Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 15.Februar 1944 geborene Dr. Hans G*** des Vergehens der falschen Beurkundung im Amt nach § 311 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er in der Zeit vom
5. bis 28.November 1986 in Wien als Richter des Jugendgerichtshofes Wien, sohin als Beamter, in öffentlichen Urkunden, deren Ausstellung in den Bereich seines Amtes fiel, nämlich in insgesamt zehn von ihm zugeteilten Rechtspraktikanten aufgenommenen Protokollen vom 4. November 1986, in welchen er als anwesender Richter aufschien, durch seine (nachträgliche) Unterschrift die Tatsache seiner Anwesenheit bei den Vernehmungen fälschlich beurkundet, wobei er mit dem Vorsatz handelte, daß die Urkunden im Rechtsverkehr, nämlich in den jeweils folgenden Verfahren gebraucht würden. Es handelte sich hiebei um die Vernehmung eines Beschuldigten (1) und die Vernehmung von vier Zeugen jeweils im strafgerichtlichen Vorverfahren (2), sowie die Vernehmung von Verurteilten zum beantragten Widerruf der bedingten Strafnachsicht (3), die Belehrung eines jugendlichen Straftäters nach § 12 JGG in einem Pflegschaftsverfahren (4) und in einem weiteren Pflegschaftsverfahren um die Vernehmung der Kindeseltern zu einem Antrag auf Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe (5).
Rechtliche Beurteilung
Diesen im Sinn der mehrfach modifizierten Anklage (ON 25 iVm S 350 und 403) ergangenen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5 a und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; den Strafausspruch bekämpft er mit einer angemeldeten (schriftlich aber nicht ausgeführten) Berufung. Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung der "Beweisanträge ON 57", die in der Hauptverhandlung zwar generell aufrecht erhalten (S 404), durch das Anbot der eigenen Zeugenaussage durch den Verteidiger erläutert, aber nur in ihrem Punkt 4. mündlich vorgetragen und durch die Angabe eines Beweismittels vervollständigt wurden (S. 405). Zum Beweis dafür, daß es auch im zivilgerichtlichen Scheidungsverfahren allgemein üblich sei, Rechtspraktikanten die Klage aufnehmen zu lassen, zu der erst im nachhinein der Name des Richters laut Geschäftsverteilung eingesetzt werde, wurde die Beischaffung eines diesbezüglichen Erlasses des Vorstehers des Bezirksgerichtes Innere Stadt beantragt.
Dieser Rüge, die auf die Beweisführung abstellt, daß sich Gerichte nicht an die Vorschriften über die Protokollaufnahme halten und sich ein anderes (vom Angeklagten praktiziertes) Verhalten "etabliert" habe (S 451), ist grundsätzlich entgegenzuhalten, daß Beweise nur über (rechtserhebliche) Tatsachen, nicht aber über Rechtsfragen aufzunehmen sind (SSt 41/7, EvBl 1987/46 uva). Wie bei der Aufnahme gerichtlicher Protokolle im Strafverfahren vorzugehen ist, schreiben aber die Bestimmungen der §§ 101, 104, 105, 150 bis 172, 198 bis 206, 495 Abs 3 StPO vor, wobei die Judikatur (zu § 288 StPO) die Aufnahme von gerichtlichen Protokollen durch nicht mit den Garantien der richterlichen Unabhängigkeit ausgestattete Bedienstete (wie zB auch Richteramtsanwärter und Rechtspraktikanten) nur unter der Voraussetzung zuließ, daß die vernommenen Personen noch vor Abschluß des Protokolls in Gegenwart des Richters die Richtigkeit der protokollierten Angaben bestätigten (SSt 53/75 = LSK 1983/47 = EvBl 1983/161). Im Hinblick auf diese eindeutige auch in der Einspruchsentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien (ON 28) dargestellte Rechtslage könnte selbst dann, wenn sich der Angeklagte - wie etwa im Vorverfahren - unter Hinweis auf einen Abusus auch bei anderen Gerichten auf einen Rechtsirrtum berufen wollte, für seine Verteidigung nichts gewonnen werden. Sollte sich nämlich ein derartiges Fehlverhalten auch anderer Gerichte ergeben, wäre im Hinblick auf die geschilderte Rechtslage und die darauf beruhende