OGH 11Os102/88

OGH11Os102/885.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 5.September 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Manquet als Schriftführer in der Strafsache gegen Ernst P*** wegen des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach dem § 302 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 8.April 1988, GZ 24 Vr 91/88-14, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, und des Verteidigers Dr. Harthaller jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 13.Juli 1941 geborene Ernst P*** des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach dem § 302 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach mißbrauchte er in der Zeit von Ende 1984 bis 26.Juni 1987 als Bürgermeister der Gemeinde Hart im Zillertal, sohin als Beamter, mit dem Vorsatz, den Staat an seinen Rechten auf Durchführung einer gesetzmäßigen Bauverhandlung vor Erteilung einer Baubewilligung für ein bewilligungspflichtiges Bauvorhaben und auf Untersagung einer Bauführung ohne Bewilligung zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich, daß er die Errichtung je eines Gebäudes auf der Nockalpe und auf der Trahtalpe ohne Durchführung einer gesetzmäßigen Bauverhandlung gestattete und duldete.

Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 5 a, 8 und 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; den Strafausspruch bekämpft er mit Berufung.

Nach den - zusammengefaßt dargestellten - Feststellungen des Gerichts war der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1965 Gemeindesekretär und seit dem Jahr 1980 auch Bürgermeister der Gemeinde Hart im Zillertal, in der der Zeuge Simon K*** eine Landwirtschaft betreibt.

Als Simon K*** zwischen Ende 1984 und Frühjahr 1985 beim Bürgermeister anfragte, ob er auf der Nockalpe - nahe der Hochwaldgrenze im Freilandgebiet - eine Hütte errichten dürfe, stimmte der Angeklagte zu und erlaubte in Kenntnis der Bestimmungen der Tiroler Bauordnung, welche die Errichtung eines Gebäudes (auch einer sogenannten Asthütte) nur nach Durchführung einer Bauverhandlung und Vorliegen einer Baubewilligung gestattet, ohne jede Bauverhandlung den Baubeginn, sodaß das Gebäude am 26.Juni 1987 (Beginn der Gendarmerieerhebungen) nahezu fertiggestellt war. Im Frühjahr 1987 stimmte der Angeklagte einem weiteren derartigen Bauvorhaben des Simon K*** auf der Trahtalpe zu, wonach auch mit der Errichtung dieser Hütte begonnen wurde.

Als am 21.Mai 1987 die Sache im Gemeinderat zur Sprache kam, schritt der Angeklagte immer noch nicht ein, sondern verfügte die Baueinstellung erst, als die Gendarmerieerhebungen eingesetzt hatten.

Rechtliche Beurteilung

Das Gericht stützte sich bei diesen Sachverhaltsfeststellungen im wesentlichen auf die Aussagen des Zeugen Simon K***, sowie der Zeugen Maria Anna, Hubert und Thomas G***, die beim Bau mitgeholfen hatten, vor der Gendarmerie, während es den eher zurückhaltenden und abweichenden Dispositionen dieser Zeugen in der Hauptverhandlung mit ausführlicher Begründung den Glauben versagte. Als tragendes Indiz dafür, daß der Angeklagte die Bauführungen mündlich genehmigt und auch geduldet hatte, wurde vor allem gewertet, daß der Bürgermeister nicht einmal nach der Erörterung im Gemeinderat die Baueinstellung verfügte und selbst dann, als schriftliche Bauansuchen verspätet eingebracht wurden, keine Einlaufstampiglie und auch sonst keine verfahrenseinleitenden Handlungen setzte bzw. setzen ließ. Soweit der Beschwerdeführer dem Gericht Überschreitung der Anklage (Z 8) vorwirft, übersieht er, daß bei einem Vergleich zwischen Anklage- und Urteilsfaktum auch die Anklagebegründung heranzuziehen ist. Gegenstand der Anklage bildet nämlich nicht nur die im Anklagetenor rechtlich qualifizierte Tat, sondern jenes Geschehen in der Außenwelt, das im Anklagetenor zwar individualisiert, in der Anklagebegründung aber durch Anführung der einzelnen Umstände konkretisiert wurde. An die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes durch den Ankläger ist das Gericht aber nicht gebunden. Um den Sachverhalt klarzustellen, den wahren Zusammenhang aller für den Deliktserfolg erheblichen Tatsachen zu erkennen und zu einer richtigen rechtlichen Beurteilung dieser Tatsachen zu gelangen, kann das Gericht auch über die durch den Anklagetenor gegebene Grenze hinausgehen (Mayerhofer-Rieder2 E 1-3, 5-7, 18 f, 79, 80 zu § 262 StPO).

