Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, den Beklagten die mit 16.837,76 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von 1.530,71 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 22. November 1984 ereignete sich in Zwentendorf ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Radfahrerin und der Erstbeklagte als Lenker seines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs St 946.558 beteiligt waren. Die Klägerin wurde schwer verletzt. Die Haftung der Beklagten für die unfallbedingten Schäden der Klägerin ist unstrittig. Die Klägerin begehrte von den Beklagten 1,785.020 S sA (darin unter anderem 1,500.000 S an Schmerzengeld für die Zeit bis 31. Oktober 1987) und eine monatliche Schmerzengeldrente ab 1. November 1987 von 5.000 S. Sie stellte auch ein entsprechendes Feststellungsbegehren.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Leistungsbegehrens. Das Erstgericht erkannte die Beklagten schuldig, der Klägerin 1,585.020 S sA sowie eine Schmerzengeldrente von 5.000 S monatlich ab 1. November 1987 zu bezahlen; es gab überdies dem Feststellungsbegehren statt. Das Mehrbegehren wies es ab. Es traf - soweit hier noch relevant - nachstehende Feststellungen:
Die Klägerin ist am 25. November 1928 geboren. Sie wurde gleich nach dem Unfall ins Krankenhaus Tulln eingeliefert, wo man eine komplette hohe Querschnittlähmung feststellte. Sie wurde dann in das Krankenhaus Wien-Rudolfsstifung weitertransportiert, von wo man sie am 23. November 1984 ins Lorenz Böhler-Unfallkrankenhaus in Wien verlegte. Dort diagnostizierte man eine Teilverrenkung des 4. und 5. Halswirbels gegeneinander mit Lähmung aller vier Gliedmaßen unterhalb des 5. Halssegmentes, weiters einen knöchernen Abriß vom
4. und 5. Halswirbel, einen Schlüsselbeinbruch links sowie mehrere Hautwunden und Prellungen am Körper. Bei einer Operation wurde von vorne her der 4. und 5. Halswirbel mit Platten und Schrauben fixiert und die abnorme Beweglichkeit dieser Halswirbel gegeneinander behoben. Nach der Operation besserten sich unter gymnastischen Übungen die Lähmungen im bescheidenen Ausmaß und der durch die Gewißheit der bleibenden Invalidität stark angegriffene Seelenzustand der Klägerin stabilisierte sich einigermaßen. Am 18. Dezember 1984 wurde die Klägerin ins Rehabilitationszentrum Bad Häring überwiesen, wo sie bis 24. Oktober 1985, also mehr als 10 Monate, blieb und einer intensiven Übungsbehandlung unterzogen wurde. Bei der Entlassung war zwar die Hautsensibilität weitgehend erhalten; nach wie vor waren aber alle vier Gliedmaßen, wenn auch in etwas geringerem Ausmaß als unmittelbar nach dem Unfall, mit Schwerpunkt in der rechten Körperhälfte gelähmt. Sie konnte sich mit eigener Kraft im Bett nicht umdrehen und aus dem Liegen nicht aufsetzen. Sie konnte sich jedoch aus dem Sitzen mit eigener Kraft vom Bett in den Rollstuhl und umgekehrt begeben. Sie konnte nur mit Stützkrücken, die, weil sie diese mit den Fingern nicht halten konnte, an ihre Unterarme angeschnallt werden mußten, und mit zusätzlicher fremder Hilfe bis 200 m weit gehen. Die rechte obere Gliedmaße konnte sie praktisch überhaupt nicht, die linke obere nur sehr eingeschränkt bewegen und gebrauchen, indem sie zB klein geschnittene Nahrungsmittel mit einer Gabel - nicht jedoch mit einem Löffel - zum Mund führen konnte. Sie verspürte Harn- und Stuhldrang, doch waren Blasen- und Mastdarmfunktion teilweise gelähmt, sodaß die Harnentleerung nur ausnahmsweise am Klosett, in der Regel aber dreimal täglich durch Katheterisieren erfolgen mußte. Die Darmentleerung erfolgte meist nur nach Einnahme eines entsprechenden Medikamentes an jedem 2. Tag, fallweise auch nachts. Das Sexualleben war völlig zum Erliegen gekommen.
