Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin ab 1.7.1985 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß binnen 14 Tagen zu gewähren.
Das Klagemehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, diese Pension auch für die Zeit vom 1.3. bis 30.6.1985 zu gewähren, wird abgewiesen."
Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der Klägerin die mit 2.263,80 S (darin 205,80 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.829,75 S (darin 257,25 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte in einem am 1. März 1985 bei der beklagten Partei eingelangten Antrag die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension. Die beklagte Partei sandte an sie am 1. Oktober 1985 ein Schreiben, das unter anderem folgenden Wortlaut hatte:
"Antrag gestellt am: 1.3.1985
Verständigung:
Der Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension gemäß § 271 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, Bundesgesetz vom 9.9.1955, BGBl. Nr. 189 (ASVG), in der derzeit geltenden Fassung wird dem Grunde nach anerkannt. Über die Höhe der Leistung kann zur Zeit mit Bescheid nicht abgesprochen werden. Es wird daher ein laufender, jederzeit widerruflicher und verrechenbarer Vorschuß gewährt. Der laufende Vorschuß wird ab 1.7.1985 gewährt.
Mit Bescheid vom 1. April 1986 entschied die Beklagte, daß der Anspruch der Klägerin auf eine Berufsunfähigkeitspension gemäß § 271 ASVG anerkannt wird und daß die Pension gemäß § 86 ASVG am 1. Juli 1985 beginnt. In der Folge wird die Höhe der der Klägerin gebührenden Pensionsleistung angegeben.
Die Klägerin bekämpft diesen Bescheid mit dem Begehren, ihr schon ab 1. März 1985 die Berufsunfähigkeitspension in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage im wesentlichen mit der Begründung, daß am 1. März 1985 die Berufsunfähigkeit noch nicht gegeben gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die sechzigjährige (richtig: die im 60. Lebensjahr stehende) Klägerin ist auf Grund ihres - im einzelnen
beschriebenen - Leidenszustandes imstande, körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen wetter- und windgeschützt im Rahmen des üblichen Acht-Stunden-Tages durchzuführen, wenn die Möglichkeit besteht, die Arbeitshaltung gelegentlich zu wechseln. Anhaltendes Bücken oder anhaltendes Tragen ist ihr nicht möglich. Einschränkungen hinsichtlich des Anmarschweges und der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bestehen nicht. Der Zustand bestand am 1. März 1985 in gleicher Stärke wie zur Zeit der am 30. Mai 1985 vom Arzt der beklagten Partei vorgenommenen Untersuchung. Zur rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, daß der Gesundheitszustand der Klägerin die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension weder ab 1. Juli noch ab 1. März 1985 rechtfertige, weil ihr im Hinblick auf ihr medizinisches Leistungskalkül die Ausübung ihrer bisherigen Tätigkeit als Geschäftsführerin durchaus zugemutet werden könne. Da somit die Voraussetzungen für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab 1. März 1985 fehlten, sei das Klagebegehren abzuweisen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es führte aus, daß die "Äußerung" der beklagten Partei vom 1. Oktober 1985 kein Bescheid, sondern eine "Verständigung" gewesen sei. Daraus sei nicht mehr abzuleiten, wie aus dem mit der Klage bekämpften Bescheid, in dem ebenfalls ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension anerkannt worden sei. Das Erstgericht sei an dieses "Anerkenntnis" nicht gebunden gewesen und habe daher zutreffend den Sachverhalt materiell-rechtlich geprüft. Diese Prüfung habe aber unbedenklich ergeben, daß sich zwar der Gesundheitszustand der Klägerin in der Zeit vom 1. März bis 1. Juli 1985 nicht wesentlich geändert habe, daß ihr aber bei diesem Gesundheitszustand die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit medizinisch noch zuzumuten sei.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag es im Sinne der Klagestattgebung abzuändern. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung. Die Revision ist gemäß § 46 Abs 4 iVm § 101 Abs 2 ASGG zulässig, weil ein Verfahren über wiederkehrende Leistungen im Sinne der letztgenannten Gesetzesstelle ungeachtet des Umstandes vorliegt, daß alle wiederkehrenden Leistungen, über die das Berufungsgericht entschied, zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz schon fällig waren.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Ergebnis auch teilweise berechtigt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die als "Verständigung" bezeichnete Urkunde einen Bescheid enthielt. Selbst wenn dies bejaht würde, müßte der Inhalt des Bescheides im Lichte des § 368 Abs 2 ASVG gesehen werden. Nach dieser Bestimmung hat der Versicherungsträger, wenn der Bescheid über die Zuerkennung der Leistung nicht innerhalb der im vorangehenden Absatz 1 vorgesehenen Frist erlassen werden kann, weil der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, wenn aber seine Leistungspflicht dem Grunde nach feststeht, die Leistung zu bevorschussen. Der Vorschuß ist also für die Zeit zu gewähren, für die die Leistungspflicht dem Grunde nach feststeht. Es ist der angeführten Urkunde nicht zu entnehmen, daß die beklagte Partei das Bestehen der Leistungspflicht für eine über die Zeit der Gewährung des Vorschusses hinausgehende Zeit feststellen wollte. Für die Klägerin ist also auch dann nichts gewonnen, wenn man die Urkunde als Bescheid wertet, weil dann daraus ebenfalls nur das Entstehen des Anspruchs ab 1. Juli 1985 abgeleitet werden könnte.