Wendet man diese Kriterien auf den vorliegenden Schuldspruch an, dann kann es nicht zweifelhaft sein, daß der Urteilsvorwurf von der Schilderung des Sachverhalts durch die Anklagebehörde umfaßt ist, welche die Vorgänge um die Errichtung von Gebäuden auf der Nockalpe und der Trahtalpe durch Simon K*** als amtsmißbräuchlich darstellte.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit. a) des Angeklagten ist nur insoweit gesetzmäßig ausgeführt, als behauptet wird, ein Schaden des Staates könne nur durch die Erteilung einer unrichtigen Baubewilligung, keinesfalls aber durch die Unterlassung einer Bauverhandlung eintreten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, auf die auch das Erstgericht verwies, ist unter Schädigung im Sinn des § 302 StGB nicht nur die Beeinträchtigung eines privatrechtlichen Anspruchs, sondern auch die Schädigung eines konkreten, auf einer bestimmten Rechtsnorm (Gesetz oder Verordnung) beruhenden Rechtes einer Gebietskörperschaft zu verstehen. Der Einwand, eine Rechtsschädigung sei nur dann gegeben, wenn die (End-) Erledigung einer Sache materiell unrichtig ist, läßt außer acht, daß hier die Zulässigkeit der Bauführung für den Amtsträger keinesfalls offenkundig war, sollten die Gebäude doch nicht im Bauland, sondern im Freilandgebiet nahe der Hochwaldgrenze errichtet werden, wobei mangels vorliegender Pläne auch die Art der Verbauung (Wochenendhaus oder Asthütte) nicht evident war. Die Gebietskörperschaft ist aber jedenfalls dann an einem konkreten öffentlichen Recht geschädigt, wenn Verfahrensvorschriften, die dazu dienen, die materielle Berechtigung eines Anspruches zu beurteilen (hier: Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung), rundweg übergangen werden und ihr daher vorweg die Möglichkeit genommen wird, ein Projekt oder einen Antrag auf seine Genehmigungsvoraussetzungen hin zu prüfen (13 Os 169/87 = NRsp 1988/98 und die dort zitierte Judikatur). Von dieser Rechtsprechung abzugehen, bietet der vorliegende Fall keinen Anlaß. Bei seinen weiteren Rechtsausführungen geht der Beschwerdeführer aber, wie dies in Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes erforderlich wäre, nicht vom Urteilsinhalt, sondern von seiner eigenen Beurteilung der Sachlage aus, sodaß er insoweit den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO nicht zur gesetzmäßigen Darstellung bringt.

Die Beschwerde konzentriert sich demgemäß auf eine weitwendige und umfangreiche Kritik dieser erstgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen samt Begründung, indem sie eine Reihe von Mängeln aufzuzeigen sucht (Z 5) und zusammenfassend zum Nichtigkeitsgrund der Z 5 a die Meinung vertritt, "daß das Erstgericht sich offenbar schwer tut, seine völlig unverständliche Beweiswürdigung mit greifbaren und nachvollziehbaren Gründen zu belegen" (S 275).

Der in diesem Zusammenhang mehrfach behauptete Widerspruch im Ausspruch des Gerichts über die Art der inkriminierten Handlungen, der darin erblickt wird, daß einerseits die Erteilung einer mündlichen Baubewilligung unterstellt, andererseits aber dem Bürgermeister die Nichtuntersagung eines Baues ohne Baubewilligung vorgeworfen werde, geht ebenfalls nicht vom tatsächlichen Schuldvorwurf aus. Dadurch, daß der Angeklagte eine ihm als Bürgermeister mündlich angezeigte geplante Bauführung im Freiland ohne Durchführung einer Bauverhandlung prüfungslos mündlich genehmigte, duldete er die Errichtung der Gebäude, anstatt die Bauführung bis zur Erteilung einer schriftlichen Baubewilligung zu untersagen. Worin hier ein Widerspruch liegen soll, ist nicht zu ersehen, ist doch die Duldung die logische Konsequenz der (gesetzwidrigen) Genehmigung.

