OGH 9ObA162/88

OGH9ObA162/8831.8.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Oder und Peter Pulkrab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Heinrich O***, technischer Angestellter, Wien 22., Hermann Greulichplatz 2, vertreten durch Dr. Alexander Milavec, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*** Elektrotechnische Geräte Gesellschaft mbH, Wien 5., Gartengasse 24, vertreten durch Dr. Friedrich Gatscha, Rechtsanwalt in Wien, wegen

S 149.665,55 brutto sA (Revisionsstreitwert S 49.888,52 brutto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. März 1988, GZ 32 Ra 10/88-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. August 1987, GZ 20 Cga 314/86-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,75 (darin S 257,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten seit 19. November 1979 mit einem Monatsgehalt von S 22.396,-- brutto als technischer Angestellter beschäftigt. Mit Schreiben vom 10. November 1986 erklärte er seinen vorzeitigen Austritt.

Mit der Behauptung, sein Austritt sei zu Recht erfolgt, da ihm die Beklagte trotz Nachfristsetzung die Gehälter für September und Oktober 1986 nicht gezahlt habe, begehrte er letztlich S 67.188,-- an Kündigungsentschädigung, S 76.878,55 an Abfertigung und S 5.599,-- an Urlaubszuschuß.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe seinen Arbeitsplatz am 3. November 1986 ohne jede Erklärung verlassen und mit einem Schreiben vom selben Tag die Zahlung der Gehälter für September und Oktober 1986 bis spätestens 7. November 1986 gefordert. Obwohl der verlangte Betrag am 7. November 1986 im Betrieb bereitgehalten worden sei, habe ihn der Kläger nicht abgeholt. Daraufhin sei der Rückstand auf das Konto des Klägers überwiesen und der Kläger davon telefonisch verständigt worden. Aus diesem Grunde sei der Kläger ungerechtfertigt ausgetreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 49.888,52 brutto sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Im Betrieb der Beklagten kam es vor, daß den Arbeitnehmern zufolge finanzieller Engpässe ihre Entgelte verzögert ausgezahlt wurden. Je nach dem, ob Geld vorhanden war, wurden die Gehälter überwiesen bzw. durch Scheck oder bar gezahlt. Der Kläger hatte ausdrücklich gewünscht, sein Gehalt mit Scheck oder bar zu erhalten. Er begab sich jeweils am Monatsende zum Geschäftsführer oder Prokuristen der Beklagten und nahm sein Gehalt bar entgegen. Nachdem der Kläger seine Gehälter für September und Oktober 1986 Ende Oktober noch nicht erhalten hatte, urgierte er zunächst mündlich beim Geschäftsführer der Beklagten die Zahlung seines Entgelts. Der Geschäftsführer verwies auf einen finanziellen Engpaß und vertröstete den Kläger damit, daß er sein Geld in der

45. Kalenderwoche (3. bis 7. November 1986) bekommen werde. Am 3. November 1986 verließ der Kläger nach Einholung einer entsprechenden Erlaubnis vorzeitig den Betrieb. Er gab ein an die Beklagte gerichtetes und mit demselben Tag datiertes Schreiben zur Post, in dem er die Beklagte aufforderte, die Gehälter für September und Oktober 1986 bis spätestens Freitag, den 7. November 1986 an ihn so auszuzahlen, daß er über das Geld verfügen könne. Sollte es nicht dazu kommen, müßte er es als Vorenthalten des Entgelts ansehen. Dieses Schreiben kam der Beklagten noch am 3. November 1986 zu. Am Abend dieses Tages suchte der Kläger eine Ärztin auf, die ihn auf Grund einer schmerzhaften Arthrose im Knie ab 4. November 1986 für arbeitsunfähig erklärte. Es steht nicht fest, ob der Kläger der Beklagten den Krankenstand schon am 4. November 1986 bekannt gegeben hatte; jedenfalls wußte die Beklagte aber am 5. November 1986 von diesem Krankenstand. An diesem Tag erschien der Prokurist der Beklagten beim Kläger, um eine Bohrmaschine abzuholen. Dabei wurde wiederum über das ausstehende Entgelt gesprochen. Auf die Frage des Prokuristen, wann der Kläger wieder zu arbeiten gedenke, antwortete der Kläger, er wolle zunächst den Freitag abwarten, da er befürchte, sonst wieder umgestimmt zu werden.

