OGH 8Ob55/87

OGH8Ob55/871.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Luise OHM, Hausfrau, Friesenstraße 5a, D-2930 Varel 1, BRD, vertreten durch Dr. Rudolf Wieser, Dr. Friedrich Hohenauer und Dr. Martin Zanon, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1) Carmen P***, Schülerin, Schidlachstraße 2, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Richard Larcher, Rechtsanwalt in Innsbruck, und 2) Gabriele W***, Schülerin, Burghart-Breitner-Straße 11, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Arne Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 166.000,-- s.A. und Feststellung (S 120.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 22. April 1987, GZ 3 R 100/87-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. Dezember 1986, GZ 11 Cg 341/85-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit S 10.198,65 (darin Umsatzsteuer von S 927,15, keine Barauslagen) und der zweitbeklagten Partei die mit S 10.198,65 (darin Umsatzsteuer von S 927,15, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 9. April 1984 ging die am 11. September 1924 geborene Klägerin gegen 17,05 Uhr in Innsbruck am östlichen Gehsteig der Leopoldstraße in südlicher Richtung. Die am 26. September 1969 geborene Erstbeklagte und die am 5. März 1969 geborene Zweitbeklagte gingen auf dem gleichen Gehsteig in der Gegenrichtung; die Erstbeklagte ging dabei links (westlich) von der Zweitbeklagten. Im Zuge der Begegnung kam die Klägerin auf Höhe des Hauses Nr. 23 zu Sturz, wobei sie verletzt wurde. Ein wegen dieses Unfalles gegen die Erstbeklagte zu 8 U 1008/84 des Bezirksgerichtes Innsbruck eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 12 Abs 1 JGG eingestellt. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 166.000,-- s.A. (Schmerzengeld, Entschädigung für Behinderung in der Haushaltsführung); überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Dem Grunde nach stützte die Klägerin ihr Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß die beiden Beklagten schuldhaft ihren Sturz herbeigeführt hätten. Sie seien eingehängt gegangen und hätten, obwohl der Gehsteig auf Höhe des Hauses Nr. 23 sehr eng sei und sie die entgegenkommende Klägerin gesehen hätten, einander nicht losgelassen, sondern seien, die Zweitbeklagte rechts an der Hausmauer und die Erstbeklagte links von ihr, weitergegangen. Als die Klägrin auf Höhe der Beklagten gewesen sei, habe sie von der Erstbeklagten einen Stoß erhalten, wodurch sie das Gleichgewicht verloren habe und auf die Straße gestürzt sei. Unmittelbar vor der Begegnung mit der Klägerin habe die Erstbeklagte die in sie eingehängte Zweitbeklagte noch gegen die Hausmauer "geschubst", wodurch diese dann an die Hausmauer gestoßen und wieder zurück in Richtung Straße nach links "gefedert" sei. Die Erstbeklagte wendete dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß sie kein Verschulden an der Verletzung der Klägerin treffe. Es sei nicht richtig, daß sie die in sie eingehängte Zweitbeklagte unmittelbar vor der Begegnung mit der Klägerin gegen die Hausmauer "geschubst" habe, wodurch diese wieder in Richtung Fahrbahn "zurückgedert" sei. Vielmehr habe die Erstbeklagte, um der entgegenkommenden Klägerin auszuweichen, die Zweitbeklagte ganz leicht gegen die Hausmauer gedrängt, worauf die Zweitbeklagte die Erstbeklagte in Richtung Fahrbahn zurückgestoßen habe. Die Erstbeklagte habe in der Folge eine Berührung mit der Klägerin nicht mehr verhindern können. Diese Berührung sei jedoch derart leicht gewesen, daß die Erstbeklagte sie zunächst gar nicht wahrgenommen habe. Die Klägerin treffe ein schwerwiegendes Mitverschulden, weil sie, obwohl der Gehsteig an der Unfallstelle nur 1,7 m breit sei, nicht auf die ihr entgegenkommenden Personen geachtet habe und nicht ganz am Gehsteigrand gegangen sei.

