Spruch:
Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 26. Dezember 1940 geborene Kläger und die am 18. Dezember 1944 geborene Beklagte haben am 14. März 1964 vor dem Standesamt Bad Ischl die Ehe miteinander geschlossen. Es handelte sich beiderseits um die erste Eheschließung. Beide Teile sind österreichische Staatsbürger. Aus der Ehe entstammen zwei Kinder, nämlich der am 9. Juli 1964 geborene Bernhard und die am 15. Dezember 1967 geborene Gabriele. Der letzte gemeinsame gewÄhnliche Aufenthalt der Streitteile war in Bad Ischl. Der Kläger stützte in seiner am 19. September 1986 beim Erstgericht eingelangten Klage sein auf Scheidung seiner Ehe mit der Beklagten aus deren Verschulden gestütztes Klagebegehren auf die §§ 47 und 49 EheG. Er brachte vor, daß im Jahr 1969 die Beklagte ehewidrige Beziehungen zu Johann L*** unterhalten habe, er sie daraufhin zur Rede gestellt habe und sie bereit gewesen sei, dieses Verhältnis zu lösen. Es sei jedoch wenig später neuerlich zu ehewidrigen Beziehungen gekommen, und zwar zu Georg T***. Daraufhin habe der Kläger mit Georg T*** eine Aussprache gehabt. Die Beklagte habe damals dem Kläger ständig vorgehalten, wie großartig das Leben anderer sei, was sich diese alles leisten könnten und welch fades und eingeschränktes Leben dagegen sie führten. Sie sei unzufrieden gewesen, wenn er mehr gearbeitet habe, sie habe ihm dann vorgeworfen, er hätte zu wenig Zeit für zu Hause und um sie zu betreuen. Es sei dann immer wieder zu verbalen Auseinandersetzungen gekommen, wobei die Beklagte extrem aggressiv und ordinär geworden sei und ihn auch tätlich angegriffen habe. Mitte der 70er Jahre habe er wiederum sehr viel gearbeitet, weil er beim Anbau des Hauses mitgearbeitet und viele Nachtdienste geleistet habe. Damals sei die Beklagte ein Verhältnis mit Johann L*** eingegangen, das ca. 2 Jahre gedauert habe. Der Kläger habe die Beklagte zur Rede gestellt, die das nicht bestritten habe. Sie habe versprochen, dieses Verhältnis zu lösen. Nach kurzer Zeit habe er aber feststellen müssen, daß sie sich bei jeder möglichen Gelegenheit mit Johann L*** getroffen habe. In den Jahren 1977 bis 1984 habe es ständig einen Nervenkrieg gegeben. Die Beklagte sei immer aggressiver geworden und habe ihm unter anderem immer vorgehalten, daß das Haus und alles andere ihr gehöre, daß er froh sein solle, daß er überhaupt hier wohnen könne; dies deshalb, weil der Grund für den Hausanbau von den Eltern der Beklagten zur Verfügung gestellt worden sei. Am 16. Februar 1984 habe die Beklagte dezidiert zum Kläger gesagt, es sei ihr recht, wenn er gehe, sie wolle ihn in ihrem Leben nicht mehr sehen. Daraufhin sei er, der ohnedies nur mehr mit Rücksicht auf die Kinder die bestehende Ehe aufrecht erhalten habe, am 18. Februar 1984 ausgezogen. Die Ehe sei dadurch gekennzeichnet gewesen, daß die Beklagte keinerlei Interesse an gemeinsamen Aktivitäten gezeigt und dem Kläger gegenüber völlig gleichgültig und lieblos gewesen sei. Ab dem Auszug des Klägers habe sie allen möglichen Leuten gegenüber erklärt, sie bringe sich um, wenn er nicht zu ihr zurückkehre. Sie habe auch noch die Kinder mit solchen Äußerungen belastet. Jedenfalls sei ihr als Eheverfehlung vorzuwerfen, daß sie den Kläger