OGH 9ObA207/87

OGH9ObA207/871.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Richard Bauer und Franz Erwin Niemitz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Agnes W***, Pensionistin, Wien 10.,

Favoritenstraße 141/1/16, vertreten durch Dr.Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Margareta W***, Inhaberin der prot. Firma Rudolf S*** Nfg. W*** & Co., Wien 11, Gänsbachergasse 2, vertreten durch Dr.Hans Pernkopf, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 182.079,68 brutto sA und S 494 netto sA, infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11.September 1987, GZ 34 Ra 68/87-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 17.Dezember 1986, GZ 3 Cr 196/84-17, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Den Rekursen wird dahin Folge gegeben, daß der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes aufgehoben und die Arbeitsrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht verwiesen wird.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin war bei der Beklagten seit 17.Februar 1971 beschäftigt. Zuletzt war sie in der Filiale der Beklagten in Wien 12., Kastanienallee, allein als Filialleiterin tätig. Am 10. Februar 1984 wurde sie entlassen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt sie S 182.079,68 brutto sA und S 494 netto sA. Ihre Entlassung sei überraschend und unbegründet erfolgt; soweit sie das Geschäftslokal vorzeitig verlassen habe, habe sie Zustellungen durchgeführt. Es habe keine Anordnung bestanden, die Geschäftszeit unbedingt einzuhalten; sie sei aus diesem Grunde auch nie verwarnt worden. Abgesehen davon habe sie schon bis 18.00 Uhr eine tägliche Arbeitszeit von 12 1/4 Stunden leisten müssen, wodurch die Beklagte gegen § 7 Abs. 1 AZG verstoßen habe. Ihr stehe an Kündigungsentschädigung, Abfertigung und Urlaubsentschädigung ein Betrag von S 165.296,33 brutto zu. Die Beklagte habe sie unter den Mindestsätzen des Kollektivvertrags entlohnt. Die Klägerin sei bereits seit September 1976 Filialleiterin gewesen. Auf ihr Dienstverhältnis seien der Rahmenkollektivvertrag für Angestellte der Industrie, die Zusatzkollektivverträge für die Angestellten der Nahrungs- und Genußmittelindustrie und der Zusatzkollektivvertrag für Filialleiter und Filialleiterinnen in der Fleischwarenindustrie anzuwenden. Unter Berücksichtigung der 53 pro Monat durchschnittlich geleisteten Überstunden hafte noch eine restliche Entgeltforderung für den Zeitraum von November 1981 bis 10.Februar 1984 in Höhe von S 16.810,35 brutto aus.

Obwohl es bei der Beklagten keinen Angestelltenbetriebsrat gebe, habe man von ihrem Entgelt monatlich S 26 an Betriebsratsumlage einbehalten. Sie verlange daher den Rückersatz der zu Unrecht abgezogenen Beträge für die Zeit von August 1981 bis Februar 1984 in Höhe von S 494 netto.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Die Entlassung der Klägerin sei zu Recht erfolgt. Der Beklagten sei zugetragen worden, daß die Klägerin die Filiale vorzeitig verlasse. Der Klägerin sei daraufhin am 25.Jänner 1984 ein Rundschreiben übermittelt worden, wonach die Filiale von Montag bis Freitag um

18.30 Uhr und am Samstag um 12.00 Uhr zu schließen sei. Eine nachfolgende Überprüfung habe aber ergeben, daß die Klägerin das Geschäftslokal am Dienstag, Donnerstag und Freitag schon wenige Minuten vor 18.00 Uhr geschlossen und dieses wenige Minuten nach 18.00 Uhr verlassen habe. Dennoch habe die Klägerin ihre Anwesenheit den Anordnungen entsprechend so gemeldet, daß die Entgeltabrechnung auch die nicht erbrachten Arbeitsleistungen umfaßt habe. Die Klägerin habe den angesprochenen Geldbetrag auch tatsächlich angenommen. Nach Bekanntwerden dieser Umstände sei eine Meldung an die Beklagte erstattet worden. Die Klägerin habe der Beklagten gegenüber ihre Verfehlungen am 10.Februar 1984 nicht bestritten. Wegen dieses vorsätzlichen, das Vertrauen grob mißachtenden Fehlverhaltens der Klägerin sei die Entlassung ausgesprochen worden. Eine Überprüfung der Abrechnungen habe ergeben, daß die Klägerin ihr wöchentliches Essensgeld nicht mit S 100 verrechnet habe, sondern zu Unrecht mit S 140. Der Überbezug von S 40 pro Woche werde für 48 Wochen im Betrag von S 1.920 compensando eingewendet. Der Klägerin stehe kein restlicher Entgeltanspruch zu, da in ständiger Übung allfällige kollektivvertragliche Erhöhungen durch "Spitzenausgleichszahlungen" anläßlich der Sonderzahlungen ausgeglichen worden seien. Ohne Berücksichtigung eines Übergenusses von mehreren 1.000 Schilling würde sich lediglich eine Differenz von S 758 zugunsten der Klägerin ergeben.