Auch die Zweitbeklagte bestritt, daß sie ein Verschulden an dem Unfall der Klägerin treffe. Als sich die Klägerin den beiden eingehängt nebeneinander gehenden Beklagten genähert habe, sei die Zweitbeklagte nach rechts ausgewichen und von der Erstbeklagten an die Hausmauer gedrückt worden; sie habe mit der rechten Schulter die Hausmauer berührt. In der Folge sei die Erstbeklagte mit der Klägerin zusammengestoßen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Zur Unfallszeit war es taghell; es herrschten gute Sichtverhältnisse. Der asphaltierte Gehsteig war trocken. Er ist im Unfallsbereich 1,7 m breit. Zur Unfallszeit war die Leopoldstraße stark belebt.

Die Klägerin ging in südlicher Richtung. Einige Meter vor ihr gingen ihr Mann und ihr Sohn. Die Klägerin hielt eine normale Gehgeschwindigkeit ein. Sie ging am westlichen Gehsteigrand. Die Klägerin blickte zwar in Gehrichtung und bemerkte auch, daß ihr Passanten entgegenkamen. Bis zur Berührung mit der Erstbeklagten hatte sie jedoch die beiden Beklagten, genauso wie die übrigen Passanten, nicht bewußt wahrgenommen.

Da ihr Mann an den Beklagten ohne Behinderung vor ihr vorbeigegangen war, wollte auch die Klägerin an den Beklagten vorübergehen. Hiebei kam es zu einer Berührung der Klägerin mit ihrer linken Schulter und der linken Schulter der Erstbeklagten. Dadurch stürzte die Klägerin auf die Fahrbahn der Leopoldstraße. Bis zur Berührung mit der Erstbeklagten war die Klägerin nicht stehen geblieben.

Es kann nicht festgestellt werden, ob die Berührung ein leichter, eher leichter oder heftiger Anstoß war sowie ob die Klägerin zwischen dem Anstoß und dem Sturz noch einige Schritte gestolpert war.

Die Klägerin blieb mit ihrem Körper auf der Fahrbahn der Leopoldstraße liegen. Mit ihren Füßen befand sie sich noch auf dem Gehsteig.

Die zum Unfallszeitpunkt 14 bzw. 15 Jahre alten Beklagten waren auf dem östlichen Gehsteig der Leopoldstraße in nördlicher Richtung gegangen. Sie hielten ebenfalls eine normale Gehgeschwindigkeit ein. Nachdem sie anderen Passanten auf dem Gehsteig dadurch ausgewichen waren, daß sie abwechselnd zur Seite traten, gingen sie eingehängt nebeneinander weiter, wobei die Zweitbeklagte unmittelbar neben der Mauer und die Erstbeklagte straßenseitig ging.

Um der entgegenkommenden Klägerin Platz zu machen und auszuweichen, drückte die Erstbeklagte die Zweitbeklagte nach rechts zur Mauer hin; zuvor hatte die Zweitbeklagte zum westlichen Rand des Gehsteiges einen Abstand von ca. 75 cm eingehalten. Durch das Abdrängen seitens der Erstbeklagten berührte die Zweitbeklagte mit ihrer rechten Schulter leicht die Hausmauer oder einen daran befestigten Kaugummiautomaten. Die Beklagten gerieten aber wieder etwas nach links.

Es kann nicht festgestellt werden, ob die Bewegung weg von der Hausmauer in Richtung zum Gehsteigrand durch einen Anstoß der Erstbeklagten an der Hausmauer oder einen daran befestigten Kaugummiautomaten, durch einen willkürlichen Bewegungsimpuls der Zweitbeklagten oder durch einen Bewegungsimpuls der Erstbeklagten zustande kam. Nicht festgestellt werden kann weiters, ob und wenn ja welche der Beklagten dieser Bewegung erfolgreich entgegenwirken konnte.

