OGH 9ObA93/88

OGH9ObA93/8811.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Stefan Seper und Anton Tauber als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alfred W***, Monteur, Wien 21., Amperegasse 14/104/4, vertreten durch Dr. Robert Krepp, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei prot. Firma Anton S***, Transportunternehmen, Inhaber Manfred Günther S***, Wien 21., Amtsstraße 49, vertreten durch Dr. Ruth E. Hütthaler-Brandauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 47.802,80 sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 1987, GZ 33 Ra 107/87-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27. April 1987, GZ 7 Cga 689/86-12, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird dahin Folge gegeben, daß der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Arbeitsrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger vom Beklagten S 47.802,80 brutto sA an Abfertigung (S 42.622,80) und an restlichem Urlaubszuschuß (S 5.180,--). Er habe das Arbeitsverhältnis ohne Schaden für seine Gesundheit nicht mehr fortsetzen können und daher unter Vorlage eines ärztlichen Attests gekündigt. Sein Anspruch auf Urlaubszuschuß ergebe sich aus Art. XII Z 1 des Kollektivvertrages für das Güterbeförderungsgewerbe Österreichs (kurz KV). Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei nicht arbeitsunfähig gewesen. Da er selbst gekündigt habe, stehe ihm kein Abfertigungsanspruch zu. Im übrigen sei dem Kläger ein gleichwertiger Ersatzarbeitsplatz angeboten worden, den er nicht angenommen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Kläger war beim Beklagten seit 6. April 1981 als Fahrer von LKW-Zügen beschäftigt. Seit etwa Anfang Februar 1984 hatte er Schmerzen im Rückgrat, die auf eine geringe Fehlhaltung der Wirbelsäule ohne Funktionseinschränkung zurückzuführen waren. Es bestand eine Dorsalgie und es kam im Rahmen der Fehlhaltung vermehrt zu Muskelverspannungen der Rückenstrecker. Weiters war eine muskuläre Insuffizienz im Bereich der Lendenwirbelsäule bzw. der Beckenverbindungen vorhanden, so daß bei längerem Sitzen Beschwerden in der Lendenwirbelsäule auftraten. Seit dem Jahre 1985 befand sich der Kläger wegen heftiger Schmerzen im Rückgrat häufig im Krankenstand. Die behandelnden Ärzte empfahlen ihm, das Lenken von LKW-Zügen aufzugeben. Hingegen wäre ihm etwa das Fahren mit einem VW-Bus mit geringerer Stundenzahl und längeren Stehzeiten gesundheitlich zumutbar gewesen.

Als sich dieser Zustand in den letzten Monaten beträchtlich verschlechtert hatte, teilte der Kläger dem Beklagten um die Jahreswende 1985/1986 mit, daß ihm die Ärzte empfohlen hätten, seine Tätigkeit als LKW-Fahrer aufzugeben. Unmittelbar vor dem 14. Jänner 1986 kündigte er sein Arbeitsverhältnis zum 26. Jänner 1986 mündlich auf. Er begründete die Kündigung dem Beklagten gegenüber damit, daß er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, seine Tätigkeit weiter auszuüben; er verwies auf sein Rückgratleiden und übergab dem Beklagten einen das Bestehen eines Wirbelsäulenleidens bestätigenden Befund seines Arztes. Während der Kündigungsfrist befand sich der Kläger im Krankenstand. Mit Schreiben vom 14. Jänner 1986 bot ihm der Beklagte statt des bisherigen Einsatzes als Lenker eines LKW-Zuges ab sofort eine Ersatztätigkeit als VW-Busfahrer für Tank- und Einkaufsfahrten mit mehr als 50 %igen Fahrpausen an. Dieses Schreiben ließ der Kläger unbeantwortet. Er schied mit Ablauf der Kündigungsfrist aus dem Arbeitsverhältnis aus und ist seit 1. Februar 1986 als Monteur bei den W*** S*** beschäftigt. Er verdient dort rund S 13.000,-- netto im Monat.