Die Klägerin hatte aufgrund der Unfallverletzungen und der Heilbehandlung körperliche Schmerzen und - vor allem durch das Gefühl der Bewegungsunfähigkeit und des eingeschränkten Gebrauches ihrer Gliedmaßen - Mißempfindungen zu erdulden und wird solche bis zum Erreichen eines endgültigen Anpassungs- und Gewöhnungszustandes, der voraussichtlich drei Jahre nach dem Unfall, also Ende November 1987, erreicht sein wird, erleiden müssen. In geraffter Form sind dies 150 Tage starke, 300 Tage mittlere und 250 Tage leichte Schmerzen. Da es sich bei dem oben beschriebenen Zustand der Klägerin um einen nicht mehr besserungsfähigen Dauerzustand handelt, wird die Klägerin bis zu ihrem Lebensende leichte körperliche Schmerzen und Mißempfindungen zu erleiden haben, die, in geraffter Form angegeben, sieben Tage pro Monat ausmachen werden. Die seelische Beeinträchtigung der Klägerin durch die Unfallverletzungen und die dadurch bewirkte körperliche Beeinträchtigung ist erheblich. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Schmerzengeldanspruch der Klägerin für die Zeit bis Ende Oktober 1987 mit 1,300.000 S berechtigt sei und auch die Schmerzengeldrente zu Recht begehrt werde.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es der Klägerin 1,285.020 S sA zuerkannte, ein Mehrbegehren von 500.000 S sA und das Rentenbegehren von 5.000 S monatlich abwies. Der Feststellungsausspruch blieb unberührt. Der Höhe nach sei ein Schmerzengeld von 1,000.000 S angemessen. Eine Schmerzengeldrente könne nicht zuerkannt werden. Wolle man das Prinzip der Kapitalabfindung aufrecht erhalten, rechtfertigten selbst Verletzungsfolgen, die mit einer dauernden erheblichen Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens einhergehen, für sich allein die Zuerkennung einer Schmerzengeldrente noch nicht. Zu den hier vorliegenden, zweifellos als äußerst schwerwiegend zu qualifizierenden Verletzungsfolgen hinzutretende Umstände, denen zufolge der Zuspruch einer Rente dem Ziel des Schmerzengeldes eher entspräche als der Zuspruch eines einmaligen Kapitalbetrages, seien weder aufgezeigt worden noch seien sie nach der Aktenlage anzunehmen. Hievon ausgehend und angesichts der Überschaubarkeit der künftigen Leiden der Klägerin bestehe aber, nicht zuletzt auch unter Bedachtnahme auf das Alter der Klägerin, kein hinreichender Grund, nicht auch das künftige unfallsbedingte körperliche und seelische Ungemach der Klägerin mit einem Globalbetrag abzufinden.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß ein weiterer Schmerzengeldbetrag von 300.000 S und die begehrte monatliche Schmerzengeldrente von 5.000 S zuerkannt werden.
Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Klägerin ist insoweit Recht zu geben, als die von ihr erlittene Querschnittlähmung überaus gravierende Folgen aufweist. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch bisher lediglich in Ausnahmsfällen (vgl. etwa 2 Ob 4/87, 8 Ob 20/86 und 5 Ob 608/84) ein Schmerzengeld von 1 Mio S zugesprochen. Die beiden letzteren Fälle betrafen jeweils Verletzte, welche ein apallisches Syndrom erlitten hatten, wodurch es zu einer gänzlichen Persönlichkeitszerstörung gekommen war, sodaß sie auf ein vegetatives Leben auf primitivster Bewußtseinsstufe ("unter dem eines intelligenten Tieres" bzw. eine "parasomnische Bewußtseinslage mit Primitivreflexen") bei ständiger Bettlägerigkeit beschränkt waren und auf Schmerzreize bzw. Muskelkrämpfe nur unartikuliert durch Schreie reagieren konnten. Ein Mensch aber, der zwar weitestgehend die körperliche Mobilität verloren, jedoch seine geistigen Entfaltungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten behalten hat, kann im allgemeinen nicht als noch schlechter gestellt angesehen werden als jemand, der überhaupt sämtliche menschlichen Daseinsinhalte verloren hat. Davon ausgehend wurde der Klägerin im Hinblick auf den schon von den Unterinstanzen hervorgehobenen außergewöhnlichen Grad der mit der von ihr erlittenen kompletten Querschnittlähmung verbundenen körperlichen Beeinträchtigung vom Berufungsgericht zutreffend ein Schmerzengeld von 1 Mio S zuerkannt; es ist jedoch kein Grund gegeben, über den bisher für bei allerschwersten Leidens- und Zustandsbildern zugesprochenen Schmerzengeldbetrag von 1 Mio S hinauszugehen.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß Schmerzengeld grundsätzlich in einem einmaligen Globalbetrag zuzusprechen ist, es sei denn, die Folgen der Körperbeschädigung wären noch nicht vorhersehbar (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht4 166 f und die dort zitierte Rechtsprechung, ZVR 1976/77; ZVR 1979/308; ZVR 1983/345; 8 Ob 1/87 uva). Bei der Klägerin sind die Verletzungsfolgen zweifellos überaus schwer, weshalb sie - wie oben dargelegt wurde - den Zuspruch von 1 Mio S Schmerzengeld rechtfertigen. Der vorliegende Fall liegt aber auch im Hinblick auf das fortgeschrittene Alter der Klägerin doch insoweit im Rahmen des Überschaubaren, daß der von der Judikatur für die Zumessung von Schmerzengeld gesteckte Rahmen mit dem der Klägerin zuerkannten Betrag von 1 Mio S ausgeschöpft ist, sodaß für eine darüber hinausgehende Schmerzengeldrente kein Grund gefunden wird. Die gegenteiligen Argumente der Klägerin sind nicht stichhaltig.
Ihrer Revision mußte somit der Erfolg versagt werden. Der Kostenausspruch beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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