OGH 7Ob620/88

OGH7Ob620/8828.7.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 7.Mai 1986 verstorbenen Dipl.Ing. Viktor S***, Pensionist, zuletzt wohnhaft gewesen in Radenthein, Reggerweg 9, infolge Revisionsrekurses der erbserklärten Erbin Gerlinde H***, Wien 21., Ohmgasse 4/2, vertreten durch Dr. Wolfgang Perko, öffentlicher Notar in Klagenfurt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 25. Mai 1988, GZ 3 R 185/88-75, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 1.März 1988, GZ A 319/86-71, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Töchter des Erblassers, Gerlinde H*** und Getrude P***, haben auf Grund eines Testamentes des Erblassers bedingte Erbserklärungen je zur Hälfte des Nachlasses abgegeben. In einer am 28. September 1987 vor dem Gerichtskommissär durchgeführten Tagsatzung zur Verlaßabhandlung (ON 10) behauptete Gerlinde H***, der Erblasser habe ihr Sparbücher der Kärntner Sparkasse und der Bank für Steiermark und Kärnten im April 1985 geschenkt. Diese hätten sich seither in ihrer persönlichen Verwahrung befunden und seien daher nicht in das Inventar aufzunehmen. Der Vertreter von Gertrude P*** bestritt dies und beantragte die Aufnahme der Sparbücher in das Inventar.

Das Erstgericht vernahm die beiden Töchter des Erblassers und nahm Einsicht in eine eidesstattliche Versicherung der - inzwischen verstorbenen - erblasserischen Witwe, Alma S***, vom 1.Oktober 1987, abgegeben vor Dr. Rolf F***, Notar mit dem Amtssitz in Wald/Michelbach/Odenwald, BRD. Es traf unter anderem folgende Feststellungen:

Am Tage nach dem Tod des Erblassers, also am 8.Mai 1986, trafen sich die Witwe und die beiden Töchter des Erblassers in dessen Wohnung in Radenthein. Aus dem Tresor der Volksbank Radenthein wurde mit einem in Verwahrung des Erblassers und nunmehr seiner Witwe befindlichen Schlüssel eine Kassette in die Wohnung gebracht. In dieser Kassette befanden sich neben einem Testament aus dem Jahr 1961 noch fünf Sparbücher. Eines dieser Sparbücher lautete auf den Namen der Witwe, die vier anderen, und zwar je eines der Kärntner Sparkasse, der Bank für Kärnten und Steiermark, der Raiffeisenbank Radenthein und Bad Kleinkirchheim und der Volksbank Radenthein, waren unter anderem Bezeichnungen bzw. Losungsworten angelegt. Diese vier Sparbücher wurden treuhänderisch Gerlinde H*** überlassen, die Aufstellungen für die Verlassenschaftsabhandlung vornehmen sollte. Das Sparbuch der Kärntner Sparkasse, lautend auf Dipl.Ing Viktor S***, auf welches der Erblasser auch eine zweite Rente überweisen ließ, wies zum Todestag ein Guthaben von 948.538,51 S auf. Gerlinde H*** hob am 9.Mai 1986 von diesem Sparbuch, das der Erblasser auch in einer Aufstellung über seine Sparbücher und Wertpapiere, die in der genannten Kassette aufgefunden wurde, verzeichnet hatte, einen Barbetrag von 900.000 S ab. Gerlinde H*** realisierte am 9.Mai 1986 auch das Sparbuch der Bank für Steiermark und Kärnten mit der Bezeichnung "Alma", das der Erblasser ebenfalls in der eben erwähnten Aufstellung angeführt hatte, und legte bei dem selben Institut ein anderes Sparbuch mit einer Einlage von 853.688,11 S neu an. Sie hob am 11.Juli 1986 von dieser Einlage 800.000 S ab und legte diesen Betrag - gleichfalls bei der Bank für Steiermark und Kärnten - unter der Bezeichnung "Kapitalsparen" neu an.

