OGH 9ObA151/88

OGH9ObA151/8829.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Helmut Mojescick als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Leopold V***, Gärtner, Wien 11., Kapleigasse 6, vertreten durch Dr. Johannes Schriefl und Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Josef K***, Gärtner, Wien 11., Lautenschlägergasse 15, vertreten durch Dr. Erhard Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 278.306,- brutto sA (Revisionsstreitwert S 263.268,- brutto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Jänner 1988, GZ 32 Ra 135,136/87-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22. Juli 1987, GZ 16 Cga 2502/87-4, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird dahin Folge gegeben, daß das angefochtene Zwischenurteil aufgehoben und die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war beim Beklagten seit September 1955 vorerst als Lehrling und in der Folge als Gärtner beschäftigt. Am 2. März 1987 wurde er entlassen.

Mit der Behauptung, seine Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt, begehrt der Kläger den Betrag von S 278.306,- brutto sA, bestehend aus S 15.200,- an Urlaubsentschädigung für 1986, S 19.334,- an restlichen Sonderzahlungen für 1986, S 11.038,- an anteiligen Sonderzahlungen für 1987, S 41.080,- an Kündigungsentschädigung und S 191.654,- an Abfertigung. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei zu Recht entlassen worden, da er den Beklagten und dessen Gattin gröblichst beschimpft habe. Im übrigen habe der Kläger die Sonderzahlungen für 1986 bereits erhalten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 15.038,- sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Beklagte zahlte zwar stets den Lohn des Klägers, der zuletzt wöchentlich brutto S 3.160,- betrug, pünktlich aus; es war aber üblich, daß der Kläger die Sonderzahlungen in wöchentlichen Teilbeträgen zu S 1.000,- bis S 2.000,- erhielt. Damit war der Kläger nicht immer gleich einverstanden; er äußerte sich jedoch nie abfällig. Im Betrieb des Beklagten herrschte ein ordentlicher und höflicher Umgangston.

Ab 10. Jänner 1987 verbrauchte der Kläger einen fünfwöchigen Resturlaub aus dem Jahre 1986. Nach der ersten Arbeitswoche kam er am 27. Februar 1987 in das Büro des Beklagten, um seinen Lohn abzuholen. Dabei forderte er den Beklagten auf, ihm den Urlaubszuschuß und die restliche Weihnachtsremuneration für 1986 zu zahlen. Der Beklagte erklärte dem Kläger, daß er dazu wegen der schlechten finanziellen Situation nicht in der Lage sei, und bot ihm Ratenzahlungen von S 1.000,- pro Woche an. Darüber geriet der Kläger in Zorn; er beschimpfte den Beklagten als "falsch" und warf ihm vor, daß die "Tschuschen" wohl alle Zahlungen rechtzeitig erhalten hätten. Der Kläger forderte den Beklagten schließlich ultimativ auf, den Betrag bis Montag aufzutreiben; wenn "er sich spiele", werde er ihn anzeigen.

Am Montag, den 2. März 1987 sprach der Beklagte den Kläger im Hinblick auf das Ultimatum an und erklärte ihm nochmals die (schlechte) finanzielle Situation. Auch die dazugekommene Gattin des Beklagten versuchte, den Kläger mit dem Hinweis, daß er schon so lange im Betrieb beschäftigt sei und letztlich immer sein Geld erhalten habe, zu beschwichtigen. Daraufhin fuhr der Kläger die Gattin des Beklagten mit den Worten an: "Blöde Sau! Sind Sie ruhig Sie Trampel, Sie geht das überhaupt nichts an, Sie haben überhaupt nichts zu reden!" Dennoch versuchte der Beklagte wiederum, den Kläger zu beruhigen. Diesem Beschwichtigungsversuch entgegnete der Kläger damit, daß er den Beklagten als "blöden Hund" beschimpfte. Der Beklagte erklärte, daß er unter diesen Umständen an einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr interessiert sei; der Kläger solle seine Sachen packen und den Betrieb verlassen. Dieser Aufforderung kam der Kläger unmittelbar nach dem Vorfall nach. Im Jahr 1986 hatte der Kläger in wöchentlichen Teilbeträgen insgesamt S 58.000,- an Sonderzahlungen erhalten. Damit war der Urlaubszuschuß zur Gänze gezahlt und es ist lediglich an Weihnachtsremuneration noch ein Rest von S 4.000,- offen geblieben. Im Jahr 1987 hatte der Kläger noch keine Sonderzahlungen erhalten. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger auf Grund seiner gröblichen Ausfälle gegen den Beklagten und dessen Gattin zu Recht entlassen worden sei. Der Kläger hätte die Zahlungsrückstände zwar zum Anlaß eines vorzeitigen Austritts nehmen können, aber nicht versuchen dürfen, seine Ansprüche durch Beleidigungen des Arbeitgebers durchzusetzen. Er habe daher keinen Anspruch auf Kündigungsentschädigung und Abfertigung. Entlassungsunabhängig stünden ihm lediglich die restliche Weihnachtsremuneration für 1986 in Höhe von S 4.000,- und die anteiligen Sonderzahlungen für 1987 in Höhe von je S 5.519,- zu. Da der Kläger im Jahre 1987 fünf Wochen Urlaub aus 1986 verbraucht habe, gebühre ihm für dieses Jahr auch keine Urlaubsabfindung. Weitere allfällige Ansprüche habe er diesbezüglich nicht erhoben. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung. welche im klagestattgebenden Teil rechtskräftig wurde, im klageabweislichen Teil dahin ab, daß es ohne das Vorliegen der Voraussetzungen hinsichtlich aller Ansprüche zu prüfen (Fasching, ZPR Rz 1429 mwH), mit Zwischenurteil die entlassungsabhängigen Ansprüche dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkannte. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 30.000,-

übersteige und vertrat im wesentlichen die Rechtsauffassung, daß es hier im besonderen Maß darauf ankomme, daß der Beklagte dem Kläger die fälligen Sonderzahlungen trotz Aufforderung nicht ausgezahlt habe. Der Kläger hätte daher gemäß § 82 a lit.d GewO 1859 das Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden können. Auf Grund dieser schleppenden Entgeltzahlung und der Einmaligkeit des Vorfalls im Hinblick auf die langjährige unbeanstandete Tätigkeit des Klägers für den Beklagten sei es gerechtfertigt, die Beleidigungen noch als entschuldbar anzusehen. Dem Beklagten wäre es zuzumuten gewesen, den Kläger weiterzubeschäftigen.