In der Folge kam es zu der bereits erwähnten Berührung der linken Schulter der Erstbeklagten mit der Schulter der Klägerin. Nicht feststellbar ist, wie weit die Erstbeklagte zum Zeitpunkt der Berührung mit der Klägerin noch vom Gehsteigrand entfernt war und ob dieser Abstand für die Klägerin ausgereicht hätte, ohne Berührung mit der Erstbeklagten und ohne Verlassen des Gehsteiges an den Beklagten vorbeizukommen. Die Beklagten gingen zunächst weiter und hatten den Sturz der Klägerin gar nicht bemerkt. Die beiden Beklagten waren bis zum Zeitpunkt der Berührung mit der Klägerin nicht stehen geblieben. Bis zum Abdrängen der Zweitbeklagten durch die Erstbeklagte in Richtung zur Hausmauer waren sie jedenfalls eingehängt gegangen. Ob sie auch danach, also zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes, noch eingehängt waren, kann nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, wie weit sich beide Beklagte nach dem Kontakt der Zweitbeklagten mit der Mauer bzw. dem Kaugummiautomaten von der Hausmauer wegbewegt haben. Die Klägerin erlitt durch den Sturz auf die rechte Hüfte einen Schenkelhalsbruch rechts.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, gemäß § 1311 ABGB treffe der bloße Zufall denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereigne. Habe aber jemand den Zufall durch ein Verschulden veranlaßt, ein Gesetz das zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, übertreten oder sich ohne Not in fremde Geschäfte gemengt, hafte er für allen Nachteil, welcher sonst nicht erfolgt wäre. Gemäß § 78 lit c StVO sei es auf Gehsteigen und Gehwegen in Ortsgebieten verboten, den Fußgängerverkehr insbesondere auch durch das Verstellen des Weges zu behindern. Zweck dieser Bestimmung sei es, Behinderungen und Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer, unter anderem auch der Fußgänger untereinander, zu verhindern. Die Bestimmung des § 78 StVO stelle deshalb eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB dar.

Im vorliegenden Fall seien die beiden Beklagten aus einem nicht feststellbaren Grunde von der Hausmauer weg in Richtung zum Gehsteig geraten, wobei aber nicht gesagt werden könne, wie weit sie dorthin kamen und ob die Klägerin bei ausreichender Aufmerksamkeit noch ohne Verlassen des Gehsteiges zwischen den Beklagten und dem Gehsteigrand hindurchkommen hätte können. Dieses Verhalten der Beklagten könne nicht als objektiver Verstoß gegen § 78 lit c StVO betrachtet werden, weil ein bloßes Abweichen von der ursprünglichen Bewegungslinie, durch welches nicht nachgewiesenermaßen das Vorbeigehen eines entgegenkommenden Fußgängers bei gehöriger Aufmerksamkeit ohne Verlassen des Gehsteiges unmöglich gemacht werde, nicht als Behinderung des Fußgängerverkehrs im Sinne der zitierten Gesetzesstelle angesehen werden könne. Somit sei davon auszugehen, daß die Schutznorm des § 78 lit c StVO von den Beklagten nicht verletzt worden sei.

Bei dieser Sachlage treffe die Klägerin die Beweislast für das Verschulden der Beklagten sowie den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten und dem Unfall der Klägerin. Die Klägerin habe unter Beweis gestellt, daß die Abweichung der Beklagten von deren ursprünglichen Gehlinie zum Zusammenstoß geführt habe und daher ursächlich für die Verletzungen gewesen sei. Die Klägerin habe auch bewiesen, daß zumindest eine der beiden Beklagten die Abweichung von der ursprünglichen Gehlinie verursacht und sogar verschuldet habe, weil diese Abweichung entweder durch das Hindrängen der Zweitbeklagten durch die Erstbeklagte zur Hausmauer oder durch einen willkürlichen Bewegungsimpuls entweder der Erstbeklagten oder der Zweitbeklagten zum Gehsteigrand hin zustande gekommen sein müsse. Die Klägerin habe aber nicht bewiesen, welche dieser drei möglichen Ursachen zum Unfall geführt habe.