aus der Ehewohnung gewiesen habe und diesen Zustand aufrecht erhalte. In der Folge brachte der Kläger noch ergänzend vor, daß die Beklagte nach wie vor ehewidrige Beziehungen zu einem anderen Mann unterhalte. Die Aufforderung der Beklagten zur Rückkehr in die ehemals eheliche Wohnung sei nie ernsthaft gemeint gewesen, da sie bei jedem Zusammentreffen dem Kläger gegenüber immer wieder geäußert habe, daß ihm nichts gehöre und daß er jederzeit gehen könne. Diese Aufforderung der Beklagten zur Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft sei nie ernstlich gewesen. Sie habe in diesem Zusammenhang immer gleichzeitig den Kläger zu erpressen versucht, indem sie ständig geäußert habe, sich umzubringen, dies auch anderen Personen gegenüber geäußert und zusätzlich versucht habe, den Kläger überall schlecht zu machen. Die Beklagte habe den Kläger dadurch verletzt, daß sie sich auf einer Faschingsveranstaltung in Anwesenheit des Georg T*** offensichtlich sehr vertraut mit jenem Mann unterhalten habe. Der Kläger habe der Beklagten die ehewidrigen Beziehungen nie verziehen, diese aber in Anbetracht der Familie, vor allem wegen der Kinder erduldet. Die Beklagte habe nie davor zurückgescheut, dem Kläger völlig grundlos ehewidrige Beziehungen vorzuwerfen. Vor dem Auszug habe die Beklagte zum Kläger gesagt: "Dir gehört sowieso nichts, such Dir eine Wohnung, ich will Dich nicht mehr sehen!". Der Kläger habe nach dem Auszug mit der Beklagten keine intimen Beziehungen mehr unterhalten und auch nicht angedeutet, er werde möglicherweise wieder zurückkehren. Die Beklagte habe nach dem Auszug des Klägers aus der Ehewohnung mutwillig ihr Arbeitsverhältnis aufgegeben, um ihm gegenüber ihren Unmut in irgendeiner Form zu äußern. Da sie für kein Kind mehr zu sorgen habe, sei ihr im Zusammenhang mit der Betreuung ihres Vaters eine Halbtagsbeschäftigung zumutbar. Die Beklagte habe am 14. Oktober 1986 der Zeugin A*** eine Verweigerung der Zeugenaussage bzw. eine falsche Zeugenaussage nahegelegt. Ebenfalls am 14. Oktober 1986 habe sie Johann L*** gefragt, was sie anläßlich des Scheidungsverfahrens aussagen solle; daraufhin habe der Zeuge geantwortet: "Meine Frau hört am Telefon mit, sagen wir, es war nur Freundschaft." Die Beklagte habe auch in letzter Zeit regelmäßig Kontakte zu anderen Männern gehabt, insbesondere zu Norbert G***. Die häusliche Gemeinschaft sei seit 18. Februar 1984 aufgelöst, die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft sei nicht mehr zu erwarten. Demgemäß stellte der Kläger für den Fall der Abweisung des Hauptbegehrens ein Eventualbegehren auf Scheidung der Ehe gemäß § 55 EheG.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung, sprach sich gegen die Scheidung ihrer Ehe mit dem Kläger aus, bestritt auch die ihr vorgeworfenen Eheverfehlungen und den Eintritt der Zerrüttung der Ehe. Es sei richtig, daß sie 1969, 1970 ehewidrige Beziehungen zu Johann L*** und zu Georg T***, ein oder zwei Jahre später auch zu Johann L*** unterhalten habe. Sie habe diese ehewidrigen Beziehungen später bedauert, die Unrichtigkeit ihrer Verhaltensweise eingesehen und sich seither nichts mehr zuschulden kommen lassen. Diese Vorfälle seien vom Kläger längst verziehen worden. Außerdem