OGH 7Ob586/88

OGH7Ob586/8830.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marianne S***, Salzburg, Rottweg 19, vertreten durch Dr. Stefan Vargha und Dr. Herbert Waltl, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Wolfgang S***, Angestellter, Salzburg, Rottweg 19, vertreten durch Dr. Eckart Fussenegger und Dr. Alexander Hacker, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16.November 1987, GZ 1 R 127/87-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 3.März 1987, GZ 7 Cg 231/86-8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes, wonach die Ehe der Streitteile aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten geschieden wird, wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.937,25 (darin S 514,50 an Umsatzsteuer und S 277,75 an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 4.897,35 (darin S 308,85 an Umsatzsteuer und S 1.500,-- an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 6.9.1962 miteinander die Ehe geschlossen. Es war beiderseits die erste Ehe. Beide Parteien sind österreichische Staatsbürger. Der Ehe entstammt die am 27.10.1963 geborene Gerlinde S***.

Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Der Beklagte unterhalte seit Anfang 1985 ehewidrige Beziehungen zu einer Arbeitskollegin, verbringe seither seine Freizeit weitgehend außer Haus und sorge sich nicht mehr um die Klägerin. Er konsumiere seit geraumer Zeit große Mengen an Alkohol und neige in betrunkenem Zustand zum Randalieren; am 11.6.1986 habe er in alkoholisiertem Zustand einen Teil der Einrichtung der Ehewohnung zerstört.

Der Beklagte trat dem Scheidungsbegehren nicht entgegen, beantragte jedoch für den Fall der Scheidung den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe. Die Klägerin sei streitsüchtig und grundlos eifersüchtig. Sie vernachlässige den Haushalt und weigere sich seit zwei Jahren, für den Beklagten zu kochen und zu waschen. In einer übergebührlichen Teilnahmslosigkeit und in einem oft tagelangen verletztenden Schweigen gegenüber dem Beklagten zeige sich ein mangelnder Ehewille der Klägerin, die überdies nächtelang von zu Hause weggeblieben und allein auf Urlaub gefahren sei, ohne den Beklagten hievon zu unterrichten.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Es traf folgende Feststellungen:

Bis etwa Sommer 1984 verlief die Ehe der Streitteile harmonisch. Der letzte eheliche Verkehr fand zu Weihnachten 1984 statt. Ab Sommer 1984 kam der Beklagte, der bis dahin regelmäßig zu Mittag und nach der Arbeit immer gegen 18 Uhr nach Hause gekommen war, wiederholt später und betrunken nach Hause. Im Betrieb des Beklagten fanden zu jener Zeit häufig Feiern der Mitarbeiter statt, bei denen auch Alkohol getrunken wurde. Eine der Mitarbeiterinnen des Beklagten ist seit 17 Jahren Barbara I***. Es ist nicht erweislich, daß der Beklagte mit Barbara I*** ehebrecherische Beziehungen unterhält.

Als der Beklagte allerdings im Herbst 1984 von seiner Tochter in seinem PKW in Begleitung von Barbara I*** gesehen wurde, ersuchte er seine Tochter, der Klägerin hievon nichts mitzuteilen. Der Klägerin war schon zuvor aufgefallen, daß der Beklagte des öfteren mit Barbara I*** an seiner Arbeitsstätte oder vor dem Auto beisammenstand, wenn sie Nachschau hielt, warum der Beklagte nicht nach Hause komme. Bei einer solchen Gelegenheit konnte die Klägerin auch sehen, daß der Beklagte Barbara I*** im Gesicht streichelte. Im September 1984 kam der Beklagte einmal gegen 16 Uhr nach Hause, um sich unzuziehen. Er sagte der Klägerin, daß er mit Barbara I*** weggehe und daß diese auf ihn warte. Die Klägerin begleitete den Beklagten im PKW, als er wieder wegfuhr. Der Beklagte verließ jedoch das Auto an einer Kreuzung und kam erst am nächsten Vormittag wieder nach Hause, ohne eine Erklärung über seinen Verbleib zu geben. Zu Allerheiligen 1984 blieb der Beklagte sowohl am Feiertag als auch in den Nächten davor und danach von zu Hause fern, ohne der Klägerin eine Erklärung zu geben. Am nächsten Tag rief der Beklagte die Klägerin an und teilte ihr mit, er befinde sich auf dem Gendarmerieposten in Straßwalchen, der Führerschein sei ihm abgenommen worden. Als die Klägerin bei der Gendarmerie nachforschte, ergab sich die Unrichtigkeit dieser Angaben. Im Jänner 1985 ("nach dem Heiligen 3-Königs-Tag") konnte die Klägerin den Beklagten an einem Nachmittag im Betrieb nicht erreichen. Es wurde ihr erklärt, der Beklagte sei im Betrieb nicht aufzufinden. Der Betriebsleiter erzählte später der Klägerin, der Beklagte sei irgendwann am Nachmittag gemeinsam mit Barbara I*** im Umkleideraum aufgefunden worden.

