paletten entladen zu können, mußten diese erst an den Rand der Ladefläche gezogen werden. Dies wurde dadurch bewerkstelligt, daß ein ca. 8 m langer, 10 bis 15 cm breiter Gurt aus steifem Material in Form einer Schlaufe um die Paletten gelegt, sodann im vorderen Bereich des Hubstaplers an einem Trägerende befestigt wurde und dann der Hubstapler die betreffende Palette in die gewünschte Lage am Rand der Ladefläche zog. Dann mußte der Gurt wieder entfert werden, um das Entladen der Palette mit der Hubstaplergabel nicht zu behindern.

Für den Beklagten wäre es umständlich und zeitraubend gewesen, diese Arbeiten allein durchzuführen, da er bei jedem einzelnen Entladevorgang den Hubstapler mehrmals hätte verlassen und sich auf die Ladefläche begeben müssen. Aus diesem Grund wurde zu den Entladearbeiten ein zweiter Arbeiter beigezogen. Da bei der Fa. R*** für diese Arbeit niemand vorgesehen war, war es seit Jahren allgemein üblich geworden, daß die Lenker der Zustellfahrzeuge beim Entladen mithalfen und die Schlaufe des Gurts um die Paletten legten. Einerseits waren sie an einem raschen Entladen interessiert; andererseits wurden sie, wie auch der Kläger, vom betreffenden Staplerfahrer um diese unentgeltliche Mithilfe ersucht.

In dieser Weise verfuhren die Streitteile auch am 23. April 1987. Der Kläger legte die Schlaufe des Gurts um die erste (oder möglicherweise um zwei) nicht mehr am Rand der Ladefläche befindliche(n) Palette(n) und befestigte den Gurt auch am Trägerrand des Hubstaplers; dann begab er sich zur Seite. Nachdem die Palette in die gewünschte Lage gezogen worden war, nahm er die Schlaufe vom Hubstapler (oder versuchte es jedenfalls). Wegen einer Vorwärtsbewegung des Hubstaplers wurde er mit der rechten Hand zwischen dem Fahrzeug und der Toranlage oder der Gebäudemauer eingeklemmt. Die näheren Einzelheiten des Unfalls stehen bisher noch nicht fest.

Der Unfall des Klägers wurde vom Sozialversicherungsträger als Arbeitsunfall anerkannt.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß sich der Kläger beim Entladen in den Aufgabenbereich der Fa. R*** eingegliedert habe. Der Beklagte sei für den Entladevorgang einschließlich aller Vorbereitungsarbeiten verantwortlich und bezüglich der Einzelheiten des Entladevorgangs weisungsbefugt gewesen; er sei daher Aufseher im Betrieb gewesen, so daß er für die Personenschäden des Klägers gemäß § 333 Abs 1 und 4 ASVG nicht hafte.

Das Berufungsgericht bestätigte das Teilurteil des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, einschließlich des in einem Geldbetrag bestehenden Teils S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige und die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zulässig sei. Hätte anstelle des Klägers ein Arbeiter der Fa. R*** beim Entladen mitgeholfen, dann könnte kein Zweifel darüber bestehen, daß dem Beklagten das Haftungsprivileg des § 333 ASVG zukomme. Die freiwillige Mithilfe des Klägers sei aber nicht anders zu beurteilen. Für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit iS des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG sei wesentlich, daß es sich um eine, wenn auch nur kurzfristige, ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienliche Tätigkeit handle, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspreche und ihrer Art sowie den Umständen nach sonst von Personen verrichtet zu werden pflege, die auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses von dem Unternehmer persönlich oder wirtschaftlich abhängig seien, und daß durch diese Tätigkeit ein enger, innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt werde. In Fällen, in denen zwei Betriebsunternehmer einander als Vertragskontrahenten gegenüberstünden, sei die Haftung des einen bei Verletzung des anderen durch § 333 ASVG so lange nicht ausgeschlossen, als jeder Unternehmer innerhalb seiner eigenen Sphäre tätig bleibe. Zum Haftungsausschluß komme es jedoch dann, wenn der Verletzte die Sphäre seines eigenen Betriebes verlasse und sich dem Aufgabenbereich des anderen Unternehmers wenn auch nur kurzfristig und freiwillig, einordne. Dies habe der Kläger getan; auf die Beweggründe und die Freiwilligkeit seiner Tätigkeit komme es nicht an.

Der Kläger erhebt gegen das Urteil des Berufungsgerichtes die außerordentliche Revision wegen unrichtiger Lösung von Rechtsfragen des materiellen Rechts iS des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO (§ 503 Abs 2 ZPO) und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen bei der Beurteilung der Frage der Aufsehereigenschaft des Beklagten von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen sind; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Wenn zwei Unternehmer als Vertragskontrahenten - etwa im Rahmen

eines Werkvertrages (Frachtvertrages) als Besteller und

Werkunternehmer (Frachtführer) - einander gegenüberstehen, wird die

Haftung des einen Unternehmers (bzw. seines Aufsehers) bei

Verletzung eines Betriebsangehörigen des anderen Unternehmers oder

dieses anderen Unternehmers selbst nicht durch § 333 ASVG

ausgeschlossen, wenn jeder der beiden Unternehmer innerhalb der

Sphäre des eigenen Betriebes tätig bleibt und der Arbeitnehmer des

Werkunternehmers nicht in den Betrieb des Bestellers eingegliedert

wird (EvBl 1963/250; EvBl 1964/148 und 299; Arb 9.131; 9.669;

SZ 52/66; DRdA 1987/21, 447). Der Haftungsausschluß kann hingegen dann eingreifen, wenn der dann Verletzte die Sphäre seines eigenen Lebensbereichs verläßt und sich dem Aufgabenbereich des anderen Unternehmers, wenn auch nur kurzfristig, einordnet (SZ 52/66 mwN; DRdA 1987/21, 447 ua). Ob ein derartiger Fall vorliegt oder ob nur eine typisch zur Tätigkeit eines Transportunternehmens gehörende Mithilfe bei dem - hier allerdings vereinbarungsgemäß vom Empfänger durchzuführenden - Entladen des Lkw-Zuges vorlag (vgl die Ausführungen in SZ 52/66 zur E ZVR 1977/219) kann diesmal auf sich beruhen, weil der Beklagte auch dann, wenn von einer freiwilligen Einordnung des Klägers in das Bestellerunternehmen auszugehen wäre, nicht Aufseher des Klägers war.

