OGH 10ObS89/88

OGH10ObS89/8831.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka (AG) und Wilhelm Hackl (AN) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Waltrude D***, Bergstraße 3, 5760 Saalfelden, vertreten durch Dr. Peter Weidisch, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Berufungsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Jänner 1988, GZ 13 Rs 1137/87-54, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 5. Juni 1987, GZ 36 Cgs 36/87-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 25. Mai 1984 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab 1. Februar 1984 ab.

Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang die dagegen erhobene Klage ab. Es stellte fest, daß die am 25. Jänner 1938 geborene Klägerin nach dem Besuch von 4 Jahren Volksschule eine 1-jährige Haushaltsschule und dann ein 1-jähriges landwirtschaftliches Praktikum absolvierte. Danach war sie, immer wieder mit Unterbrechungen, bei verschiedenen Arbeitgebern von April 1955 bis Juni 1958 als Serviererin und Kellnerin, von Juli 1958 bis April 1960 als Stubenmädchen, Barhilfe, Hausgehilfin und wiederum als Serviererin tätig. Von Mitte April 1960 bis Anfang März 1962 arbeitete die Klägerin als Hilfsarbeiterin in einer Blechwarenfabrik, in einer Schuhfabrik und einer Druckerei. Vom 22. März bis 13. April 1962 betätigte sie sich als Büroangestellte und vom 1. April bis 15. April 1965 als Verkäuferin in einem Fotogeschäft, in der Folge (immer nur kurzfristig und mit Unterbrechungen) als Hilfsarbeiterin in einer Plüschtiererzeugung, als Näherin und Maschinstrickerin. Am 1. März 1967 nahm sie erstmals eine Tätigkeit als Handelsvertreterin auf. In dieser Funktion war sie dann bis August 1982 ausschließlich im Außendienst mit häufigen Unterbrechungen, während welcher sie Krankengeld, Arbeitslosenunterstützung bezog oder zu Hause war, und bei wechselnden Dienstgebern in verschiedenen Sparten, in der Elektro-, Versicherungs-, Büroartikel-, Waschmittel-, Möbel- insbesondere aber in der Textilien- und Wäschebranche tätig. Dazwischen arbeitete sie noch im Jahr 1969 4 Monate als kaufmännische Angestellte, 1974/75 8 Monate als Filialleiterin in einem Textilgeschäft und 1979/80 2 1/2 Monate als Kassiererin.

Bei der überwiegenden Tätigkeit der Klägerin im Außendienst in der Textilbranche mußte sie Kollektionen in 3 Koffern zu je 20 kg mit sich führen, Aufträge entgegennehmen und inkassieren. Über besondere Kenntnisse in Buchhaltung, Stenographie oder Maschinschreiben verfügt die Klägerin nicht.

Der Klägerin, die wegen ihrer Depression - eine Psychose liegt nicht vor - nur vermindert psychisch belastbar ist und die vorzeitig ermüdet, sind noch körperlich leicht- und mittelschwere Arbeiten von geistig eher einfacher Natur im Gehen, Sitzen und Stehen möglich, wobei ein gewisser Haltungswechsel erforderlich ist. Nach etwa einstündiger Arbeit in einer bestimmten Körperhaltung soll die Klägerin für 15 Minuten die Haltung wechseln können. Bei Arbeiten, die hohe Anforderungen an Tempo, Konzentrations- und Auffassungsvermögen stellen, sind über das physiologische Ausmaß hinausgehende Pausen nötig und zwar nach ein- bis eineinhalbstündigen Arbeiten mit solchen Anforderungen Ruhepausen von 20 Minuten. Rasche Reaktionsfähigkeit, Redegewandtheit, Kontaktfähigkeit und Kontaktfreudigkeit besitzt die Klägerin nicht. Es fehlt ihr die Fähigkeit zu spontanem, dynamischem, eigenständigem Handeln. Gegen die Befolgung einfacher Anordnungen von Mitarbeitern und Vorgesetzten bestehen keine Hindernisse. Insbesondere wenn es sich um ein neues Sachgebiet handelt, ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, Verkaufsgespräche zu führen und sich auf die Kunden und Kundenbetreuung einzustellen. Der Klägerin mögliche Berufstätigkeiten müssen mit von ihr bereits, wenn auch nicht durch Jahre, ausgeübten Beschäftigungen Ähnlichkeit aufweisen, das heißt, die Abwicklung der Tätigkeit muß der Klägerin vertraut sein. Die Umstellbarkeit auf Verrichtungen, die sie schon einmal gemacht hat, ist auch im derzeitigen, unbehandelten Zustand der Depression gegeben. Tragen und Heben von Lasten sind nur bis zu 5 kg, gelegentlich bis 10 kg Gewicht möglich. Arbeiten in vorgebeugter Haltung sind nicht möglich. Bückbelastungen sollen ein Drittel der Arbeitszeit nicht übersteigen. Arbeiten mit zurückgeneigtem Kopf sowie solche die ein Drehen des Kopfes über 45 Grad erforderlich machen, sind ebenso auszuschließen, wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß der Klägerin die zuletzt überwiegend ausgeübte Tätigkeit einer Handelsvertreterin wegen ihrer psychischen Beeinträchtigung und mangelnden Kontaktfähigkeit nicht mehr möglich sei. Zur Ermittlung des Verweisungsfeldes sei nicht allein die zuletzt ausgeübte Angestelltentätigkeit sondern auch eine entsprechende Arbeitertätigkeit ausschlaggebend, wenn ein Versicherter beides ausgeübt habe, insbesondere die zuletzt ausgeübte Angestelltentätigkeit keine besonderen Qualifikationen erfordert habe und mit der Verweisung kein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden sei. Nach dem Leistungskalkül kämen an Verweisungstätigkeiten für die Klägerin noch jene einer Bürohilfskraft, Bürobotin oder Geschirrabräumerin in Betracht, die Klägerin sei daher nicht berufsunfähig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und übernahm dessen Feststellungen. Die an eine Bürohilfskraft, Bürobotin oder Geschirrabräumerin gestellten Anforderungen seien der Klägerin durchaus zuzumuten. Eine Umstellung auf diese Berufe sei im Hinblick auf die von ihr bereits ausgeübten Tätigkeiten einer Büroangestellten, Verkäuferin und Serviererin durchaus zumutbar, weil die Klägerin nicht nur auf Angestelltenberufe sondern auch auf artverwandte Arbeitertätigkeiten in den von ihr früher ausgeübten Berufen verwiesen werden könne. Mit den erwähnten Verweisungstätigkeiten sei auch kein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt keine Berechtigung zu.