seien diese Eheverfehlungen längst verjährt. Die Beklagte bestritt die Behauptung eines ständigen Nervenkrieges in den Jahren 1977 bis 1984, ferner die Behauptung, daß sie immer aggressiver geworden sei. Bereits Monate vor dem 16. Februar 1984 sei der Kläger immer seltener nach Hause gekommen, sei immer einsilbiger geworden und habe an keinerlei gemeinsamen Aktivitäten mehr Interesse gezeigt. Wenn er nach Hause gekommen sei, habe er sofort den Fernsehapparat eingeschaltet; eine Unterhaltung mit ihm sei nicht mehr möglich gewesen. Sie habe angenommen, daß er ehewidrige Beziehungen zu einer anderen Frau aufgenommen habe, was mangels Nachforschungen nicht bewiesen werden könne. Am 14. Februar 1984 habe sie eine Aussprache mit dem Kläger gesucht, um die Ursache für die Verhaltensweise des Klägers zu ergründen. Er sei jedoch auf ein Gespräch nicht eingegangen. Da sich bei ihr durch die genannte Verhaltensweise des Klägers über Monate hinaus ein gewisser Unmut angesammelt hätte, habe sie darauf zum Kläger gesagt: "Wenn du dich weiter so verhälst, ist es besser, du suchst dir eine Wohnung". Darauf habe der Kläger erklärt, daß er ausziehen werde. Ihr sei klar geworden, daß er mit seiner Verhaltensweise sie provozieren habe wollen, um dann ausziehen und ihr die Schuld zuweisen zu können. Sie habe sich am nächsten Tag für diese im Zorn gemachte, unbedachte Äußerung entschuldigt und habe ihn nachdrücklich und wiederholt gebeten, in der Ehewohnung zu bleiben. Er sei jedoch am 16. Februar 1984, ohne ihre Zustimmung und gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen, ausgezogen. Nachher habe sie mehrmals versucht, ihn zur Rückkehr zu bewegen. Sie habe hiebei in ihrer Verzweiflung einmal geäußert, daß sie daran denke, sich umzubringen. Dies sei nicht als Erpressung gedacht gewesen, sondern habe nur ihren Seelenzustand deklariert, da sie anfangs schwer darunter gelitten habe, daß sie vom Kläger ohne triftigen Grund verlassen worden war. Der Kläger habe beim Auszug Ersparnisse von S 200.000,-- mitgenommen, ihr in der Folge Unterhalt bezahlt, ebenso (bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit) Unterhalt für die Tochter. Wenn er tatsächlich schuldhaft aus der Ehewohnung verwiesen worden wäre, hätte er ihr mit Sicherheit keinen Unterhalt geleistet und hätte sie auch keinen Unterhaltsanspruch gehabt. Seit dem Auszug des Klägers aus der Ehewohnung sei es wiederholt, in Abständen von ca. 2 Monaten, zu intimen Beziehungen zwischen den Streitteilen gekommen, letztmals am 28. August 1986. Durch die Rückkehr des Klägers in gewissen Zeitabständen, durch die intimen Beziehungen und durch die Unterhaltsleistung ergebe sich, daß keine unheilbare Zerrüttung der Ehe eingetreten sei. Sie hänge nach wie vor sehr am Kläger und wäre sehr daran interessiert, daß er in den gemeinsamen ehelichen Haushalt zurückkehre. Sie sei 42 Jahre alt, nicht berufstätig, sondern nur Hausfrau, ihr könne eine ständige Arbeit nicht mehr zugemutet werden, sie habe außerdem ihren alten Vater zu betreuen und leide an Polyarthritis, so daß sie auf Unterhaltsleistungen des Klägers angewiesen sei. Schließlich sprach sich die Beklagte auch noch gegen das Eventualbegehren auf Scheidung der Ehe gemäß § 55 EheG aus.