Für die Frage, ob ein Kraftwagenlenker (hier: Lenker eines nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr sondern im Betriebsgelände eingesetzten Hubstaplers) gegenüber einem anderen Dienstnehmer desselben Dienstgebers (hier: einem - allenfalls - eingegliederten Dritten) die Stellung eines Aufsehers im Betrieb iS des § 333 Abs 1 und 4 ASVG hat, kommt es nach ständiger Rechtsprechung (zB SZ 51/128; Arb 10.271; DRdA 1987/21, 447 uva) vor allem darauf an, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalls eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war, oder ob er nur den Wagen (hier: die Arbeitsmaschine) zu bedienen hatte. "Aufseher im Betrieb" kann jedenfalls nur der sein, der andere Betriebsangehörige oder wenigstens einen Teil des Betriebes zu überwachen hat (SZ 51/128; EvBl 1979/44; Arb 10.271 uva). Für die Beurteilung der Aufsehereigenschaft kommt es auf die Funktionen des verantwortlichen Dienstnehmers im Zeitpunkt des Unfalls, nicht aber auf seine sonstige Stellung in der betrieblichen Hierarchie an (ZVR 1972/120; SZ 51/128; Arb 10.271 ua).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger beim Entladen der schweren Paletten einzelne Arbeitsvorgänge übernommen, nämlich die Schlaufe des Gurts um die an den Rand der Ladefläche zu ziehenden Paletten gelegt und den Gurt auch an dem als Zugfahrzeug verwendeten Hubstapler befestigt. Sobald die Paletten an den Rand der Ladefläche des Lkw's gezogen waren, hatte er die Zugschlaufe wieder zu entfernen, damit der Beklagte ohne Behinderung durch den Gurt die Paletten mit Hilfe der Hubstaplergabel abladen konnte. Der Beklagte durfte mit dem Hubstapler jeweils erst dann anfahren, wenn der Kläger die für die einzelnen Arbeitsvorgänge notwendigen Handgriffe getan und sich aus dem Gefahrenbereich begeben hatte. Diese wechselweise Tätigkeit der Streitteile mag zwar in der Regel ohne gegenseitige "Weisungen" (Zurufe) vor sich gegangen sein, weil die Arbeitenden auf die oft wiederholten Arbeitsvorgänge entsprechend "eingespielt" waren; sie bedurfte aber jedenfalls dann einer gegenseitigen Kontaktaufnahme, wenn einmal irgendein Arbeitsvorgang von einem Teil nicht wie gewohnt ausgeführt wurde. In einem solchen Fall waren nicht nur Anweisungen des Beklagten an den Kläger, wie er das Zugband an der Palette und am Hubstapler anzulegen (bzw. zu befestigen) habe, notwendig, sondern auch Anweisungen des Klägers, wann der Beklagte frühestens den Hubstapler zum Ziehen der Palette bzw. zum Abladen in Bewegung setzen durfte. Die Feststellung des Erstgerichtes, der Beklagte habe die Reihenfolge der abzuladenden Paletten bestimmen können,(- ein solcher Sachverhalt hat sich im übrigen aus dem Beweisverfahren nicht deutlich ergeben -), einhält auch rechtliche Elemente. Die (allfällige) Aufforderung des Beklagten, der Kläger solle den Gurt um eine ganz bestimmte Palette legen, kann nur als Wunsch und Vorschlag zur (weiteren) Art und Weise der Durchführung der gemeinsamen Arbeit angesehen werden, dem der Kläger - vor allem dann, wenn der Vorschlag etwa unzweckmäßig gewesen wäre (zB bei einseitiger Gewichtsbelastung des Lkw's) - als für das Zugfahrzeug Verantwortlicher nicht hätte entsprechen müssen. Das durch das wechselweise Tätigwerden der beiden Streitteile vorzunehmende Entladen des Lkw's erforderte daher, ähnlich wie im Fall der Entscheidung Arb 10.271 (Zusammenwirken des Lkw-Fahrers und einer Hilfsperson beim Ankuppeln eines Lkw-Anhängers) gegebenenfalls beiderseitige Kontaktaufnahmen. Bei den hiebei allenfalls gegenseitig erteilten "Weisungen" standen einander die Beteiligten als gleichberechtigte Dienstnehmer gegenüber. Der Erstbeklagte hatte bei den von ihm durchzuführenden Arbeitsvorgängen gegenüber dem Kläger keine über seine Stellung als Lenker eines Hubstaplers hinausgehenden Weisungsbefugnisse; er war daher nicht Aufseher im Betrieb iS des § 333 Abs 4 ASVG.

Der von den Vorinstanzen herangezogene Abweisungsgrund liegt nicht vor. Die Rechtssache ist aber noch nicht spruchreif, weil das Erstgericht zu den Einzelheiten des Unfallgeschehens noch keine Feststellungen getroffen hat, die eine Beurteilung des behaupteten Verschuldens des Beklagten ermöglichen, und auch zur Höhe der Ansprüche Feststellungen fehlen; das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, ist auch das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und die Streitsache an diese zurückzuverweisen (§ 510 Abs 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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