Judikatur dem Angeklagten als langjährigen und routinierten Richter dieser Rechtsirrtum vorzuwerfen und damit unbeachtlich (§ 9 Abs 2 StGB). Wenn sich Dr. G*** auch auf die Gepflogenheiten in Zivil- und Außerstreitverfahren beruft, Niederschriften mit Verfahrensbeteiligten durch Rechtspraktikanten aufnehmen zu lassen, ist zunächst auf die einschlägigen Bestimmungen zu verweisen (§ 56 GOG, §§ 34 Abs 2, 54, 55 Geo), die unter gewissen Voraussetzungen zulassen, daß auch Bedienstete der Geschäftsstelle, sohin auch Rechtspraktikanten (siehe jetzt auch § 6 RPG), die Protokolle in Abwesenheit eines Richters aufnehmen. Daraus läßt sich aber nicht die Berechtigung eines Richters ableiten, seine Anwesenheit bei derartigen Vernehmungen tatsachenwidrig zu beurkunden (Bertel im WK, RZ 10 zu § 311 StGB). Die begehrten Beweisaufnahmen in diese Richtung konnten daher vom Gericht ohne Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Angeklagten abgelehnt werden (§ 281 Abs 3 StPO).
Mit der Mängelrüge (Z 5), aber auch mit dem als "Ergänzung zur Nichtigkeit nach Z 9" bezeichneten Vorbringen bekämpft der Beschwerdeführer insgesamt die Begründung der für die subjektive Tatseite entscheidenden Feststellungen, ihm sei bei Unterfertigung der urteilsgegenständlichen Protokolle bewußt gewesen, daß sie in seiner krankheitsbedingten Abwesenheit vom Dienst aufgenommen wurden. Die Beschwerde vermeint, daß das Urteil nur auf die zwölfjährige dienstliche Erfahrung des Angeklagten und die daraus abgeleitete Fähigkeit, auch unter Druck ordnungsgemäß zu arbeiten, abstelle und damit nur mangelhaft begründet sei. Es sei auch aktenwidrig, wenn das Gericht davon ausgehe, daß der Angeklagte (in dem vom Schuldspruch nicht erfaßten) Protokoll mit Otto D*** entweder deshalb nicht unterschrieben habe, weil er kurz vorher vom Präsidenten des Jugendgerichtshofes Wien belehrt worden war, oder dieses Protokoll übersehen habe (S 420). Aus diesem Verhalten wäre vielmehr der Schluß zu ziehen gewesen, daß Dr. G*** in diesem Fall aufgefallen war, daß das Protokoll am 4.November 1986 in seiner Abwesenheit aufgenommen wurde.
Dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit ist lediglich zu erwidern, daß von einer solchen nur dann gesprochen werden kann, wenn das Gericht den Inhalt einer Urkunde oder einer protokollierten Aussage im Urteil unrichtig wiedergibt, die Richtigkeit der auf freier Beweiswürdigung beruhenden Schlüsse aus bestimmten Beweisergebnissen kann hingegen unter dem Gesichtspunkt der Aktenwidrigkeit nicht angefochten werden (Mayerhofer-Rieder2, E 185 ff zu § 281 Z 5 StPO). Im übrigen stützen die Tatrichter ihre Überzeugung, daß der Richter Dr. G*** die Deliktsverwirklichung als gewiß angesehen hat und keinesfalls nur einem Irrtum unterlegen war (S 419), neben seiner Routine als langjähriger Richter, die ihm auch unter Arbeitsdruck ein korrektes Verhalten ermöglicht, auch darauf, daß er im Akt 11 Vr 1145/86 des Jugendgerichtshofes Wien (2 b, c, d des Urteilsspruches) im Bewußtsein, bei den Vernehmungen nicht persönlich anwesend gewesen zu sein, durch den handschriftlichen Beisatz "unter Anleitung von" (Dr. G***) eine Vernehmung dieser Zeugen unter seiner persönlichen Kontrolle ausdrücklich beurkundet hat. Des weiteren wertete das Gericht zur Begründung seiner Feststellungen über die subjektive Tatseite den Umstand, daß der Beschwerdeführer auch noch nach dem 6.November 1986, als er bereits vom Präsidenten des Jugendgerichtshofes Wien über das rechtmäßige Vorgehen bei Protokollaufnahmen durch Rechtspraktikanten belehrt worden war, weitere in seiner Abwesenheit verfaßte Protokolle unterfertigte und in einem Fall sogar noch am 28.November 1986 eine derartige Beurkundung vornahm, obwohl er am 25.November 1986 auch im Disziplinarverfahren mit dem einschlägigen Vorwurf konfrontiert worden war (S 419-421).