Am Freitag, dem 7. November 1986, lag das rückständige Entgelt im Betrieb der Beklagten bis 13.00 Uhr zur Abholung bereit. Dem Kläger wäre es trotz seines Krankenstandes möglich gewesen, das Geld selbst abzuholen. Da er nicht erschien, wurde der Betrag auf das Gehaltskonto des Klägers eingezahlt. Der Geschäftsführer der Beklagten verständigte den Kläger davon telefonisch. Dieser äußerte sich dahin, daß er mit der Einzahlung einverstanden sei. Der eingezahlte Betrag wurde dem Gehaltskonto des Klägers mit 10. November 1986 gutgeschrieben. Am selben Tag teilte der Kläger der Beklagten mit eingeschriebenem Brief mit, daß er sich zufolge des Umstandes, daß auf seinem Konto bis heute keine Gutschrift erfolgt sei, gezwungen sehe, seinen berechtigten vorzeitigen Austritt zu erklären. Ob der Kläger tatsächlich erst am 11. November 1986 über den überwiesenen Betrag verfügen hätte können, ist nicht feststellbar.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß nicht darüber zu erkennen sei, ob der vorzeitige Austritt des Klägers gerechtfertigt gewesen sei oder nicht. Da beide Teile ein Verschulden an der vorzeitigen Lösung des Arbeitsverhältnisses treffe, sei vielmehr gemäß § 32 AngG nach freiem Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Ersatz gebühre. Den Kläger treffe das überwiegende Verschulden, da er es unterlassen habe, sein rückständiges Entgelt am 7. November 1986 bei der Beklagten abzuholen. Der Beklagten sei lediglich anzulasten, daß sie mit einem Erscheinen des Klägers nicht hätte rechnen dürfen, sondern Vorsorge hätte treffen müssen, daß der Kläger sein Gehalt tatsächlich am 7. November 1986 zur Verfügung habe. Dem Kläger stehe daher ein Drittel seiner geltend gemachten Ansprüche zu.

Das Berufungsgericht bestätigte diese nur von der beklagten Partei bekämpfte Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß das Mitverschulden des Klägers im Berufungsverfahren nicht mehr strittig sei. Die Beklagte habe nach der Krankmeldung des Klägers nicht mehr damit rechnen dürfen, daß der Kläger sein Geld dennoch abholen oder abholen lassen werde. Die Beklagte hätte daher vorsorgen müssen, daß die Überweisung so rechtzeitig erfolge, daß der ausstehende Betrag spätestens am letzten Tag der Nachfrist auf dem Konto des Klägers gutgeschrieben werden könne. In der Unterlassung dieser rechtzeitigen Disposition nach längerer Säumnis der Gehaltsauszahlung liege das rechtlich richtig mit einem Drittel bewertete Mitverschulden der Beklagten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionswerberin ist lediglich darin zuzustimmen, daß der Anwendung des § 32 AngG im vorliegenden Fall keine entscheidende Bedeutung zukommt. Auch wenn sowohl das Vorliegen als auch das Nichtvorliegen eines wichtigen Grundes für den Austritt des Arbeitnehmers zu Ersatzansprüchen wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen könne, dient die Kulpakompensation nicht etwa dazu, dem Arbeitnehmer für den Fall eines ungerechtfertigten Austritts wenigstens einen Teil seines unbegründeten Anspruches zu retten. Ein zur Herstellung des Tatbestandes und zur Erhebung des Schuldvorwurfes nicht ausreichendes Verhalten soll nicht zur Minderung der Rechtsfolgen führen (Kuderna, Das Mitverschulden an der vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses, DRdA 1967, 181 ff, 182; Kuderna, Das Entlassungsrecht 51 f; Arb. 9229, 9631,

10.223 ua). Es ist daher unzulässig, die Frage nach dem Austrittsgrund unbeantwortet zu lassen und von vorneherein Verschulden und Mitverschulden aus einem "gemischten" Sachverhalt abzuleiten (Martinek-Schwarz, AngG6 670 mwH;

