OGH 5Ob506/88

OGH5Ob506/889.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in der Rechtssache des Antragstellers Dr. Erich H***, Angestellter, Klagenfurt, Wilfriedgasse 17, vertreten durch Dr. Wolfgang Gewolf, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die Antragsgegnerin Hildegard H***, Hausfrau, Klagenfurt, Koschatstraße 7, vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen gesonderter Wohnungnahme infolge Revisionsrekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 18. Dezember 1987, GZ 1 R 597/87-9, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 6. November 1987, GZ 2 F 13/87-6, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die zwischen Dr. Erich H*** und Hildegard H*** am 9. Oktober 1985 geschlossene Ehe, der keine Kinder entstammen, ist aufrecht, doch hat der Antragsteller bereits am 11. August 1987 zu 2 C 78/87 des Erstgerichtes eine auf § 49 EheG gestützte Ehescheidungsklage erhoben, der die Antragsgegnerin mit dem Antrag, die Klage abzuweisen, in eventu das überwiegende Verschulden des Antragstellers an der Ehezerrüttung festzustellen, entgegengetreten ist. Die Ehewohnung befindet sich im Haus Koschatstraße 7 in Klagenfurt. Während die Antragsgegnerin mit ihrem 8jährigen unehelichen Sohn Oliver weiterhin dort wohnt, hat der Antragsteller den ehelichen Haushalt am 11. September 1987 verlassen. Er lebte zunächst kurzfristig in seinem Almhaus auf der Koralpe und hat seit Anfang Oktober 1987 eine Kleinwohnung in der Wilfriedgasse 17 in Klagenfurt gemietet.

Am 17. September 1987 stellte Dr. Erich H*** beim Erstgericht den Antrag auf Feststellung, daß seine gesonderte Wohnungnahme rechtmäßig sei. Die Antragsgegnerin habe ihn insbesondere seit Einbringung der Scheidungsklage derart provoziert und unter Druck gesetzt, daß ihm der Amtsarzt wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes die sofortige, wenn auch nur vorübergehende räumliche Trennung von der Antragsgegnerin empfohlen habe. Seine gesonderte Wohnungnahme sei daher, solange die Antragsgegnerin ihr Verhalten nicht aufgebe und solange seine körperlich-seelisch-nervliche Regeneration nicht erfolgt sei, zur Erhaltung seiner Gesundheit und Arbeitskraft rechtmäßig. Die Antragsgegnerin bestritt das Antragsvorbringen, beantragte die Zurückweisung bzw. Abweisung des Begehrens des Antragstellers und wendete ein, daß die gesonderte Wohnungnahme des Antragstellers im Hinblick auf die in der Scheidungsklage behauptete unheilbare Zerrüttung der Ehe nicht einen vorübergehenden, sondern einen Dauerzustand darstelle, weshalb die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Außerstreitrichters nach § 92 Abs 3 ABGB nicht gegeben seien.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Antragstellers auf Grund folgender Sachverhaltsfeststellungen statt:

Der Antragsteller hat die Absicht, die von ihm gemietete Wohnung in der Wilfriedgasse nur vorübergehend und so lange zu benützen, bis sich sein Gesundheitszustand gebessert hat. Er ist sodann bereit, in die Ehewohnung zurückzukehren und die Versorgungsleistungen seiner Frau in Anspruch zu nehmen. Die Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft mit der Antragsgegnerin kommt für ihn aber nicht mehr in Frage. Der Antragsteller ist überzeugt, daß die Ehe unheilbar zerrüttet und eine Versöhnung der Parteien ausgeschlossen ist. Vor dem Auszug des Antragstellers legte die Antragsgegnerin eine provozierende Verhaltensweise an den Tag, indem sie begann, für den Antragsteller, der gerne Fleisch ist, Nudelgerichte und Suppen aber ablehnt, Krautfleckerln, Serbische Bohnensuppe, Sternchensuppe und danach Palatschinken sowie Szegedingergulasch zu kochen. Vom 4. bis mindestens 8. September 1987 ließ die Antragsgegnerin die Schmutzwäsche, sortiert nach Farbe und Material, am