Entgegen der von der Klägerin in der Revision vertretenen Auffassung kommt es nicht darauf an, ob sich ihr Gesundheitszustand zwischen dem Tag der Antragstellung und dem 1. Juli 1985 änderte. Die Bindungswirkung eines Bescheides geht nämlich nicht über den Zeitraum hinaus, für den darin der Anspruch zuerkannt wurde. Die Klägerin kann daher aus der Tatsache, daß mit dem bekämpften Bescheid und allenfalls auch schon mit der Urkunde vom 1. Oktober 1985 der Beginn ihres Pensionsanspruchs mit 1. Juli 1985 festgestellt wurde, für den vorangehenden Zeitraum auch dann nichts ableiten, wenn die Verhältnisse dieselben waren.
Die Vorinstanzen erkannten somit richtig, daß der Erfolg der Klage für den Zeitraum vom 1. März bis 30. Juni 1985 davon abhängt, ob die Klägerin schon damals berufsunfähig war. Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung traf das Erstgericht die zur Lösung dieser Frage nötigen Feststellungen. Dabei war zu berücksichtigen, daß aus den Ausführungen, die in seinem Urteil zur rechtlichen Beurteilung enthalten sind, die als Feststellung zu wertende Aussage hervorgeht, daß die Klägerin auf Grund des medizinischen Leistungskalküls die von ihr ausgeübte berufliche Tätigkeit nach dem 1. März 1985 weiter hätte ausüben können. In einem solchen Fall sind aber die Voraussetzungen, die im § 273 ASVG für das Vorliegen der Berufsunfähigkeit festgelegt werden, auf keinen Fall erfüllt. Die Vorinstanzen übersahen jedoch, daß nach dem zur Zeit der Einbringung der Klage noch geltenden und daher hier anzuwendenden § 384 Abs 1 ASVG (entsprechend nunmehr § 71 Abs 1 ASGG) der mit der Klage bekämpfte Bescheid außer Kraft getreten war, was auch dann der Fall ist, wenn in der Klage eine Leistung von einem früheren als von dem im Bescheid genannten Zeitpunkt an begehrt wird (Kuderna, Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, Erl. 4 zu § 71 mwN). Dies hat zur Folge, daß dem Klagebegehren insoweit stattzugeben gewesen wäre, als der Pensionsanspruch der Klägerin nach der übereinstimmenden Ansicht der Parteien besteht. In diesem Sinne war das angefochtene Urteil daher auf Grund der Revision abzuändern.
Unbeschadet der Lösung der - hier mangels Verzeichnung von Kosten nicht zu prüfenden - Frage, ob der Klägerin im Verfahren erster Instanz Kosten zugesprochen werden könnten, hat sie gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG Anspruch auf Ersatz der Kosten der Rechtsmittelverfahren. Da es eine abweichende Übergangsbestimmung nicht gibt, ist diese Gesetzesstelle auch auf die Kosten des Berufungsverfahrens anzuwenden. Dabei sind hier die Kosten der Beiziehung eines Rechtsanwaltes jedenfalls deshalb zu ersetzen, weil sie gemäß dem zur Zeit der Einbringung noch geltenden § 403 Abs 1 ASVG und dem demnach noch anzuwendenden § 467 Z 5 ZPO von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein mußte. Die Bemessungsgrundlage für die Kosten bildet gemäß § 77 Abs 2 ASGG der im § 49 Abs 1 JN genannte Betrag von 30.000,-- S.
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