Csebrenyak-Geppert-Maßl-Rabofsky, ABGB und Arbeitsvertragsrecht 296). Damit ist aber für die Beklagte im Ergebnis nichts gewonnen, da eine Prüfung des Verhaltens der Parteien im Hinblick auf § 26 Z 2 AngG ergibt, daß der Kläger zum vorzeitigen Austritt aus dem Arbeitsverhältnis berechtigt war. Die Beklagte schuf durch die Nichtzahlung des Septembergehaltes über mehr als einen Monat und durch die weitere Nichtzahlung des Oktobergehaltes einen rechtswidrigen Zustand, den der Kläger keineswegs hingenommen hat. Er urgierte sein Entgelt vielmehr vorerst mündlich und setzte der Beklagten am 3. November 1986 schriftlich eine Nachfrist bis spätestens 7. November 1986. Er brachte dabei unmißverständlich zum Ausdruck, daß sein rückständiges Gehalt so auszuzahlen sei, daß er über das Geld verfügen könne. Es trifft zwar zu, daß die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Arbeitsentgelts nach der Verkehrssitte eine Holschuld ist (Adler-Höller in Klang2 V 273; Krejci in Rummel ABGB § 1154 Rz 24;

Martinek-Schwarz aaO 319; 14 Ob A 501/87), diese Verpflichtung wird jedoch zu einer Schickschuld, wenn der Arbeitnehmer am Zahlungstag in der Betriebsstätte nicht anwesend ist (Krejci aaO Rz 25;

Martinek-Schwarz aaO 320; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht 228;

Arb. 7.081 ua). Dem Einwand der Beklagten, der Kläger hätte sich sein Geld am 7. November 1986 selbst holen können, steht entgegen, daß sich der Kläger, wie der Beklagten jedenfalls seit 5. November bekannt war, bereits seit 4. November 1986 im Krankenstand befand und es ihm nicht zumutbar war, jeden Tag bei der Beklagten vorbeizukommen und nachzufragen, ob sich die Beklagte bereit finde, ihm sein längst fälliges Entgelt nachzuzahlen. Die Beklagte war vielmehr zur ehesten Übermittlung der Zahlungsrückstände verpflichtet, wobei es ihr freistand, den Betrag dem ohnehin beim Kläger erschienen Prokuristen mitzugeben, ihn per Post zu schicken oder zu überweisen. Auf jeden Fall hatte sie aber, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, schon auf Grund ihres andauernden Verzuges (§ 15 AngG) dafür vorzusorgen, daß der Kläger am letzten Tag der Nachfrist über das Geld verfügen konnte (Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht2 I 140; SrM I A d 1184). Es verschlägt dabei nichts, daß der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger am 7. November 1986 telefonisch von der Einzahlung verständigte und sich der Kläger mit der Einzahlung - ohne Kenntnis des Einzahlungstermines, so daß er noch immer annehmen durfte, er werde fristgerecht über das Geld verfügen können - einverstanden erklärte. Abgesehen davon, daß die Beklagte nicht behauptete, der Kläger habe dadurch die Nachfrist erstreckt und eine derartige Erstreckung auch nicht festgestellt wurde, sondern die Beklagte nunmehr nur den Standpunkt vertrat, sie habe die bis 7. November 1986 gesetzte Nachfrist ohnehin eingehalten, wäre wohl dem Kläger nichts anderes übrig geblieben, als mit der Einzahlung der Entgeltrückstände einverstanden zu sein. Hätte er sich gegen die Einzahlung ausgesprochen, hätte er allenfalls noch länger auf sein Geld warten müssen. Daß der Kläger damit keine Nachsicht von den Verzugsfolgen erteilen wollte, ist auch aus seinem weiteren Verhalten klar ersichtlich.

Daraus folgt, daß die Beklagte ihrer Nachzahlungspflicht trotz Nachfristsetzung nicht rechtzeitig nachkam und der Austritt des Klägers daher berechtigt war (Arb. 9.082, 10.147, 10.218, 10.471 ua). Das ihm vom Erstgericht angelastete Mitverschulden an der vorzeitigen Lösung des Arbeitsverhältnisses besteht in einer Verletzung von Pflichten, welche ihn gar nicht getroffen haben. Zufolge des gerechtfertigten Austritts steht dem Kläger daher der noch streitverfangene Betrag jedenfalls zu.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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