Boden des Speisezimmers liegen. Die Antragsgegnerin versuchte bis Anfang September 1987 den Antragsteller ferner dadurch, daß sie, auf der Couch im Wohnzimmer liegend, den auf einem Fauteuil vor dem Fernsehgerät sitzenden Antragsteller mit den Zehen stieß, zu reizen. Am 8. September 1987 schrie die Antragsgegnerin den Antragsteller an, weil er sich auf einen Sessel ihres Sohnes Oliver gesetzt hatte. Als sie feststellte, daß der Antragsteller diverse Kleingegenstände in einer Toilettetasche unterbrachte, stürzte sie auf den Antragsteller zu, schrie ihn an, daß er ihr schon wieder ihre Tasche stehle, und leerte den Inhalt aus. Als der Antragsteller ihr die Toilettetasche daraufhin wieder wegnehmen wollte, kam es zu einem Gerangel, bei welchem die Antragsgegnerin möglicherweise ein Hämatom im Bereich des linken Knies erlitt. Daraufhin verständigte die Antragsgegnerin telefonisch die Polizei, die jedoch nicht einschritt. Als der Antragsteller am 11. September 1987 mit dem Flugzeug aus Wien zurückkehrte, ersuchte er die Antragsgegnerin, ihm und Gernot H***, seinem Sohn aus erster Ehe, eine Mahlzeit zu verabreichen. Die Antragsgegnerin brachte Schinkenröllchen in das Speisezimmer und informierte den Antragsteller davon, daß er wegen des Vorfalles vom 8. September 1987 "seinen Senf" bekommen werde. Um sich die Vorhaltungen der Antragsgegnerin nicht anhören zu müssen, ließ der Antragsteller das Fernsehgerät im Wohnzimmer laufen; die Antragsgegnerin stellte daraufhin das Gerät leiser, worauf der Antragsteller die Lautstärke wieder erhöhte. Zwischen den Streitteilen kam es zu einer lautstarken Debatte, die damit endete, daß die Antragsgegnerin erklärte, der Antragsteller möge sich in das Wohnzimmer setzen, wenn er "terrisch" sei. Daraufhin setzten sich der Antragsteller und Gernot H*** mit dem Speisetablett zu einem kleinen Tisch im Wohnzimmer. Als die Antragsgegnerin dies sah, kam sie furienartig ins Wohnzimmer und riß den Tisch mit der Begründung weg, daß er ihr gehöre. Einige Brote sowie Besteck fielen deshalb auf den Boden. Der Antragsteller und Gernot H*** hoben die Sachen auf und stellten die Teller auf die Couch. Die Antragsgegnerin kam sodann wieder schreiend auf sie zu, riß das Tablett weg, setzte sich auf den Teller des Antragstellers und hinderte ihn daran, das Essen einzunehmen. Daraufhin verließen der Antragsteller und Gernot H*** die Ehewohnung. Der Antragsteller ist ein Mensch, der leicht in Erregung gerät. Er hat "schwache Nerven" und verkraftet das provokante Verhalten seiner Frau nicht. Es traten bei ihm psychovegetative Störungen auf, die bei Andauern der Situation zu organischen Schäden führen könnten. Der praktische Arzt Dr. Fritz H*** empfahl dem Antragsteller daher die sofortige, wenn auch nur vorübergehende, räumliche Trennung von seiner Frau. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens sowie einer unbedenklichen Beweiswürdigung und führte in rechtlicher Hinsicht aus:

Beizupflichten sei der Rekurswerberin darin, daß eine Entscheidung über einen Antrag nach § 92 ABGB nur dann zulässig sei, wenn die für die gesonderte Wohnungnahme angeführten Gründe bloß vorübergehender und nicht dauernder Natur seien. Nicht gefolgt werden könne ihr aber, wenn sie vermeine, daß der Antrag ihres Ehemannes im Hinblick auf dessen Vorbringen in der Scheidungsklage, wonach die Ehe unheilbar zerrüttet und an die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu denken sei, zurückgewiesen hätte werden müssen. Im Gegensatz zur Lehre vertrete die Rechtsprechung nämlich die Ansicht, daß die Anhängigkeit eines Scheidungsstreites einer Entscheidung des Außerstreitrichters grundsätzlich nicht im Wege stehe, weil die Entscheidung des Außerstreitrichters über ein anhängiges Scheidungsverfahren hinaus von rechtlicher Bedeutung