Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Parteien haben ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die zwischen dem bei der beklagten Partei versichert gewesenen Otto P*** und der Klägerin vor dem Standesamt Wien-Währing am 17. Dezember 1970 geschlossene Ehe wurde mit seit 9. September 1983 rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 2. September 1983 wegen alleinigen Verschuldens des beklagten Ehemannes nach § 49 EheG geschieden. Am 17. Jänner 1984 schlossen die geschiedenen Ehegatten vor dem Bezirksgericht Mistelbach zu F 7/83 einen Vergleich, in dem sich Otto P*** verpflichtete, binnen acht Tagen an die nunmehrige Klägerin zu Handen ihres damaligen Vertreters 30.000 S netto zu zahlen. Mit diesem Betrag wurden sämtliche Unterhaltsleistungen für die nunmehrige Klägerin und die drei Kinder der geschiedenen Ehegatten bis Ende Jänner 1984 verglichen. Otto P*** starb am 6. Juli 1986.
Mit Bescheid vom 26. September 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 22. Juli 1986 auf Witwenpension unter Berufung auf § 136 Abs 4 GSVG mit der Begründung ab, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes seiner geschiedenen Ehegattin weder aufgrund eines gerichtlichen Urteiles, noch eines gerichtlichen Vergleiches, noch einer vor Auflösung der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) zu leisten gehabt habe.
Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf eine Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß ab dem Todestag des Versicherten gerichtete Klage stützte sich darauf, daß § 136 Abs 4 GSVG dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche. Gäbe es die nach Ansicht der Klägerin verfassungswidrige Beschränkung auf titulierte Unterhaltsansprüche nicht, dann würde ihr eine Witwenpension zustehen, weil sie gegen ihren geschiedenen Mann einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gehabt und auch wiederholt - wenn auch ergebnislos - durchzusetzen versucht habe.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies die Klage ab.
Es stellte im wesentlichen fest, daß der geschiedene Ehemann der Klägerin dieser zur Zeit seines Todes weder aufgrund eines gerichtlichen Urteiles, noch eines gerichtlichen Vergleiches, noch einer vor Auflösung der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung Unterhalt zu leisten hatte. Deshalb gebühre der Klägerin nach § 136 Abs 4 GSVG keine Witwenpension. Dagegen erhob die Klägerin Berufung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, die sie in der schon in der Klage behaupteten teilweisen Verfassungswidrigkeit der mehrfach zitierten Bestimmung erblickte, weshalb sie einen diesbezüglichen Gesetzesprüfungsantrag nach Art. 140 B-VG anregte.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Es hatte keine Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit des § 136 Abs 4 GSVG und sah sich daher auch zu dem angeregten Gesetzesprüfungsantrag nicht veranlaßt.
In ihrer Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) regt die Klägerin neuerlich einen Gesetzesprüfungsantrag an und beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben. Sie stützt ihr Rechtsmittel ausschließlich auf die angebliche teilweise Verfassungswidrigkeit der mehrfach zitierten Bestimmung. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben und führt aus, warum sie § 136 Abs 4 GSVG für verfassungskonform hält.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der erkennende Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 22.März 1988, 10 Ob S 158/87, eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob der mit § 136 Abs 4 GSVG wortidente § 258 Abs 4 ASVG verfassungskonform ist und hat diese Frage aus folgenden Erwägungen bejaht:
Trotz des Gleichheitsgrundsatzes, dessen Verletzung hier allein für eine Verfassungswidrigkeit maßgebend sein könnte, kommt dem einfachen Gesetzgeber eine - freilich nicht
unbegrenzte - rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu. Rechtspolitische Erwägungen des Gesetzgebers unterliegen - außer im Fall eines Exzesses - nicht der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes und sind insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgebot ableitbaren Maßstäben zu messen. Innerhalb dieser Grenze ist die Rechtskontrolle nicht zu einem Urteil in Angelegenheiten der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9583 mwN). Der Gleichheitsgrundsatz verbietet dem Gesetzgeber ferner zwar, Differenzierungen zu schaffen, die sachlich nicht begründbar sind; sachlich begründbare - also nicht sachfremde - Differenzierungen vorzunehmen, ist dem Gesetzgeber hingegen durch das Gleichheitsgebot nicht verwehrt (VfSlg 6884 mwN). Eine unterschiedliche Regelung, die aus entsprechenden Unterschieden im Tatsachenbereich gerechtfertigt werden kann, ist daher nicht gleichheitswidrig (vgl. VfSlg 7400 mwN). Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich, daß schon die Tatsache der Scheidung eine unterschiedliche Behandlung des geschiedenen Ehegatten rechtfertigt. Es ist rechtspolitisch sicherlich vertretbar, einen Ehegatten, der mit dem Versicherten bis zu seinem Tod in aufrechter Ehe lebt und bei dem auch nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts noch weiter die Verpflichtung zur Treue (vgl. § 90 ABGB) und damit im allgemeinen eine engere Bindung als nach der Scheidung besteht, beim Anspruch auf Witwen-(Witwer-)pension anders und damit auch besser als den geschiedenen Ehegatten zu behandeln. Insbesondere können familienpolitische Erwägungen eine Besserstellung gegenüber dem mit dem Versicherten in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten rechtfertigen. Ein Verstoß gegen das "Exzeßverbot", der etwa vorläge, wenn eine gesetzliche Regelung der Verletzung eines anderen Grundrechtes gleichkäme (VfSlg 9583), kann darin nicht erblickt werden.