Unter Zugrundelegung dieses Schuldvorwurfes wäre aber die abgelehnte Durchführung eines Ortsaugenscheins zum Beweis dafür, daß es sich bei den beiden Gebäuden um Asthütten handelt, die für Bauern notwendig sind und nicht um Wochenendhäuser, und insbesondere zur Frage der Auffälligkeit der Hütten für den Bürgermeister (S 243), nicht geeignet gewesen, der Verteidigung des Angeklagten dienende Beweisergebnisse zu erbringen (Z 4). Die Bauführung war dem Bürgermeister ja durch die Anfragen des Simon K*** und die Telefongespräche mit anderen Zeugen bekannt. Damit war für ihn auch, ohne daß er die Bauplätze gesehen hatte, die Verpflichtung gegeben, für die Einbringung eines schriftlichen Bauansuchens und die Durchführung eines Bauverfahrens Sorge zu tragen.

Zu den übrigen, die Unrichtigkeit der Sachverhaltsfeststellungen monierenden Beschwerdeausführungen ist grundsätzlich festzuhalten, daß alle bekämpften Urteilsannahmen in den ihnen zugrunde liegenden Erhebungen der Gendarmerie und den - wie das Gericht beweiswürdigend ausführte - damals noch spontanen und unbeeinflußt abgelegten Aussagen der Zeugen Deckung finden.

Entscheidungswichtige formale Begründungsmängel vermag die Beschwerde - unter Berufung auf den Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO - nicht darzutun. Das Beschwerdevorbringen richtet sich vielmehr in Wahrheit nur gegen die mit dem angerufenen Nichtigkeitsgrund nicht bekämpfbare schöffengerichtliche Beweiswürdigung.

Angesichts des Umstandes, daß das Schöffengericht die aktenkundigen Beweisergebnisse plausibel würdigte, kann der Beschwerde aber auch nicht gefolgt werden, wenn sie in weitwendigen Darlegungen einwendet, das Urteil sei mit dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 5 a StPO behaftet: Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der vom Erstgericht dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen ergeben sich nämlich aus den Akten nicht.

Die - gänzlich unbegründete - Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach dem § 302 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 37 Abs. 1 StGB zu einer gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 360 Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit 180 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und bestimmte die Höhe des Tagessatzes mit 720 S, sodaß die Gesamtgeldstrafe 259.200 S beträgt. Bei der Strafzumessung wurden die Wiederholung des Amtsmißbrauches durch Gestattung und Duldung zweier Bauführungen zu verschiedenen Zeitpunkten als erschwerend, als mildernd hingegen das tadelfreie Vorleben gewertet.

Der auf Strafherabsetzung gerichteten Berufung kommt Berechtigung nicht zu.

Der Täterpersönlichkeit des Angeklagten wurde durch die Anwendung der §§ 37 Abs. 1 und 43 Abs. 1 StGB voll Rechnung getragen, sodaß ein Strafvollzug nur bei Eintritt eines Widerrufsgrundes zu befürchten wäre. Die Höhe der verhängten Geldstrafe berücksichtigt aber zu Recht den hohen Unrechtsgehalt der Tat. Will man nämlich die Verhüttelung der gerade für ein Fremdenverkehrsland wie Tirol lebenswichtigen Naturlandschaft hintanhalten, bedarf es vor allem des gesetzeskonformen Verhaltens der Baubehörden. Es bedürfen daher derartige schwerwiegende Gesetzesverstöße nicht mit zu geringen, als Bagatellisierung mißzuverstehenden Strafen geahndet werden.

Auch die Höhe des Tagessatzes entspricht der durch ein monatliches Nettoeinkommen von 27.000 S gekennzeichneten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Berufungswerbers. Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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