OGH 2Ob35/87

OGH2Ob35/8714.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Georg F***, Pensionist, 2500 Baden, Radetzkystraße 64, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Friedrich A***, Angestellter, 2372 Gießhübel, Hauptstraße 61 a, 2. A*** E***

V***ktiengesellschaft, 1121 Wien, Schönbrunner

Schloßstraße 38-40, beide vertreten durch Dr. Ernst Schilcher, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen 612.000 S, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 9. Jänner 1986, GZ 17 R 286/85-71, womit infolge Berufung aller Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 16. Juli 1985, GZ 1 Cg 1065/79-63, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien haben dem Kläger zur ungeteilten Hand die mit 17.798,81 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.627,16 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 8. Mai 1977 in Gainfarn als Fußgänger von einem vom Erstbeklagten gelenkten und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW niedergestoßen und schwer verletzt. Die Verschuldenshaftung für seine unfallsbedingten Schadenersatzansprüche ist nicht bestritten. Mit der vorliegenden Klage erhob er Leistungs- und Rentenansprüche und stellte ein Feststellungsbegehren.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung.

Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Betrag von 193.763,40 S sA zu und stellte die Haftung der beklagten Parteien für die zukünftigen unfallsbedingten Schäden des Klägers, bei der zweitbeklagten Partei eingeschränkt auf die Versicherungssumme, fest. Das Begehren nach Zahlung einer monatlichen Rente von 5.406,80 S, vierzehnmal jährlich, ab 1. Oktober 1984 sowie das Leistungsmehrbegehren wies es ab.

Das Berufungsgericht gab den von allen Streitteilen erhobenen Berufungen teilweise Folge. Es änderte das erstgerichtliche Urteil im Ausspruch über das Leistungsbegehren teilweise in ein auf einen Zuspruch von 511.711 S lautendes Teilurteil ab, hob es im übrigen hinsichtlich des Zuspruches von 111.052,40 S sA sowie der Abweisung eines Mehrbegehrens von 600.000 S sA auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Dem Rentenbegehren gab es statt und sprach dem Kläger eine monatliche Rente von 6.307,93 S ab 1. November 1984 und längstens bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am 14. Mai 2014 zu, wobei es die Haftung der zweitbeklagten Partei auf die Versicherungssumme beschränkte. In ihrer auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO gestützten Revision bekämpfen die beklagten Parteien die berufungsgerichtlichen Zusprüche eines weiteren Schmerzengeldes von 75.000 S und eines Teilbetrages an fiktivem Verdienstentgang von 3.896,80 S sowie den Rentenzuspruch. Sie beantragen die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß dem Kläger lediglich ein weiterer Betrag von 40.000 S sA zuerkannt und das Begehren auf Zahlung weiterer Beträge, insbesondere über den 14. Mai 2009 hinaus, abgewiesen werde. Im übrigen stellen sie einen Aufhebungsantrag. Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

In ihrer Mängelrüge bringen die Revisionswerber vor, das Berufungsgericht habe dem Kläger eine Rente bis zur Erreichung seines 65. Lebensjahres, das ist bis zum 14. Mai 2014, zuerkannt und sei damit über einen Antrag auf Zuspruch einer Rente bis zum 14. Mai 2009 unzulässigerweise hinausgegangen.

Wie die Revisionswerber nach ihren weiteren Ausführungen selbst erkennen, hat der Kläger sein Rentenbegehren mehrfach geändert und in ON 50, AS 324, sowie zuletzt in ON 54, AS 339, jeweils völlig neu formuliert und dabei keine zeitliche Begrenzung vorgenommen. Wenn das Berufungsgericht in der Annahme, der Kläger würde als unselbständig Erwerbstätiger erfahrungsgemäß spätestens mit Vollendung seines 65. Lebensjahres in den Ruhestand treten, entgegen diesem unbegrenzten Begehren eine solche Begrenzung im Sinne der Rechtsprechung (2 Ob 271/82, 8 Ob 203/77 ua) vornahm, so liegt in diesem eingeschränkten Zuspruch keine Überschreitung des Klagebegehrens und daher kein Verstoß gegen § 405 ZPO. Der behauptete Revisionsgrund ist daher nicht gegeben. In der Rechtsrüge bekämpfen die beklagten Parteien zunächst den berufungsgerichtlichen Zuspruch eines weiteren Schmerzengeldes von 75.000 S und somit eines Gesamtschmerzengeldes von 225.000 S mit der Begründung, es seien nach Klagseinbringung Teilzahlungen von 95.000 S und 15.000 S geleistet und damit die bis dahin aufgetretenen Schmerzen zur Gänze abgegolten worden, sodaß zumindest diesbezüglich entgegen der berufungsgerichtlichen Ansicht keine Valorisierung vorzunehmen sei. Insgesamt erscheine lediglich der Zuspruch eines Schmerzengeldes von 150.000 S gerechtfertigt. Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis keine Berechtigung zu. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen erlitt der im Unfallszeitpunkt 28-jährige Kläger, ein gelernter Koch, beim Unfall ein Schädelhirntrauma mit Gehirnquetschung und konsekutiver Hirnödemphase, Rißquetschwunden am Schädel, einen Schädelbruch mit Bruchspalte bis in die Schädelbasis, Schlüsselbein- und Brustbeinverletzungen sowie zahlreiche Prellungen, Hautabschürfungen und Blutunterlaufungen. Verletzungsbedingt kam es zu einem völligen Verlust des Geruchsinnes und einer teilweisen Einbuße des Geschmacksinnes (erstgerichtliches Urteil S 35) sowie zu einem geringen Psychosyndrom. Die Verletzungen haben eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 % zur Folge. Insgesamt erlitt der Kläger durch 30 Tage starke, durch 60 Tage mittelstarke und durch 150 Tage leichte Schmerzen.