Zu dieser Zeit kam der Beklagte auch einmal mit blutbeschmutzter Unterwäsche nach Hause und erklärte der Klägerin, er habe Umgang mit einem Straßenmädchen gehabt. Der Klägerin ekelte daraufhin vor dem Beklagten, so daß sie zu keinem ehelichen Verkehr mehr bereit war. Der Beklagte erklärte in der Folge der Klägerin, er wolle seine Freiheit haben, die Eheleute könnten auch so nebeneinander leben. Im Mai 1985 fiel der Klägerin auf, daß sich der Beklagte Potenzmittel besorgt hatte, obwohl zwischen den Parteien schon lange keine ehelichen Beziehungen mehr bestanden. Der Beklagte verbot der Klägerin schließlich, mit dem Auto zu fahren und sperrte auch das Konto, zu dem sie bis dahin Zugriff gehabt hatte.

Obwohl der Beklagte nun immer häufiger, insbesondere an Wochenenden, in der Früh wegging und irgendwann in der Nacht oder auch erst am nächsten Tag wiederkam, versorgte die Klägerin weiterhin seine Wäsche. Der Beklagte hat zu dieser Zeit nicht mehr zu Hause gegessen.

Am 28.6.1985, einem Freitag, teilte der Beklagte der Klägerin mit, er wolle zu einem Kirtag fahren, und fuhr allein weg, obwohl ihn die Klägerin begleiten wollte. Er kam erst am Sonntag um 3 Uhr früh zurück, ohne eine Erklärung zu geben. Der Beklagte war auch während der Osterfeiertage 1985 von zu Hause weg, ohne sich darüber zu erklären.

Am 5.9.1985 fiel der Beklagte im ehelichen Schlafzimmer über die Klägerin her und wollte einen Geschlechtsverkehr erzwingen. Die Klägerin wehrte sich jedoch und schrie, so daß die Tochter der Streitteile und Nachbarn aufmerksam wurden und die Polzei verständigten. Die Klägerin zog daraufhin aus dem ehelichen Schlafzimmer in das im Oberstock des Hauses gelegene Zimmer ihrer Tochter. Am 24.9.1985 erschien der Beklagte in der Nacht vor der Türe dieses Zimmers, erklärte, mit der Klägerin sprechen zu wollen, und trat schließlich die Türe ein.

Am 12.6.1986 zertrümmerte der Beklagte in Abwesenheit der Klägerin die Kücheneinrichtung und Geschirr. Über Vorhalt seiner Tochter erklärte er, er habe durchgedreht, es tue ihm leid. Als jedoch die Klägerin am nächsten Tag erschien und den Beklagten fragte, warum er das gemacht habe, warf er Salat an die Wand, so daß die Klägerin über Bitten ihrer Tochter wieder wegfuhr. Nachdem die Klägerin weggefahren war, äußerte sich der Beklagte gegenüber seiner Tochter, er könne für nichts mehr garantieren und werde die Klägerin umbringen. Die Klägerin zog daraufhin zunächst zu ihrem Bruder und dann in ein Untermietzimmer.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, den Beklagten treffe das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe. Ein Mitverschulden der Klägerin sei nicht erweislich gewesen.

Die zweite Instanz gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge und schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Das Berufungsgericht traf folgende ergänzende Feststellungen:

Etwa ab Beginn 1985 war die Klägerin nicht mehr bereit, die Ehe mit dem Beklagten fortzuführen, obwohl der Beklagte noch ab und zu intime Beziehungen zur Klägerin unterhalten wollte. Veranlassung hiefür waren die Ereignisse unmittelbar nach dem Heiligen 3-Königs-Tag 1985. Trotz dieser Umstände kam aber für die Kläigerin zunächst eine Scheidung der Ehe nicht in Betracht. Veranlassung für die Überreichung der Scheidungsklage war erst der Vorfall vom 12./13.6.1986.

Im Juni 1985 fuhr die Klägerin für eine Woche mit einer Bekannten nach Italien, ohne dem Beklagten darüber näher Auskunft zu geben. Zu dieser Zeit hielt sich der Beklagte zu Hause eher seltener auf.