Damit stelle sich das Problem der alternativen Kausalität. Es hafte jeder der in Betracht kommenden Täter, allerdings nur dann, wenn jeder von ihnen nachgewiesenermaßen schuldhaft und rechtswidrig gehandelt habe, ohne daß der Kausalzusammenhang gerade seines Verhaltens mit dem schädlichen Erfolg feststehe. Im vorliegenden Fall könne nun aber nicht gesagt werden, daß jede der beiden Beklagten schuldhaft und rechtswidrig gehandelt habe. Die Klägerin habe deshalb den Beweis der Kausalität und des Verschuldens der Beklagten nicht erbracht, weshalb ihr Klagebegehren abzuweisen sei. Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt und daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, es sei zunächst zu prüfen, ob die Beklagten dadurch, daß sie trotz der ihnen entgegenkommenden Klägerin auf dem nur 1,7 m breiten Gehsteig eingehängt gegangen seien, gegen die als Schutzgesetz nach § 1311 ABGB anzusehende Bestimmung des § 78 lit c StVO verstoßen hätten. Treffe dies zu, hätten die Beklagten den Beweis zu erbringen, daß sie sich vorschriftsmäßig verhalten hätten oder daß der Unfall auch im Fall ihres vorschriftsgemäßen Verhaltens eingetreten wäre.

Gemäß § 78 lit c StVO sei es auf Gehsteigen im Ortsgebiet unter anderem verboten, den Fußgängerverkehr durch den Verkauf oder die Verteilung von Programmen oder Eintrittskarten vor Theatern und Vergnügungsstätten, durch das Verstellen des Weges, durch das Tragen von Reklametafeln sowie durch den Verkauf von Druckschriften, durch das Mitführen von Tieren oder durch unbegründetes Stehenbleiben zu behindern. Aus dem Wortlaut dieser Gesetzesstelle ergebe sich, daß die dort angeführten Tätigkeiten nicht schlechthin, sondern nur dann verboten seien, wenn dadurch der Fußgängerverkehr behindert werde, was bei einer derartigen Tätigkeit auf schmalen Gehsteigen, bei besonders dichtem Fußgängerverkehr oder bei Verwendung von Verkaufsvorrichtungen etc zu bejahen sei. Die verbotenen Tätigkeiten seien im Gesetz nur demonstrativ aufgezählt. Eine Ausdehnung auf andere im Gesetz nicht ausdrücklich genannte Tätigkeiten komme nur dann in Frage, wenn sich diese entsprechend ihrem Sinn und Zweck mit den im § 78 lit c StVO genannten Tätigkeiten deckten. Es lasse sich aus der Vorschrift des § 78 lit c StVO nicht eine generelle, von den Umständen des Einzelfalles losgelöste Verpflichtung von Fußgängern ableiten, auf schmalen Gehsteigen ausschließlich hintereinander zu gehen. Die demonstrative Aufzählung im Gesetz beinhalte mehr oder weniger nur statische Hindernisse für den sich bewegenden Fußgängerverkehr. Hingegen seien vom Schutzzweck des § 78 lit c StVO nicht jegliche Behinderungen, zum Beispiel auch durch ein Nebeneinandergehen von Fußgängern, erfaßt. Insbesondere bei starker Verkehrsfrequenz auf den Gehsteigen ließen sich solche Behinderungen schon deshalb nicht hintanhalten, weil es für die Fußgänger auf dem Gehsteig keine etwa dem Rechtsfahrgebot für Fahrzeuge entsprechende Vorschriften oder andere bindende Bestimmungen für die Begegnung bzw. das "Überholen" gebe. Der Gesetzgeber habe also die besonders aus starkem gegenläufigen Fußgängerverkehr aus schmalen Gehsteigen resultierenden unvermeidlichen Behinderungen offenbar wegen ihrer geringen Gefährlichkeit in Kauf genommen. Ein Nebeneinandergehen von Fußgängern könne nur dann dem Verbot des § 78 lit c StVO unterstellt werden, wenn damit ein "Verstellen des Weges" im Sinne dieser Gesetzesstelle verbunden wäre. Im vorliegenden Fall sei dies nicht zugetroffen, da für die Klägerin allenfalls die Möglichkeit bestanden hätte, an den Beklagten vorbeizukommen, ohne den Gehsteig zu verlassen.