Hat ein Versicherter Versicherungsmonate in mehreren Zweigen der Pensionsversicherung erworben, so kommen für ihn gemäß § 245 Abs 1 ASVG die Leistungen des Zweiges der Pensionsversicherung in Betracht, dem er leistungszugehörig ist. Im vorliegenden Fall steht die Leistungszugehörigkeit zur P*** DER A*** unbestritten fest. Aus

dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ist aus der Pensionsversicherung der Angestellten die Berufsunfähigkeitspension zu leisten (§ 222 Abs 1 Z 2 lit. b ASVG). Die besonderen Leistungsvoraussetzungen für die Berufsunfähigkeitspension finden ihre Regelung im § 273 ASVG. Nur wenn im Hinblick auf die vom Versicherten tatsächlich ausgeübte Tätigkeit - weil dieser etwa ausschließlich Arbeitertätigkeiten verrichtet hätte diese auf Angestelltentätigkeiten abgestellten Bestimmungen unanwendbar wären, wäre die Frage zu erörtern, ob auf eine analoge Anwendung des § 255 ASVG zurückzugreifen ist (10 Ob S 113/87). Dies trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu, da die Klägerin in ihrem Berufsleben in den letzten 15 Jahren vor Antragstellung ausschließlich Angestelltentätigkeiten verrichtet hat, was letztlich auch zur Begründung der Leistungszuständigkeit der beklagten Partei führte. Die Frage, ob ein Pensionsanspruch wegen geminderter Arbeitsfähigkeit besteht, ist daher ausgehend von § 273 ASVG zu prüfen. Eine Verweisung auf die Tätigkeit einer Geschirrabräumerin, die eine Arbeitertätigkeit darstellt, ist daher nicht möglich. Die Klägerin kann jedoch die Tätigkeit einer Bürohilfskraft oder Bürobotin, deren Aufgabengebiet und körperliche sowie geistige Anforderungen das Erstgericht ausführlich dargelegt hat, auf Grund ihres medizinischen Leistungskalküls noch ausüben. Es ist auch allgemein bekannt, daß mit diesen Beschäftigungen keine besonderen Anforderungen an Tempo, Konzentration und Auffassungsvermögen verbunden sind. Es kann den Revisionsausführungen auch nicht beigepflichtet werden, daß solche Arbeiten der Klägerin nicht zumutbar wären. Während die Tätigkeit, die die Klägerin als Außendienstvertreterin ausgeübt hat - und die ihr nicht mehr zumutbar ist - in die Verwendungsgruppe II des Kollektivvertrages für Angestellte der Industrie einzustufen ist, fällt jene eines Büroboten und einer Büro(Kanzlei)Hilfskraft in die Verwendungsgruppe I. Es trifft auch nicht zu, daß mit diesen Verweisungstätigkeiten ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden wäre: Eine Angestelltentätigkeit in einem Büro, mag es sich dabei auch um untergeordnete Agenden ohne besondere Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit handeln, wird auch in den Augen der Bevölkerung sozial keineswegs geringer bewertet als jene eines einfachen Vertreters im Außendienst, der mit Musterkoffern reist. Da es für die Klägerin daher noch geeignete Verweisungsberufe gibt, sind die Voraussetzungen des § 273 ASVG für die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension nicht erfüllt, die Vorinstanzen haben das Klagebegehren daher zu Recht abgewiesen.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit. b ASGG.

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