Spruch:
Auch § 1311 ABGB. setzt ein Verschulden dessen, der die Schutzvorschrift übertreten hat, voraus.
Entscheidung vom 10. November 1964, 4 Ob 108/64. I. Instanz:
Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Kläger war Dienstnehmer bei der beklagten Partei. Mit der Behauptung, daß er den am 20. Juni 1963 mit dem ihm anvertrauten Dienstwagen verursachten Verkehrsunfall nicht verschuldet habe, weil ihm plötzlich schlecht geworden sei, begehrt er - er wurde von der beklagten Partei wegen dieses Verkehrsunfalles entlassen - seine Bezüge für die Zeit vom 1. Juni 1963 bis 1. August 1963 in der Gesamthöhe von 10.000 S brutto und den Ersatz von Benzinspesen in der Höhe von 94.50 S. Die beklagte Partei hingegen behauptet, sie sei berechtigt gewesen, den Kläger wegen des genannten Verkehrsunfalles fristlos zu entlassen. Außerdem hat sie eine Gegenforderung von 24.000 S bis zur Höhe der Klagsforderung aufrechnungsweise eingewendet, weil der Kläger ihr durch den Verkehrsunfall einen Schaden in dieser Höhe zugefügt habe.
Das Erstgericht hat erkannt, daß die Klagsforderung mit 10.000 S brutto und 94.50 S netto zu Recht bestehe, die bis zur Höhe der Klagsforderung aus dem Titel des Schadenersatzes eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, und hat daher dem Klagebegehren stattgegeben. Es hat auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens festgestellt, daß der Kläger am 20. Juni 1963 mit dem der beklagten Partei gehörigen PKW. Puch 700 C, Kennzeichen W ..., auf der Fahrt von H. nach W. außerhalb von G. bei sonnigem, windstillem Wetter und einer Geschwindigkeit von 70 km/h in einer leichten Rechtskurve ohne Vornahme irgendwelcher Lenkungshandlungen geradeaus gefahren sei, wodurch der von ihm gelenkte PKW. auf die linke Straßenseite geraten, dort an einen Prellstein gestoßen sei, ein dort befindliches Brückengeländer gestreift, einen zweiten Prellstein übersprungen habe und schließlich links der Straße stehengeblieben sei. Der an dem PKW. verursachte Schaden betrage 15.000 S. Das Erstgericht hat aber auch als erwiesen angenommen, daß dieses Verhalten des Klägers auf eine plötzliche von ihm nicht voraussehbare Bewußtseinsstörung zurückzuführen sei. Den Kläger treffe daher kein Verschulden an dem Verkehrsunfall, seine Entlassung sei zu Unrecht erfolgt. Er habe Anspruch auf die eingeklagten Beträge. Er hafte hingegen mangels Verschuldens nicht für die am PKW. verursachten Schäden.
Zufolge Berufung der beklagten Partei hat das Berufungsgericht das Verfahren gemäß § 25 (1) Z. 3 ArbGerG. neu durchgeführt. Es hat die Feststellungen des Erstgerichtes übernommen mit Ausnahme der Feststellung, daß Unfallsursache eine Störung des Bewußtseins des Klägers gewesen sei; das Berufungsgericht ist diesbezüglich vielmehr zur Ansicht gekommen, daß die Ursache des Verkehrsunfalles nicht feststellbar sei. Sie könne infolge Übermüdung des Klägers auf herabgesetzte Aufmerksamkeit, auf Einschlafen am Lenkrad, aber auch auf einer Bewußtseinsstörung infolge eines schon vor dem Unfall vorhanden gewesenen Schädeltraumas beruhen. Das Berufungsgericht hat gleich dem Erstgericht in dem Verkehrsunfall keinen hinreichenden Grund zur Entlassung des Klägers gesehen, hat daher die eingeklagte Forderung als zu Recht bestehend erkannt, aber auch die eingewendete Gegenforderung, weil der Kläger entgegen den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung die Leitlinie überfahren habe und am anderen Straßenrand an einen Prellstein und ein Brückengeländer angefahren sei. Er habe damit eine Schutznorm übertreten, die Personen- und Sachschaden verhindern solle. Beweispflichtig dafür, daß der Schaden auch ohne Übertretung der Schutznorm eingetreten wäre, sei der Kläger. Mit der Vermutung, daß ihm vor dem Unfall schlecht geworden sei und er sich die Unfallsursache nicht erklären könne, könne er seine Schadenersatzverpflichtung nicht abwenden. Bei der gegebenen Sach- und Beweislage könne auch nicht davon ausgegangen und für erwiesen gehalten werden, daß die Schadenszufügung auf eine entschuldbare Fehlleistung zurückzuführen sei, die den Kläger von der Ersatzpflicht befreie.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Feststellung des Erstgerichtes, der Verkehrsunfall sei durch eine plötzliche Bewußtseinsstörung des Klägers verursacht worden, wurde vom Berufungsgericht nicht übernommen. Daran ist der Oberste Gerichtshof bei der rechtlichen Beurteilung gebunden, ebenso an die Feststellung, daß die Ursache des Verkehrsunfalles nicht mehr feststellbar ist. Der Kläger führt in der Revision zwar richtig aus, daß er - von den Fällen der Erfolgshaftung abgesehen - nur bei Verschulden zu haften habe, er entfernt sich aber vom festgestellten Sachverhalt, wenn er vorbringt, es sei festgestellt worden, daß ihn kein Verschulden am Unfall treffe. Die Frage, wer bei ungeklärter Ursache des Verkehrsunfalls den eingetretenen Schaden zu tragen hat, kann nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes im gegebenen Fall nicht unter Heranziehung des § 1311 ABGB. gelöst werden, weil auch diese gesetzliche Bestimmung ein Verschulden dessen, der die Schutzvorschrift übertreten hat, voraussetzt (siehe Ehrenzweig, § 301, Anm. 33, Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil, und Schadenersatzrecht, S. 169 und S. 180, Überschriften zu den §§ 45 und 47, anderer Meinung allerdings Wolff in Klang[2], VI, S. 82). Dem Kläger ist auch beizustimmen, daß nach § 1296 ABGB. die Vermutung gilt, daß ein Schaden ohne Verschulden des anderen entstanden ist, er übersieht aber, daß nach § 1297 ABGB. auch vermutet wird, daß jeder, welcher den Verstandesgebrauch besitzt, eines solchen Grades des Fleißes und der Aufmerksamkeit fähig ist, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet werden kann. Wer bei Handlungen, woraus eine Verkürzung der Rechte eines anderen entsteht, diesen Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit unterläßt, macht sich eines Versehens schuldig. Im Sinne dieser beiden gesetzlichen Bestimmungen muß daher der Kläger, welcher ja sonst "den Verstandesgebrauch besitzt", beweisen, daß er sich ausnahmsweise im Zeitpunkt des Verkehrsunfalles im Zustand einer Bewußtseinsstörung befunden hat, daß ihn also trotz der Verursachung des Schadens kein Verschulden trifft, weil er im Zeitpunkt des Verkehrsunfalls an einer Bewußtseinsstörung gelitten hat (vgl. Ehrenzweig, § 303 III). Dieser Beweis ist aber dem Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes nicht gelungen, weshalb er auch für den Schaden, der der beklagten Partei beim Verkehrsunfall vom 20. Juni 1963 entstanden ist, zu haften hat.
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