Im Hinblick auf dieses Verletzungs-, Zustands- und Schmerzensbild und den Umstand, daß der Kläger durch den Unfall die Fähigkeit zur Ausübung seines Berufes verlor, kann in der berufungsgerichtlichen Bemessung des Gesamtschmerzengeldes mit 225.000 S selbst unter Bedachtnahme darauf, daß eine Valorisierung des durch Teilzahlungen erstatteten Betrages von 110.000 S nicht zu erfolgen hat, keinesfalls ein Rechtsirrtum erkannt werden. Beim Zuspruch von Verdienstentgang rügen die Revisionswerber, für die Zeit von Jänner 1984 bis Oktober 1984 hätte unter Bedachtnahme auf die nicht nur im Mai, sondern auch im Oktober gewährte Sonderzahlung und die solcherart erhöhten Pensions- und Rentenzahlungen von insgesamt 53.896,80 S bei einem fiktiven Verdienstentgang von 110.000 S zahlenmäßig richtig lediglich ein verbleibender Verdienstentgang von 56.103,20 S und nicht ein solcher von 60.000 S zugesprochen werden dürfen.

Dieses Vorbringen ist insoweit nicht richtig, als das Berufungsgericht die zweite Sonderzahlung des Jahres 1984 in die Berechnung des fiktiven Verdienstentganges ab 1. November 1984, also für die Monate November und Dezember 1984, ohnehin einbezogen hat. Unberücksichtigt blieb rechnungsmäßig diese zweite Sonderzahlung des Jahres 1984 somit lediglich für einen Zeitraum von vier Monaten. Da die Höhe des Gesamtverdienstentganges für Jänner bis Oktober 1984, wie die Revisionswerber selbst ausführen, nur eine "angenommene" von 110.000 S ist und das Berufungsgericht demgemäß auch den Betrag von 60.000 S als bloß eingeschätzten Verdienstentgang zugrundelegte, kommt hier der vorgenannten zahlenmäßigen Fehlberechnung keine entscheidende Bedeutung zu.

Schließlich bringen die Revisionswerber zum berufungsgerichtlichen Verdienstentgangszuspruch insgesamt vor, sie hätten vom Kläger die Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit verlangt, das Berufungsgericht habe jedoch unter Hinweis auf die erfolgten, wenngleich erfolglos gebliebenen Vermittlungsversuche des Arbeitsamtes Baden und die Umkehr der Beweislast eine Verletzung der Schadenminderungspflicht durch den Kläger verneint. Der Kläger habe sich der von den beklagten Parteien beantragten Eignungsuntersuchung im beruflichen Ausbildungs- und Rehabilitationszentrum Linz nicht unterzogen, sei jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht berechtigt, die dort erforderlichen weiteren stationären Untersuchungen und damit verbundenen persönlichen Einschränkungen zu verweigern. Dem Schädiger sei es ohne Kenntnis der intellektuellen, körperlichen und sozialen Verhältnisse des Geschädigten nicht möglich, einen zumutbaren Ersatzarbeitsplatz anzubieten. Das genannte Rehabilitationszentrum biete versehrtengerechte Ausbildungsplätze und entsprechende Einstellungsmöglichkeiten an. Das allfällige Mißlingen der Eignungsprüfung oder der Umschulung gehe ohnehin zu Lasten der beklagten Parteien.

Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:

Das Erstgericht stellte unbekämpft fest, daß der unfallsbedingte Verlust des Geruchsinnes die künftige Beschäftigung des Klägers als Koch ausschließt. Die geringe schulische Ausbildung - der Kläger besuchte nur die Volksschule - erschwert die Umschulung, der Kläger müßte künftig einen Beruf ausüben, der nicht mit dem qualifizierten Berufsbild seines erlernten Berufes vergleichbar ist. Das Berufungsgericht verwies darauf, daß diese Feststellungen auf vom Arbeitsamt durchgeführten Untersuchungen und Befunden beruhten und daß der Kläger nur zur Annahme einer zumutbaren Berufstelle verpflichtet sei. Er verletze seine Schadenminderungspflicht erst, wenn er eine solche Stelle nicht annehme. Die Beweislast dafür, daß der in seiner Erwerbsfähigkeit geminderte Geschädigte seinen Verdienstentgang durch die Annahme einer anderen Beschäftigung verringern hätte können, treffe den Schädiger. Vorliegendenfalls habe der Kläger durch seinen Gang zum Arbeitsamt und die dort erfolgten Untersuchungen bewiesen, daß ihm keine zumutbare Erwerbsmöglichkeit offenstehe. Durch seine Weigerung, weitere stationäre Untersuchungen auf sich zu nehmen, habe er seine Schadenminderungspflicht nicht verletzt, da mit solchen Untersuchungen weitere persönliche Einschränkungen verbunden seien und bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage die Ungewißtheit bestehen bleibe, ob sodann tatsächlich eine zumutbare Ersatzbeschäftigung gefunden werden könne.

In dieser berufungsgerichtlichen Rechtsansicht kann entgegen den Revisionsausführungen kein Rechtsirrtum erkannt werden. Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Verletzung der dem Geschädigten obliegenden Schadenminderungspflicht vor, wenn es der Geschädigte schuldhaft unterläßt, einem nach den Umständen zumutbaren Erwerb nachzugehen. Um dies feststellen zu können, muß vom Schädiger der Nachweis der Ausschlagung einer konkreten Erwerbs- oder Umschulungsmöglichkeit erbracht werden (ZVR 1977/132, ZVR 1978/325; 8 Ob 151/80, 8 Ob 43/83, 2 Ob 59/86 ua). Der Geschädigte verletzt seine Rettungspflicht, wenn er sich einer ihm zumutbaren und zweckmäßigen beruflichen Umschulung nicht unterzieht (8 Ob 43/83). Den Schädiger trifft die Beweislast dafür, daß der Geschädigte nach erfolgter Umschulung aller Voraussicht nach leicht einen ihm zumutbaren Arbeitsplatz finden wird bzw., daß ihm eine konkret zumutbare Arbeitsmöglichkeit sodann offenstehen wird (8 Ob 259/71; ZVR 1978/325, 8 Ob 248/80 ua). Die Frage, ob dem Geschädigten wegen Nichtausnützung des Restes seiner Arbeitskraft eine Verletzung der Schadenminderungspflicht zur Last fällt, ist nach der allgemeinen Lage am Arbeitsmarkt und den Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen (EvBl 1973/55; ZVR 1976/361; 8 Ob 49/77 ua). Eine Umschulungspflicht besteht nur soweit, als damit keine nennenswerte Verschlechterung der sozialen Lebensstellung und der Art des erlernten Berufes verbunden ist (8 Ob 110/73; ZVR 1976/361; 2 Ob 199/79 ua).

Vorliegendenfalls steht fest, daß der Kläger auf Grund seiner geringen schulischen Ausbildung überhaupt nur schwer umgeschult werden könnte und danach einen Beruf ausüben müßte, der mit dem qualifizierten Berufsbild seines bisherigen Berufes nicht vergleichbar wäre. Den beklagten Parteien ist somit entgegen ihren Ausführungen die mangelnde geistige und körperliche Eignung für einen dem früher vom Kläger ausgeübten Beruf gleichwertigen Arbeitsplatz ohnehin bekannt. Daß dennoch die konkrete Möglichkeit bestünde, dem Kläger einen zumutbaren Arbeitsplatz zu verschaffen, haben sie gar nicht behauptet. Es wäre an ihnen gelegen, aufzuzeigen, welche Ausbildungsmöglichkeiten vorhanden sind und daß der Kläger nach einer entsprechenden Umschulung in diesem neuen zumutbaren Beruf tatsächlich eine Arbeitsstelle findet. Ein derartiges Vorbringen haben sie ebenfalls nicht erstattet. Auf der Grundlage der vorinstanzlichen Feststellungen über den unfallbedingten Zustand des Klägers und die mangelnde Vermittelbarkeit für eine auch nur einigermaßen adäquate Tätigkeit kann von einer Verletzung der Schadenminderungspflicht durch den Kläger nicht gesprochen werden.

Somit war der insgesamt ungerechtfertigten Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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