In der Rechtsprechung sei die Verpflichtung von Fußgängern verneint worden, auf nicht genügend breiten Gehsteigen ausschließlich hintereinander zu gehen. In einem solchen Fall sei es für zulässig erachtet worden, daß ein Fußgänger einen Teil des äußeren Fahrbahnrandes benütze. Um so weniger könne aber im Nebeneinandergehen von Fußgängern auf einem Gehsteig, das entgegenkommende Passanten nicht zu einem Wechsel auf die Fahrbahn zwinge, ein schuldhafter Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften erblickt werden.

Da die Beklagten somit nicht gegen ein Schutzgesetz verstoßen hätten, habe die Klägerin nach § 1295 ABGB die Beweislast dafür getroffen, daß sich die Beklagten rechtswidrig und schuldhaft verhalten und dadurch den Sturz der Klägerin herbeigeführt hätten. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen habe die Klägerin einerseits einen Verstoß der Beklagten gegen objektive Sorgfaltsanforderungen und damit ein rechtswidriges Verhalten nicht beweisen können. Aus dem Fehlen einer dem Fahrzeugverkehr analogen Regelung für den Fußgängerverkehr auf Gehsteigen sei zu schließen, daß der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die geringe Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung von Personen und den Umstand, daß bei jedermann ein Mindestmaß an Vorsicht gegenüber einer Selbstgefährdung vorauszusetzen sei, ein gewisses Risiko beim Fußgängerverkehr, etwa bedingt durch eine Änderung der Gehlinie, durch Streifungen etc, in Kauf genommen habe. Mit dem vorliegenden Fall vergleichbar seien jene Erwägungen, von denen sich die Rechtsprechung bei Sportunfällen leiten lasse. Solche Handlungen seien insoweit nicht rechtswidrig, als sie nicht das in der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko vergrößerten. Diese Rechtsprechung beruhe auf dem Gedanken des Handelns auf eigene Gefahr. Wer sich einer ihm bekannten oder erkennbaren Gefahr aussetze, wie etwa durch die Teilnahme an gefährlichen Veranstaltungen, dem werde eine Selbstsicherung zugemutet. Ihm gegenüber würden die dem Gefährdenden sonst obliegenden Sorgfaltspflichten aufgehoben oder eingeschränkt. Dies sei aber stets nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Allenfalls könne jedenfalls eine Verhaltensweise, die sonst nur als leichter Verstoß gegen die objektive Sorgfaltspflicht aufzufassen wäre, nicht rechtswidrig sein.

Dazu komme, daß den Beklagten ihr vom Erstgericht festgestelltes Verhalten auch subjektiv nicht als Verschulden vorwerfbar sei. Dies um so mehr, als nicht einmal feststehe, wer die Ursache für die Bewegung nach links in Richtung zur Bewegungslinie der Klägerin gesetzt habe.

Bei dieser Sach- und Rechtslage stelle sich auch nicht mehr die Frage der sogenannten alternativen Kausalität. Demnach genüge für die Schadenersatzpflicht die mögliche Verursachung, wenn mehrere Personen als Verursacher in Betracht kämen, aber nicht feststellbar sei, wer von ihnen der wirkliche Täter sei. In jedem Fall würde aber eine Zurechnung auch nach der Lehre von der alternativen Kausalität ein schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten der möglichen Täter voraussetzen, welches im vorliegenden Fall nicht gegeben sei. Mit Recht habe daher das Erstgericht das Klagebegehren abgewiesen.

Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO begründete das Berufungsgericht damit, daß die Rechtsfrage nach dem Inhalt der Bestimmung des § 78 lit c StVO in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes noch keine Behandlung gefunden habe und der Lösung dieser Rechtsfrage eine über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Bedeutung beizumessen sei. Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Beide Beklagte haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, die Revision der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen der von den Beklagten vertretenen Rechtsansicht zulässig, weil die Frage, wie sich Fußgänger bei der Begegnung auf Gehsteigen zu verhalten haben, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - soweit überschaubar - bisher nicht behandelt wurde.