Mit Urteil des Erstgerichtes vom 15. April 1987, 6 Cg 345/86-16, wurde die zwischen den Streitteilen am 14. März 1964 vor dem Standesamt Bad Ischl geschlossene Ehe aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden der Streitteile geschieden. Das Erstgericht stellte hiezu fest, daß die Beklagte in den Jahren nach der Eheschließung - jeweils längere Zeit andauernde - intime Beziehungen zu drei anderen Männern, nämlich zu Johann L***, Georg T*** (jeweils irgendwann im Zeitraum von 1965 bis 1969) sowie mit Johann L*** (bis 1976 oder 1977) unterhielt. Der Kläger erfuhr bereits damals von der Untreue seiner Frau und litt sehr darunter. Es kam jedoch etwa im Jahr 1977 zu einer Versöhnung, der Kläger verzieh seiner Frau diese Eheverfehlungen. Bis etwa 1982 oder 1983 funktionierte die Ehe der Streitteile halbwegs. Dann kam es in zunehmendem Maße zu Streitigkeiten, an denen beide Ehegatten beteiligt waren. Die Beklagte war damals wegen ihrer Berufstätigkeit nervlich wenig belastbar. Im Fasching 1983 unterhielt sie sich mit Georg T*** länger, was den Kläger, der wegen der früheren Verhaltensweise seiner Frau überempfindlich geworden war, kränkte; er fühlte sich durch dieses Verhalten seiner Frau (wiederum) bloßgestellt. Der Kläger redete in den folgenden Monaten kaum mehr mit seiner Frau. Am 16. Februar 1984 kam es wiederum zu einer Auseinandersetzung. Im Zuge dieses Streites sagte die Beklagte: "Wenn Du so lästig bist, ist es mir ohnedies lieber, Du gehst bzw. Du nimmst Dir eine eigene Wohnung". Obwohl sie sich am nächsten Tag für diese Äußerung entschuldigte und den Kläger zum Bleiben aufforderte, zog dieser am 18. Februar 1984 aus der Ehewohnung aus. Seither leben die Streitteile getrennt. Die Beklagte wollte verschiedentlich den Kläger veranlassen, zu ihr zurückzukommen. Zu Grete A*** sagte sie in diesem Zusammenhang, daß sie den Kläger zwar nicht mehr gern habe, ihn aber aus finanziellen Gründen brauche. Um den Kläger zu einer Rückkehr in die Ehewohnung zu bewegen, drohte sie auch mit Selbstmord. Bei gelegentlichen Zusammenkünften der Streitteile kam es aber immer wieder zu intimen Kontakten; der letzte Geschlechtsverkehr fand am 28. August 1986 statt. Im September oder Oktober 1986 sagte die Beklagte zu Grete A*** und Christine S***, daß sie einen Freund habe, der aber verheiratet sei, 2 Kinder habe und sich nicht scheiden lassen wolle. Der Kläger ist in keinem Fall bereit, die eheliche Gemeinschaft mit der Beklagten wieder aufzunehmen.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die Beklagte durch ihre Aufforderung an den Kläger, sich eine eigene Wohnung zu nehmen, jedenfalls eine schwere Eheverfehlung begangen habe; dies auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß diese Äußerung im Zuge einer Auseinandersetzung mit dem Kkäger gefallen sei. Diese Auseinandersetzungen seine nämlich keineswegs ausschließlich aufgrund eines Verhaltens des Klägers erfolgt, sondern durch beiderseits an den Tag gelegte Verhaltensweisen entstanden. Dadurch sei die Beklagte an der Entstehung einer Situation, in der eine derartige Äußerung leichter habe fallen können, mitschuldig, so daß sie keineswegs schuldlos an einer derartigen doch ziemlich gravierenden Äußerung sei; von einer bloßen Retorsionshandlung der Beklagten könne keine Rede sein. Bei Abwägung der gegenseitigen ehefeindlichen Verhaltensweisen der Streitteile sei zu berücksichtigen, daß (zuletzt vor der Trennung) von beiden Seiten in gleicher Weise eine ehefeindliche Strömung ausgegangen sei. Daher sie die Ehe aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden zu scheiden, obwohl - gemessen an den einzelnen und im Detail viel besser greifbaren Vorkommnissen - die Beklagte sogar ein überwiegendes Verschulden treffen müßte. Ihr sei nicht nur als Eheverfehlung anzulasten, daß sie ihren Willen mit Selbstmorddrohungen durchsetzen habe wollen und die festgestellten Äußerungen gegenüber den Zeuginnen A*** und S*** gemacht habe, sondern es seien nunmehr auch die an sich bereits verfristeten Eheverfehlungen unterstützend heranzuziehen. In jedem Fall sei dem Scheidungsbegehren stattzugeben gewesen, zumal es auch zu einer tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung der Ehe der Streitteile gekommen sei.
Die von beiden Streitteilen erhobenen Berufungen blieben erfolglos. Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wenden sich die Revisionen beider Parteien aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Während der Kläger die Entscheidung nur hinsichtlich des Ausspruches über sein Verschulden bekämpft und Abänderung im Sinne der Ehescheidung ohne Ausspruch über ein Verschulden des Klägers, allenfalls im Sinne des Ausspruches des überwiegenden Verschuldens der Beklagten an der Ehescheidung und hilfsweise Aufhebung der Entscheidung hinsichtlich des Ausspruches über sein Verschulden und Rückverweisung der Rechtssache an eine der Vorinstanzen beantragt, strebt die Beklagte Abänderung im Sinne der Klagsabweisung an und stellte ebenfalls hilfsweise einen Aufhebungsantrag.
