OGH 8Ob650/87

OGH8Ob650/8712.4.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria P***,

Pensionistin, Baiernstraße 52, 8020 Graz, vertreten durch Dr. Wilfrid Stenitzer, Rechtsanwalt in Leibnitz, wider die beklagte Partei Paula T***, Pensionistin, Baiernstraße 52, 8020 Graz, vertreten durch Dr. Robert A. Kronegger, Rechtsanwalt in Graz, wegen Zuhaltung eines Kaufvertrages (Streitwert 650.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 14. Juli 1987, GZ 1 R 139/87-65, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 24. März 1987, GZ 13 Cg 24/85-60, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 17.445,90 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Barauslagen von 1.200 S und Umsatzsteuer von 1.476,90 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 434 KG Algersdorf mit dem Haus Baiernstraße 52 in Graz. Am 8. September 1981 schlossen die Parteien eine als Vorvertrag bezeichnete schriftliche Vereinbarung, derzufolge die Beklagte der Klägerin einen Teil dieser Liegenschaft (Grundstück Nr. 53/2 Baufläche mit dem darauf befindlichen Wohnhaus) um 550.000 S verkaufte, wobei vereinbart wurde, daß der Kaufpreis bei Errichtung der Kaufvertragsurkunde bar zu entrichten ist. Die Verkäuferin verpflichtete sich, die Liegenschaft bis längstens 30. November 1981 zu räumen. Erst mit erfolgter Räumung sei die einverleibungsfähige Kaufvertragsurkunde zu errichten und zu unterfertigen. Später wurde der Kaufpreis einvernehmlich auf 650.000 S erhöht.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin, die Beklagte schuldig zu erkennen, eine einverleibungsfähige Kaufvertragsurkunde, deren Inhalt im Urteilsbegehren genau wiedergegeben wurde, zu unterfertigen. Die Beklagte verweigere grundlos die Zuhaltung des mit der Klägerin geschlossenen Kaufvertrages und habe auch vertragswidrig die verkaufte Liegenschaft nicht geräumt. Auch für den Fall, daß die Liegenschaft bis 30. November 1981 nicht geräumt sein sollte, habe der Klägerin nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsteile das Recht zustehen sollen, auf Unterfertigung eines einverleibungsfähigen Kaufvertrages zu drängen. Sollte die verkaufte Liegenschaft einen Wert von mehr als 1,300.000 S haben, sei die Klägerin bereit, den Abgang bis zum gemeinen Wert im Sinne des § 934 ABGB zu ersetzen.

Die Beklagte wendete im wesentlichen ein, die Klägerin habe sich ihr gegenüber wahrheitswidrig als vermögend ausgegeben und sie dadurch zum Vertragsabschluß veranlaßt. Sie fechte daher den Vertrag wegen Irreführung (Betruges) an. Überhaupt handle es sich nur um einen Vorvertrag, den die Beklagte, insbesondere wegen Zeitablaufes, zuzuhalten nicht verpflichtet sei. Auch liege Verkürzung über die Hälfte vor; überdies werde Wucher und Sittenwidrigkeit eingewendet. Der Klagsanspruch sei vor erfolgter Räumung durch die Beklagte nicht fällig und er könne nur Zug um Zug gegen Erlag des Kaufpreises geltend gemacht werden. Es sei auch die Geschäftsgrundlage für den zwischen den Streitteilen geschlossenen Vertrag weggefallen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Im August 1981 nahm die Klägerin über Vermittlung ihres Lebensgefährten Johann D*** Kontakt mit der Beklagten wegen des Kaufes ihres Hauses auf. Nach mehreren Gesprächen zwischen den Streitteilen und Besichtigung des Hauses Baiernstraße 52 durch die Klägerin einigte man sich auf einen Kaufpreis von 550.000 S. Über die Aufbringung des Kaufpreises durch die Klägerin wurde keine Vereinbarung getroffen; insbesondere wurde zwischen den Streitteilen nicht vereinbart, daß die Aufbringung des Kaufpreises durch die Aufnahme eines Bankdarlehens oder Bauspardarlehens mit gleichzeitiger Besicherung durch das Kaufobjekt erfolgen solle. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen gab sich die Klägerin gegenüber der Beklagten in zahlreichen Einzelgesprächen als zahlungskräftige und zahlungswillige Vertragspartnerin aus; gegenteilige Eigenschaften ihrer Person verschwieg sie bewußt. Dabei bezeichnete die Klägerin ihre finanzielle Situation als günstig und gab vor, eine Liegenschaft in Eggersdorf zu besitzen, die sie verkaufen wolle, wobei sie einen beträchtlichen Kauferlös erwarte. Weiters erwähnte sie, daß sie aus der Schweiz große Geldbeträge bekomme.