Sachlich ist die Revision aber nicht berechtigt.

Ausdrückliche Verhaltensregeln für einen Gehsteig

(§ 2 Abs 1 Z 10 StVO) benützende Fußgänger werden zunächst im § 76 Abs 2 StVO aufgestellt. Nach dem ersten Satz dieser Gesetzesstelle dürfen Fußgänger in Gruppen (das sind zwei oder mehrere gleichzeitig den Gehsteig in enger räumlicher Verbindung benützende Fußgänger; vgl. Dittrich-Stolzlechner StVO3 II Rz 28 zu § 76) andere Straßenbenützer weder gefährden noch behindern. Im zweiten Satz dieser Gesetzesstelle wird angeordnet, daß Fußgänger, wenn es die Umstände erfordern, rechts auszuweichen und links vorzugehen haben. Damit wird für Fußgänger generell (also nicht nur für Fußgängergruppen) die Verpflichtung normiert, rechts auszuweichen und links vorzugehen, die allerdings nicht absolut gilt, sondern nur dann, wenn es die Umstände erfordern (Dittrich-Stolzlechner aaO Rz 30 zu § 76; MGA StVO6 Anm. 7 zu § 76). Mit dieser gesetzlichen Regelung wird der Fußgängerverkehr auf Gehsteigen nicht im Sinne einer strengen Rechtsgehordnung reglementiert. Es läßt sich daraus auch kein generelles Verbot des Nebeneinandergehens von Fußgängern auch auf schmalen Gehsteigen ableiten. Die gesetzliche Regelung ist vielmehr auf die gegebenen konkreten Umstände abgestellt. Ein Verbot des Nebeneinandergehens von Fußgängern läßt sich ihr nur für den Fall entnehmen, daß dadurch andere Fußgänger gefährdet oder behindert werden. Die Verpflichtung, einem entgegenkommenden Fußgänger nach rechts auszuweichen, besteht nicht schlechthin, sondern nur dann, wenn es die Umstände erfordern. Ein darüber hinausgehender Regelungsgehalt für das Verhalten von Fußgängern bei der Begegnung auf Gehsteigen kann auch der Vorschrift des § 78 lit c StVO nicht entnommen werden, und zwar auch dann nicht, wenn man den dort verwendeten Begriff des "Verstellens des Weges" auch auf sich begegnende Fußgänger anwendet; denn ein derartiges Verstellen des Weges ist bereits durch die im § 76 Abs 2 StVO normierte Anordnung verboten, daß dann, wenn es die Umstände erfordern, nach rechts auszuweichen ist.

Eine Behinderung anderer Straßenbenützer im Sinne des § 76 Abs 2 erster Satz StVO liegt vor, wenn durch das Fußgängerverhalten der ordnungsgemäße Ablauf des Verkehrsgeschehens gestört wird. Der Begriff der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geht noch darüber hinaus und meint eine qualifizierte Störung des ordnungsgemäßen Verkehrsablaufes dergestalt, daß daraus eine Gefahr für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer resultieren kann (Dittrich-Stolzlechner aaO Rz 29 zu § 76). Unter diesen Gesichtspunkten ist zumindest das Vorliegen der Behinderung eines Fußgängers zu bejahen, wenn er durch eine auf dem Gehsteig entgegenkommende Fußgängergruppe genötigt wird, den Gehsteig zu verlassen. Auch die Verpflichtung eines Fußgängers zum Rechtsausweichen wird unter diesen Umständen zu bejahen sein, wenn anders der entgegenkommende Fußgänger zum Verlassen des Gehsteiges genötigt würde.

Nach ständiger Rechtsprechung sind die Vorschriften des § 76 StVO als Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB anzusehen, die in erster Linie dem Schutz des Fußgängers dienen

(ZVR 1982/22 mwN ua).

Die Revisionsausführungen der Klägerin gehen weitgehend nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen aus; insoweit ist die Rechtsrüge der Klägerin nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt und kann zu ihr nicht Stellung genommen werden.

