OGH 9ObS31/87

OGH9ObS31/8716.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Fellner und Anton Degen als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann W***, Rohrbach, Harrauerstraße 11, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei A***

U***, Wien 20., Adalbert Stifter-Straße 65,

vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente (Entziehung), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31. Juli 1987, GZ. 12 Rs 1088/87-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 29. April 1987, GZ. 15 Cgs 89/87-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Begehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger die Dauerrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente ab 1. April 1986 im gesetzlichen Ausmaß weiter zu gewähren, wird abgewiesen.

Es wird festgestellt, daß die beim Kläger bestehenden Leidenszustände, und zwar ein Zustand nach Amputation des vierten Fingers links im Bereich der Grundphalanx, eine Bewegungseinschränkung des Grundgelenkes des vierten Fingers links und des Endgelenkes des Mittel- und Kleinfingers links, eine Narbe am Außenknöchel links als Folge der Entnahme des Suralistransplantates, eine herabgesetzte grobe Kraft beim Faustschluß sowie ein vermindertes Hautgefühl am Fußrand links und ein vermehrtes Hautgefühl am Amputationsstumpf des linken Ringfingers, Folgen des Arbeitsunfalles vom 14. 4. 1982 sind."

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 14. April 1982 einen Arbeitsunfall. Aufgrund eines Vergleiches vor dem Schiedsgericht der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz vom 29. April 1985 bezog der Kläger ab 1. April 1984 eine Dauerrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente. Diesem Vergleich lag zugrunde, daß beim Kläger anläßlich der Untersuchung durch den neurologischen Sachverständigen am 10. Dezember 1984 ein vermindertes Hautgefühl im Narbenbereich hohlhandseitig sowie ein vermehrtes Hautgefühl wie elektrisierend im etwas verdickten, livide verfärbten Amputationsstumpf des linken Ringfingers bestand. An der Außenseite des linken lateralen Fußrandes war das Hautgefühl nach Nervus-Suralisentnahme fast zur Gänze aufgehoben. Damals bestand neurologisch-psychiatrischerseits aufgrund der Sensibilitätsstörung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. Orthopädischerseits wurde bei der Untersuchung vom 1. Februar 1985 der Teilverlust des vierten Fingers links mit reaktionsloser Narbe, eine Bewegungseinschränkung des vierten Fingers links mit Durchblutungsstörungen, eine herabgesetzte Hohlhandbeschwielung links, ein vermindertes Hautgefühl im Bereich der linken Hohlhand sowie ein vermehrtes Hautgefühl im verdickten Amputationsstumpf des vierten Fingers links und der Zustand nach Nervus-Suralisentnahme am linken Unterschenkel mit aufgehobenem Hautgefühl an der Außenseite des linken Fußrandes festgestellt. Diese Feststellungen begründeten orthopädischerseits bzw. unfallchirurgischerseits ebenfalls eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. Mit Stichtag 1. April 1984 ergab sich eine Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 19. Februar 1986 wurde dem Kläger die bisher gewährte Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. ab 1. April 1986 entzogen.

Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zur Weitergewährung der bisherigen Rentenleistung zu verpflichten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers statt, verpflichtete die beklagte Partei zur Weiterleistung der Dauerrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente ab 1. April 1986 und setzte eine vorläufige Leistung von 500 S monatlich fest. Dabei legte es seiner Entscheidung nachstehende Feststellungen zugrunde:

Derzeit besteht ein Zustand nach röntgenologisch nachweisbarer Amputation des vierten Fingers links im Bereich der Grundphalanx mit reaktionsloser Narbe, eine Bewegungseinschränkung des Grundgelenkes des vierten Fingers links und des Endgelenkes des Mittel- und Kleinfingers links, eine Narbe am Außenknöchel links als Folge der Entnahme des Suralistransplantates, eine herabgesetzte grobe Kraft beim Faustschluß links und herabgesetzte Hohlhandbenützungszeichen links sowie ein vermindertes Hautgefühl am Fußrand links, ein vermehrtes Hautgefühl am Amputationsstumpf des linken Ringfingers mit unauffälligem übrigen neurologischen Befund. Sämtliche festgestellten Fehler sind Folgen des Arbeitsunfalles vom 14. April 1982. Diese Folgezustände des Unfalles bedingten unfallchirurgischerseits zum 1. April 1986 und darüber hinaus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H.