Nur deshalb war die Beklagte bereit, mit der Klägerin einen Kaufvertrag hinsichtlich ihrer Liegenschaft abzuschließen. Am 8. September 1981 wurde im Haus Baiernstraße 52 von Rechtsanwalt Dr. Josef G*** ein als Vorvertrag bezeichneter schriftlicher Vertrag errichtet, den beide Streitteile unterfertigten. Darin wurde unter anderem vereinbart, daß die Klägerin von der Beklagten die Grundstücksparzelle 53/2 im Ausmaß von 798 m2 samt dem darauf befindlichen Wohnhaus Baiernstraße 52 kauft. Der Kaufpreis wurde mit 550.000 S vereinbart; er sei bei Errichtung des Kaufvertrages in bar zu entrichten. Die Verkäuferin verpflichtete sich, die Liegenschaft bis längstens 30. November 1981 zu räumen. Erst mit erfolgter Räumung werde die einverleibungsfähige Kaufvertragsurkunde errichtet und unterfertigt.

Eine Neuvermessung des Grundstückes ergab ein tatsächliches Ausmaß der verkauften Grundfläche von insgesamt 1129 m2. Somit verminderte sich der der Beklagten verbleibende Teil, auf dem diese nach Erhalt des Kaufpreises ein Fertigteilhaus errichten wollte, auf ein Ausmaß von 641 m2. Deshalb wurde der Kaufpreis einvernehmlich auf 650.000 S erhöht.

Am 10. und 11. November 1981 zog die Klägerin in das Haus Baiernstraße 52 ein und begann mit umfangreichen Renovierungs- und Instandsetzungsarbeiten im und am Haus. Die Beklagte behielt sich einen Raum im ersten Stock und ein Zimmer im Parterre. Es gelang in der Folge der Klägerin, sich in das Vertrauen der alleinstehenden Beklagten einzuschleichen und ihr im Zeitraum vom 11. November 1981 bis Ende Februar 1982 in betrügerischer Vorgangsweise Ersparnisse im Wert von über 1,000.000 S herauszulocken. Auf Grund ihrer Unerfahrenheit in Geschäftsangelegenheiten und ihrer Leichtgläubigkeit gewährte die Beklagte der Klägerin diese Darlehen ohne jede Besicherung. Dies erfolgte insbesondere deswegen, weil die Klägerin immer wieder vorgab, eine Liegenschaft in Eggersdorf zu besitzen und diese verkaufen zu wollen sowie größere Geldmengen aus der Schweiz zu bekommen.

Als die Beklagte Bedenken bezüglich der Zahlungsfähigkeit bzw. -willigkeit der Klägerin bekam, ließ sie Erhebungen durchführen. Es wurde festgestellt, daß die Klägerin vollkommen verschuldet ist, ihre Liegenschaft EZ 420 KG Burgstall weit über den Verkehrswert hinaus mit Pfandrechten belastet ist und außer einer Pension aus der Schweiz kein Geld zu erwarten ist.

