Spruch:
1.) Die beim Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht eingebrachte Revision wird verworfen.
2.) Der beim Kreisgericht Wels als Arbeits- und Sozialgericht eingebrachten Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 17.September 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 29.August 1986 auf Wiedergewährung der Waisenrente über das 18.Lebensjahr hinaus unter Berufung auf § 218 iVm § 252 ASVG ab, weil die Klägerin seit der Beendigung ihrer Schulausbildung als Damenkleidermacherin (1.Juli 1982) selbsterhaltungsfähig sei und es sich bei der neuerlichen Ausbildung im Leonhard-Kaiser-Seminar um keine Schul- oder Berufsausbildung im Sinne des § 252 Abs 2 ASVG handle.
Die auf die abgelehnte Leistung ab Beginn der erwähnten Schulausbildung (27.September 1986) gerichtete Klage stützte sich darauf, daß diese dreijährige Ausbildung die Voraussetzung für eine Verwendung als Religionslehrerin, Gemeindeschwester oder Gemeindediakon und auch für eine entsprechende Jugendarbeit in der evangelischen Kirche bilde. Voraussetzung für die Aufnahme in diese Schule seien die Vollendung des 18.Lebensjahres, eine abgeschlossene Berufsausbildung und eine mehrjährige Bewährung in diesem Beruf. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage aus der Begründung ihres Bescheides und verwies noch darauf, daß die erwähnte Schule kein Öffentlichkeitsrecht habe und daß die neuerliche Ausbildung mit der abgeschlossenen Berufsausbildung als Kleidermacherin nicht zusammenhänge.
Das Schiedsgericht der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz wies die Klage im ersten Rechtsgang ab.
Es stellte fest, daß die am 21.März 1963 geborene Klägerin im Sommer 1982 die Lehrabschlußprüfung an der Fachschule für Damenkleidermacher und wirtschaftliche Frauenberufe in Wels abgelegt, den erlernten Beruf jedoch nie ausgeübt hat. Sie arbeitete vielmehr etwa vier Jahre als kaufmännische Angestellte in einer Buchhandlung für christliche Literatur. Seit 27.September 1986 besucht sie das Leonhard-Kaiser-Seminar, Evangelische Gemeinde(mit)arbeiterschule in Linz. Dabei handelt es sich um eine kirchenamtlich anerkannte evangelische Gemeinde(mit)arbeiterschule, die zu Anstellungsverhältnissen im Bereich der Evangelischen Kirche AB und HB und zur aushilfsweisen Erteilung des evangelischen Religionsunterrichtes an Pflichtschulen befähigt. Zu den Voraussetzungen für den Seminarbesuch gehört für alle Nichtmaturanten eine abgeschlossene Berufsausbildung. Während der Zeit der Seminarausbildung hat der Schüler das Schulgeld und eigenen Unterhalt selbst zu tragen. Die Klägerin erhält keine Unterstützung. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil im ersten Rechtsgang unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache an das durch das ASGG zuständig gewordene Kreisgericht Wels als Arbeits- und Sozialgericht zur Verhandlung und Entscheidung. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die durch die schon abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung eingetretene Selbsterhaltungsfähigkeit für die Frage der verlängerten Kindeseigenschaft unerheblich sei. Im zweiten Rechtsgang werde daher zu prüfen sein, ob die neue Schul- oder Berufsausbildung die Arbeitskraft der Klägerin überwiegend beanspruche.
Im zweiten Rechtsgang erkannte das Erstgericht das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend und trug der beklagten Partei auf, der Klägerin bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von monatlich 1.500 S zu erbringen, und zwar die bisher fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen die weiteren bis zum 5. eines jeden Monats im vorhinein.
Zusätzlich zu den schon wiedergegebenen Feststellungen stellte es fest, daß die Ausbildung im Leonhard-KaiserSeminar sechs Semester dauert. Während des vom 27.September 1986 bis 20.März 1987 dauernden ersten Semesters wurden von Montag bis Freitag durchschnittlich 25 Unterrichtsstunden erteilt. Während des vom 20.März bis 23. August 1987 dauernden zweiten Semesters absolvierte die Klägerin ein vorgeschriebenes Praktikum bei der evangelischen Gemeinde in Scharten. Dabei arbeitete sie sechs Tage pro Woche und kam auf eine durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von sechs Stunden. Während des Praktikums bezog sie neben der freien Kost ein monatliches Taschengeld von 400 S. Das dritte Semester begann am 12. September 1987. Bis zum sechsten Semester wird das Seminar in Unterrichtsform ohne weiteres Praktikum geführt. Dabei werden wieder durchschnittlich 25 Unterrichtsstunden pro Woche erteilt. Darüber hinaus sind Haus- und Projektarbeiten durchzuführen, für die täglich durchschnittlich drei weitere Stunden aufgewendet werden müssen. Die Klägerin bezieht seit 1.Oktober 1986 von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eine Waisenpension von monatlich 1.250 S und hat keine weiteren Einkünfte, weil sie keine weitere Erwerbstätigkeit ausübt. Das Schulgeld beträgt pro Semester 5.000 S, für die Unterkunft sind monatlich 800 S zu bezahlen. Unter diesen Umständen nahm das Erstgericht das Weiterbestehen der Kindeseigenschaft der Klägerin an, weil sich diese in einer Schul- bzw Berufsausbildung befinde, die ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruche.