Die Mängelrüge, die diesen Teil der Urteilsbegründung übergeht, erschöpft sich insgesamt lediglich in einer Bekämpfung der Beweiswürdigung und entbehrt daher einer prozeßordnungsgemäßen Ausführung.
Der inhaltliche Schwerpunkt des Rechtsmittels liegt ersichtlich in den Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund der Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO, die in dem Vorwurf gipfeln, das Erstgericht habe kein einziges Beweisergebnis dafür anzuführen vermocht, daß die Verantwortung des Angeklagten, die Protokolle vom 4.November 1986 nur zufolge Arbeitsüberlastung irrtümlich unterfertigt zu haben, nicht zutreffe. Da seit dem 6.November 1986 bekannt gewesen sei, daß er am 4.November 1986 wegen Krankheit nicht im Gerichtsgebäude anwesend war, hätte kein Motiv bestanden, diesen Umstand nachträglich durch die fälschliche Beurkundung der Anwesenheit in Protokollen zu verschleiern.
Mit diesen Ausführungen vermag der Beschwerdeführer aber keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dargelegten Beweiswürdigung des Erstgerichts zu erwecken. Ergibt sich doch aus den in den Akten erliegenden Aussagen der im fraglichen Zeitpunkt dem Angeklagten zugeteilten Rechtspraktikanten, daß er nicht nur Protokolle vom 4.November 1986 unterfertigte, sondern es gerade zu seinen Gewohnheiten gehörte (nach einer Aussage in 50 % der Fälle), Protokolle, bei deren Aufnahme er nicht zugegen war, nachträglich zu unterfertigen, ohne den Rechtspraktikanten die gesetzmäßige Vorgangsweise in Erinnerung zu rufen. Demgemäß zeigte sich der Angeklagte noch bei seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter "erstaunt", daß man ihm überhaupt aus diesem Verhalten einen Vorwurf mache (S 237 verso). Es kann daher dahingestellt bleiben, aus welchem Motiv der Angeklagte auch noch nach der Beanstandung diese Falschbeurkundungen vornahm; an dem von den Tatrichtern aus den vorliegenden Beweisergebnissen gezogenen Schluß, daß Dr. G*** die Protokolle vorsätzlich im nachhinein unterfertigte und dadurch tatsachenwidrig seine Anwesenheit beurkundete, kann sohin nichts ausgesetzt werden.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) reklamiert das Fehlen einer Feststellung zur inneren Tatseite in der Richtung, daß der Angeklagte auch bedacht habe, es komme bei der Verwendung der Urkunde im Rechtsverkehr gerade auf den Beweis der von ihm falsch beurkundeten Tatsache seiner Anwesenheit während der Vernehmungen an. Dies sei deshalb indiziert gewesen, weil seiner Meinung nach die Tatsache seiner persönlichen Anwesenheit irrelevant gewesen sei und es nur auf den Inhalt der protokollierten Aussage ankomme. Das Tatbild des § 311 StGB ist erfüllt, wenn ein Beamter in einer öffentlichen Urkunde, deren Ausstellung in den Bereich seines Amtes fällt, eine Tatsache fälschlich beurkundet. Das Vorliegen dieser objektiven Tatbestandsmerkmale wird in der Beschwerde auch gar nicht bestritten. Auf der inneren Tatseite verlangt das Gesetz mangels einer besonderen Anordnung im Tatbestand vorsätzliches Handeln im Sinn des § 5 Abs 1 StGB (§ 7 Abs 1 StGB). Zum erweiterten Vorsatz des Vergehens der falschen Beurkundung im Amt gehört, daß der Täter es ernstlich für möglich hält und sich damit auch