OGH 2Ob702/87

OGH2Ob702/8726.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois E***, geboren am 8. Oktober 1943 in Wels, Schlosser, 4664 Oberweis, Gmundnerstraße 42, vertreten durch Dr. Karl Reiter, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Franziska E***, geborene F***, geboren am 26. Februar 1944 in Eberstallzell, Hausfrau, 4813 Altmünster, Eben 303, vertreten durch Dr. Walter Brunnhuemer, Rechtsanwalt in Gmunden, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 27. Oktober 1987, GZ 4 R 87/87-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 3. Februar 1987, GZ 1 Cg 324/86-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 2.829,75 (darin keine Barauslagen und S 257,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Klage vom 19. September 1986 begehrte der Kläger die Scheidung seiner Ehe mit der Beklagten gemäß § 55 EheG. Er habe im Jänner 1981 eine andere Frau kennengelernt und mit ihr seit Februar 1983 in Lebensgemeinschaft gelebt, der ein am 3. Jänner 1984 geborenes Kind entstamme. Die Beklagte sei seit etwa einem Jahr in Kenntnis dieses unehelichen Kindes. Er habe wegen seiner Lebensgefährtin im Februar 1983 die häusliche Gemeinschaft mit der Beklagten verlassen, sei seither nur mehr gelegentlich in die ehemals eheliche Wohnung gekommen, um dort befindliche, seinem persönlichen Gebrauch dienende Sachen abzuholen oder um mit der Beklagten über Fragen einer Scheidung der Ehe zu reden. Die häusliche Gemeinschaft sei jedoch seit mehr als drei Jahren aufgehoben. Die Zuwendung zu einer anderen Frau sei vor allem darauf zurückzuführen, daß er schon vorher oft monatelang berufsbedingt allein im Ausland habe sein müssen. Erst dadurch sei jene Entfremdung zur Beklagten eingetreten, die ihn schließlich bewogen habe, in nähere Beziehung zu einer anderen Frau zu treten. Dadurch sei die Ehe so tiefgreifend und unheilbar zerrüttet worden, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei. Dennoch weigere sich die Beklagte, in die Scheidung der Ehe einzuwilligen. Die Beklagte bestritt, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und brachte vor, daß es unrichtig sei, daß der Kläger die eheliche Gemeinschaft im Februar 1983 verlassen hätte. Er sei vielmehr in den letzten Jahren in seiner Eigenschaft als Montageleiter laufend bei Montagearbeiten im Ausland eingesetzt gewesen und deshalb durchschnittlich nur alle zwei Monate auf Heimaturlaub nach Hause gekommen. Sie habe im Oktober 1985 durch Zufall entdeckt, daß er in der DDR ein Verhältnis mit einer anderen Frau hatte und Vater eines unehelichen Kindes sei. Er habe dieses Verhältnis zugegeben und ausdrücklich versprochen, es zu beenden. Es habe eine Versöhnung stattgefunden, die am besten dadurch bewiesen werde, daß sie Anfang 1986 vom Kläger ein Kind erwartet habe. Da sie bereits drei Kinder hätten, habe sie sich im Hinblick auf ihr Alter zu einer Abtreibung entschlossen, die im Februar 1986 im dritten Monat der Schwangerschaft vorgenommen worden sei. Seit Mitte März 1986 sei der Kläger wieder in Österreich tätig, es sei seither mehrmals, zuletzt noch im April 1986, zu einem Geschlechtsverkehr gekommen. Sie habe im Oktober 1985 für einen Kredit, den der Kläger zwecks Ankauf eines neuen PKWs aufgenommen habe, die Bürgschaft übernommen, was sie nicht getan hätte, wenn die Ehe damals schon zerrüttet gewesen wäre. Die Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe nach § 55 EheG seien nicht gegeben, da einerseits die Dreijahresfrist noch nicht abgelaufen und andererseits auf Grund des Verhaltens des Klägers die Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft zu erwarten sei. Dem Kläger sei nämlich bewußt geworden, daß seine Freundin die Freundschaft zu ihm nur deshalb gesucht habe, um auf diese Weise ihre Ausreise aus der DDR zu ermöglichen, was dergestalt schon zwei ihrer Schwestern gelungen sei. Außerdem widersprach die Beklagte einer Scheidung, weil eine allfällige Zerrüttung der Ehe einzig und allein durch den Kläger verschuldet worden sei und sie die Scheidung wesentlich härter treffen würde als den Kläger die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Insbesondere sei zu berücksichtigen, daß sie seit rund 19 Jahren verheiratet seien, drei Kinder hätten, die Gefahr bestehe, daß der Kläger im Fall einer Ehescheidung seine Freundin heiraten würde, was für die Beklagte einen großen finanziellen Nachteil hätte, weil er trotz seines relativ guten Einkommens nicht für zwei Familien sorgen könne. Außerdem könnte sie im Alter von 42 Jahren keinen Arbeitsplatz finden, zumal sie während der gesamten Dauer der Ehe nur den Haushalt geführt und die Kinder betreut hätte. Schließlich müßte im Fall einer Ehescheidung das mit großem finanziellem Einsatz erbaute Eigenheim voraussichtlich verkauft werden. Für den Fall einer Scheidung beantragte die Beklagte, das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festzustellen.