sein könne, so etwa für die Frage des Unterhaltes jenes Ehegatten, der gesondert Wohnung genommen habe. Der Umstand, daß der Antragsteller am 11. August 1987 gegen die Antragsgegnerin die Scheidungsklage erhoben habe, stehe einer Entscheidung im Außerstreitverfahren demnach nicht entgegen und könne daher auch nicht die Zurückweisung des Antrages mangels Rechtsschutzinteresses bewirken. Auch dem Vorbringen des Scheidungsklägers in der Klageschrift könne keine für das vorliegende Außerstreitverfahren entscheidende Bedeutung beigemessen werden, weil Voraussetzungen eines jeden auf § 49 EheG gestützten Scheidungsbegehrens die unheilbare Zerrüttung der Ehe und die Aussichtslosigkeit der Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft seien, die Einbringung einer derartigen Scheidungsklage aber eine Entscheidung nach § 92 ABGB nicht hindere. Dazu komme, daß das Erstgericht, der Parteiaussage des Antragstellers folgend, unbekämpft festgestellt habe, daß der Antragsteller die von ihm gemietete Wohnung in der Wilfriedgasse nur vorübergehend benützen und nach Besserung seines Zustandes wieder in die Ehewohnung, die er seit 26 Jahren bewohne, zurückkehren wolle. Bei dieser Sachlage sei aber für eine Zurückweisung des Antrages kein Raum, weil nur ein echter Dauerzustand nicht zum Gegenstand einer Entscheidung des Außerstreitrichters gemacht werden könne. In der Sache sei davon auszugehen, daß nicht schon jede schwere Eheverfehlung des einen Ehegatten eine gesonderte Wohnungnahme des anderen Ehegatten rechtfertige, sondern daß hiefür nur besonders schwere Eheverfehlungen in Frage kämen - das Gesetz führe hier demonstrativ die körperliche Bedrohung an -, die dem anderen Teil einen Verbleib in der Ehewohnung unzumutbar machten. Dabei seien bei Prüfung der Voraussetzungen für die Feststellung der Rechtmäßigkeit der gesonderten Wohnungnahme eines Ehegatten weniger strenge Maßstäbe anzulegen als bei Prüfung der Voraussetzungen für die Erlassung des Auftrages an den anderen Ehegatten zum Verlassen der Ehewohnung im Sinne des § 382 Z 8 lit b EO, doch müsse auch bei gesonderter Wohnungnahme beachtet werden, daß die Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen unbestrittener Inhalt der ehelichen Lebensgemeinschaft sei. Dabei komme es nicht auf die bloß subjektive Meinung des Antragstellers bezüglich eines von ihm als unangenehm empfundenen Zustandes an, sondern auf den objektiven Sachverhalt und dessen Gewicht. Die Rechtsprechung habe hier den Grundsatz entwickelt, daß Unzumutbarkeit des Zusammenlebens nicht nur bei körperlicher Bedrohung anzunehmen sei, sondern auch bei unleidlichem schikanösem Verhalten des anderen Ehegatten, wenn dessen Ertragen unter den gegebenen Umständen billigerweise nicht verlangt werden könne. Gerade um einen solchen Fall handle es sich aber hier. Die Antragsgegnerin habe nach dem festgestellten Sachverhalt laufend versucht, den Antragsteller dadurch zu provozieren, daß sie ihm ungeliebte Speisen vorsetzte, die Schmutzwäsche mehrere Tage lang am Boden des Eßzimmers liegen ließ und ihn beim Fernsehen fortwährend mit den Füßen stieß. Es könne dahingestellt bleiben, ob sie dies in der Absicht tat, den Antragsteller zu Tätlichkeiten ihr gegenüber zu veranlassen, um diese sodann im anhängigen Scheidungsverfahren zu verwerten. Auf Grund des festgestellten Vorfalles vom 11. September 1987 billige das Rekursgericht die vom Erstgericht vertretene Ansicht, daß dem Antragsteller derzeit ein weiterer Verbleib in der Ehewohnung unzumutbar sei, und zwar unabhängig davon, ob dies bei ihm bereits zu krankhaften Erscheinungen geführt habe oder nicht. Daß die von der Antragsgegnerin an den Tag gelegte Vorgangsweise allerdings beim Antragsteller, der - wie unbekämpft feststeht - "schwache Nerven" hat und leicht