Als Lenker von LKW-Zügen verdiente der Kläger einschließlich der Zulagen und Nebengebühren monatlich rund S 14.000,-- bis S 15.000,-- netto. Bis Jänner 1987 wurden die LKW-Fahrer abwechselnd auch als sogenannte "Springer" für Fahrten mit dem VW-Bus eingesetzt. Für diese Fahrten erhielten die Fahrer nur den Stundenlohn, da Prämien und Zulagen nicht anfielen, so daß das Durchschnittseinkommen eines VW-Buslenkers rund S 10.000,-- netto im Monat ausmachte. Seit Jänner 1987 ist aber ein ständiger VW-Busfahrer eingesetzt, der einen ebenso hohen Verdienst wie die LKW-Lenker hat. Nach Art. XII des KV steht Arbeitnehmern, die am 1. Juni im Betrieb tätig sind, ein Urlaubszuschuß zu, der am 1. Juni fällig ist. Bei einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von mehr als 3 Dienstjahren beträgt der Urlaubszuschuß pro Jahr 4,33 Kollektivvertragsnormallöhne. Arbeitnehmer, die am 1. Juni eines Jahres noch nicht ein Jahr im Betrieb beschäftigt sind oder vor diesem Stichtag aus dem Betrieb ausscheiden, erhalten den ihrer Dienstzeit entsprechenden Teil des Urlaubszuschusses. Der Kläger erhielt den Urlaubszuschuß für 1985 ausgezahlt. Für Jänner bezog er den aliquoten Urlaubszuschuß in Höhe von S 740,--.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Arbeitnehmer zwar nach § 82 a GewO berechtigt sei, vorzeitig auszutreten, wenn er seine Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr fortführen könne. Dazu sei es aber erforderlich, daß er vorher vom Arbeitgeber die Beistellung eines gleichwertigen Ersatzarbeitsplatzes verlange. Unterlasse er ein solches Verlangen oder nehme er die angebotene Ersatzbeschäftigung nicht an, sei sein Austritt aus dem Arbeitsverhältnis unberechtigt.

Der Urlaubszuschuß sei nach dem KV jeweils für das Kalenderjahr auszuzahlen. Da der Kläger den Urlaubszuschuß für das Jahr 1985 schon erhalten habe, gebühre ihm nur ein aliquoter Urlaubszuschuß für die Zeit vom 1. Jänner 1986 bis zum Ende der Kündigungsfrist. Diesen habe er aber schon erhalten.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es vertrat die Rechtsansicht, daß der Kläger seiner Aufklärungspflicht ca. 14 Tage vor Ausspruch der Kündigung und somit rechtzeitig nachgekommen sei. Das dem Kläger erst mehrere Tage nach der "Austrittserklärung" zugegangene Anbot einer Ersatzbeschäftigung sei verspätet und habe den bereits bewirkten "Austritt" nicht mehr rückgängig machen können. Nach dem KV komme es für den Anspruch auf Urlaubszuschuß nicht auf das Kalenderjahr an, sondern auf den Zeitraum vom 1. Juni 1985 bis 31. Jänner 1986, da die diesbezügliche Berechnungsperiode vom 1. Juni bis 1. Juni des folgenden Jahres reiche. Die Rechtssache sei aber noch nicht spruchreif. Das Erstgericht habe es nämlich unterlassen, zur bestrittenen Höhe des Anspruches Beweise aufzunehmen und gesicherte Feststellungen zu treffen. Das Verfahren sei daher hinsichtlich der Höhe des durchschnittlichen wöchentlichen Bruttobezuges noch ergänzungsbedürftig.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem sinngemäßen Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Der Kläger beantragte in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Ergebnis berechtigt.