Die Betriebsratsumlage sei an den Betriebsratsfonds abgeführt worden. Der Arbeiterbetriebsrat habe tatsächlich auch die Angestellten vertreten und aus dem Fonds seien die Leistungen für alle Arbeitnehmer bestritten worden. Die Klägerin habe den Abzug der Betriebsratsumlage nie beanstandet. Ihr allfälliger Rückforderungsanspruch habe sich gegen den Betriebsratsfonds zu richten.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung als zu Recht und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und gab dem Klagebegehren statt. Es stellte im wesentlichen fest:

Die tägliche Arbeitszeit der Klägerin begann um 5.45 Uhr. Am Dienstag, Donnerstag und Freitag arbeitete sie jeweils bis 19.00 Uhr, am Mittwoch bis 10.00 Uhr und am Samstag bis 14.00 Uhr. An Freitagen führte die Klägerin innerhalb der Arbeitszeit Zustellungen durch, die bis nach 19.00 Uhr dauerten. Im übrigen hatte sie nach Geschäftsschluß ab 18.30 Uhr das Lokal in Ordnung zu bringen. An allen Montagen und den Dienstagen ab 10.00 Uhr wurde sie von einer anderen Arbeitnehmerin vertreten.

Der Filialinspektor der Beklagten, Edmund K***, erhielt im Jänner 1984 einen anonymen Telefonanruf, daß die Klägerin ihr Geschäftslokal vorzeitig verlasse. Er begab sich daher mehrmals zur Filiale der Klägerin, um sie zu beobachten. Dabei fand er das Geschäftslokal am 17.Jänner 1984 (Dienstag) um 18.20 Uhr und am 19. Jänner 1984 (Donnerstag) um 18.07 Uhr mit geschlossenen Rollbalken vor. Am 24.Jänner 1984 (Dienstag) beobachtete er, daß die Klägerin die Filiale um 18.02 Uhr verließ. K*** stellte die Klägerin weder zur Rede noch begab er sich in das Geschäftslokal, um die Anwesenheit der Klägerin zu kontrollieren. Er teilte seine Wahrnehmungen etwa am 24.Jänner 1984 der Beklagten mit. Am 25.Jänner 1984 verfaßte er ein Rundschreiben an alle Filialleiter, in dem er auf ihre Verpflichtung zur Eintragung der Öffnungs- und Arbeitszeiten in den sogenannten "Zeitscheinen" hinwies. Die Klägerin nahm dieses Rundschreiben mit ihrer Unterschrift zur Kenntnis.

Die Klägerin legte Anfang Februar ihre "Zeitscheine" vor, in denen sie ihre Arbeitszeit den Anordnungen entsprechend bis 19.00 Uhr eingetragen hatte. Die Beklagte nahm diese Aufzeichnungen in Kenntnis der von K*** erhaltenen Mitteilungen entgegen und ließ das Entgelt der Klägerin auf der Grundlage der angeführten Arbeitszeiten berechnen. Die Überweisung des Gehalts erfolgte am 8. Februar 1984. Am 9.Februar 1984 beauftragte die Beklagte den Filialinspektor K***, die Klägerin zu ihr zu rufen. Am 10. Februar 1984 hielt die Beklagte der Klägerin vor, daß sie den Arbeitsplatz vorzeitig verlassen habe und sprach die Entlassung aus. Aus der Gegenüberstellung der tatsächlich ausgezahlten Entgelte mit den kollektivvertraglichen Mindestlöhnen ergibt sich unter Berücksichtigung der geleisteten Überstunden für die Zeit von November 1981 bis Oktober 1982 ein Guthaben der Beklagten von S 2.657. Hingegen sind für die Zeit von November 1982 bis Dezember 1983 noch Entgeltforderungen der Klägerin in Höhe von insgesamt S 21.131 offen. Für den Zeitraum von Jänner 1984 bis 10. Februar 1984 haftet, da die Beklagte den Beweis einer Zahlung nicht erbracht habe, jedenfalls der von der Klägerin begehrte Betrag von S 1.791,69 unberichtigt aus.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Entlassung der Klägerin verspätet erfolgt sei. Der Filialinspektor K*** habe seine Wahrnehmungen über das beanstandete Verhalten der Klägerin der Beklagten spätestens am 24.Jänner 1984 mitgeteilt. Der letzte von K*** behauptete Vorfall habe sich angeblich am 4. Februar 1984 ereignet. Auch wenn die Beklagte die Berechtigung der Entlassung nicht auf das vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes durch die Klägerin und das unrichtige Ausfüllen der "Zeitscheine" stütze, sondern darauf, daß die Klägerin das ihr überwiesene Entgelt unbeanstandet angenommen habe, stehe der Rechtzeitigkeit der Entlassung die am 8.Februar 1984 erfolgte Überweisung entgegen. Die Beklagte habe die Überweisung selbst veranlaßt; die Klägerin hätte dies nicht verhindern können.