in einen Erregungszustand gerät bzw. in einen solchen versetzt werden kann, eine erhebliche Streßbelastung bewirkte, könne nach den Verfahrensergebnissen und unabhängig von der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens nicht zweifelhaft sein. Die festgestellte Zermürbungstaktik der Antragsgegnerin gehe dabei weit über die mit dem Scheidungsverfahren üblicherweise auftretenden Spannungszustände und die daraus resultierenden psychischen Belastungen beider Ehepartner hinaus, sodaß dem Antragsteller insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich bei ihm um einen leicht reizbaren Menschen handelt, ein Weiterverbleib in der Ehewohnung unter den bestehenden Voraussetzungen billigerweise nicht mehr zugemutet werden könne. Folglich habe das Erstgericht ohne Rechtsirrtum dem auf § 92 ABGB gestützten Antrag des Dr. Erich H*** stattgegeben und dessen gesonderte Wohnungnahme als rechtmäßig festgestellt.

Gegen den bestätigenden Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der auf offenbare Gesetzwidrigkeit gestützte außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Zurückweisung bzw. Abweisung des Antrages des Antragstellers abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der nach § 16 AußStrG zu beurteilende (vgl. EFSlg 30.398, 32.703; MietSlg 34.801 ua) Revisionsrekurs ist unzulässig. Die Antragsgegnerin macht zusammengefaßt geltend, daß der Antragsteller mit der gegenständlichen Antragstellung nichts anderes bezwecke, als einen vom Gesetz ausdrücklich verpönten Dauerzustand zu schaffen, weshalb sein Antrag der Abweisung verfallen müsse. Hätte der Antragsteller erkennen lassen, daß für ihn im Falle einer Änderung des angeblichen Verhaltens der Antragsgegnerin und einer Besserung seines Gesundheitszustandes die Wiederaufnahme der umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft mit der Antragsgegnerin in Frage komme, so wäre der Antrag bei Zutreffen der Voraussetzungen des § 92 Abs 2 ABGB durchaus gerechtfertigt. So aber habe der Antragsteller unumwunden deponiert, daß für ihn eine Wiederaufnahme der umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft wegen der unheilbaren Ehezerrüttung nicht mehr in Frage komme. Er könne sich daher nicht darauf berufen, daß er lediglich einen Teilbereich der umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, nämlich das gemeinsame Wohnen, wieder für sich in Anspruch nehmen werde, um daraus die Berechtigung seiner vorläufigen gesonderten Wohnungnahme abzuleiten.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß der Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit nur dann vorliegt, wenn ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird (vgl. SZ 44/180, EFSlg 37.388 uva) oder wenn bei Fehlen einer konkreten Norm eine Entscheidung mit den Grundprinzipien des Rechts im Widerspruch stünde (vgl. EFSlg 37.389, MietSlg 34.801 ua); keine der beiden Voraussetzungen ist hier gegeben. Es ist insbesondere die Auffassung, daß es sich auch dann um eine vorübergehende gesonderte Wohnungnahme im Sinne des § 92 Abs 2 ABGB handelt, wenn der antragstellende Ehegatte bei Aufhören des ihm ein Zusammenleben unzumutbar machenden Verhaltens des anderen Ehegatten oder bei Wegfall der eine vorübergehende gesonderte Wohnungnahme rechtfertigenden persönlichen Gründe zwar zur Wiederaufnahme des gemeinsamens Wohnens, nicht aber zur Wiederaufnahme der umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft bereit ist, nicht offenbar gesetzwidrig (vgl. MietSlg 33.001 und 34.801 je mwN, wonach die Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens die Zulässigkeit und Berechtigung eines Antrages nach § 92 Abs 3 ABGB nicht ausschließt).

Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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