OGH 12Os35/88

OGH12Os35/8814.4.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.April 1988 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Legradi als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ismet A*** wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten Mordes nach §§ 75, 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 16. September 1987, GZ 20 Vr 25/87-88, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der am 3.Jänner (vgl ON 95, 97; im Urteil: 1.März) 1930 geborene Ismet A*** des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten Mordes nach §§ 75; 15 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 31.Dezember 1986 in Pfaffenhofen den Riza G*** durch einen gegen ihn geführten Messerstich vorsätzlich getötet, sowie den Ahmet E*** und den Ramazan E*** durch je einen Messerstich zu töten versucht.

Die Geschwornen haben die anklagekonform auf versuchten Mord bzw Mord gerichteten Hauptfragen 1 und 10 einstimmig, die auf versuchten Mord (an Ramazan E***) gerichtete weitere Hauptfrage 16 im Stimmenverhältnis 5:3 bejaht. Die zu sämtlichen Fragen gestellten Zusatzfragen nach Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11 StGB (Nr. 2, 11 und 17) verneinten sie einstimmig. Die Eventualfragen, gerichtet zu jedem Faktum auf selbstverschuldete volle Berauschung, überdies auf (teils versuchten) Totschlag, (teils versuchte) absichtliche schwere Körperverletzung, versuchte schwere Körperverletzung (hinsichtlich Ahmet E***), Körperverletzung mit Todesfolge (bezüglich Riza G***), schwere Körperverletzung (Ramazan E***), jeweils ergänzt durch Zusatzfragen nach selbstverschuldeter Berauschung, ließen

sie - folgerichtig - unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs 1 Z 5 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Das Erstgericht hat zur Frage der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit das Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. P*** eingeholt (II ON 53), der dieses Gutachten in der Hauptverhandlung darlegte (II S 237 ff), wobei auch der Verteidiger von seinem Fragerecht Gebrauch gemacht hat. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang insbesondere auch zur Frage Stellung genommen, ob beim Beschwerdeführer ein sog. "pathologischer Rauschzustand" vorlag, und dies mit eingehender Begründung verneint (II S 97 ff, II S 237 ff).

Als Verfahrensmangel (Z 5) rügt der Angeklagte die Abweisung seines in der Hauptverhandlung (II S 239 f) gestellten Beweisantrages auf "Einholung eines weiteren Gutachtens aus dem Gebiete der Gerichtspsychiatrie" zum Beweise dafür, daß beim Angeklagten ein pathologischer Rausch vorgelegen sei. Durch die Abweisung dieses Antrages wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt.

Im Strafverfahren ist grundsätzlich nur ein Sachverständiger beizuziehen, lediglich unter bestimmten, im Gesetz angeführten Voraussetzungen (§§ 125, 126 StPO), ist ausnahmsweise das Gutachten eines zweiten Sachverständigen einzuholen. Anläßlich der Antragstellung hat der Verteidiger des Angeklagten behauptet, daß für einen solchen Rauschzustand die Feststellung einer geringen Blutalkoholkonzentration, das Auftreten des Mörders des Neffen des Angeklagten (wodurch letzterer in einen Angstzustand versetzt wurde, was wiederum zu einer schweren affektiven Erregung führte) und das Fehlen des Erinnerungsvermögens spräche; weiters der völlige Verlust des Realitätsbewußtseins und die mangelnde Unterscheidungsfähigkeit zwischen Freund und Feind (was dazu geführt habe, daß er gegen seinen besten Freund vorgegangen sei). Damit wird aber gar nicht behauptet, daß der Befund "dunkel, unbestimmt, im Widerspruch mit sich selbst oder mit erhobenen Tatumständen" sei und es werden damit keine Mängel oder Widersprüche des Gutachtens in der Bedeutung der §§ 125, 126 StPO aufgezeigt, sondern es zielt dieser Beweisantrag im Ergebnis nur auf die Widerlegung des Gutachtens ab, wie sich dies auch aus dem weiteren Vorbringen ergibt, mit welchem die vom Sachverständigen gegebene Begründung im Ergebnis als nicht stichhältig bezeichnet wird. Nun ist aber die Frage, ob dieses Gutachten des Sachverständigen Dr. P*** ausreichend und schlüssig war, als Beweisfrage der Beurteilung der Tatsacheninstanz vorbehalten (Mayerhofer-Rieder StPO2, § 126, ENr. 1). Auch in der Beschwerde werden keine Mängel des Gutachtens im Sinne der §§ 125, 126 StPO geltend gemacht, sondern im Ergebnis werden auch hier nur die oben wiedergegebenen Gründe neuerlich ins Treffen geführt und damit - unzulässig - die Richtigkeit des Gutachtens bekämpft, das einer Nachprüfung durch die Rechtsinstanz entzogen ist.

Nichtigkeit des Verfahrens nach § 345 Abs 1 Z 8 StPO hält der Beschwerdeführer deshalb für gegeben, weil zum Tatbestand des Totschlages (Eventualfragen 3 a, 12 a, 18 a) keine Rechtsbelehrung gegeben und daher auch der Begriff der heftigen Gemütsbewegung, deren Vorliegen der Sachverständige nicht ausschließen konnte (S 238/II), nicht erläutert worden sei.

Die vom Obersten Gerichtshof i.S. des § 285 f StPO veranlaßten Erhebungen haben ergeben, daß die - zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung in einem Entwurf vorliegende - Rechtsbelehrung ergänzt worden war und daß die den Geschwornen tatsächlich vorgelegene Rechtsbelehrung sich sehr ausführlich - und im übrigen auch durchaus zutreffend - mit den für den Tatbestand des Totschlages wesentlichen Rechtsbegriffen auseinandergesetzt hat (vgl den Bericht des Vorsitzenden ON 110 und die rekonstruierte Rechtsbelehrung S 4 f). Da nun der Beschwerdeführer nicht auf diese (ergänzte), den Geschwornen vorgelegene Rechtsbelehrung, sondern auf einen im Akt erliegenden (ursprünglichen) Entwurf abstellt, der indes nicht als Rechtsbelehrung verwendet worden ist, fehlt es an den Voraussetzungen für eine wirksame Geltendmachung des in Rede stehenden Nichtigkeitsgrundes; denn für eine sachbezogene Erörterung eines auf § 345 Abs 1 Z 8 StPO gestützten Beschwerdeeinwandes ist dessen Rückführung auf den tatsächlichen, gemäß §§ 321 Abs 1, 323 Abs 1 und 327 Abs 2 StPO schriftlich niedergelegten Inhalt der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung erforderlich

(vgl 10 Os 133/85).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung teils nach §§ 344, 285 d Abs 1 Z 1 iVm § 285 a Z 2 StPO, teils nach § 285 d Z 2 StPO - seit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987 ist auch die Z 5 des § 345 Abs 1 StPO für eine Erledigung i.S. der letztgenannten Gesetzesstelle vorgesehen, vgl § 344 letzter Satz StPO - sofort zurückzuweisen.

Demmach sind die Akten zur Entscheidung über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten dem Oberlandesgericht Innsbruck zuzuleiten (§§ 344, 285 i StPO).

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