Abzüglich des Guthabens der Beklagten von S 2.657 ergebe sich mit Ende des Jahres 1983 bereits eine restliche Entgeltforderung von S 18.474. Zuzüglich der in den Feststellungen enthaltenen Forderung von S 1.791,69 sei dadurch jedenfalls die in der Klage begehrte Entgeltdifferenz gedeckt. Überdies habe die Klägerin Anspruch auf die mit S 81.426,33 richtig berechnete Kündigungsentschädigung, auf die Abfertigung in Höhe von 4 Monatsgehältern in Höhe von S 69.794 und auf die unbestritten gebliebene Urlaubsentschädigung von S 14.049. Da die Beklagte die Betriebsratsumlage zu Unrecht vom Entgelt abgezogen habe, sei sie zu deren Rückzahlung verpflichtet. Hinsichtlich des Zurechtbestehens der eingewendeten Gegenforderung habe die Beklagte keinerlei Beweise erbracht.

Das Berufungsgericht hob die angefochtene Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß das Verfahren hinsichtlich aller Ansprüche ergänzungsbedürftig geblieben sei. Bezüglich der Rechtzeitigkeit der Entlassung sei entscheidend, ab welchem Zeitpunkt es für die Beklagte klar gewesen sei, daß die Klägerin hinsichtlich der Entgeltberechnung falsche Angaben gemacht habe. Dazu fehle es an Feststellungen, wann die "Zeitscheine" bei der Beklagten eingelangt seien, welche Zeitspanne für eine Überprüfung der darin enthaltenen Angaben erforderlich gewesen und wann für die Beklagte die diesbezügliche Verfehlung klar und eindeutig zutage getreten sei. Erst auf Grund der näheren Umstände des Einzelfalles könne beurteilt werden, ob die Beklagte ihrer Verpflichtung, die Entlassung unverzüglich auszusprechen, nachgekommen sei.

Für die Berechtigung der Entlassung im Sinne des § 27 Z 1 AngG sei von Bedeutung, daß sich die Klägerin als Filialleiterin in gehobener Position befunden habe und daß wissentlich unwahre Angaben über die geleistete Arbeitszeit als grobe Verstöße gegen die Treuepflicht anzusehen seien. Es fehle dazu aber noch an Feststellungen, ob die Klägerin die Filiale eigenmächtig verlassen hätte dürfen, um etwa eine Stammkundin aufzusuchen. Es sei daher noch zu klären, welche dienstlichen Anweisungen die Klägerin bei Antritt ihrer Stelle als Filialleiterin erhalten habe. Hinsichtlich der restlichen Entgeltforderung sei strittig geblieben, welcher Kollektivvertrag auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sei. Es bedürfe dazu noch ergänzender Feststellungen über die Mitgliedschaft der Beklagten zu einer bestimmten Fachgruppe im Rahmen der Handelskammerorganisation.