Deshalb wurde von der Beklagten gegen die Klägerin eine Strafanzeige wegen Verdachtes des Betruges erstattet. In der zu 7 Vr 1439/83 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz anhängig gewesenen Strafsache wurde die Klägerin rechtskräftig wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs 3 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, die Klägerin habe die Beklagte bewußt durch unrichtige Darstellung ihrer Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit sowie ihrer Kreditfähigkeit in Irrtum geführt und die Beklagte hätte bei Kenntnis der wahren Eigenschaften und Verhältnisse der Klägerin den Vertrag vom 8.September 1981 nie geschlossen. Sie sei daher zur Irrtumsanfechtung berechtigt. Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 300.000 S übersteigt.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, daß es sich bei der Vereinbarung vom 8.September 1981 um keinen Vorvertrag im Sinne des § 936 ABGB, sondern um einen Kaufvertrag handle. Diese Vereinbarung enthalte abgesehen von der zur Verbücherung des Rechtsgeschäftes erforderlichen Aufsandungserklärung alle Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Kaufvertrages über eine Liegenschaft. Bei Konsensualverträgen wie beim Kauf einer Liegenschaft sei für einen Vorvertrag in der Regel schon deshalb kein Platz, weil der Kauf zustandegekommen sei, sobald die Parteien über Ware und Preis einig seien. Im Zweifel sei eine Abrede als Hauptvertrag und nicht als Vorvertrag anzusehen. Anders als beim Irrtum im Sinne der §§ 871 ff ABGB unterscheide das Gesetz bei listiger Irreführung nicht zwischen Geschäfts- und Motivirrtum oder zwischen wesentlichem und unwesentlichem Irrtum; auch ein durch List hervorgerufener unwesentlicher Irrtum bewirke die Ungültigkeit bzw. Anfechtbarkeit des Vertrages, und zwar auch dann, wenn er sich nicht auf die in den §§ 871 bis 873 ABGB erwähnten Punkte beziehe. Allerdings müsse das Verhalten des Täuschenden und damit der Irrtum des Gegners für den Vertragsabschluß kausal sein. Diese Voraussetzung sei gegeben. Es stehe fest, daß die Beklagte nur deshalb, weil die Klägerin ihre finanzielle Situation als günstig vorgab, weil sie behauptete, eine Liegenschaft in Eggersdorf zu besitzen, für diese einen beträchtlichen Kauferlös zu erwarten und aus der Schweiz große Geldbeträge zu bekommen, sich bereit erklärt habe, den Kaufvertrag abzuschließen. Die Klägerin habe somit arglistig im Sinne des § 870 ABGB gehandelt, indem sie die Beklagte in ihrem Entschluß, den Kaufvertrag zu schließen, durch Vorspiegelung falscher und Verschweigung wahrer Tatsachen beeinflußt habe. Aus dem Umstand, daß sich die Klägerin in wiederholten Gesprächen gegenüber der Beklagten als zahlungskräftige Vertragspartnerin ausgegeben und ihre ungünstige Vermögenssituation bewußt verschwiegen habe, müsse auch gefolgert werden, daß die überlistete Beklagte geirrt habe und daß der Irrtum einen Einfluß auf den Willensentschluß der Beklagten ausgeübt habe. Die durch List der Klägerin zur Vereinbarung veranlaßte Beklagte sei somit nicht verpflichtet, den Vertrag zuzuhalten.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft sie aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht, allenfalls an das Erstgericht zurückzuverweisen oder die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

Aber auch den Ausführungen der Klägerin in ihrer Rechtsrüge kann nicht gefolgt werden.

Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die Vorschrift des § 870 ABGB bei listiger Irreführung nicht zwischen Geschäfts- und Motivirrtum oder zwischen wesentlichem und unwesentlichem Irrtum unterscheidet; auch ein durch List hervorgerufener unwesentlicher Irrtum bewirkt die Anfechtbarkeit des Vertrages, und zwar auch dann, wenn er sich nicht auf die in den §§ 871 bis 873 ABGB erwähnten Punkte bezieht (SZ 27/63; SZ 33/114 uva).

