OGH 8Ob578/88

OGH8Ob578/8816.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner, Dr. Huber und Dr. Graf als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ä*** FÜR S***, Radetzkystraße 20, 8011 Graz, vertreten durch Dr. Hans Pfersmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B*** FÜR DIE B*** K*** DER V*** E*** AG,

Friedrich Böhler-Straße 11, 8605 Kapfenberg, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich und Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Entfernung von Zahnbehandlungsstühlen (S 500.000,-) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 17.März 1988, GZ 4 a R 20/88-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 30.November 1987, GZ 3 Cg 60/87-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 15.874,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 1.443,15) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, aus ihrem Zahnambulatorium in Kapfenberg so viele Zahnbehandlungsstühle zu entfernen, daß insgesamt nur fünf im Ambulatorium verbleiben. Der Kapazitätsumfang eines Zahnambulatoriums werde in sanitärsbehördlichen Verfahren und nach der Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich durch die Zahl der Behandlungsstühle bestimmt. In diesem Sinne habe bei Abschluß der Vereinbarung vom 8.11.1978 zwischen den Vertragsparteien Übereinstimmung geherrscht, daß bei Erweiterung eines Zahnambulatoriums ausschließlich die Zahl der Behandlungsstühle das maßgebende Kapazitätsmerkmal sei. Die Beklagte habe ohne sanitätsbehördliche Bewilligung eigenmächtig im Jahre 1984 eine Verdoppelung der Kapazität ihres Zahnambulatoriums in Kapfenberg von fünf auf zehn Behandlungsstühle vorgenommen. Sie habe daher gesetzwidrig gehandelt und einen Vertragsbruch begangen. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß der Kapazitätsumfang eines Zahnambulatoriums nicht nur nach der Zahl der Behandlungsstühle, sondern nach einer Vielzahl von Kriterien, vor allem nach der Zahl der Zahnbehandler und der Öffnungszeiten, bestimmt werde. Sie habe daher, einer Anregung des Rechnungshofes folgend, ihr Zahnambulatorium im Interesse der Patienten (durch Einführung des sogenannten Zwei-Stühle-Systems) im Jahre 1984 ausgestaltet und modernisiert. Jedem der fünf Zahnbehandler stehe ein zusätzlicher Behandlungsstuhl zur Verfügung. Dadurch sei die Kapazität des Ambulatoriums nicht ausgeweitet worden. Eine "Erweiterung" im Sinne des genannten Übereinkommens liege nicht vor. Weder nach dem Sprachgebrauch noch nach dem Willen der Vertragsparteien sei die Kapazität des Zahnambulatoriums nach der Zahl der Behandlungsstühle zu messen. Im übrigen sei die Klageführung mutwillig und schikanös.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende Feststellungen:

Am 31.10.1978 fand eine Besprechung von Vertretern der Österreichischen Ärztekammer (im Vollmachtsnamen und mit Zustimmung sämtlicher Ärztekammern der Bundesländer) und des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger (im Vollmachtsnamen und mit Zustimmung sämtlicher Träger der gesetzlichen Krankenversicherung) statt. Die Ergebnisse dieser Besprechung fanden ihren Niederschlag in dem am 8.11.1978 unterzeichneten Ergebnisprotokoll, worin beide Vertragsteile für die Dauer von 10 Jahren ua festlegten, in welchen Orten und in welchem Umfang die Krankenversicherungsträger Ambulatorien errichten (erweitern) werden. Das ebenfalls am 8.11.1978 abgeschlossene Übereinkommen ("Ambulatoriumsübereinkommen") hat, soweit für dieses Verfahren relevant, folgenden Wortlaut:

"Vereinbarung

I.

Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung beabsichtigen bis 31.12.1988 die Errichtung von selbständigen Ambulatorien laut beiliegender Liste in den dort genannten Orten und im angeführten Umfang.

II.

Die Ärztekammern erklären, mit der Errichtung dieser

selbständigen Ambulatorien laut Beilage einverstanden zu sein und

dagegen keine Einwendungen zu erheben.