In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen beide Parteien, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Keines der Rechtsmittel ist berechtigt.
1.) Zur Revision des Klägers:
Der Kläger wendet sich zunächst gegen den Ausspruch seines Mitverschuldens durch das Erstgericht ohne Vorliegen eines Antrages der Beklagten gemäß § 60 Abs 3 EheG. Das Gesetz fordere einen ausdrücklichen Antrag der Beklagten, die Mitschuld des Klägers auszusprechen; ein solcher sei aber von der rechtsfreundlich vertretenen Beklagten nicht gestellt worden.
Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß der Kläger damit einen angeblichen Verfahrensmangel des Erstgerichtes geltend macht, den das Berufungsgericht nicht als gegeben erachtete; dies ist aber auch im Ehescheidungsverfahren mangels Geltung des Untersuchungsgrundsatzes nicht zulässig (vgl. EFSlg 49.388 ua). Auch soweit der Kläger ausführt, es hätten keine Eheverfehlungen seinerseits von der Beklagten bewiesen werden können, deretwegen von der Beklagten auf Scheidung wegen seines Verschuldens hätte geklagt werden können, kann ihm nicht beigepflichtet werden. Gemäß § 49 EheG kann ein Ehegatte Scheidung begehren, wenn der andere durch eine schwere Eheverfehlung oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Eheverfehlungen sind Handlungen und Unterlassungen, die sich gegen das Wesen der Ehe und die damit verbundenen Pflichten richten (EFSlg 33.398, 46.148 ua). Eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG hat ein Verhalten zur Voraussetzung, das mit dem Wesen der Ehe als einer alle Lebensbereiche der Ehegatten umfassenden Lebensgemeinschaft unvereinbar ist (EFSlg 29.494, 38.683, 46.149 ua). Die Pflicht zur anständigen Begegnung, also zu einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Respektierung der Person des Ehepartners, war im § 90 ABGB vor Inkrafttreten des Eherechtswirkungsgesetzes ebenso normiert wie sie es seither ist. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß es bei der Beurteilung, ob ein Ehepartner schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG setzte, immer auf das Gesamtverhalten unter Berücksichtigung der konkreten Lebensumstände ankommt. Mögen auch einzelne Handlungen und Unterlassungen für sich allein betrachtet nicht das Gewicht einer schweren Eheverfehlung haben, ist immer zu beurteilen, ob nicht Dauer, Wiederholung und dadurch gegebene Belastung das Gesamtverhalten zu einer schweren Eheverfehlung machen (EFSlg 31.636, 36.299, 46.152 ua).
Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet, ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß das Gesamtverhalten des Klägers gegenüber der Beklagten, insbesondere seine Beteiligung an den Streitigkeiten der Ehegatten ab dem Jahre 1982 oder 1983, die durch die monatelange beinahe völlige Unterlassung eines Gespräches mit der Beklagten zum Ausdruck gebrachte mangelnde Achtung seiner Ehepartnerin durch den Kläger und der Auszug des Klägers aus der Ehewohnung, obgleich sich die Beklagte für ihre im Zuge eines Streites mit dem Kläger gemachte Äußerung: "Wenn du so lästig bist, ist es mir ohnedies lieber, du gehst bzw. du nimmst dir eine eigene Wohnung" am nächsten Tag entschuldigt und den Kläger aufgefordert hatte, in der Ehewohnung zu bleiben, als schwere Eheverfehlung des Klägers zu beurteilen ist, die keinesweges gegenüber den Eheverfehlungen der Beklagten völlig in den Hintergrund tritt. Entgegen der Auffassung der Revision kann das festgestellte Verhalten des Klägers in seiner Gesamtheit auch nicht als bloße Reaktion auf das Verhalten der Beklagten gewertet werden, dem die Beurteilung als schwere Eheverfehlung entgegenstünde. Ohne Rechtsirrtum ist daher das Berufungsgericht von einer Mitschuld des Klägers an der Zerrüttung der Ehe ausgegangen.