Zum Zwecke der Ermittlung der Kündigungsentschädigung werde die Beklagte anzuleiten sein, bestimmte Einkünfte der Klägerin außerhalb des Zeitraumes des § 29 Abs. 2 AngG zu behaupten. Andererseits sei die Klägerin zu einem ergänzenden Vorbringen dahin zu verhalten, warum sie durch Jahre hindurch keinen Einwand gegen den Abzug der Betriebsratsumlage erhoben habe. Es sei auch noch zu klären, aus welchem Grunde der Klägerin irrtümlich ein Betrag von S 40 pro Woche ausgezahlt wurde und warum die Klägerin hinsichtlich des Empfanges dieser Leistung nicht als gutgläubig anzusehen sei. Im Hinblick auf die aufgezeigten Feststellungsmängel sei es nicht angezeigt, zum weiteren Vorbringen in der Berufung Stellung zu nehmen; eine Beweisergänzung gemäß § 496 Abs. 3 ZPO komme nicht in Betracht.

Geoen diesen Beschluß richten sich die als Revisionsrekurse bezeichneten Rekurse beider Parteien. Die Klägerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichtes. Die Beklagte stellt den Antrag auf Abänderung der Berufungsentscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens. Beide Parteien begehren hilfsweise, dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Die Beklagte beantragte in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind im Ergebnis berechtigt.

Den Rekursausführungen der Klägerin, die von dem Sachverhalt ausgehen, der vom Erstgericht festgestellt wurde, und der Beklagten, die einen Sachverhalt unterstellen, der bei "richtiger Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung" zugrundezulegen sei, ist entgegenzuhalten, daß sich das Berufungsgericht mit der in der Berufung der Beklagten erhobenen Tatsachen- und Beweisrüge nicht beschäftigte und daher der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen ist, ob sie überhaupt erstgerichtliche Feststellungen als unbedenklich übernommen hat. Mangels jeglicher Feststellungsgrundlage kann daher vom Obersten Gerichtshof weder eine Sachentscheidung im Sinne des § 519 Abs. 2, letzter Satz ZPO gefällt, noch zu allen im Verlaufe des zu ergänzenden Verfahrens hervorkommenden Eventualitäten Stellung genommen werden. Soweit das Berufungsgerich den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt noch nicht für genügend geklärt und ergänzungsbedürftig hält, kann den diesbezüglichen Erwägungen, welche auch die Lösung der Tatfrage betreffen, nicht entgegengetreten werden, da der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist.

Die in der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes ist im wesentlichen zutreffend. Richtig ist, daß eine Entlassung sofort nachdem der Entlassungsgruad dem Arbeitgeber bekannt geworden ist, sohin unverzüglich ausgesprochen werden muß, da ansonsten anzunehmen ist, daß dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest während der Kündigungsfrist nicht unzumutbar ist (vgl. dazu Kuderna, Das Entlassungsrecht 15 ff; Arb. 9.091, 9.606, 10.445; DRdA 1984/10 ua). Es trifft auch zu, daß es für die Rechtzeitigkeit der Entlassung der Klägerin nicht darauf ankommt, ob die Klägerin im Jänner 1984 mehrmals die Öffnungszeiten nicht einhielt, sondern wann die Beklagte von den allfälligen falschen Angaben der Klägerin in den auszufüllenden "Zeitscheinen" erfuhr, da derartige Manipulationen - wäre die Abweichung nicht bloß geringfügig geblieben oder aus anderen Gründen (Zustellungen) gerechtfertigt gewesen - auf Grund der Position der Klägerin als Filialleiterin einen Entlassungsgrund im Sinne des § 27 Z 1, dritter Tatbestand AngG bilden konnten (vgl. Kuderna, Das Entlassungsrecht 88 ff; Arb. 7.687, 7.909, 10.001, 10.072 ua). Wenn die Beklagte allerdings in Kenntis der vorgenommenen Manipulationen dennoch das Entgelt auf der Grundlage der unrichtigen Angaben ermitteln und der Klägerin überweisen ließ, kann dieser das Verhalten der Beklagten nicht als neuerliche Verfehlung angelastet werden. In diesem Fall wäre vielmehr eine sofortige Aufklärung des Sachverhalts durch die Beklagte geboten gewesen.

