OGH 1Ob554/88

OGH1Ob554/8815.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Othmar S***, Neustift, Neder 600, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier und Dr. Hubertus Schumacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Karl S***, Monteur, Haiming, Höhenweg 11, vertreten durch Dr. Rudolf Wieser, Dr. Friedrich Hohenauer und Dr. Martin Zanon, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert S 142.695,- s.A.) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 14. Dezember 1987, GZ 2 R 288/87-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13. Juli 1987, GZ 14 Cg 28/87-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.225,45 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon S 569,95 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 18. April 1982 wurde auf einem Fußballplatz in Neustift im Stubai ein dem Tiroler Fußballverband "unterstehendes" Fußballmeisterschaftsspiel zwischen dem SV Neustift und dem SV Haiming ausgetragen. An diesem Spiel nahmen der Kläger als Spieler der Mannschaft des SV Neustift und Manfred P*** als Spieler der gegnerischen Mannschaft teil. Da der Betreuer der Mannschaft des SV Haiming selbst als Spieler am Spiel teilnahm, hatte der Beklagte, sein ständiger Mitarbeiter und Vertreter, für dieses Spiel die Funktion des Betreuers der Mannschaft des SV Haiming übernommen. In dieser Funktion war er während des Spieles auf einer außerhalb des Spielfeldes aufgestellten Betreuerbank anwesend.

Die beiden Mannschaften trugen das Fußballspiel nach den allgemein bekannten Fußballregeln aus. Diese waren zur Zeit des Spieles den Streitteilen und Manfred P*** bekannt. Gemäß Regel 5 lit. f ist keiner anderen Person als den Spielern und den Linienrichtern das Betreten des Spielfeldes gestattet. Zweck dieser Regel ist es, einen störungsfreien Spielverlauf zu gewährleisten aber auch die Spieler vor unkontrolliert auf das Spielfeld eindringenden Betreuern oder Zuschauern zu schützen. Während des Spieles beging der Kläger durch eine regelwidrige Spielweise ein Foul an Manfred P***. Beide Spieler kamen dabei zu Sturz; der Kläger erhob sich jedoch unverzüglich und unverletzt, während Manfred P*** am Boden liegen blieb. Wegen des begangenen Fouls wurde der Kläger vom Spielleiter durch Vorzeigen der sogenannten "gelben Karte" verwarnt. Während sich der Kläger zu dem am Boden liegenden Manfred P*** begab, um diesem vom Boden aufzuhelfen und ihm zur Entschuldigung die Hand zu reichen, hatte sich der Beklagte von der etwa 10 bis 20 m entfernten Betreuerbank erhoben und lief sodann schnell und in Erregung über das vorangegange Foul, jedoch ohne Erlaubnis des Spielleiters zu dem am Boden liegenden Manfred P***, um ihm allenfalls erforderliche Hilfe zu leisten. Manfred P*** war nicht verletzt und zeigte auch keine Anzeichen einer Verletzung. Während des Laufens geriet der Beklagte am geschotterten Spielfeld in unmittelbarer Nähe des Manfred P*** aus Unachtsamtkeit ins Stolpern und stürzte zu Boden. Er stieß dabei gegen den in der Nähe des Manfred P*** stehenden Kläger, der das Herannahen des Beklagten nicht wahrgenommen hatte, weil er seine Aufmerksamkeit dem am Boden liegenden Manfred P*** zugewandt hatte. Durch den Anstoß des Beklagten stürzte der Kläger zu Boden und wurde am Körper schwer verletzt.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12. März 1984, 14 Cg 25/83-14, wurde der Beklagte schuldig erkannt, dem Kläger den Betrag von S 87.695,- s.A. zu bezahlen, und die Haftung des Genannten für alle künftigen Schäden des Klägers aus dem Vorfall vom 18. April 1982 festgestellt. Ein Zahlungsmehrbegehren von S 20.000,-

wurde abgewiesen. Das Oberlandesgericht Innsbruck gab mit seinem Urteil vom 5. Juli 1984, 2 R 159/84, den von beiden Streitteilen gegen dieses Urteil erhobenen Rechtsmitteln (in der Hauptsache) nicht Folge. Der Beklagte erhob am 3. September 1985 Wiederaufnahmsklage, der das Erstgericht mit Urteil vom 2. Mai 1986, 14 Cg 355/85-5, nicht Folge gab. Auf Grund der vom Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung änderte das Oberlandesgericht Innsbruck dieses Urteil dahin ab, daß es die Wiederaufnahme des Verfahrens 14 Cg 25/83 des Landesgerichtes Innsbruck bewilligte und das Urteil dieses Gerichtes vom 12. März 1984 sowie das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 5. Juli 1984 aufhob.