Neurologischerseits ist gegenüber dem Vorbefund vom 10. Dezember 1984 eine Besserung insofern eingetreten, als im Vorbefund Sensibilitätsstörungen entlang der gesamten Narbe vom Fingerstumpf bis in die Hohlhand hinein vorlagen, bei der nunmehrigen Untersuchung nur mehr eine Gefühlsverminderung im Stumpfbereich. Diese Verbesserung ist als gering zu bezeichnen und kann grob mit 5 v.H. eingeschätzt werden. Die Schmerzen des Klägers aus diesen Sensibilitätsstörungen am Stumpf bestehen nicht in einem Ausmaß, das an die obere Grenze des möglichen Schmerzbereichs herangeht. 90 % der solcherart Verletzten haben überhaupt keine Schmerzen. Neurologischerseits besteht daher eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 5 v.H. Die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit aus dem Arbeitsunfall vom 14. April 1982 beträgt zum 1. April 1986 15 v.H.

Dazu führte das Erstgericht aus, daß die Herabsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die zwischenzeitig eingetretene Besserung um 5 v.H. nicht wesentlich im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG sei, sodaß die Voraussetzungen für die Entziehung der Rente nicht vorliegen.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es führte dazu aus, daß selbst der Umstand, daß die festgestellte Besserung aus medizinischer Sicht als wesentlich einzustufen sei, nicht zwingend bedinge, daß diese Veränderung den Rechtsbegriff "wesentlich" im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG erfülle. Für die Lösung dieser Rechtsfrage komme es darauf an, ob die in Prozenten ausgedrückte Veränderung derart minimal sei, daß sie als geringfügig zu bezeichnen sei. Nach ständiger Rechtsprechung sei eine Veränderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die nicht mehr als 5 v.H. ausmache, nicht wesentlich und daher kein Anlaß für eine Neufeststellung der Versehrtenrente gemäß § 183 Abs 1 ASVG, wobei diese Geringfügigkeitsgrenze sowohl für eine behauptete Besserung als auch eine Verschlimmerung des der Rentenfestsetzung zugrundeliegenden Leidens gelte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 183 Abs 1 ASVG ist die Rente auf Antrag oder von Amts wegen neu festzustellen, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eintritt, die für die Feststellung der Rente maßgeblich waren. Für die Anwendung dieser Bestimmung ist es erforderlich, daß die Änderung für die Erwerbsfähigkeit des Verletzten wesentlich ist. Es genügt also nicht, daß sich die Verhältnisse geringfügig geändert haben. Die Frage, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, kann nicht generell unter Zugrundelegung starrer Prozentpunkte entschieden werden; es sind vielmehr die konkreten Verhältnisse des Einzelfalles zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall wurde bisher an den Kläger unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. eine Rentenleistung erbracht. Seit dem Zeitpunkt der Gewährung dieser Leistung hat sich der Zustand des Klägers so weit gebessert, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit jetzt 15 v.H. beträgt. Durch diese Änderung hat sich im Fall des Klägers der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 25 % gebessert. Dies rechtfertigt aber die Annahme einer wesentlichen Änderung im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG und damit eine Neufeststellung der Rente (9 Ob S 20/87 ua.).

Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher im Sinn einer Abweisung des Begehrens des Klägers abzuändern.

Gemäß § 82 Abs 5 ASGG schließt ein auf einen Arbeitsunfall gestütztes Leistungsbegehren das Eventualbegehren auf Feststellung ein, daß die geltend gemachte Gesundheitsstörung die Folge eines Arbeitsunfalles ist, sofern darüber nicht schon abgesprochen wurde. Ein solches Eventualbegehren muß daher vom Kläger nicht geltend gemacht werden. Da der Schluß der Verhandlung in erster Instanz nach dem Zeitpunkt des Inkrafttreten des ASGG lag, findet § 82 Abs 5 ASGG Anwendung. Anläßlich der Abweisung des Leistungsbegehrens war im Sinn dieser Bestimmung über das Eventualbegehren zu erkennen. Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

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