Die Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten sind nicht dieselben wie die des Ehegatten, der mit dem anderen in aufrechter Ehe, wenn auch getrennt lebt. Dies gilt jedenfalls für den Unterhaltsanspruch nach § 66 EheG, weil er nur insoweit besteht, als dem Ehegatten nicht eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann. Sieht man vom Fall des Rechtsmißbrauchs ab, kann hingegen von dem in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten auch nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts eine Erwerbstätigkeit ungeachtet der Zumutbarkeit dann nicht verlangt werden, wenn dies der bisherigen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft widerspricht (vgl § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB sowie EFSlg 35.170 und 39.967). Ähnliches gilt für den dem geschiedenen Ehegatten aufgrund des § 69 Abs 2 EheG zustehenden Unterhalts, mag dieser auch auf demselben Rechtsgrund wie der während der Ehe gebührende beruhen (SZ 52/182; EFSlg 34.094/3 ua). Dennoch kann aber gemäß § 69 Abs 2 letzter Satz EheG eine - während aufrechter Ehe nicht
erlaubte - Wiederverehelichung unter Umständen zu einer Änderung des Unterhaltsanspruchs führen. Die aufgezeigten Unterschiede des Unterhaltsanspruchs während aufrechter Ehe und nach deren Auflösung bedeuten, daß ein nicht schon durch gerichtliches Urteil, gerichtlichen Vergleich oder vertragliche Vereinbarung festgestellter Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten oft schwerer als der eines in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten festzustellen ist. Auch das Ziel, eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu schaffen, bildet aber einen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Regelung (VfSlg 8827 ua), sofern nicht anderen Überlegungen größeres Gewicht beizumessen ist (VfSlg 9524). Dies trifft hier aber nicht zu. Daß der Gesetzgeber im Ausgleichszulagenrecht die - im übrigen meist
einfache - Feststellung des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen verlangt (vgl § 294 Abs 1 ASVG), hat auf die Sachlichkeit der hier zu prüfenden gesetzlichen Bestimmung keinen Einfluß.
Schließlich muß auch das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel (vgl EBzRV des ASVG 599 BlgNR 7. GP 86 f), durch die strittige Regelung eine spekulative Ausnützung der Einrichtung der Witwen- und (nunmehr auch der Witwer-)pension auszuschließen, als sachlicher Grund für die differenzierte Behandlung der Witwen-(Witwer-)pension des in aufrechter Ehe lebenden und des geschiedenen Ehegatten angesehen werden. Daß dies nicht in allen Fällen erreicht werden kann, macht die Differenzierung ebensowenig wie das Auftreten von Härtefällen sachlich unbegründet (zum letzten Punkt VfSlg 8871 mwN). Im übrigen kann der Anspruch auf eine urteilsmäßige Verpflichtung zur Unterhaltsleistung unabhängig von einer Unterhaltsverletzung allein darin begründet sein, daß der Unterhaltsberechtigte einen öffentlich-rechtlichen Versorgungsanspruch nach dem Unterhaltspflichtigen geltend machen könnte (SZ 54/6). Daß es der Klägerin hier allenfalls nicht möglich war, ein Urteil über die Unterhaltspflicht des Versicherten zu erlangen, ändert an der Verfassungsmäßigkeit der strittigen Bestimmung nichts, weil bei der Prüfung der Frage der Verfassungsmäßigkeit von einer durchschnittlichen Betrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen ist (VfSlg 8871 mwN).
Diese auch für den im vorliegenden Fall anzuwendenden § 136 Abs 4 GSVG geltenden Erwägungen lassen diese Bestimmung verfassungsrechtlich nicht bedenklich erscheinen.
In diesem Zusammenhang sei auch noch auf die von der beklagten Partei in der Revisionsbeantwortung gezogenen, dem erkennenden Senat zutreffend erscheinenden Schlüsse aus den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 1979, G 115/78, VfSlg 8.600 und vom 26. Juni 1984, G 102/84, VfSlg 10.077 verwiesen, die den den Versorgungsgenuß des geschiedenen Ehegatten eines Beamten regelnden § 19 PG betreffen.
Der erkennende Senat sieht sich daher nicht veranlaßt, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Prüfung der Verfassungswidrigkeit des § 136 Abs 4 GSVG nach Art. 140 B-VG zu stellen.
Daß der festgestellte Sachverhalt nach § 136 Abs 4 GSVG rechtlich richtig beurteilt wurde, wird von der Revisionswerberin nicht bestritten.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 ASGG, und zwar hinsichtlich der Kosten der Klägerin auf Z 2 lit b, hinsichtlich der Kosten der beklagten Partei auf Z 1 der zitierten Gesetzesstelle.
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