Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.719,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 247,20 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Vor der ersten Schwangerschaft wurde der Gattin des Klägers Margit P*** eine Spirale zur Empfängnisverhütung eingesetzt. Diese mußte nach 1 1/2 Monaten zufolge auftretender Zwischenblutungen wieder entfernt werden. Die Spiralenunverträglichkeit besteht bei der Gattin des Klägers noch heute. Margit P*** entband zwei Kinder mittels Kaiserschnittes. Sie leidet an einer beginnenden Coxarthrose der linken Hüfte mit Gelenksspaltverschmälerung und kranialer Hüftkopfentrundung. Sie ist deshalb in ständiger orthopädischer Behandlung. Aufgrund dieses orthopädischen Zustandes ist jede Gewichtszunahme zu vermeiden. Die 1,57 m große Gattin des Klägers leidet zudem an Übergewicht, das jedoch in letzter Zeit von 83 kg auf 68 kg reduziert werden konnte. Bei einer weiteren Schwangerschaft wäre eine Entbindung wiederum nur mittels Kaiserschnitt möglich. Zufolge der Gewichtszunahme (10 bis 15 kg mindestens) käme es zu einer Verschlechterung der Hüftgelenkscoxarthrose. Im kleinen Becken zeigt sich eine ausgeprägte Varizenbildung. Im Falle einer dritten Schwangerschaft bestünde die Gefahr einer Beckenvenenthrombose, die in weiterer Folge zu einer Lungenembolie führen könnte. Margit P*** müßte aufgrund ihres Alters noch ca. 17 Jahre empfängnisverhütende Maßnahmen durchführen. Bei Einnahme der Pille über einen weiteren Zeitraum von 17 Jahren besteht die Gefahr einer Thrombose, einer Störung der Blutfettwerte, einer Blutdruckerhöhung und einer Leberschädigung. Durch eine Tubensterilisation, bei der kein Operationsrisiko besteht, kann eine Schwangerschaft verhindert werden. Das Versagerrisiko liegt nach Durchführung dieser Operation bei 0,2 %.
Der Kläger begehrte, die beklagte Partei zur Übernahme der Kosten einer an seiner Gattin durchzuführenden Tubensterilisation zu verpflichten. Seine Gattin habe bereits zwei Kaiserschnittentbindungen hinter sich; im Hinblick auf bestehende Leidenszustände wäre mit einer neuerlichen Schwangerschaft eine schwere gesundheitliche Gefahr verbunden. Da die Anwendung anderer empfängnisverhütender Mittel nicht möglich sei, stelle die Tubensterilisation die einzige Maßnahme dar, um die Verhinderung einer Schwangerschaft zu gewährleisten. Die beklagte Partei sei daher zur Übernahme der Kosten verpflichtet.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Bei einer Sterilisation handle es sich nicht um die Beseitigung eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes, sodaß eine Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung nicht zu erfolgen habe.
Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers statt. Durch eine weitere Schwangerschaft bestünde die Gefahr schwerer gesundheitlicher Schäden für die Gattin des Klägers. Eine Verhinderung der Schwangerschaft gehöre damit zur Behandlung der regelwidrigen Körperzustände, die bei Margit P*** bestehen, da die Krankenbehandlung auch eine Verhinderung der Verschlechterung einer Krankheit umfasse. Da die Einnahme der Pille durch 17 Jahre mit gesundheitlichen Risken verbunden sei und eine Spiralenunverträglichkeit bestehe, ergebe sich die medizinische Indikation einer Tubensterilisation. Die beklagte Partei sei daher schuldig, die Kosten dieser Maßnahme zu übernehmen. Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Die bloße Verhütung einer Schwangerschaft sei wohl keine Krankenbehandlung im Sinn des GSVG, es sei denn, es handle sich dabei um die Beseitigung von Leiden, die in weiterer Folge zu schweren körperlichen oder seelischen Störungen führen würden. Eine Sterilisation begründe dann einen Anspruch auf Leistung aus der Krankenversicherung, wenn es sich dabei um eine medizinisch indizierte Maßnahme handle. Eine solche Indikation liege bereits dann vor, wenn eine weitere Schwangerschaft für die Frau ein größeres gesundheitliches Risiko darstelle, als dies mit einer normalen Schwangerschaft verbunden sei, wobei das gesundheitliche Risiko auf den Gesamtzustand der Frau bezogen verstanden werden müsse, eine Situation, die im vorliegenden Fall aufgrund des Krankheitsbildes gegeben sei, wobei überdies die Notwendigkeit eines dritten Kaiserschnittes eine weitere Belastung der Gesundheit der Gattin des Klägers darstellen würde. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die beklagte Partei vertritt den Standpunkt, der Begriff der Krankenbehandlung sei im Zusammenhang mit dem Begriff der Krankheit zu sehen. Es seien darunter nur Maßnahmen zu verstehen, mit denen in der Person des Patienten gelegene Ursachen der Regelwidrigkeit des Körper- und Geisteszustandes bekämpft würden. Ein medizinischer Eingriff, der nicht unmittelbar auf die Behandlung des bestehenden Leidens gerichtet sei, sondern nur mittelbar bloß prophylaktisch der allfälligen Verschlechterung eines ganz anderen, von dieser Behandlung in keiner Weise betroffenen Leidens vorbeuge, könne nicht dem Begriff der Krankenbehandlung unterstellt werden. Einer so engen Auslegung des Begriffes der Krankenbehandlung kann nicht gefolgt werden. Gemäß § 80 GSVG gilt der Versicherungsfall der Krankheit mit dem Beginn der Krankheit, di des regelwidrigen Körper- und Geisteszustandes, der die Krankenbehandlung notwendig mache, eingetreten. Gemäß § 90 Abs 2 zweiter Satz GSVG ist Zweck der Krankenbehandlung die Wiederherstellung, Festigung oder Besserung der Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit und der Fähigkeit, für die lebenswichtigen Bedürfnisse zu sorgen. Eine notwendige Krankenbehandlung und damit eine Krankheit in diesem Sinn ist auch dann anzunehmen, wenn die Behandlung geeignet erscheint, eine Verschlechterung des Zustandsbildes hintanzuhalten (Spitaler, SozSi 1976, 389 f, insb 390; Tomandl, Grundriß Rz 66; Binder in Tomandl, System
3. ErgLfg 201).
Nach den Feststellungen liegt bei der Klägerin ein regelwidriger Körperzustand vor, weil sie an einer Varizenbildung im kleinen Becken sowie an einer Coxarthrose der linken Hüfte mit Gelenksspaltsverschmälerung und kranialer Hüftkopfentrundung leidet. Im Fall einer neuerlichen Schwangerschaft bestünde die Gefahr einer Beckenvenenthrombose, die in weiterer Folge zu einer Lungenembolie führen könnte sowie einer Verschlechterung der Coxarthrose. Nun trifft es zwar zu, daß der verfahrensgegenständliche Eingriff nicht unmittelbar eine Besserung des bestehenden Leidenszustandes zum Ziel hat. Weder die Varizen im kleinen Becken noch die Coxarthrose werden hievon unmittelbar betroffen und der derzeit vorliegende Zustand wird auch nach diesem Eingriff unverändert weiterbestehen. Der Eingriff, der eine Verhinderung einer weiteren Empfängnis bewirkt, hat jedoch zum Ziel, die mit einer Schwangerschaft verbundene Verschlechterung zu verhindern und dient damit, wenn auch nicht durch unmittelbare Einwirkung auf den Leidenszustand der Festigung der Gesundheit der Gattin des Klägers (vgl. Binder aaO 205). Daß Maßnahmen zum Abbruch einer Schwangerschaft unter besonderen Voraussetzungen einen Leistungsanspruch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung begründen, wenn sie nämlich im Einzelfall erforderlich sind, um von der betroffenen Frau die Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung des körperlichen oder geistigen Gesundheitszustandes abzuwenden, ist anerkannt (Spitaler aaO 391, Binder aaO 201 mwN). Es liegt in diesem Fall eine Krankheit im Sinn des § 80 GSVG vor, die einen Anspruch auf Krankenbehandlung gemäß § 90 GSVG auslöst. Bei Eintritt einer neuen Schwangerschaft wären diese Voraussetzungen bei der Klägerin gegeben. In einem solchen Fall mit der Leistungsgewährung zu warten, bis die Krankheit eingetreten ist, obwohl ein früherer ärztlicher Eingriff bessere und weniger aufwendigere Möglichkeiten zur Behandlung bietet, wäre weder vom Standpunkt der Versicherungsgemeinschaft zu verantworten noch dem einzelnen Versicherten zuzumuten (in diesem Sinn auch BSG vom 13.2.1975 NJW 1975, 2267). Spitaler aaO 391 lehnt zwar die Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit einer Sterilisation grundsätzlich ab, beschäftigt sich aber mit der hier vorliegenden Problemstellung nicht, was sich daraus erklärt, daß er das Problem von Leistungen der Krankenversicherung nur vom Standpunkt der Familienplanung beleuchtet. Den Fall einer Sterilisation zur Verhinderung eines gesundheitlichen Schadens der Frau bei Eintritt einer neuerlichen Schwangerschaft erörtert er nicht.
Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht, daß eine Sterilisation dann von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfaßt ist, wenn sie im Einzelfall erforderlich ist, um die mit einer Schwangerschaft verbundene Gefahr eines schweren gesundheitlichen Nachteils von der Frau abzuwenden. Diese Voraussetzungen liegen aber vor.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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