Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin aufgetragen.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Die Klägerin begehrte die beklagte Partei zur Leistung einer Berufsunfähigkeitspension zu verpflichten. Wegen verschiedener Leidenszustände sei sie nicht mehr in der Lage einer geregelten Tätigkeit nachzugehen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Am 19. März 1987 legte die Klägerin die Vollmacht ihres Vertreters Franz F***, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, vor und wurde in der Folge von diesem im Verfahren vertreten. Bei der mündlichen Streitverhandlung vom 26. März 1987 schloß das Erstgericht die Verhandlung und wies das Begehren der Klägerin mit Urteil vom gleichen Tag ab. Dieses Urteil wurde an den Vertreter der Klägerin am 26. Mai 1987 zugestellt.
Am 16. Juni 1987 langte beim Erstgericht der Antrag der Klägerin auf Gewährung der Verfahrenshilfe in vollen Umfang ein. Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Die Klägerin sei durch einen qualifizierten Vertreter, der zur Erhebung der Berufung befugt sei, vertreten. Es bestehe daher kein Anlaß für die Gewährung der Verfahrenshilfe. Dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 21. Dezember 1987 nicht Folge.
Am 11. August 1987 erhob Franz F*** unter Vorlage einer Vollmacht der Klägerin vom 10. August 1987 Berufung gegen das Urteil vom 26. März 1987.
Das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück. Die Stellung des Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe sei gemäß § 464 Abs. 3 ZPO nicht vom Einfluß auf den Lauf der Berufungsfrist gewiesen, da die Klägerin durch einen befugten Vertreter vertreten gewesen sei. Die Berufungsfrist sei zum Zeitpunkt der Einbringung der Berufung am 11. August 1987 verstrichen gewesen und das Rechtsmittel daher verspätet.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der Klägerin dem Berechtigung zukommt.
Es ist zwar grundsätzlich richtig, daß durch den bloßen Antrag auf Verfahrenshilfe ein bisher bestehendes Vollmachtsverhältnis zu einem gewählten Rechtsanwalt - oder in Arbeits- und Sozialrechtssachen zu einem befugten Vertreter (§ 40 ASGG) - nicht aufgelöst wird. Aus der Tatsache des Antrages auf Verfahrenshilfe und auf Beigabe eines Rechtsanwaltes ist aber zu schließen, daß der Antragsteller anstelle seines bisher gewählten Vertreters einen zu bestellenden Verfahrenshelfer wünscht, weil er von seinem gewählten Vertreter nicht mehr vertreten sein will. Demnach ist es Sache des Gerichtes, an das ein Antrag auf Beigabe eines Rechtsanwaltes im Rahmen der Verfahrenshilfe gerichtet wird, und das Kenntnis von der seinerzeitigen Bevollmächtigung durch den nunmehrigen Antragsteller hat, eine entsprechende Aufklärung darüber herbeizuführen, ob der Antragsteller sein Vollmachtsverhältnis seinem bisherigen Vertreter aufrechterhalten will oder nicht. Beantragt daher eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei die Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Beigebung eines Rechtsanwaltes, so ist sie vom Prozeßgericht zu einer Anzeige im Sinn des § 36 Abs. 1 ZPO anzuleiten. Sonst gilt dieser Antrag auch als Anzeige des Erlöschens des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem bisherigen Rechtsvertreter. Auch in diesem Fall ist der Beginn der Berufungsfrist nach § 464 Abs. 3 ZPO zu beurteilen (SZ 48/93; 8 Ob 216, 274/80, 7 Ob 642/83, 7 Ob 575/85). Wendet man den aufgezeigten Grundsatz auf den vorliegenden Fall an, so hat die Antragstellung der Klägerin zu einer Verlängerung der Berufungsfrist im Sinn des § 464 Abs. 3 ZPO geführt. Mit der Berufung hat die Klägerin eine neue Vollmacht ihres Vertreters Franz F*** vom 10. August 1987 vorgelegt. Damit wurde nach Erlöschen des Vollmachtsverhältnisses durch die Antragstellung auf Bewilligung der Verfahrenshilfe bzw. die nachfolgende Entscheidung des Gerichtes ein neuerliches Vollmachtsverhältnis begründet, das den Vertreter zur Erhebung der Berufung für die Klägerin legitimierte. Diese Berufung wurde - ausgehend von der Unterbrechung der Berufungsfrist durch die Antragstellung auf Bewilligung der Verfahrenshilfe - rechtzeitig eingebracht, sodaß der vom Berufungsgericht angenommene Zurückweisungsgrund nicht vorliegt. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
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