Im Hinblick auf die Beweisergebnisse ließ der Kläger in der Verhandlung vom 21. Jänner 1987 sein Scheidungsbegehren nach § 55 EheG fallen. Er begehrte nunmehr die Ehescheidung aus dem Rechtsgrund des § 49 EheG und machte als schwere Eheverfehlung der Beklagten geltend, daß sie im Februar 1986 eigenmächtig und ohne ausdrückliche Zustimmung des Klägers einen Schwangerschaftsabbruch habe vornehmen lassen, die aus medizinischen Gründen nicht erforderlich gewesen sei.

Die Beklagte bestritt und brachte vor, daß der Kläger mit der Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs einverstanden gewesen sei. Er habe im übrigen auch später noch mit ihr geschlechtlichen Kontakt gehabt, es gehe aus seiner Aussage als Partei hervor, daß ein eigenmächtiger Schwangerschaftsabbruch durch sie ihn in seiner Interessenssphäre keinesfalls verletzt hätte. Die Geltendmachung dieses Scheidungsgrundes verstoße außerdem gegen die guten Sitten. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Der am 15. April 1967 geschlossenen Ehe der Streitteile entstammen die Kinder Christian, geboren am 23. Jänner 1968, Evelyne, geboren am 17. März 1969 und Florian, geboren am 20. Februar 1982. Der als Schlosser tätige Kläger fährt seit nahezu 20 Jahren auf Montage und kommt in zeitlichen Abständen von ca. 5 bis 6 Wochen für maximal drei Tage nach Hause. Die Beklagte wusch dann seine Wäsche und verköstigte ihn. Sein Gehalt wurde auf ein Konto der R*** A*** überwiesen, über das die Beklagte bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz frei verfügungsberechtigt war. Sämtliche Zahlungen für die Familie wurden von der Beklagten durchgeführt. Bereits seit Ende 1981 hat der Kläger mit Birgit M***, einer Staatsbürgerin der DDR, ein Verhältnis. Im Jänner 1985 gebar ihm diese Frau einen Sohn. Davon erfuhr die Beklagte im Oktober 1985 zufällig. Im Zuge einer deswegen durchgeführten Aussprache erklärte der Kläger, nicht an eine Scheidung zu denken; hiezu erklärte er noch Ende Dezember 1985, das Verhältnis mit Frau M*** zu beenden. Es kam dann anfangs Dezember 1985 wieder zu einem geschlechtlichen Kontakt zwischen den Streitteilen, worauf die Beklagte schwanger wurde. Dies teilte sie dem Kläger Anfang 1986 telefonisch mit. Sie telefonierten dann wöchentlich miteinander, schließlich teilte sie ihm mit, daß sie das Kind abtreiben lassen werde. Sie entschloß sich zu diesem Schritt wegen ihres relativ hohen Alters und der schweren Erkrankung ihrer Mutter. Mitte März 1986 kehrte der Kläger von der Baustelle in der DDR zurück und arbeitete von diesem Zeitpunkt in Wien auf einer Baustelle. Er kam dann jedes Wochenende nach Altmünster in die eheliche Wohnung. Anfang Mai 1986 erklärte der Kläger, sich scheiden lassen zu wollen; er zog dann aus der ehelichen Wohnung aus. Der Schwangerschaftsabbruch erfolgte im Februar 1986; der Kläger wußte hievon. Ab ca. Mitte März 1986 bestand wieder geschlechtlicher Kontakt zwischen den Streitteilen, der letzte eheliche Verkehr fand im April 1986 statt.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, daß von einer Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft erst gesprochen werden könne, wenn sowohl die Wohnungs- als auch die Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft aufgelöst sei. Im konkreten Fall könne von einer Aufhebung der Wirtschaftsgemeinschaft nicht gesprochen werden, da nach wie vor der Lohn des Klägers auf ein Konto der R*** A*** überwiesen werde, über das die Beklagte