2.) Zur Revision der Beklagten:
Die Beklagte führt in ihrem Rechtsmittel aus, das Berufungsgericht habe zu wenig berücksichtigt, daß die unterstützend herangezogenen Eheverfehlungen der Beklagten mehr als zehn Jahre zurückliegen und der Kläger ihr diese Eheverfehlungen auch bereits vor mehr als zehn Jahren verziehen habe. Seither habe sich die Beklagte aber insbesondere auch im Hinblick auf ihre zunehmende Lebensreife wohlverhalten. Die im Streit geäußerte Aufforderung an den Kläger, sich eine andere Wohnung zu suchen, könne nicht wegen über zehn Jahre zurückliegender bereits verziehener Eheverfehlungen der Beklagten als schwere Eheverfehlung angelastet werden. Wenn daher im konkreten Fall ein Ehepartner eine gegenwärtig zurechenbare schwere Eheverfehlung gesetzt habe, dann sei dies zweifellos der Kläger, der nicht nur durch sein länderdauerndes, beharrliches Schweigen gegen die Eheregeln verstoßen, sondern auch eigenmächtig die Aufhebung der Ehegemeinschaft ohne besonderen Grund vollzogen habe. Damit sei jedoch eine sittliche Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens nicht gegeben.
Auch diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Beurteilung des Verhaltens als schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG ist die Beklagte auf die bei Erledigung der Revision des Klägers vom Revisionsgericht dargelegten Grundsätze zu verweisen. Ohne Rechtsirrtum hat aber das Berufungsgericht das festgestellte Gesamtverhalten der Beklagten, das weder als verfristet noch als verziehen anzusehen ist, nicht als bloß belanglose Eheverfehlung beurteilt; in diesem Falle war aber der Kläger berechtigt, zur Stützung seines Scheidungsbegehrens auch auf solche Vorfälle zurückzugreifen, die bereits verfristet waren oder verziehen wurden (EFSlg 43.674 ua). Werden aber die - wenn auch lange zurückliegenden und bereits verziehenen - mehrfachen Ehebrüche der Beklagten bei der Verschuldensabwägung mitberücksichtigt, kann in der Auffassung, daß das Verhalten der Beklagten nicht als bloße Überreaktion auf das Verhalten des Klägers zu werten ist, also kein die sittliche Rechtfertigung des Klagebegehrens beseitigender Zusammenhang zwischen den Verfehlungen der Beklagten und einem grob ehewidrigen Verhalten des Klägers besteht, keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden.
Soweit beide Streitteile den Verschuldensausspruch des Berufungsgerichtes bekämpfen, ist ihnen zu erwidern, daß der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten voraussetzt, daß das Verschulden dieses Ehegatten erheblich schwerer ist als das des anderen (§ 60 Abs 2 Satz 2 ABGB). Das überwiegende Verschulden steht grundsätzlich dem Alleinverschulden gleich. Das mindere Verschulden muß deshalb, damit diese Differenz gerechtfertigt ist, fast völlig in den Hintergrund treten, so daß auch nur ungefähr gleiches Verschulden zum Ausspruch gleichteiligen Verschuldens führt (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 60 EheG). Überwiegendes Verschulden eines Ehegatten kann nur bei einem sehr erheblichen graduellen Unterschied des beiderseitigen Verschuldens angenommen werden; der Unterschied muß augenscheinlich hervortreten (EFSlg 48.834, 48.835 u.a.). Für die Beurteilung ist das Gesamtverhalten maßgebend (EFSlg 48.815). Doch ist vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht (EFSlg 48.820) und wie die Eheverfehlungen einander bedingten, welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten (EFSlg 46.235, 46.236 u.a.).
Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet, kann in der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß keinem der beiden Streitteile ein überwiegendes Verschulden angelastet werden kann, sondern die Ehe der Streitteile vielmehr daran scheiterte, daß einerseits die Beklagte dem trotz der Verzeihung ihres Ehebruchs fortbestehenden Mißtrauen des Klägers nicht entsprechend Rechnung trug, andererseits der Kläger nicht in der Lage war, auf das Verhalten der Beklagten maßvoll zu reagieren, so daß er letztlich nicht bereit war, eine - rechtzeitige - Entschuldigung der Beklagten zu akzeptieren, keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden. Es konnte daher keiner der Revisionen ein Erfolg beschieden sein. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 1, 45 ZPO.
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