Gemäß dem § 82 a lit a GewO 1859, der nach § 376 Z 47 GewO 1973 noch weiter gilt, kann ein Arbeitnehmer die Arbeit vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Kündigung verlassen, wenn er die Arbeit ohne erweislichen Schaden für seine Gesundheit nicht fortsetzen kann. Nach Lehre und Rechtsprechung genügt es, daß durch die Fortsetzung der Arbeit ein gesundheitlicher Schaden befürchtet werden muß (Martinek-Schwarz AngG6 § 26 Erl. 12; Arb. 9.376 mwH ua). Aus den Feststellungen ergibt sich, daß der Kläger durch seine Inanspruchnahme als Lenker eines LKW-Zuges bereits schmerzhafte Beschwerden im Rückgrat und insbesondere in der Lendenwirbelsäule hatte, die sich in den letzten Monaten vor seiner Kündigung beträchtlich verschlechterten. Diese stetig fortschreitende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes berechtigten ihn, das Arbeitsverhältnis gemäß § 82 a lit a GewO mit sofortiger Wirkung zu beenden. Da aus dem Inhalt seiner das Arbeitsverhältnis auflösenden Erklärung klar erkennbar war, daß er für sich einen wichtigen Lösungsgrund in Anspruch nahm, steht seinem Begehren auf Abfertigung nicht entgegen, daß er nicht formell seinen Austritt erklärte, sondern kündigte (vgl. Martinek-Schwarz, AngG6 § 23 Erl. 38; Arb. 5.934, 8.381; 4 Ob 2/84), zumal er sich während der Kündigungsfrist ohnehin im Krankenstand befand.

Ein Arbeitnehmer kann sich auf den Austrittstatbestand des § 82 a lit a GewO 1859 aber nur dann mit Erfolg berufen, wenn er nicht bloß die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, sondern auch andere arbeitsvertragsgemäße Arbeiten, die ihm vom Arbeitgeber angeboten worden sind, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten kann (Arb. 10.144). Der Arbeitgeber ist andererseits in die Lage zu versetzen, seiner Fürsorgepflicht nachzukommen und die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, daß das Leben und die Gesundheit des Arbeitnehmers möglichst geschützt sind (Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht2 I 171 f; Arb. 7.559 ua). Der Kläger hätte daher den Beklagten darüber aufklären müssen, daß seine bisherige Tätigkeit seine Gesundheit gefährdet; er hätte den Beklagten durch seine Kündigung nicht überraschen dürfen (WBl. 1987, 308 mwH). Entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes kann aber die Mitteilung des Klägers an den Beklagten wenige Tage vor der Kündigung, die Ärzte hätten ihm "empfohlen", seine Tätigkeit als LKW-Fahrer aufzugeben, noch nicht als Hinweis auf eine solche Intensität der Gesundheitsgefährdung angesehen werden, der es erforderlich gemacht hätte, unverzüglich Abhilfe zu schaffen. Es wurde damit auch nicht zum Ausdruck gebracht, daß dem Kläger eine weitere Tätigkeit als LKW-Lenker auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist unzumutbar gewesen wäre (Arb. 9.255, 9.376; DRdA 1985/13). Dazu kommt, daß der Kläger das Arbeitsverhältnis nicht durch sofortigen Austritt beendete, sondern durch Kündigung. Auch wenn ein vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach vollzogenem Austritt unterbreitetes Anbot einer zumutbaren, dem bisherigen Arbeitsvertrag entsprechenden Beschäftigung auf die bewirkte Lösung des Arbeitsverhältnisses keinen Einfluß mehr hat (Martinek-Schwarz AngG6 § 26 Erl. 7, 558 f; Arb. 8.917), steht der Ansicht des Rekursgerichtes, das Anbot der Ersatzbeschäftigung sei verspätet erfolgt, im vorliegenden Fall entgegen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers noch bis 26. Jänner 1986 andauerte. Das Arbeitsverhältnis endete eben nicht durch vorzeitigen Austritt, sondern durch eine Kündigung, die lediglich hinsichtlich der Abfertigung wie ein Austritt zu behandeln ist. Das Anbot einer Ersatzbeschäftigung hatte zwar keinen Einfluß auf die Kündigung als einer einseitigen, empfangsbedürftigen aber nicht annahmebedürftigen Willenserklärung, das Arbeitsverhältnis nach Fristablauf aufzulösen, wohl aber darauf, ob der Kläger einen wichtigen Lösungsgrund für sich in Anspruch nehmen konnte, sodaß ihm ein Anspruch auf Abfertigung zustand. Im Hinblick auf dieses Anbot wäre eine einvernehmliche Rücknahme der Kündigung zudem möglich gewesen.