abfindet, die von ihm verfälschte Urkunde werde im Rechtsverkehr zum Beweis der falsch beurkundeten Tatsache gebraucht. Zur Annahme dieses Vorsatzes genügt aber das ausdrücklich festgestellte Begleitwissen (vgl hiezu auch die zu § 229 StGB ergangene Entscheidung SSt 51/21), daß die aufgenommenen Protokolle später der Staatsanwaltschft übersendet oder für andere verfahrensbeteiligte Personen von Bedeutung sein werden (S 418 unten und 419 oben). Die Anführung des Namens des Richters im Protokoll erfolgt entgegen den Beschwerdeausführungen nicht etwa als Arbeitsnachweis, sondern zur Beurkundung, daß die betreffende Aussage vor einem mit den verfassungsmäßigen Garantien eines unabhängigen Richters versehenen Organ abgelegt wurde. Wäre die Anführung des Richters so unerheblich, wie der Beschwerdeführer vorgibt, so würde sie sich als leere Formalität erübrigen. Gerade der Umstand, daß es der Angeklagte für notwendig befunden hat, die in seinem Namen aufgenommenen Protokolle nachträglich zu unterfertigen, zeigt, daß ihm die Bedeutung dieser Formvorschrift sehr wohl bewußt war, hätte sich doch sonst als einfacher Ausweg aus seinem Zwiespalt zwischen seiner Amtsabwesenheit und der Notwendigkeit der Fortführung der Amtsgeschäfte die Streichung seines Namens im Kopf der Protokolle angeboten. Dies hätte freilich erforderlich gemacht, daß zumindest die in den Strafverfahren durchgeführten Vernehmungen hätten wiederholt werden müssen. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen reichen sohin auch zur Beurteilung der subjektiven Tatseite aus.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verurteilte Dr. Hans G*** nach § 311 StGB unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit zu 30 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, und setzte den einzelnen Tagessatz mit 260 S fest. Gemäß dem § 43 a Abs 1 StGB wurde ein Teil dieser Geldstrafe im Ausmaß von 30 Tagessätzen für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Bei der Strafbemessung wurde als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Falschbeurkundungen gewertet und als mildernd in Betracht gezogen, daß der Angeklagte an der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt hat und bisher einen untadeligen Lebenswandel führte.
Der Angeklagte hat "Berufung" angemeldet, dieses Rechtsmittel aber weder schriftlich noch mündlich ausgeführt. Es war aber, da ein Privatbeteiligtenzuspruch nicht erfolgte, über diese Strafberufung dennoch sachlich zu entscheiden (siehe hiezu schon 15 Os 6/88 und 13 Os 82/88), weil mit dem angefochtenen Strafausspruch nicht mehr als eine Strafe oder sonstige Unrechtsfolge verhängt wurde, die Berufungsanmeldung damit die formale Mindestanforderung für die Angabe des Berufungsbegehrens erfüllt (§ 294 Abs 2 StPO nF). Bei amtswegiger Prüfung des Strafausspruches kann der Oberste Gerichtshof aber nichts finden, was für dessen Korrektur zugunsten des Angeklagten spräche. Eine Strafverschärfung scheidet mangels Anfechtung der Strafzumessung durch die Anklagebehörde ohnehin aus (§ 295 Abs 2, erster Satz, StPO).
Es war daher auch der Berufung des Angeklagten der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.
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