III.

Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichten sich, bis zu dem in Z I. genannten Zeitpunkt keine anderen selbständigen Ambulatorien zu errichten, zu erwerben, zu erweitern oder zu verlegen, es sei denn, daß zwischen einem Krankenversicherungsträger und der zuständigen Ärztekammer ein anderslautendes Einvernehmen zustandekommt; ein solches Einvernehmen ist schriftlich festzuhalten. Die zwischen einzelnen Krankenversicherungsträgern und Ärztekammern bereits vor dem Wirksamkeitsbeginn dieser Vereinbarung paktierten Vorhaben werden von dieser Regelung nicht berührt.

IV.

Diese Vereinbarung wird von allen Beteiligten vorbehaltslos und unwiderruflich abgeschlossen und tritt mit der Unterfertigung in Kraft."

In einer dieser Vereinbarung angeschlossenen Liste (Beilage) wurde festgehalten, in welchen (namentlich genannten) Orten und in welchem (bestimmten) Umfang die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bis 31.12.1988 die Errichtung oder Erweiterung eines Zahnambulatoriums beabsichtigen. Danach ist der Beklagten die Erweiterung ihres bestehenden Zahnambulatoriums um einen "Stuhl" (Behandlungsstuhl) ausdrücklich zugestanden worden. Die Beklagte verlegte das selbständige Zahnambulatorium mit vier Zahnbehandlungsstühlen, das sie im Werkskrankenhaus in Kapfenberg, Buchalkastraße 1 betrieb, im Jahre 1979 in die Friedrich-Böhler-Straße 11 in Kapfenberg und erweiterte es - auf Basis der Vereinbarung vom 8.11.1979 - auf insgesamt fünf Zahnbehandlungsstühle.

Auf Anregung des Rechnungshofes führte die Beklagte im Jahre 1984 das sogenannte Zwei-Stühle-System ein, das heißt, es wurden die fünf Behandlungsräume mit je zwei komplett eingerichteten Behandlungsstühlen ausgestattet. Der Zweck dieses Systems liegt darin, es den Patienten zu ermöglichen, nach einer Vorbehandlung auf dem betreffenden Zahnbehandlungsstuhl zu verbleiben, während der Zahnbehandler inzwischen eine auf dem zweiten, durch einen Vorhang abgeschirmten Behandlungsstuhl sitzende Person behandelt. Die Zahl der Zahnbehandler und des sonstigen Personals sowie die Betriebszeiten sind dadurch nicht geändert worden. Die im Vertrag angeführte "Erweiterung" eines bereits bestehenden Zahnambulatoriums wurde von den Vertragsparteien so verstanden, wie es der damaligen Verwaltungspraxis bei Erteilung von Bewilligungsbescheiden nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprochen hat. Danach war das maßgebliche Kriterium für die Kapazität eines zu errichtenden oder zu erweiternden Zahnambulatoriums ausschließlich die Zahl der Behandlungsstühle. Das sogenannte Zwei-Stühle-System war nicht Gesprächs- oder Verhandlungsgegenstand.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß die Vertragsparteien die "Erweiterung" eines bestehenden Zahnambulatoriums ausschließlich an der Zahl der Behandlungsstühle gemessen hätten, weil ein solcher Stuhl das zentrale und entscheidende Behandlungsinstrument sei. Die Beklagte habe ihr Zahnambulatorium durch die Installierung der doppelten Anzahl der vereinbarten Zahnbehandlungsstühle "erweitert" und damit gegen den Vertrag vom 8.11.1978 verstoßen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000 übersteigt. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes, daß der im Punkt III. der Vereinbarung verwendete Begriff der "Erweiterung" von bereits bestehenden Ambulatorien von den Parteien in dem Sinne verwendet worden sei, wie es der damaligen Verwaltungspraxis bei der Erteilung von Bewilligungsbescheiden nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprach. Die getroffene Vereinbarung laufe unmißverständlich darauf hinaus, daß die Vertragsparteien die "Erweiterung" eines bestehenden Zahnambulatoriums nicht an den dort beschäftigten Zahnbehandlern oder der Behandlungszeit, sondern an der Zahl der installierten Behandlungsstühle messen wollten, weil der Behandlungsstuhl das zentrale und entscheidende Behandlungsinstrument sei, auf das der Zahnbehandler angewiesen ist. Schikane liege nicht vor. Eine Berücksichtigung der in der Berufungsschrift erstmals angezogenen "Umstandklausel" scheide schon deshalb aus, weil diese bloß Unterhaltsvereinbarungen betreffe.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte stellt sich in der Revision auf den Standpunkt, daß bei der Auslegung des "Ambulatoriumsübereinkommens" vom 8.11.1978 nicht von der Zahl der Stühle, sondern vom Vertragszweck dieses Übereinkommens auszugehen sei. Diesem stehe aber die Ausweitung der Behandlungsstühle nicht entgegen, weil damit eine effektive Erweiterung des Zahnambulatoriums in Kapfenberg nicht gegeben sei. Im übrigen hätten sich die Umstände seit dem Vertragsabschluß so geändert, daß das Klagebegehren auf eine schikanöse Rechtsausübung hinauslaufe. Dem ist zu erwidern:

Die Vorinstanzen haben ausdrücklich festgestellt, daß die im Vertrag angeführte "Erweiterung" eines bereits bestehenden Zahnambulatoriums von den Vertragsparteien so verstanden wurde, wie es der damaligen Verwaltungspraxis bei Erteilung von Bewilligungsbescheiden nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprach. Danach war das maßgebliche Kriterium für die Kapazität eines zu errichtenden oder zu erweiternden Zahnambulatoriums ausschließlich die Zahl der Behandlungsstühle. Bei dieser Feststellung wurde insbesondere auf die Aussage des Zeugen Dr. KUX (vgl. AS 41 f, 57) Bedacht genommen. Inhalt und Umfang des Vertragswillens der Parteien sind daher als Tatsachenfeststellungen für das Revisionsgericht bindend (JBl 1968, 520; RZ 1967, 203; SZ 49/43; 8 Ob 520/86 uza). Die Auffassung der Beklagten, wonach die Anzahl der Behandlungsstühle für die Beurteilung des vorliegenden Falles nicht maßgebend sei, ist demnach widerlegt.

Die Frage der Erweiterung eines Zahnambulatoriums war bereits einmal Gegenstand eines revisionsgerichtlichen Verfahrens. In der in JBl 1988, 38 veröffentlichten Entscheidung wurde (mangels anderer Beweisergebnisse) allein auf den Urkundeninhalt der "Ambulatoriumsvereinbarung" vom 8.11.1978 Bedacht genommen. Da die Vorinstanzen im vorliegenden Verfahren aber ausdrücklich Feststellungen über den Vertragswillen der Parteien getroffen haben, braucht auf die im bezogenen Vorprozeß entwickelten Grundsätze der Vertragsauslegung nicht mehr näher eingegangen zu werden. Im übrigen gelangt(e) das Revisionsgericht in beiden Fällen im wesentlichen Belang zu demselben Ergebnis.

Der Beklagten kann auch nicht gefolgt werden, daß sie wegen "geänderter Umstände" an die Vereinbarung vom 8.11.1978 nicht mehr gebunden sei. Inwiefern sich die Grundlagen für den festgestellten Zweck der Vereinbarung vom 8.11.1978 geändert haben sollten, wird nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.

Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten liegt keine schikanöse Rechtsausübung der Klägerin vor. Schikane wäre nur dann gegeben, wenn die Rechtsausübung ausschließlich zu dem Zweck erfolgt, den davon Betroffenen zu schädigen (SZ 44/86; SZ 47/67, SZ 51/115; MietSlg.31.055 = EvBl 1980/44; JBl 1988, 38 ua). Das Interesse an der Abwehr eines Vertragsbruches ist aber stets zu billigen. Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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