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Dagegen erhob die beklagte Partei zwei inhaltlich gleichlautende Revisionen, von denen sie eine am 2.März 1988, dem letzten Tag der Rechtsmittelfrist, an das Erstgericht, die andere am 1.März 1988 an das Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht zur Post gab, wo sie am 2.März 1988 einlangte und am 3.März 1988 dem Erstgericht weitergeleitet wurde, dort aber erst am 4.März 1988, also nach Ablauf der Rechtsmittelfrist einlangte.
Die beim Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht eingebrachte Revision ist daher verspätet und war deshalb zu verwerfen.
Die rechtzeitig an das zuständige Erstgericht zur Post gegebene, nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Voraussetzungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision, die von der Klägerin nicht beantwortet wurde, ist nicht berechtigt.
Nach § 218 Abs 1 ASVG gebührt den Kindern im Sinne des § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 und Abs 2 des Versicherten, dessen Tod durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursacht wurde, eine Waisenpension, die nach Vollendung des 18.Lebensjahres nur auf besonderen Antrag gewährt wird.
Unbestritten ist, daß es sich bei der Klägerin um das eheliche Kind eines durch einen Arbeitsunfall getöteten Versicherten der beklagten Partei handelt. Nach dem hier noch in der Fassung vor dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 1988 BGBl 1987/609 anzuwendenden § 252 Abs 2 Z 1 ASVG besteht die Kindeseigenschaft auch nach der Vollendung des 18.Lebensjahres, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres.
Nach der Urfassung des § 252 Abs 1 ASVG war als Kind auch über die Vollendung des 18.Lebensjahres hinaus anzusehen, wer wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung sich noch nicht selbst erhalten konnte, bis zur ordnungsgemäßen Beendigung der Ausbildung, jedoch längstens bis zur Vollendung des 24.Lebensjahres.
Nach der geltenden Fassung dieser Gesetzesstelle kommt es für das Bestehen der Kindeseigenschaft auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres nur darauf an, ob sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht. Wenn und solange diese Voraussetzung zutrifft, besteht die Kindeseigenschaft bis zur im § 252 Abs 2 Z 1 festgesetzten Altersgrenze weiter (6.Oktober 1987 10 Ob S 87/87). Ob das Kind vor der Schul- oder Berufsausbildung bereits in einer anderen Schul- oder Berufsausbildung oder im Erwerbsleben stand, ist daher unerheblich (vgl MGA ASVG 45. ErgLfg Anm 17 zum gleichartigen § 123 Abs 4).
Bei der Evangelischen Gemeindemitarbeiterschule Leonhard-Kaiser-Seminar handelt es sich um eine von der Evangelischen Kirche AB und HB in Oberösterreich als Gemeindemitarbeiterschule anerkannte und vom Landesschulrat für Oberösterreich als zuständiger Schulbehörde nicht untersagte Privatschule im Sinne des BG 25.Juli 1962 BGBl 244 über das Privatschulwesen in der geltenden Fassung. Diese Schule ist der Evangelischen Frauenschule für kirchlichen und sozialen Dienst in Wien ähnlich.
Schulen im Sinne des zitierten Bundesgesetzes sind nach dessen § 2 Abs 1 Einrichtungen, in denen eine Mehrzahl von Schülern gemeinsam nach einem festen Lehrplan unterrichtet wird, wenn im Zusammenhang mit der Vermittlung von allgemeinbildenden oder berufsbildenden Kenntnissen und Fertigkeiten ein erzieherisches Ziel angestrebt wird. Nach Abs 2 der zitierten Gesetzesstelle ist ein erzieherisches Ziel gegeben, wenn außer den mit der Erwerbung von Kenntnissen und Fertigkeiten an sich verbundenen Erziehungszielen die Festigung der charakterlichen Anlagen der Schüler in sittlicher Hinsicht bezweckt wird. Privatschulen sind nach Abs 3 leg cit Schulen, die von anderen als den gesetzlichen Schulerhaltern errichtet und erhalten werden.
Die Klägerin befindet sich daher seit 27.September 1986 in einer ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schulausbildung im Sinne des § 525 Abs 2 Z 1 ASVG, die nicht auf eine Ausbildung an öffentlichen Schulen oder Privatschulen, denen das Öffentlichkeitsrecht verliehen wurde, beschränkt ist. Selbst wenn die Ausbildung der Klägerin im LeonhardKaiser-Seminar keine Schulausbildung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle wäre, müßte sie als Berufsausbildung gewertet werden, weil sie auf die Berufe einer evangelischen Gemeindemitarbeiterin, insbesondere einer Jugendwartin, einer Gemeindeschwester, aber auch für den Beruf einer evangelischen Religionslehrerin an Pflichtschulen und damit - entgegen der Meinung der Revisionswerberin - nicht nur auf unentgeltlich übernommene innerkirchliche Aufgaben vorbereitet. Bei Gemeindemitarbeitern handelt es sich um von den evangelischen Kirchengemeinden angestellte Personen; Religionslehrerinnen werden auch von einer Gebietskörperschaft angestellt.
Darauf, ob der Besuch des genannten Seminars eine unabdingbare Voraussetzung zur Erlangung solcher Anstellungen ist, kommt es entgegen der Meinung der Revisionswerberin nicht an. Die Kindeseigenschaft der Klägerin besteht daher auch nach der Vollendung des 18.Lebensjahres solange, wie sie sich in der genannten, ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruchten Schulausbildung befindet, längstens bis zum Ablauf des im § 252 Abs. 2 Z 1 ASVG bezeichneten Zeitraumes.
Der rechtzeitigen Revision war daher nicht Folge zu geben.
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