Die Feststellungen der Vorinstanzen gestatten es nicht, den Beklagten einen objektiven Verstoß gegen die Schutznorm des § 76 Abs 2 StVO mit dem dargestellten Regelungsinhalt anzulasten. Es steht nicht fest, daß die Beklagten im Zeitpunkt der Begegnung mit der Klägerin noch eingehängt nebeneinander gingen und die Klägerin durch eine solche Gehweise der Beklagten zum Verlassen des Gehsteiges genötigt worden wäre. Wenn die Erstbeklagte, um der entgegenkommenden Klägerin Platz zu machen, die Zweitbeklagte nach rechts zur Mauer hin abdrängte, wich sie damit der entgegenkommenden Klägerin nach rechts aus. Daß dieses Rechtsausweichen wegen der späteren Bewegung der Beklagten nach links, deren Ursache und Ausmaß nicht geklärt werden konnte, in ungenügendem Ausmaß erfolgt wäre, läßt sich den Feststellungen der Vorinstanzen deswegen nicht entnehmen, weil nicht festgestellt werden konnte, daß der trotz dieser Gehlinie der Beklagten der Klägerin verbleibende freie Raum nicht ausgereicht hätte, um ohne Verlassen des Gehsteiges und ohne Berührung mit der Erstbeklagten an den entgegenkommenden Beklagten vorbeizugehen.

Die Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 1311 ABGB durch die Beklagten ist somit aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht abzuleiten.

Zu prüfen bleibt, ob die Beklagten deswegen ein Verschulden an der Verletzung der Klägerin trifft, weil sie ihre allgemeine Verpflichtung zur Unterlassung der Gefährdung der körperlichen Sicherheit anderer Personen in fahrlässiger Weise verletzten (2 Ob 41/86). Die Beweispflicht dafür trifft im Sinne des § 1296 ABGB die Klägerin. Fahrlässigkeit (Sorglosigkeit) liegt nach Lehre und Rechtsprechung vor, wenn die objektiv gebotene Sorgfalt aus subjektiv zu vertretenden Gründen nicht eingehalten wird (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 21 zu § 1294). Sie ist zu verneinen, wenn die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes eines rechtswidrigen Erfolges so gering war, daß sie auch einen pflichtgemäß Handelnden nicht von der Handlung abgehalten oder zu größerer Vorsicht veranlaßt hätte. Sie liegt umgekehrt also vor, wenn der den Schaden Verursachende bei der nach objektiven Maßstäben zu beurteilenden gehörigen Sorgfalt mit der Möglichkeit des Eintritts jenes Schadenerfolges hätte rechnen müssen, mit der er selbst nicht rechnete (SZ 48/42; 4 Ob 568/82; 2 Ob 41/86 ua).

Geht man von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, dann ist zunächst nicht erkennbar, worin ein derartiges fahrlässiges Verhalten der Zweitbeklagten überhaupt liegen könnte, zumal nicht geklärt werden konnte, worauf die Bewegung der beiden Beklagten von der Hausmauer weg in Richtung zum Gehsteigrand zurückzuführen war und ob die Beklagten eine Möglichkeit gehabt hätten, dieser Bewegung erfolgreich entgegenzuwirken. Es kann aber auch der Erstbeklagten nicht als Fahrlässigkeit angelastet werden, daß sie die Zweitbeklagte im Zuge ihres Ausweichmanövers nach rechts zur Mauer hindrängte. Abgesehen davon, daß, wie bereits oben ausgeführt, gar nicht feststeht, daß der Klägerin nicht genügend Raum für eine gefahrlose Begegnung verblieben wäre, war es für die Erstbeklagte bei gehöriger Sorgfalt in keiner Weise vorhersehbar, daß ihr Ausweichmanöver zu einer späteren Richtungsänderung beider Beklagten nach links, deren Ursache nicht geklärt werden konnte, führen würde. Mit Recht haben unter diesen Umständen die Vorinstanzen eine Ersatzpflicht der Beklagten für den der Klägerin entstandenen Schaden verneint.

Der Revision der Klägerin muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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