Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es lautet:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab dem 1. August 1986 in Höhe von monatlich S 13.230,20 zu bezahlen".
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 22. Oktober 1986 stellte die beklagte Partei fest, daß dem Kläger gemäß § 194 GSVG ab 1. September 1986 eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer von monatlich S 13.307,20 gebührt.
In seiner dagegen erhobenen Klage brachte der Kläger vor, er sei als persönlich haftender Gesellschafter der Erich N*** KG auf Grund eines mündlichen Gesellschafterbeschlusses bereits zum 31. Mai 1986 ausgeschieden und als Kommanditist eingetreten. Aus persönlichen und geschäftlichen Gründen sei die Eingabe an das Handelsgericht erst mit Schriftsatz vom 1. August 1986 erfolgt. Die besondere Anspruchsvoraussetzung des § 130 Abs. 2 GSVG sei bereits am 31. Mai 1986 als erfüllt anzusehen. Mit Rücksicht auf den erst am 7. Juli 1986 gestellten Pensionsantrag begehre er, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, die vorzeitige Alterspension zumindest ab 1. August 1986 zu gewähren.
Die beklagte Partei wandte ein, der Kläger habe noch in dem am 7. Juli 1986 gestellten Pensionsantrag angegeben, noch immer persönlich haftender Gesellschafter der Erich N*** KG zu sein. Die Eintragung seines Ausscheidens als Komplementär dieser Firma sei beim Landes- als Handelsgericht Graz erst am 13. August 1986 beantragt worden. Die Pflichtversicherung nach § 7 Abs. 1 lit.2 GSVG habe daher erst am 31. August 1986 geendet. Ein schon angeblich im Mai 1986 zustande gekommener Gesellschafterbeschluß lasse sich aus dem Pensionsakt nicht verifizieren, so daß die vorzeitige Alterspension erst ab 1. September 1986 gebühre.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer bereits ab 1. August 1986 in Höhe von S 13.281,60 (monatlich) zu bezahlen. Es stellte im wesentlichen fest, daß die an der Erich N*** KG Beteiligten, der Kläger und seine Ehefrau als Komplementäre und deren gemeinsame Tochter als Kommanditistin bereits im Mai 1986 übereingekommen seien, daß der Kläger zum 31. Mai 1986 als persönlich haftender Gesellschafter aus dem Unternehmen ausscheiden und in dieses als Kommanditist eintreten werde. Zu diesem Zeitpunkt sei daher die besondere Anspruchsvoraussetzung des § 130 Abs. 2 GSVG bereits erfüllt gewesen. Im Hinblick auf die Antragstellung vom 7. Juli 1986 sei als Stichtag der 1. August 1986 anzusehen. Dies habe aber zur Folge, daß der Kläger zu diesem Stichtag nicht insgesamt 423, sondern nur 422 Versicherungsmonate aufweise und damit nicht der der Pensionsbemessung zugrundegelegte Steigerungsbetrag von 64,875 % sondern nur ein solcher von 64,75 % zur Anwendung komme. Die Pensionshöhe betrage daher ab 1. August 1986 entgegen der im Bescheid zuerkannten Höhe (nur) S 13.281,60.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei mit dem Antrag, die von ihr ab 1. August 1986 zu zahlende Pension auf monatlich S 13.230,20 herabzusetzen, keine Folge. Es sei zwar richtig, daß nach § 27 Abs. 3 GSVG die Beitragspflicht zur Pensionsversicherung spätestens mit dem letzten Tag des Kalendermonates, in dem die Anspruchsvoraussetzung des § 130 Abs. 2 GSVG erfüllt sei (also hier am 31. Mai 1986) endete, werde aber vom Kläger in der Klage eine höhrere Leistung, oder wie hier eine Leistung zu einem früheren Zeitpunkt begehrt, als im Bescheid zuerkannt worden sei, dann dürfe das Gericht dem Kläger keine schlechtere Leistung als im Bescheid zusprechen. Wenn auch im Bereich der sukzessiven Kompetenz das Verbot der reformatio in peius nicht gelte, so habe doch der durch die Klageerhebung zur Gänze außer Kraft getretene Bescheid die Wirkung eines dem Versicherten gegenüber abgegebenen und von diesem insoweit angenommenen Anerkenntnisses des Versicherungsträgers, das diesem die rechtswirksame Bestreitung des von ihm im Bescheid zuerkannten Anspruches im Prozeß verwehre. Das Gericht müsse daher dem Kläger zumindest die im Bescheid zuerkannte Leistung zusprechen. Weil die Verminderung der bescheidmäßig zuerkannten Alterspension durch das Erstgericht vom Kläger nicht bekämpft worden und insoweit Rechtskraft eingetreten sei, habe es beim Ersturteil zu bleiben. Einer weiteren Herabsetzung der zuerkannten Alterspension auf monatlich S 13.230,20, wie von der beklagten Partei begehrt, sei aber die Grundlage entzogen.