Das Erstgericht folgerte aus diesen Feststellungen, daß - unter anderem - die in den Sparbüchern der Bank für Steiermark und Kärnten und der Kärntner Sparkasse aufscheinenden Sparguthaben im Besitz des Erblassers gewesen seien und sprach mit Beschluß vom 1.März 1988, ON 71, aus, daß unter anderem die Guthaben von 948.538,51 S aus dem näher bezeichneten Sparbuch der Kärntner Sparkasse sowie von 853.688,11 S aus dem näher beschriebenen Sparbuch der Bank für Steiermark und Kärnten als am Todestag 7.Mai 1986 im Besitz des Erblassers befindlich gemäß § 97 Abs 1 AußStrG in das Inventar aufzunehmen seien. Das Erstgericht folgte damit den Angaben der Getrude P*** und der eidesstattlichen Erklärung der Witwe des Erblassers. Die Aussage der Gerlinde H*** erschien ihm aus Gründen, die es im einzelnen ausführlich darlegte, nicht glaubhaft. Die zweite Instanz gab dem Rekurs der Gerlinde H*** nicht Folge. Das Inventar müsse gemäß § 97 Abs 1 AußStrG ein genaues und vollständiges Verzeichnis allen beweglichen und unbeweglichen Vermögens, in dessen Besitz sich der Erblasser zur Zeit seines Todes befunden habe, enthalten. Für die Frage, ob eine Sache in das Inventar aufzunehmen sei, sei lediglich der Besitz und nicht das Eigentum maßgebend. Während Eigentumsfragen im Prozeßweg auszutragen seien, sei die Frage des Besitzes der zu inventarisierenden Gegenstände im Abhandlungsverfahren zu klären, und zwar auch dann, wenn dazu, wie hier, ein förmliches Beweisverfahren notwendig sei. Unter Besitz sei nur der Sach- und Rechtsbesitz, nicht auch die bloße Innehabung zu verstehen. Das Rekursgericht teile nicht die von der Rekurswerberin vorgebrachten Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und sehe sich daher - wie es eingehend begründete (S 4 und 5 des angefochtenen Beschlusses) - nicht veranlaßt, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzugehen. Daran vermöge auch die mit dem Rekurs vorgelegte eidesstättige Erklärung des Ehegatten der Rekurswerberin nichts zu ändern. Auszugehen sei daher davon, daß sich die beiden Sparbücher, weitere Sparbücher und ein Testament im Zeitpunkt des Todes des Erblassers in einer in einem Banktresor aufbewahrten Kassette befunden haben und der Schlüssel zu dieser Kassette vom Erblasser verwahrt wurde. Damit sei jedenfalls die äußere Erscheinung der Zugehörigkeit der beiden Sparbücher zum Vermögen des Erblassers als Wesensmerkmal des Besitzes dargetan. Der Beweis, daß der Besitzwille des Erblassers entgegen dem bestehenden Anschein fehle, sei von der hiefür beweispflichtigen Rekurswerberin nicht erbracht worden. Darüber, ob die Sparbücher im Zeitpunkt des Todes des Erblassers in seinem Eigentum oder aber im Eigentum der Rekurswerberin gestanden seien, könne im Verlassenschaftsverfahren nicht abgesprochen werden.

Rechtliche Beurteilung

Gerlinde H*** bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit ao. Revisionsrekurs aus den Rekursgründen der offensichtlichen Gesetzwidrigkeit, der Aktenwidrigkeit und der Nichtigkeit mit dem Antrag, "den Rekurs als berechtigt zu erkennen und unter Berücksichtigung der eidesstättigen Erklärung" (des Lothar H***) "in der Sache zu entscheiden." Sie erblickt die behaupteten Rekursgründe in dem Umstand, daß das Rekursgericht die mit dem Rekurs vorgelegte eidesstättige Erklärung des Ehegatten der Rekurswerberin mit dem Satz "Daran vermag auch die mit dem Rekurs vorgelegte eidesstättige Erklärung des Ehegatten der Rekurswerberin nichts zu ändern", "erledigt" habe, ohne auf deren Inhalt einzugehen. Das Rekursgericht habe sich mit dem Inhalt dieser Erklärung überhaupt nicht befaßt. Durch die Nichtbehandlung des Inhalts dieses Beweismittels sei die Rechtsmittelwerberin in ihrem Anspruch auf inhaltliche Überprüfung und begründete Mitteilung des Ergebnisses verletzt. Darin werde eine offenbare Gesetzwidrigkeit erblickt. Die Nichtbehandlung eines wesentlichen zulässigen Beweismittels begründe auch Aktenwidrigkeit und Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO.

