Spruch:
Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 9.360,45 S (darin 850,95 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte - nach dem Stand des Verfahrens am Schluß der mündlichen Streitverhandlung - die Zahlung von 511.900 S (500.000 S Schmerzengeld, 1.500 S diverse Aufwendungen, 10.400 S kapitalisierte Rentenbeträge) sowie einer monatlichen Hausfrauenrente von 800 S ab Feber 1987 und stellte ein mit 100.000 S bewertetes Feststellungsbegehren. Sie begründete das Klagebegehren damit, der Beklagte habe sie am 31. August 1984 mißhandelt, wodurch sie schwere Verletzungen verbunden mit gravierenden Dauerfolgen erlitten habe.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete vor allem ein, daß der Bruch des Dornfortsatzes des sechsten Halswirbels sowie die durch den Stoß hervorgerufene Verschiebung der Halswirbelkörper und der dadurch ausgeübte Druck auf das Rückenmark, woraus die Dauerfolgen für die Klägerin resultierten, für ihn nicht vorhersehbar gewesen seien. Es handle sich um inadäquate Schäden, für die er nicht zu haften habe. Überdies sei das Schmerzengeldbegehren überhöht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollständig statt. Es stellte hiezu nachstehenden, für das sich nur noch auf das Schmerzengeldbegehren beziehende Revisionsverfahren bedeutsamen, in der Folge auch vom Berufungsgericht übernommenen Sachverhalt fest:
In der Nacht vom 31. August 1984 zum 1. September 1984 schleuderte der Beklagte im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung die Klägerin mit dem Gesicht voran gegen eine Wand. Durch den Stoß, der von hinten auf die Schulter der Klägerin ausgeführt wurde, kam es auch zu einer Verschiebung der Halswirbelkörper und damit zu einer kurzfristigen Druckausübung auf das Rückenmark, was eine unmittelbare Lähmung der Klägerin ab Höhe des sechsten Halswirbels zur Folge hatte. Die durch die Verschiebung der Halswirbelkörper entstandene Bänderverletzung führte zum Bruch des Dornfortsatzes des sechsten Halswirbels. Überdies erlitt die Klägerin einen Nasenbeinbruch, Prellungen und eine Blutergußbildung im Bereich der Stirn, Rißquetschwunden im Bereich der Oberlippe und einer Brustkorbprellung auch Dauerfolgen in Form einer Tetraparese vorwiegend rechtsbetont mit erheblicher Störung der Motorik des rechten Armes und des rechten Beines. Die Klägerin kann in geschlossenen Räumen auch ohne Stockhilfe gehen, auf der Straße hingegen muß sie wegen Sturzgefahr einen Gehstock verwenden. Als Sekundärfolgen aus dem posttraumatischen partiellen Querschnittssyndrom wegen der Prellung und Verstauchung der Halswirbelsäule - womit zunächst eine Teillähmung sowie neurogene Blasenentleerungsstörung und eine komplette Mastdarmlähmung verbunden waren - sind bei der Klägerin spinale Reizphänomene gegeben, welche ihr ganzes Leben bestehen werden. Es handelt sich um krampfartige Zustände wechselnden Charakters. Sie sind mittelstark bis leicht schmerzhaft und durch Schmerzmittel nur schlecht bekämpfbar. Die Klägerin wird daher derartige spasmusartige Schmerzen täglich im wechselnden Ausmaß haben. Demnach wurde durch die Folgen des Unfalles aus der vorher gesunden und lebensfrohen Klägerin eine stark gehbehinderte und von Schmerzen geplagte Person, die gegenüber der Situation vor dem Unfall zu einem mehr oder weniger einsamen Dasein verurteilt ist.
Die Halswirbelsäule der Klägerin war zum Zeitpunkt des Vorfalles schon erheblich vorgeschädigt. Es ist möglich, aber nicht nachweisbar, daß die Vorschäden an der Halswirbelsäule einen Einfluß auf die Schwere der Verletzung hatten. Die Vorschäden für sich allein ohne Gewalteinwirkung hätten aber niemals zu derartigen Folgen führen können, wie sie jetzt bei der Klägerin bestehen. Mit den Verletzungen der Klägerin waren bis 1. Jänner 1986 16 Tage starke, 28 Tage mittelstarke und 102 Tage leichte Schmerzen verbunden. Dazu kommt noch das mit den Dauerfolgen verbundene oben beschriebene Ungemach.
Der Beklagte wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 29. April 1986, 10 Os 146/85, schuldig erkannt, die Klägerin am 31. August 1984 am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig verletzt zu haben, wobei die Tat eine Prellung und einen Bluterguß an der Stirn, einen Nasenbeinbruch, eine Verletzung an der Oberlippe, eine Brustkorbprellung, einen Bruch des Dornfortsatzes des sechsten Halswirbels und eine Verstauchung der Halswirbelsäule zur Folge hatte. Er habe hiedurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 StGB begangen. Den im erstgerichtlichen Urteil enthaltenen Schuldspruch gegen die oben beschriebenen Dauerfolgen und die deswegen erfolgte Verurteilung nach § 85 Z 3 StGB beseitigte der Oberste Gerichtshof mit der Begründung, der Beklagte habe durch sein Tatverhalten speziell in bezug auf die Herbeiführung schwerer Dauerfolgen im Sinne des § 85 StGB objektiv nicht sorgfaltswidrig gehandelt. Aus der Sicht eines mit allgemeinem Erfahrungswissen ausgestatteten einsichtigen Menschen habe der Beklagte wegen seiner Handlungsweise nicht mit überschweren Verletzungen (welcher Art immer) rechnen müssen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß der Kläger für alle Unfallsfolgen als seinem Handeln adäquat einzustehen habe. Der begehrte Schmerzengeldbetrag sei angemessen. Auch das Berufungsgericht bejahte, daß alle von der Klägerin erlittenen Folgen der durch den Beklagten erlittenen Mißhandlung dieser adäquat seien und daher der Beklagte hiefür einzustehen habe. Der Klägerin gebührten aber nur 400.000 S an Schmerzengeld, weil der begehrte Betrag von 500.000 S nach der bisherigen Rechtsprechung nur in Fällen wesentlich gravierender Schadensfolgen gewährt worden sei. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen beider Parteien, und zwar
- a) die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung insoweit, als ihr nicht die begehrten weiteren 100.000 S an Schmerzengeld zugesprochen wurden;
- b) des Beklagten gegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung insoweit, als der Klägerin statt bloß 1.500 S sA weitere 410.400 S zugesprochen wurden.