Das Erstgericht erkannte im wiederaufgenommenen Verfahren den Beklagten schuldig, dem Kläger den Betrag von S 87.695,- s.A. zu bezahlen. Das weitere Begehren auf Zuspruch eines Betrages von S 20.000,- s.A. wies es ab. Das Erstgericht stellte fest, daß der Beklagte dem Kläger für alle künftigen Schäden aus dem Vorfall am 18. April 1982 in Neustift im Stubai zu haften habe.

Das Erstgericht stellte fest: Manfred P*** habe in dem Zeitpunkt, als der Beklagte zu ihm auf das Spielfeld lief, um Hilfe zu leisten, keine Anzeichen einer Verletzung aufgewiesen. Manfred P*** sei innerhalb des Spielfeldes gelegen. Der Beklagte habe seine Aufmerksamkeit nur auf Manfred P*** gerichtet und übersehen, daß sich der Kläger in unmittelbarer Nähe des Manfred P*** befand. Der Kläger sei durch den Anstoß des Beklagten zu Sturz gekommen; es sei nicht erweislich, daß sich der Kläger aus eigenem Antrieb zu Boden habe fallen lassen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Zusammenstoß des Beklagten mit dem Kläger sei aus Zufall erfolgt. Für den aus diesem Zufall entstandenen Schaden habe der Beklagte aber einzustehen, weil er ihn durch ein Verschulden veranlaßt habe. Der den Schaden des Klägers verursachende Sturz wäre unterblieben, wenn der Beklagte nicht entgegen der Fußballregel 5 lit. f auf das Spielfeld gelaufen wäre. Der Zweck dieser Regel liege auch im Schutz der Fußballspieler vor eindringenden Zuschauern und Betreuern, so daß dem Beklagten sein unerlaubtes aber auch unbegründetes Hineinlaufen in das Spielfeld als Verschulden anzulasten sei. Dazu komme, daß er auf Grund einer ihm unterlaufenen Unaufmerksamkeit gestolpert sei. Angesichts der Bodenverhältnisse und des Umstandes, daß er in einen Spielfeldbereich gelaufen sei, wo sich mehrere Personen befanden, wäre er zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Beklagten nicht Folge. Es erklärte die Revision für zulässig. Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Urteils. Aus der Fußballregel 5 lit. f ergebe sich die Verpflichtung des Beklagten, das Spielfeld erst zu betreten, wenn ihm der Schiedsrichter ein Zeichen hiezu gegeben habe. Zweck dieser Fußballregel sei es, den geordneten Ablauf des Spieles zu gewährleisten, aber auch Fußballspieler vor Verletzungen von nicht am Spiel beteiligten Personen zu schützen. In der Mißachtung dieses dem Beklagten bekannten Gebotes sei das Verschulden des Beklagten, damit aber auch seine Haftung für den in weiterer Folge durch dieses Verschulden veranlaßten Zufall und den daraus entspringenden Schadenserfolg zu erblicken. Selbst wenn man aber die Auffassung vertreten wollte, daß kein absolutes Verbot für das Betreten des Spielfeldes bestehe und dem Beklagten das gleiche Mißgeschick auch dann hätte unterlaufen können, wenn er mit Erlaubnis des Schiedsrichters zu dem auf dem Boden liegenden Manfred P*** gelaufen wäre, wäre für den Rechtsstandpunkt des Beklagten nichts gewonnen. Das Verfahren habe keinen Anhaltspunkt dafür geboten, daß Ursache für das Stolpern des Beklagten und den nachfolgenden unkontrollierten Zusammenstoß mit dem Kläger das Verhalten eines Dritten, ein nicht oder nur schlecht wahrnehmbares Hindernis oder eine körperliche Behinderung des Beklagten gewesen wäre. Ursache sei vielmehr - anderes sei nicht erkennbar - die offenkundige Unaufmerksamkeit des Beklagten während des Laufens gewesen. Grundsätzlich sei bei jeglichem Tun (und Unterlassen), also auch beim Gehen und Laufen, jenes Maß an Sorgfalt und Aufmerksamkeit anzuwenden, das die Gefährdung oder Schädigung anderer Personen vermeidet. Beim Laufen sei, bedingt durch den erheblichen rascheren Bewegungsablauf, eine erhöhte Aufmerksamkeit und Sorgfalt geboten, um die Beschädigung anderer zu vermeiden. Diese gebotene Sorgfalt habe der Beklagte nicht angewendet. In der Mißachtung dieser Sorgfaltspflicht liege sein Verschulden, das die Haftung für den eingetretenen Schaden begründe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision des Beklagten kommt Berechtigung nicht zu.