Wer einen anderen in seinem Entschluß, ein Rechtsgeschäft überhaupt oder doch mit einem bestimmten Inhalt vorzunehmen, durch eine mittels Vorspiegelung falscher oder Verschweigung wahrer Tatsachen gewollte Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums bewußt mit dem Ziel beeinträchtigt, daß dadurch sein rechtsgeschäftlicher Wille beeinflußt wird oder doch beeinflußt werden könnte, handelt arglistig im Sinne des § 870 ABGB (SZ 52/22; 6 Ob 641/79; SZ 53/108 mwN ua).

Daß die Klägerin die Beklagte vor Abschluß der Vereinbarung vom 8. September 1981 durch bewußt falsche Angaben über ihre Vermögensverhältnisse in Irrtum über ihre finanzielle Leistungsfähigkeit führte, wurde von den Vorinstanzen festgestellt. Es kommt hier nicht darauf an, ob die Klägerin eine Rente aus der Schweiz bezieht (deren Höhe im übrigen auch in der Revision nicht konkret angegeben wird) und ob sie in der Lage gewesen wäre, den Kaufpreis für die gekaufte Liegenschaft durch Kreditaufnahme aufzubringen. Entscheidend ist vielmehr, daß die Klägerin gegenüber der Beklagten bewußt den unzutreffenden Anschein erweckte, daß sie aus dem Erlös des Verkaufes einer Liegenschaft in Eggersdorf und aus ihr aus der Schweiz zukommenden großen Geldbeträgen den von ihr zu bezahlenden Kaufpreis leicht aufbringen könne und daß diese von der Klägerin behauptete günstige finanzielle Situation der einzige Grund für die Beklagte war, mit ihr einen Kaufvertrag über ihre Liegenschaft abzuschließen. Daß die Klägerin ihre finanzielle Situation gegenüber der Beklagten bewußt unrichtig darstellte, ergibt sich aus der Feststellung der Vorinstanzen. Diese allein dem Tatsachenbereich zuzuordnende Feststellung kann im Revisionsverfahren ebensowenig mit Erfolg bekämpft werden wie die Feststellung, daß diese unrichtige Darstellung ihrer finanziellen Situation durch die Klägerin Einfluß auf die Willensbildung der Beklagten beim Vertragsabschluß hatte (5 Ob 538/82; 8 Ob 202/83 ua). Daß aber diese bewußt unrichtige Darstellung ihrer Vermögenslage durch die Klägerin gegenüber der Beklagten den Zweck verfolgte, in dieser die unrichtige Vorstellung hervorzurufen, daß die Klägerin mühelos in der Lage sei, den von ihr zu bezahlenden Kaufpreis aufzutreiben und damit den Willensentschluß der Beklagten zum Vertragsabschluß mit der Klägerin zu beeinflussen, ergibt sich zwangsläufig aus der Tatsache, daß sich die Beziehungen zwischen den Streitteilen vor Abschluß der Vereinbarung vom 8. September 1981 in Verhandlungen über den Abschluß eines derartigen Vertrages erschöpften. Es ist daher völlig unerfindlich, welchen anderen Zweck die vor diesem Zeitpunkt erfolgten bewußt unrichtigen Darstellungen ihrer Vermögenslage durch die Klägerin gegenüber der Beklagten gehabt haben könnten als den, diese über die finanzielle Leistungsfähigkeit der Klägerin in Irrtum zu führen und damit ihren Willensentschluß zum Abschluß des von der Klägerin gewünschten Vertrages zu beeinflussen.

Mit Recht hat unter diesen Umständen das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 870 ABGB für gegeben erachtet und damit die Bindung der Beklagten an die am 8. September 1981 getroffene Vereinbarung mit der Klägerin verneint.

Der Revision der Klägerin muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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