Die Parteien begehren, das angefochtene Urteil jeweils im Umfang ihrer eigenen Anfechtung abzuändern, hingegen der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Revisionen sind nicht berechtigt.
1. Zur Revision des Beklagten:
a) Zur behaupteten Aktenwidrigkeit:
Richtig ist, daß in den vom Berufungsgericht übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen sich kein Hinweis darauf befindet, daß dem Beklagten die Vorschädigung der Halswirbelsäule der Klägerin bekannt gewesen sei. Dennoch beruft sich das Berufungsgericht darauf im Rahmen in seiner rechtlichen Beurteilung. Dies schadet aber nicht, weil es einerseits gar nicht darauf ankommt, ob dem Kläger diese Vorschädigung bekannt war, andererseits er selbst im Strafverfahren derartiges aussagte (siehe S 84 des Strafaktes).
b) Zur Rechtsrüge:
Entgegen der in der Revision des Beklagten vertretenen Rechtsmeinung ist nach Lehre (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 I 146) und Rechtsprechung (SZ 54/108, 57/16 ua) adäquate Verursachung stets dann anzunehmen, wenn das Verhalten unter Zugrundelegung eines zur Zeit der Beurteilung vorhandenen höchsten menschlichen Erfahrungswissens und unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Handlung dem Verantwortlichen oder einem durchschnittlichen Menschen bekannten oder erkennbaren Umstände geeignet war, eine Schadensfolge von der Art des eingetretenen in nicht ganz unerheblichem Grad zu begünstigen. Es kommt also nicht auf die subjektive Vorhersehbarkeit der Folgen durch den Schädiger an (JBl. 1974, 372).
Zu der Beseitigung der strafgerichtlichen Verurteilung des Beklagten wegen der Dauerfolgen nach § 85 Z 3 StGB durch den Obersten Gerichtshof, worauf sich der Beklagte in der Revision zur Stützung seines Standpunktes gleichfalls beruft, ist folgendes zu sagen:
Der Oberste Gerichtshof bejahte auch im Strafurteil die Adäquität der Tathandlung zu dem kausal daraus entstandenen überschweren Verletzungserfolg der Klägerin (S 10 des Urteiles 10 Os 186/85), verneinte aber die Strafbarkeit, weil ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten (§ 6 Abs. 1 StGB) des Beklagten speziell in bezug auf die Herbeiführung der eingetretenen schweren Dauerfolgen nicht gegeben sei. Darauf kommt es aber bei Beurteilung der zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche nicht an, weil es für diesen Bereich genügt, daß sich das Verschulden des Täters nur auf die Pflichtverletzung selbst oder den unmittelbaren Schaden bezieht, nicht aber auf die weiteren Folgen: Das Verschulden ist im zivilrechtlichen Bereich nur für die Haftungsbegründung, nicht aber für die Haftungsausfüllung von Bedeutung (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 I 141).
Demgemäß hat der Beklagte - wie bereits von den Vorinstanzen zutreffend erkannt wurde - auch für die bei der Klägerin infolge seiner Tathandlung eingetretenen schweren Dauerfolgen einzustehen. Zur Höhe des Schmerzengeldanspruches sowie zu dem im Leistungsbegehren enthaltenen kapitalisierten Rententeilbetrag wird in der Revisionsschrift nichts ausgeführt. Auch der Oberste Gerichtshof hat gegen den vom Berufungsgericht ermittelten Betrag keine Bedenken.
2. Zur Revision der Klägerin:
Unberechtigt ist das Begehren der Klägerin auf Zuspruch eines höheren Schmerzengeldes als 400.000 S. Vergleicht man nämlich die Fälle, in denen der Oberste Gerichtshof ein Schmerzengeld von 400.000 S für angemessen erkannte mit denjenigen, in denen 500.000 S für gerechtfertigt erkannt wurden (Hörzinger/Ungeringer/Zitta, Schmerzengeld, S 336, 348 bis 352), so ist daraus zu erkennen, daß ein den Betrag von 400.000 S übersteigendes Schmerzengeld nur für wesentlich schwerere Unfallsfolgen als diejenigen, die die im Unfallszeitpunkt 53-jährige Klägerin zu erleiden hat, gewährt wurde. Betrachtet man die von der Klägerin bis 1. Jänner 1986 erlittenen Schmerzen und das von ihr in ihrem weiteren Leben noch zu ertragende Ungemach, so zeigt sich, daß der weitaus überwiegende Teil des zugesprochenen Schmerzengeldes ohnedies auf die zukünftigen Schmerzen entfällt.
Es war daher auch der Revision der Klägerin der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 40, 41 und 50 ZPO. Jede Partei hat die Kosten der Revisionsschrift selbst zu tragen, doch haben sie einander die Kosten der Revisionsbeantwortungen zu ersetzen. Dies ergibt den im Spruch angeführten Saldo zugunsten der Klägerin.
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