frei verfügungsberechtigt sei, die mit diesem Geld sämtliche Zahlungen für die Familie leiste. Gemäß § 57 Abs 1 EheG erlösche das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens, wenn der Ehegatte nicht binnen 6 Monaten die Klage erhebe. Die Frist beginne mit der Kenntnis des Scheidungsgrundes und laufe nicht, solange die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgehoben sei. Das Klagebegehren sei erst am 22. Jänner 1987, sohin nahezu ein Jahr nach Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs auf diese behauptete Eheverfehlung gestützt worden. Da der Kläger davon Kenntnis gehabt habe, sei die Geltendmachung dieses Scheidungsgrundes jedenfalls verfristet. Der von der Beklagten vorgenommene Schwangerschaftsabbruch stelle aber auch keinen Scheidungsgrund im Sinne des § 49 EheG dar, weil hiefür Voraussetzung wäre, daß durch diese Eheverfehlung die Ehe zerrüttet worden sei. Davon könne aber überhaupt nicht gesprochen werden, da der Kläger selbst eingeräumt habe, daß die Ehe zu diesem Zeitpunkt bereits so weit zerrüttet gewesen sei, daß er nicht einmal Interesse dafür gehabt habe, ob die Beklagte tatsächlich schwanger sei. Es könne daher der vorgenommene Schwangerschaftsabbruch - gleichgültig, ob der Kläger sein Einverständnis dazu gegeben habe oder ob medizinische Gründe dafür vorgelegen seien - überhaupt nicht zu einer Zerrüttung der Ehe geführt haben. Schließlich läge eine Verwirkung des Rechtes auf Scheidung vor, da die Verfehlungen des Klägers ganz unverhältnismäßig schwerer wiegen würden als der vorgenommene Schwangerschaftsabbruch der Beklagten.

Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte im Ergebnis auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Aufhebung und Rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung; hilfsweise wird Abänderung im Sinne der Scheidung der Ehe gemäß § 49 EheG aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers beantragt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger führt in seinem Rechtsmittel aus, die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs ohne seine Zustimmung und Einwilligung stelle eine schwere Eheverfehlung der Beklagten im Sinn des § 49 EheG dar. Die Tatsache, daß er sein außereheliches Kind und die damit verbundene zusätzliche Sorgepflicht akzeptiert habe, zeige mit aller Deutlichkeit, daß er aus einer grundsätzlichen ethischen Haltung heraus jede Art von Schwangerschaftsabbruch ablehne. Der Schwangerschaftsabbruch der Beklagten stehe auch in krassem Widerspruch zu ihrem in diesem Verfahren eingenommenen Prozeßstandpunkt. Nur in einer zerrütteten Ehe sei es verständlich und einleuchtend, daß sich die Frau für einen Schwangerschaftsabbruch entscheide. Wenn also die Beklagte tatsächlich anfangs 1986 der Meinung und der Überzeugung gewesen wäre, die Ehe sei nicht zerrüttet, dann hätte sie eine Abtreibung des zu erwartenden Kindes auf das entschiedendste ablehnen müssen, da ja spätgeborene Kinder erfahrungsgemäß immer zu einer Erneuerung und Intensivierung des Ehebandes führen. Unrichtig sei auch die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß eine solche schwere Eheverfehlung, wie es der eigenmächtige Schwangerschaftsabbruch der Beklagten darstelle, nur deshalb unbeachtlich sei, weil zu diesem Zeitpunkt die Ehe bereits so weit zerrüttet war, daß der Kläger sich nicht einmal dafür interessierte, ob die Beklagte tatsächlich schwanger war oder nicht. Allein der Umstand, daß eine Frau einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lasse, ohne das Einverständnis des Mannes eingeholt zu haben, zeige mit aller Deutlichkeit, daß dieser Frau an der Ehe bzw. an der Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nichts mehr gelegen sei oder daß sie selbst eine solche Wiederherstellung wegen der bereits eingetretenen tiefen Zerrüttung für ausgeschlossen halte. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Der Kläger hat sein nur mehr auf § 49 EheG gestütztes Scheidungsbegehren damit begründet, daß die Beklagte im Februar 1986 eigenmächtig und ohne seine ausdrückliche Zustimmung einen Schwangerschaftsabbruch habe vornehmen lassen, der aus medizinischen Gründen nicht erforderlich gewesen sei. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, kann ein Schwangerschaftsabbruch eine sonstige schwere Eheverfehlung im Sinn des § 49 EheG darstellen, wenn er grundlos und nicht einverständlich erfolgt (Koziol-Welser, Grundriß7 II, 196; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 1 a zu § 49 EheG). Im vorliegenden Fall war die Beklagte im Zeitpunkt des Abbruchs der Schwangerschaft bereits 42 Jahre alt und hatte schon drei Kinder geboren; überdies war ihre Mutter schwer erkrankt; vor allem aber mußte sie befürchten, daß der Kläger sein jahrelang bestehendes ehebrecherisches Verhältnis zu Birgit M***, dem auch ein Kind entstammte, entgegen seinem im Dezember 1985 abgegebenen Versprechen doch wieder aufnehmen würde und die Beklagte letztlich mit vier Kindern einer unsicheren Zukunft entgegensehen müßte. In der Auffassung, daß die Beklagte nicht grundlos den Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließ, kann daher keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, daß der Kläger die Mitteilung der Beklagten über den beabsichtigten Abbruch der Schwangerschaft ohne Widerspruch zur Kenntnis genommen hatte und sie aus diesem Verhalten schließen durfte, daß er ihrem Vorhaben zumindest nicht ablehnend gegenüberstehe. Unter Bedachtnahme auf diese besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist aber die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß der Beklagten die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs - unbeschadet dessen allfälliger Verfristung - nicht als schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG vorzuwerfen ist, zu billigen.

Der Revision mußte daher schon aus diesem Grunde ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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