Der Kläger habe dem Grunde nach Anspruch auf Abfertigung, Urlaubsentschädigung und Kündigungsentschädigung. Da aber die Feststellungen des Erstgerichtes über die Höhe der Ansprüche unzureichend seien, habe zur Ermittlung der Ansprüche eine Zurückverweisung an das Erstgericht zu erfolgen. Bei dieser Sachlage erübrige es sich, auf die weiters geltend gemachten Berufungsgründe einzugehen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem sinngemäßen Antrag, das angefochtene Zwischenurteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt Berechtigung zu.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes können die vom Erstgericht festgestellten groben Beleidigungen des Beklagten und seiner Gattin nicht mehr als entschuldbar angesehen werden. Es trifft zwar zu, daß eine an sich erhebliche Ehrverletzung im Einzelfall keinen Entlassungsgrund bilden muß, wenn sie bloß aus gerechtfertigter Entrüstung oder Erregung über das vorangegangene Verhalten des Beleidigten, etwa in Verteidigung ungerechtfertigter Vorwürfe, und im Hinblick auf ihre Einmaligkeit bei langjähriger Dienstzeit erfolgt ist (DRdA 1983, 114 ua). Entscheidend ist aber stets, ob die Ehrenbeleidigung nach ihrer Art und den Umständen, unter welchen sie erfolgte, von einem Menschen mit normalem Ehrgefühl nicht anders als mit dem Abbruch der Beziehungen beantwortet werden kann, wobei eine gegen den Arbeitgeber erhobene Ehrenbeleidigung strenger zu beurteilen ist, als wenn sie gegen eine der anderen tatbestandsmäßigen (§ 82 lit.g GewO 1859, erster Tatbestand) Personen vorgebracht wird (vgl. Kuderna, Entlassungsrecht 77 f).

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hatte der Beklagte nicht etwa versucht, den Kläger durch Ausflüchte hinzuhalten oder seine Ansprüche in Frage zu stellen, sondern ihm unter Hinweis auf seine schlechte finanzielle Lage die Abstattung der Sonderzahlungen in Raten angeboten. Darauf mußte der Kläger nicht eingehen und er wäre, wie die Vorinstanzen richtig erkannten, berechtigt gewesen, im Sinne des § 82 a lit.d GewO 1859 vorzeitig auszutreten. Seine Reaktion erschöpfte sich aber nicht in einer Erregung über diesen Mißstand, die den Umständen nach noch als einmalige entschuldbare Entgleisung angesehen werden könnte. Er beschimpfte den Kläger vielmehr als "falsch" und drohte im Zusammenhang mit der Erwähnung von "Tschuschen" mit einer Anzeige. Einige Tage später beschimpfte der Kläger den Beklagten mit "blöder Hund" und dessen Gattin mit "blöde Sau" und "Trampel". Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß diese wiederholten besonders groben und ordinären Beleidigungen in sehr erheblicher Weise als besonders ehrverletzend wirken mußten. Die offensichtliche Unbeherrschtheit des Klägers ist kein Grund, seine Ausfälle als entschuldbar anzusehen (Arb. 9.111, 9.188, 9.431; DRdA 1983/21, 1987/20 ua).

Die Rechtssache ist aber noch nicht spruchreif, da das Berufungsgericht auf Grund seiner irrigen Rechtsansicht auf die in der Berufung des Klägers enthaltene Beweis- und Tatsachenrüge überhaupt nicht einging und es daher offenblieb, welche Feststellungen des Erstgerichtes von der zweiten Instanz als unbedenklich angesehen wurden. Das Berufungsgericht ist zwar entgegen der Ansicht des Klägers nicht mehr zu einer Neudurchführung des Verfahrens verpflichtet, da der die Voraussetzungen des § 101 Abs.2 ASGG nicht erfüllende Neuverhandlungsgrundsatz des § 25 Abs.1 Z 3 ArbGG mit 1. Jänner 1987 seine Wirksamkeit verloren hat (vgl. Kuderna ASGG § 101 Erl. 6), und es liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen, daß es bei Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes eine Beweiswiederholung oder Beweisergänzung vornimmt (Fasching, ZPR Rz 1806), es hat aber zu den einzelnen Berufungsgründen jedenfalls eindeutig Stellung zu nehmen. Im übrigen obliegt es dem Berufungsgericht seit der Zivilverfahrens-Novelle 1983 auch, allfällige Ergänzungen des Verfahrens selbst vorzunehmen, außer es würde das ergänzende Verfahren vor dem Berufungsgericht im Vergleich zu einem erstgerichtlichen Ergänzungsverfahren einen erheblichen Mehraufwand an Kosten oder eine Verfahrensverzögerung bewirken (Fasching, ZPR Rz 1817; 9 Ob A 93/88). Das Vorliegen solcher ausnahmsweiser Voraussetzungen ist dem angefochtenen Zwischenurteil nicht zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 Abs.1 ZPO begründet.

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