Nach den Feststellungen wäre dem Kläger das Fahren mit einem VW-Bus mit geringerer Stundenzahl und längeren Stehzeiten gesundheitlich zumutbar gewesen. Eine solche Ersatzbeschäftigung, die mit der vertraglichen Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer vereinbar gewesen wäre und die er auch schon fallweise als "Springer" ausgeübt hatte, bot ihm der Beklagte mit Schreiben vom 14. Jänner 1986 an. Der Kläger hätte zwar keine vertragswidrige Verschlechterung der Entgeltbedingungen hinnehmen müssen, doch steht weiters fest, daß ein ständiger VW-Busfahrer seit Jänner 1987 ein ebenso hohes Einkommen erzielt wie die LKW-Lenker. Hätte daher die gesundheitliche Gefährdung des Klägers durch Zuweisung einer solchen Tätigkeit im Rahmen der übernommenen arbeitsvertraglichen Pflichten beseitigt werden können, wäre der Kläger nicht berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis gemäß § 82 a lit a GewO 1859 mit sofortiger Wirkung zu beenden (14 Ob A 79/87). Es ist daher im fortzusetzenden Verfahren noch zu prüfen, zu welchen Bedingungen der Kläger eine Ersatztätigkeit als VW-Buslenker ausüben hätte sollen, wobei auch auf den allfälligen Wegfall bloßer Aufwandsersätze Bedacht zu nehmen sein wird. Soweit das Berufungsgericht begründete Feststellungen über die Höhe des Bruttoentgeltes vermißt, kann zu diesen Ausführungen nicht Stellung genommen werden, da der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist.

Im übrigen sind die Erwägungen des Berufungsgerichtes zu Art. XII Z 1 und 3 KV zutreffend. Nach dieser Bestimmung ist der 1. Juni der Stichtag sowohl für den Anspruch auf Urlaubszuschuß als auch für dessen Fälligkeit. Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - vor dem 1. Juni aus dem Betrieb ausscheiden, erhalten den ihrer Dienstzeit entsprechenden aliquoten Teil des Urlaubszuschusses. Mangels einer anderen Vereinbarung verschiebt sich dadurch abweichend vom Kalenderjahr lediglich die Berechnungsperiode, so daß der Einwand des Rekurswerbers, der Kläger würde für 1985 eine dritte Sonderzahlung erhalten, nicht schlüssig ist. Auch aus der in Art. XII Z 2 KV enthaltenen abweichenden Regelung über die Weihnachtsremuneration ist für den Standpunkt des Beklagten nichts zu gewinnen, da hiefür ausdrücklich als Anspruchsstichtag und Fälligkeitstermin der 1. Dezember vorgesehen ist. Allerdings endete das Arbeitsverhältnis des Klägers durch Kündigung nicht am 31. Jänner 1986, sondern bereits am 26. Jänner 1986. Es ist somit dem Berufungsgericht im Ergebnis darin beizupflichten, daß die Rechtssache noch nicht spruchreif ist. In diesem Fall hat aber das Berufungsgericht seit der Zivilverfahrens-Novelle 1983 die Verpflichtung, die Ergänzung des Verfahrens selbst vorzunehmen, zumal es nicht einmal ausführte, daß eine Ausnahme iS des § 496 Abs 3 ZPO vorliege (Fasching, ZPR Rz 1817).

Die Kostenentscheidung ist in § 52 Abs 1 ZPO begründet.

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