In ihrer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision bekämpft die beklagte Partei diese Rechtsansicht des Berufungsgerichtes und beantragt, das angefochtenen Urteil dahin abzuändern, daß sie schuldig erkannt werde, dem Kläger die vorzeitige Alterspension bereits ab 1. August 1986 (aber nur) in der Höhe von S 13.230,20 zu bezahlen.
Der Kläger hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revision kommt Berechtigung zu.
Der erkennende Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 8. September 1987, 10 Ob S 26/87 ausführlich damit auseinandergesetzt, inwieweit der Bescheid des Versicherungsträgers durch die rechtzeitige Einbringung der Klage außer Kraft tritt (§ 71 Abs. 1 ASGG, früher § 384 Abs. 1 ASVG). Danach ist das Ausmaß in dem der Bescheid außer Kraft tritt ("im Umfang des Klagebegehrens") verhältnismäßig weit anzunehmen. Bei Erhebung einer Klage wird nur jener Teil des Bescheides rechtskräftig, der sich inhaltlich vom angefochtenen Teil trennen läßt. Nur dadurch wird die nach der Verfassung gebotene Trennung von Verwaltung und Justiz eindeutig gewährleistet. Wurden in dem mit der Klage bekämpften Bescheid Leistungen gewährt, so ergibt sich die Richtigkeit dieser Auffassung überdies aus § 71 Abs. 2 und § 72 Z 2 lit.c ASGG (früher § 384 Abs. 2 und 385 Abs. 1 ASVG), weil es überflüssig wäre, den Versicherungsträger zu verpflichten, dem Kläger die im Bescheid zuerkannte Leistung weiterzugewähren und sie im Falle der Zurücknahme der Klage neu festzustellen, wenn der Bescheid nicht auch insoweit seine Wirksamkeit verloren hätte. Soweit der Inhalt des Bescheides eine Einheit bildet, wird er demnach vom Klagebegehren umfaßt und tritt daher außer Kraft, weil dies dem Umfang des Klagebegehrens entspricht. Die Bindungswirkung eines Bescheides geht auch nicht über den Zeitraum hinaus, für den darin der Anspruch zuerkannt wurde (10 Ob S 2/87). Der mit der Klage bekämpfte Bescheid tritt auch dann außer Kraft, wenn in der Klage eine Leistung von einem früheren als dem im Bescheid zuerkannten Zeitpunkt an begehrt wurde, weil sich dadurch unter Umständen auch die dem Bescheid zugrundegelegte Gesamtanzahl der Versicherungsmonate geändert haben kann.
Im vorliegenden Fall ist daher davon auszugehen, daß der Bescheid durch die Klageerhebung zur Gänze außer Kraft getreten ist. Aus dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz ergibt sich aber, daß die Gerichte in den an sie herangetragenen Leistungsstreitsachen nicht etwa die Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens zu überprüfen, sondern den gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalt von Grund auf neu ohne jede Bindung an das vorangegangene Verwaltungsverfahren festzustellen und zu beurteilen haben und dabei durchaus zu divergierenden Ergebnissen gelangen können. Auch ein Ausschluß der reformatio in peius ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dies gesteht auch das Berufungsgericht zu, meint jedoch unter Berufung auf Kuderna, ASGG S. 382, 383, daß dann, wenn in der Klage eine höhere Leistung oder, wie hier, eine Leistung zu einem früheren Zeitpunkt begehrt wird, als im Bescheid zuerkannt wurde, das Gericht dem Kläger nicht eine schlechtere Leistung als im Bescheid zusprechen dürfe. Diese Meinung vermag der erkennende Senat nicht zu teilen. Hat das Sozialgericht den Sachverhalt zur Gänze neu zu prüfen, so muß das Ergebnis für beide am Leistungsstreit beteiligten Parteien in gleicher Weise gelten. Das Gesetz gibt keine, dem System der sukzessiven Kompetenz zuwiderlaufende Handhabe für eine etwaige Bindung des Gerichtes nur zugunsten des Versicherten (vgl. auch MGA ASVG Anm. 1 a zu § 384, 38. ErgLfg; Fasching in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechtes, 728/22). Aus der Tatsache allein, daß nach § 71 Abs. 2 ASGG der Versicherungsträger nach Einbringung einer Klage nach § 65 Abs 1 Z 1, 6 oder 8 dem Kläger diejenige Leistung, die Gegenstand der Klage ist, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens vorläufig insoweit weiterzugewähren hat, als dies dem außer Kraft getretenen Bescheid entspricht, kann noch nicht abgeleitet werden, daß danach, also durch die rechtskräftige Entscheidung diese Leistung nicht geringer sein könnte. Denn durch die Einbringung der Klage tritt der Bescheid außer Kraft. Dies hätte aber mangels einer anderen Regelung zur Folge, daß der Versicherungsträger während der Dauer des Leistungsstreitverfahrens nicht verpflichtet wäre, irgendeine Leistung zu erbringen. Im Interesse des Schutzes des in vielen Fällen mittellosen Versicherten war es daher notwendig, eine solche vorläufige Leistung anzuordnen. Dies bedeutet aber nur, daß dem Kläger ein auf die Dauer des gerichtlichen Verfahrens begrenzter materiellrechtlicher Leistungsanspruch zusteht (vgl. Kuderna ASGG 384) nicht aber, daß dieser nach rechtskräftiger Beendigung des Rechtsstreites in gleicher Höhe ohne die Möglichkeit einer Verminderung durch das Gericht vom Versicherungsträger weiterzubezahlen wäre. Eine solche Auslegung verbietet sich schon aus der Formulierung, daß die bescheidmäßig zuerkannte Leistung nur "vorläufig" weiterzugewähren ist. Daß eine Rückzahlungsverpflichtung des Versicherungsnehmers einer solchen vorläufig zu zahlenden Leistung nicht vorgesehen ist, vermag daran nichts zu ändern. Auch dies erklärt sich aus dem sozialen (den Unterhalt sicherstellenden) Charakter der Sozialversicherungsleistungen. Auch dann, wenn ein Gericht gemäß § 89 Abs 2 ASGG ein dem Grunde und der Höhe nach bestrittenes Klagebegehren nur dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkennt und dem Versicherungsträger eine nach § 273 ZPO festgesetzte vorläufige Leistung aufträgt, ist der Kläger, wenn die tatsächlich zustehende Leistung in der Folge rechtskräftig in einer geringeren Höhe festgesetzt wird, zum Ersatz des Mehrbetrages nur unter den besonders erschwerten Bedingungen des § 91 Abs 2 bis 5 ASGG, also insbesondere im Falle des Erschleichens der Leistung verpflichtet.
Auch der Versuch, im Wege eines dem Versicherten gegenüber abgegebenen und von diesem angenommenen Anerkenntnisses des bescheidmäßigen Anspruches ein Verbot der reformatio in peius abzuleiten, vermag hier nicht zu überzeugen: Auch wenn man einem Anerkenntnis öffentlich-rechtlicher Ansprüche privatrechtliche Wirkungen unterstellt (vgl. Kuderna aaO), muß es unter jenen Prämissen beurteilt werden, unter denen es abgegeben wurde. Hat daher die Versicherungsanstalt einen Anspruch auf vorzeitige Alterspension des Klägers ab 1. September 1986 anerkannt, weil nach den ihr erteilten Informationen des Versicherungsnehmers die besonderen Voraussetzungen des § 130 Abs 2 GSVG erst im August 1986 gegeben waren und errechnete sie die Höhe der gebührenden vorzeitigen Alterspension daher auf der Grundlage der bis einschließlich August 1986 erworbenen Versicherungsmonate und der bis dahin angenommenen Versicherungspflicht, so kann dieses "Anerkenntnis" der Höhe nach nicht dahin ausgedehnt werden, es wäre auch abgegeben worden, wenn der Versicherungsanstalt bekannt gewesen wäre, daß die Beitragspflicht des Klägers gemäß § 27 Abs. 3 GSVG bereits Ende Mai 1986 geendet hätte.
Da die Beitragspflicht des Klägers mit dem letzten Tag des Kalendermonates, in dem die Anspruchsvoraussetzungen des § 130 Abs. 2 GSVG erfüllt waren, geendet hat, und im Rechtsmittelverfahren unbestritten ist, daß dies Ende Mai 1986 der Fall war, sind nur die bis dahin erworbenen Versicherungsmonate, das sind insgesamt 420, zur Berechnung der Höhe der vorzeitigen Alterspension heranzuziehen. Danach ergibt sich eine monatliche vorzeitige Alterspension von S 13.230,20, die auf Grund des erst am 7. Juli 1986 gestellten Antrages ab 1. August 1986 angefallen ist.
Die nach Beendigung des versicherungspflichtigen Verhältnisses vom Kläger zu Ungebühr entrichteten Beträge können gemäß § 41 GSVG zurückgefordert werden.
Es war daher in Stattgebung der Revision spruchgemäß zu entscheiden.
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