OGH 7Ob559/88

OGH7Ob559/8814.4.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann B***, geboren am 8. April 1930 in Gamesreith, Landwirt, Gamesreith 3, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und Dr. Hans Pucher, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei Margarete B***, geboren am 6. März 1943 in St. Christophen, Landwirtin, Gamesreith 3, vertreten durch Dr. Alfons Adam, Rechtsanwalt in Neulengbach, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18. Dezember 1987, GZ 4 R 223/87-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 21. Juli 1987, GZ 3 Cg 197/86-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 25. Juli 1961 die Ehe geschlossen, der die beiden bereits volljährigen Söhne Johann, geboren am 28. Juni 1962, und Franz, geboren am 26. Jänner 1964, entstammen. Beide Teile sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war Gamesreith. Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Seit 1982 breche die Beklagte ohne Anlaß Streit vom Zaun, beschimpfe ihn grob, wasche seine Wäsche nicht und bereite für ihn keine Mahlzeiten. Die Beklagte schließe ihn von der Wirtschaftsführung der gemeinsamen Landwirtschaft völlig aus. Die Beklagte bestreitet die ihr angelasteten Eheverfehlungen und daß die Ehe zerrüttet sei. Für den Fall der Scheidung stellte sie einen Mitschuldantrag.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers. Nach seinen Feststellungen verhielt sich der Kläger bereits zur Zeit, als die beiden Söhne noch klein waren, gegen die Familie unleidlich. Er wurde mehrfach gegen die Beklagte tätlich und jagte in alkoholisiertem Zustand die Beklagte, gelegentlich auch die Kinder, aus den Betten, sodaß sie im Stall nächtigen mußten. Der Kläger war oft wochenlang von zu Hause abwesend. Während dieser Zeit hatte die Beklagte sowohl die Landwirtschaft als auch den Haushalt allein zu versorgen. Wenn der Kläger in Wut geriet, kam es mehrmals vor, daß er Gaspatronen abfeuerte, insbesondere auch in das Zimmer, in dem sich die Kinder aufhielten. Dies tat der Kläger vor allem in alkoholisiertem Zustand. Vor etwa 3 Jahren sperrte der Kläger die Beklagte in die Melkkammer ein und schoß mehrmals mit Gaspatronen hinein. Vor 2 bis 3 Jahren warf der Kläger nach einem Streit das Bett und die persönlichen Sachen der Beklagten aus dem Schlafzimmer, sodaß die Beklagte einige Nächte im Zimmer der Söhne schlief. Die Beklagte kehrte dann aber wieder in das eheliche Schlafzimmer zurück. In letzter Zeit schlafen die Streitteile zwar im selben Raum, doch stehen ihre Betten in verschiedenen Ecken. Seitdem der Sohn Johann die landwirtschaftliche Fachschule absolviert hat, bewirtschaftet er mit der Beklagten die Landwirtschaft ohne Mitwirkung des Klägers. Die Beklagte kassierte jeweils den Erlös aus den Viehverkäufen und verwendete das Geld für betriebliche Zahlungen. Nachdem der Kläger im Scheidungsverfahren die Erlassung einer einstweiligen Verfügung beantragt hatte, mit welcher der Beklagten die alleinige Verfügung über landwirtschaftliche Produkte, insbesondere über Rinder, untersagt werden sollte, trat eine Änderung ein. Der Kläger wird nunmehr wieder an der Wirtschaftsführung beteiligt und der Erlös aus Viehverkäufen zwischen den Streitteilen geteilt. Der Kläger arbeitet in letzter Zeit auch wieder in der Landwirtschaft mit. In den letzten Jahren beschimpfen die Beklagte und der Sohn Johann den Kläger mehrmals wöchentlich. Sie erklären: "Wenn Dich nur einmal der Krebs fressen tät, hoffentlich faulen Dir die Haxen ab" und bezeichnen den Kläger als Gerichtsbruder, Hundsfutter und dgl. Im Februar 1986 stieß der Kläger die Beklagte, weil sie ihm im Wege stand, zur Seite, sodaß sie gegen eine Tischkante fiel und einen Zahn verlor. Die Beklagte kocht für die gesamte Familie, der Kläger bereitet sich sein Essen in der Regel selbst zu. Er wäscht auch seine Wäsche selbst.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes sei die Zerrüttung der Ehe in erster Linie durch das Verhalten des Klägers herbeigeführt worden. Die Eheverfehlungen des Klägers hätten aber seine wiederholten Beschimpfungen durch die Beklagte nicht gerechtfertigt, zumal diese nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den Eheverfehlungen des Klägers getätigt worden seien. Diese Beschimpfungen seien als schwere Eheverfehlungen zu beurteilen. Die Ehe sei unheilbar zerrüttet, weil die Ehegatten nicht mehr miteinander, sondern nur nebeneinander lebten.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung und teilte auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes seien auch die Voraussetzungen für die Anwendung der Verwirkungsklausel nach § 49 Satz 2 EheG nicht gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Unter dem Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens macht die Revisionswerberin nur einen Verfahrensmangel erster Instanz geltend, dessen Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde. Hat aber das Berufungsgericht das Vorliegen eines behaupteten Verfahrensmangels verneint, kann dieser nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden (SZ 51/8, 50/14, 41/8 uva).

Die Auffassung der Revisionswerberin, daß die Scheidung sittlich nicht gerechtfertigt sei, kann nicht geteilt werden. Es ist zwar richtig, daß in der von der Revision zitierten Entscheidung EFSlg. 46.184 ausgesprochen wurde, die Anwendung der Verwirkungsklausel setze keinen unmittelbaren Zusammenhang voraus, es genüge, daß das ehewidrige Verhalten des beklagten Ehegatten durch jenes des klagenden "irgendwie" beeinflußt worden sei (vgl. auch EFSlg. 51.608). Eine solche Beeinflussung ist hier jedoch nicht gegeben. Die Revision geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wenn sie annimmt, daß die Beschimpfungen des Klägers in der "Situation" begangen wurden, als der Kläger von zu Hause wegblieb und die Beklagte die Landwirtschaft und den Haushalt allein führen mußte. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen stehen die beiderseitigen Eheverfehlungen nach Inhalt und Wirkung selbständig und ohne gegenseitige Beeinflussung nebeneinander, sodaß ein Verwirkungsgrund nicht gegeben ist (EFSlg. 48.773; JBl. 1963, 379; JBl. 1962, 259).

Beizupflichten ist der Revision auch darin, daß es einem Scheidungsbegehren an der sittlichen Rechtfertigung auch dann mangelt, wenn die Verfehlungen des klagenden Ehegatten unverhältnismäßig schwerer wiegen als die des beklagten Ehegatten (EFSlg. 51.607 uva). Aber auch davon kann hier keine Rede sein. Aus der Häufigkeit der ohne konkreten Anlaß vorgenommenen Beschimpfungen des Klägers ergibt sich ein schwerer Mangel an ehelicher Gesinnung auf Seiten der Beklagten, sodaß diese Eheverfehlungen keineswegs gegenüber denen des Klägers derart zurücktreten, daß ein unverhältnismäßiges Mißverhältnis gegeben wäre (vgl. hiezu Pichler in Rummel ABGB Rz 6 zu § 49 EheG).

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Stichworte