Die gerügte Aktenwidrigkeit erachtet der Oberste Gerichtshof nach Prüfung als nicht gegeben (§ 510 Abs3 letzter Satz ZPO). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, schon der Verstoß gegen die dem Beklagten bekannte Fußballregel 5 lit. f begründe ein Verschulden, das ihn (gemäß § 1311 zweiter Satz, erster Fall ABGB) auch für einen zufällig eingetretenen Schaden haftbar mache, zutrifft. Das Berufungsgericht räumt selbst ein, daß derselbe Schaden auch dann hätte eintreten können (und wohl auch eingetreten wäre), wenn der Schiedsrichter dem Beklagten das Betreten des Spielfeldes gestattet hätte. Es ist aber dem Berufungsgericht jedenfalls darin zu folgen, daß dem Beklagten die Verletzung des Klägers als Verschulden zuzurechnen ist. Richtig ist, daß die Umstände, die ein Verschulden begründen, vom Geschädigten zu beweisen sind, weil gemäß § 1295 ABGB die Schuldlosigkeit des Schädigers vermutet wird (SZ 37/159; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 I 328). Da es aber eine Frage der rechtlichen Beurteilung ist, ob Verschulden vorliegt, hat der Geschädigte nur die für die Beurteilung des Verschuldensvorwurfes wesentlichen Umstände zu beweisen (Koziol a.a.O. 328). Eine Erleichterung des oftmals schwierigen Verschuldensbeweises schafft § 1297 ABGB, wonach es Sache des Belangten ist nachzuweisen, daß ihm die Einhaltung der durchschnittlichen Sorgfalt nicht möglich war. Der Beklagte, der wahrgenommen hatte, daß Manfred P*** vom Kläger gefoult worden war und am Boden lag, konnte schnell auf dem geschotterten Fußballfeld in Richtung auf Manfred P*** und richtete seine Aufmerksamkeit nur auf diesen; er kam dabei zu Sturz und verletzte den Kläger. Es trifft gewiß zu, daß eine eilige Fortbewegung in aller Regel noch kein sorgfaltswidriges Verhalten darstellt. Anders ist dies aber dann, wenn besondere Umstände eine erhöhte Sorgfalt und Aufmerksamkeit nahelegen. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß die Gefahr des Ausgleitens und eines Sturzes bei schneller Fortbewegung auf geschottertem Boden groß ist, so daß die Anwendung erhöhter Sorgfalt geboten ist, insbesondere dann, wenn sich in der Nähe Personen aufhalten, die durch einen Sturz ebenfalls in ihrer körperlichen Sicherheit gefährdet sein können. Das Verhalten des Beklagten muß als objektiv sorgfaltswidrig angesehen werden, weil es erfahrungsgemäß geeignet ist, einen Schaden herbeizuführen (vgl. Ehrenzweig-Mayrhofer, System3 II/1, 294). Dem Kläger ist damit der Beweis gelungen, daß bei gewÄhnlichen Fähigkeiten im Verhalten des Beklagten eine Sorglosigkeit, also Verschulden, vorliegt, so daß dem Beklagten der Beweis oblag, daß er entgegen der Vermutung des § 1297 ABGB durch besondere Umstände im Zeitpunkt der Verletzung des Klägers die gewÄhnlichen Fähigkeiten, die ihn an sich zur Vermeidung des Unfalles in die Lage versetzt hätten, nicht gehabt habe (Koziol, a.a.O. I 329; vgl. EvBl. 1970/294; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 1 und 12 zu § 1297). Den Beweis, daß ihm die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt nicht möglich war, hat der Beklagte nicht erbracht. In diesem Sinne hat schon das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß das Beweisverfahren keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme erbrachte, der Sturz des Beklagten sei auf das Verhalten eines Dritten, auf ein nicht oder nur schlecht wahrnehmbares Hindernis oder eine körperliche Behinderung des Beklagten, oder andere Umstände, die ihm die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt nicht ermöglichten, zurückzuführen. Allein damit, daß er sich so auf die Hilfeleistung für den zu betreuenden Spieler konzentrierte, daß er deswegen seinen Lauf nicht steuern und andere Personen nicht wahrnehmen konnte, kann der Beklagte sein Verhalten nicht rechtfertigen. Da der Beklagte unweit des auf dem Spielfeld stehenden Klägers zu Sturz kam, liegt dessen Verletzung auch nicht außerhalb der menschlichen Erfahrung, so daß die Adäquanz des Geschehensablaufes gegeben ist (SZ 54/108; EvBl. 1980/112; SZ 50/24 u.a.; Koziol a.a.O I 144, 146). Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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