Der Oberste Gerichtshof vermag die Ansicht der Rekurswerberin nicht zu teilen.

Aktenwidrigkeit liegt vor, wenn das Rekursgericht in seiner Entscheidung den Inhalt einer Parteienbehauptung oder eines Beweismittels unrichtig wiedergegeben hat und infolgedessen zur Feststellung eines fehlerhaften Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt gelangt ist (RZ 1977/123, EfSlg.44.702 u.a.), oder wenn für eine Tatsachenfeststellung überhaupt keine beweismäßige Grundlage vorhanden ist (8 Ob 637/87). Selbst die Nicht-Berücksichtigung eines Beweisergebnisses als solches vermag den Anfechtungsgrund der Aktenwidrigkeit nicht zu begründen (EFSlg 44.705). Umsoweniger begründet es daher Aktenwidrigkeit, wenn die zweite Instanz die eidesstättige Erklärung des Lothar H*** zwar beachtet, aber die Ansicht vertreten hat, daß diese Erklärung an dem festgestellten Sachverhalt nichts zu ändern vermöge.

Welche Verfahrensmängel im Verfahren außer Streitsachen Nichtigkeit begründen, ist im Außerstreitgesetz selbst nicht geregelt. Die ständige Rechtsprechung geht dahin, daß der Nichtigkeitsbegriff auch im Verfahren außer Streitsachen grundsätzlich der Zivilprozeßordnung zu entnehmen ist und daß die Bestimmungen des § 477 ZPO sinngemäß anzuwenden sind (EFSlg 44.683). Die Nichtbeachtung von Neuerungen stellt einen Verfahrensmangel dar, der im Rahmen eines ao. Revisionsrekurses nur aufgegriffen werden könnte, wenn er in seinen Auswirkungen einer Nichtigkeit gleichkommt, wenn also etwa die Neuerung geeignet ist, die gesamten Entscheidungsgrundlagen zu verändern oder umzustoßen (EFSlg 47.254; EFSlg 52.747; EFSlg 52.749 u.a.).

Nach § 10 AußStrG ist es den Parteien unbenommen, in den Vorstellungen und Rekursen neue Umstände und Beweismittel anzuführen. Es können im Rahmen dieser Bestimmung für bisher unbewiesen gebliebene Behauptungen Beweismittel angeboten, oder es kann das bereits vorliegende Tatsachenmaterial berichtigt oder ergänzt werden (EFSlg 52.615). Die Vorlage einer eidesstättigen Erklärung durch die Rekurswerberin war daher zulässig. Das Rekursgericht hat aber weder eine gegenteilige Ansicht vertreten, noch auch hat es die Neuerung nicht beachtet. Es hat lediglich die Ansicht vertreten, daß diese Erklärung "daran" - daß nämlich das Rekursgericht die Beweiswürdigung des Erstgerichtes billige und die auf diese Beweiswürdigung gegründeten Feststellungen übernehme - nichts zu ändern vermöge. Es liegt daher weder ein einfacher Verfahrensmangel, noch auch gar ein solcher vom Rang einer Nichtigkeit vor.

Offenbare Gesetzwidrigkeit liegt in jenen Fällen unrichtiger rechtlicher Beurteilung vor, in denen entweder ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde, oder in denen das Gericht gegen ein Grundprinzip des Rechts verstoßen hat oder willkürlich vorgegangen ist oder in denen eine Entscheidung ohne jede gesetzliche Grundlage erlassen wurde (EFSlg 47.208). Offenbare Gesetzwidrigkeit kann nur Verstöße gegen materiellrechtliche Bestimmungen, nicht aber verfahrensrechtliche Unrichtigkeiten betreffen (EFSlg 44.644, 49.936 ua). Die Nichtbehandlung eines Beweismittels, die Nichtbeachtung einer Neuerung vermag daher zwar einen Verfahrensmangel, allenfalls auch einen solchen vom Rang einer Nichtigkeit, nicht aber eine offenbare Gesetzwidrigkeit zu begründen. Der Revisionsrekurs erweist sich mangels Vorliegens eines der im § 16 AußStrG genannten Rekursgründe als unzulässig. Er war deshalb zurückzuweisen.

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