Als der Beklagte am 12.6.1985 (richtig wohl: 1986) nach Hause kam, war die Klägerin nicht zu Hause. Er fand einen Zettel mit dem Text vor: "Beziehung: Wenn ein Mann nachher der Dumme ist, kann er sicher sein, daß er es auch schon vorher war". Über diesen Text ärgerte sich der Beklagte sehr und reagierte darauf in der bereits vom Erstgericht festgestellten Weise.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, die Ehe der Streitteile sei durch das Verhalten des Beklagten bereits bis zum Beginn des Jahres 1985 einer Belastungsprobe unterzogen worden. Es könne aber nicht übersehen werden, daß die Klägerin es unterlassen habe, zu einem Zeitpunkt, als die Ehe noch nicht tiefgreifend und unheilbar zerrüttet gewesen sei, die eheliche Gesinnung und Grundeinstellung entsprechend zu pflegen. Habe die Klägerin schon im Juli 1985 eine Urlaubsreise unternommen, ohne den Beklagten hievon zu unterrichten, sei darin trotz der angespannten ehelichen Situation auch eine gewisse Gleichgültigkeit dem Beklagten gegenüber zu erblicken. Daß die Klägerin nicht angemessen zur Beruhigung des ehelichen Verhältnisses beigetragen habe, komme auch dadurch zum Ausdruck, daß sie dem Beklagten einen recht herausfordernden Text vorgelegt habe. Die Eheverfehlungen des Beklagten seien für die ungünstige Entwicklung der Ehe jedoch weitaus bedeutsamer als jene der Klägerin, die sich weitgehend nur als Folge des ehewidrigen Verhaltens des Beklagten darstellten. Treffe daher auch die Klägerin ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe, trete dieses doch weit in den Hintergrund.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes, soweit darin ausgesprochen wird, es treffe sie an der Scheidung eine Mitschuld, aus den Revisionsgründen des § 503 Abs 1 Z 3 und 4 ZPO mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß das alleinige Verschulden an der Scheidung der Ehe den Beklagten treffe.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Unbegründet ist allerdings der Vorwurf der Aktenwidrigkeit (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ein behauptetes Mitverschulden muß grundsätzlich alle Eigenschaften eines Scheidungsgrundes wegen Verschuldens haben (EFSlg 48.827). Der Ausspruch eines Mitverschuldens des klagenden Ehegatten iS des § 60 Abs 3 EheG ist nur dann zulässig, wenn der beklagte Ehegatte auf Grund der betreffenden Umstände auf Scheidung wegen Verschuldens hätte klagen können (EFSlg 51.655). Eheverfehlungen iS des § 49 EheG müssen schuldhaft gesetzt werden und objektiv schwer sein. Sie müssen auch subjektiv als ehezerstörend empfunden werden (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 49 EheG). Das Verhalten muß Zerrüttungswirkung auf die Ehe haben, und zwar sowohl objektiv als auch subjektiv für mindestens einen Ehegatten (Pichler aaO, Rz 3). Die vom Berufungsgericht ergänzend getroffenen Feststellungen rechtfertigen weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit die Annahme einer schweren Eheverfehlung der Klägerin. Daß die Klägerin etwa ab Beginn des Jahres 1985 nicht mehr bereit war, eheliche Beziehungen zu dem Beklagten zu unterhalten, hatte seine Ursache darin, daß der Beklagte schon seit Monaten zumindest ehewidrige Beziehungen zu Barbara I*** unterhalten hatte und einmal mit blutbeschmutzter Unterwäsche nach Hause gekommen war und dies damit erklärt hatte, daß er "Umgang mit einem Straßenmädchen" gehabt habe. Die Verweigerung des Geschlechtsverkehrs stellt nur dann eine schwere Eheverfehlung dar, wenn sie beharrlich und grundlos erfolgt (EFSlg 43.624, 48.744). Abgesehen davon aber, daß die mangelnde Bereitschaft der Klägerin durch die dargestellten Umstände gerechtfertigt war, hat der Beklagte das Verhalten der Klägerin offensichtlich nicht als ehezerstörend empfunden, denn er hat seinen Mitschuldantrag nicht auf diesen Umstand gegründet und der Klägerin auch bei seiner Vernehmung als Partei einen Vorwurf daraus nicht gemacht. Auch daß die Klägerin im Juli 1985 mit einer Bekannten eine Woche auf Urlaub nach Italien gefahren ist, ohne dem Beklagten darüber näheres mitzuteilen, kann unter den gegebenen Umständen nicht als eine schwere Eheverfehlung gewertet werden. Der Beklagte selbst hielt sich zu jener Zeit nur mehr "seltener" (Feststellung des Berufungsgerichtes) zu Hause auf, er war seit Monaten immer wieder tage- und nächtelang von zu Hause abwesend, ohne der Klägerin über seinen Verbleib irgendeine Auskunft zu geben. Daß die Klägerin etwa gegen oder auch nur ohne den Willen des Beklagten auf Urlaub gefahren wäre, wurde nicht festgestellt. Der Umstand allein aber, daß sie dem Beklagten darüber nichts Näheres erzählt hat, kann im Hinblick auf das Verhalten des Beklagten eine schwere Eheverfehlung nicht begründen.

Den Zettel, über dessen Text sich der Beklagte am 12.6.1986 so ärgerte, daß er die Kücheneinrichtung der Ehewohnung zerstörte, hat der Beklagte zwar bei seiner Vernehmung als Partei als Rechtfertigung für sein Verhalten herangezogen, er hat ihn der Klägerin aber nicht als Eheverfehlung bei Stellung seines Mitschuldantrages vorgeworfen und es fehlt auch jeder Hinweis dafür, daß die Klägerin damit den Beklagten ärgern oder herausfordern oder sich über ihn lustig machen wollte, zumal nicht einmal feststeht, daß sie den Text in irgendeinem Zusammenhang mit dem Beklagten niederschrieb. Es besteht daher auch kein Anlaß, darin eine Eheverfehlung zu sehen.

Der Mitschuldantrag des Beklagten erweist sich damit als nicht gerechtfertigt, so daß das Erstgericht in zutreffender Weise die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten geschieden hat. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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