Hinsichtlich der entlassungsabhängigen Ansprüche hat das Berufungsgericht zutreffend auf die §§ 23 f AngG betreffend die Abfertigung sowie auf § 29 Abs. 2 AngG betreffend die Kündigungsentschädigung hingewiesen. Die Beweislast dafür, daß sich der Arbeitnehmer gewisse Beträge einrechnen lassen müsse, trifft den Arbeitgeber (Arb. 7.278 ua). Während die Beklagte in erster Instanz keine Einrechnungseinrede erhoben hatte, brachte sie in ihrer Berufung (zulässigerweise) neu vor, daß die Klägerin "während des Kündigungszeitraums" in die "Pension eingetreten" sei und Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der Altersversorgung erhalten habe. Auf dieses Vorbringen ist das Berufungsgericht bisher nicht eingegangen. Mangels näherer zeitlicher Konkretisierung dieses Vorbringens und entsprechender Feststellungen wäre auch eine abschließende Stellungnahme lediglich hypothetisch und verfrüht (vgl. im übrigen Martinek-Schwarz, AngG6 § 29 Erl. 13, S. 658). Entlassungsunabhängig ist hinsichtlich der begehrten Urlaubsentschädigung zu beachten, daß sich die pönalisierenden Elemente der Regelung des § 9 UrlG ausschließlich auf die Urlaubsansprüche des laufenden Jahres, die noch nicht verbraucht werden konnten, beziehen (Klein-Martinek, Urlaubsrecht 112; 9 Ob A 154/87).

Es trifft zwar zu, daß für die Kollektivvertragsunterworfenheit die im § 8 Z 1 ArbVG erwähnte Mitgliedschaft in der Form maßgebend ist, wie sie faktisch gehandhabt wird, also durch Zuordnung durch die Kammer zu einem bestimmten Fachverband oder einer Innung (Arb. 10.559), doch ist der Berufung entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht zu entnehmen, daß die Beklagte ihre Unterworfenheit unter die in der Klage genannten Kollektivverträge schlechthin bekämpft. Sie wendet sich vielmehr gegen die vom Erstgericht vorgenommenen Einstufungen und Umstufungen und macht geltend, daß der Rahmenkollektivvertrag für die Angestellten der Industrie nicht für Filialleiter gelte. Kollektivrechtliche Normen sind entgegen der Ansicht der Beklagten kein Beweismittel, sondern von Amts wegen zu ermitteln (§ 43 Abs. 3 ASGG). Allerdings erscheint es im vorliegenden Fall zweckmäßig, den Parteien Gelegenheit zur Erörterung der anzuwendenden Normen und der zu ihrer Ermittlung allenfalls erforderlichen Erhebungen zu geben (Kuderna, ASGG § 43 Erl. 7).

Zur Forderung auf Ersatz zu Unrecht abgezogener Betriebsratsumlagen brachte die Beklagte (zulässigerweise) neu vor, daß es sich dabei um eine Leistung der Klägerin an den Fonds des Betriebsrats gehandelt habe, die in Kenntnis des Nichtbestehens eines Angestelltenbetriebsrates durch Jahre hindurch zustimmend zur Kenntnis genommen worden sei, zumal sich die Klägerin auch Vorteile aus der gemeinsamen Kasse zugewendet habe. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes dazu sind ebenso zutreffend wie jene zur eingewendeten Gegenforderung.

Den Rekursen beider Parteien kommt sohin lediglich eine verfahrensrechtliche Bedeutung zu. Da das Datum der angefochtenen Entscheidung vor dem 1.Jänner 1987 liegt (17.Dezember 1986), sind für die Rechtsmittelzulässigkeit und die Anfechtungsgründe die bis 31. Dezember 1986 hiefür geltenden Vorschriften maßgebend. Auch Neuerungen sind daher ein Rechtsmittelgrund im weiteren Sinne des § 101 Abs. 2 ASGG; sie sind daher in der Berufung weiterhin zulässig (Kuderna ASGG § 101 Erl. 6). Andererseits hat das Berufungsgericht seit der Zivilverfahrens-Novelle 1983 die Verpflichtung, die Erneuerung oder Ergänzung des Verfahrens selbst vorzunehmen und selbst in der Sache zu erkennen, es sei denn, das ergänzende Verfahren vor dem Berufungsgericht würde im Vergleich zu einem erstgerichtlichen Ergänzungsverfahren einen erheblichen Mehraufwand an Kosten oder eine Verfahrensverzögerung bewirken (Fasching ZPR Rz 1817). Letzteres ist der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Aus diesen Gründen und auch im Hinblick auf § 39 Abs. 1, erster Halbsatz ASGG hat daher das Berufungsgericht die in erster Instanz gepflogene Verhandlung soweit erforderlich selbst zu ergänzen.

Die Kostenentscheidung ist im § 52 Abs. 1 ZPO begründet.

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