OGH 2Ob56/87

OGH2Ob56/8724.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kurt E***, Arbeiter, Alleestraße 23, Langenzersdorf, vertreten durch Dr. Hartmut Mayer, RA in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Klaus G***, Student, Redtenbachstraße 15, Korneuburg, 2. Dr. Johann G***, Beamter, ebendort, 3. I*** U***- UND

S*** AG, Direktion für NÖ, Hafnerplatz 12/13, Krems, vertreten durch Dr. Franz Havlicek, Rechtsanwalt in Hollabrunn, wegen S 90.668,33 s.A. und S 130.100,-- s.A., infolge Revisionen der klagenden und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20. Mai 1987, GZ 17 R 73/87-115, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 6. November 1986, GZ 3 Cg 295/84-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.

Die beklagten Parteien haben dem Kläger zur ungeteilten Hand die mit S 8.426,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 591,50 Umsatzsteuer und S 1.920,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Kläger hat den beklagten Parteien die mit S 6.080,37 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 443.67 Umsatzsteuer und S 1.200,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 23. Jänner 1980 gegen 20 Uhr 30 als Fußgänger auf der Bundesstraße 3 in Langenzersdorf vor dem Hause Wiener Straße 4 von dem vom Erstbeklagten gelenkten, vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Kennzeichen N 96.092 erfaßt und niedergestoßen, wodurch er schwere Verletzungen erlitt. Wegen des Unfalles erließ das Bezirksgericht Korneuburg gegen den Erstbeklagten eine in Rechtskraft erwachsene Strafverfügung, nach deren Inhalt der Erstbeklagte das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB begangen hat (U 151/80). Mit der vorliegenden Klage erhebt der Kläger Schadenersatzansprüche von zuletzt S 379.439,-- s.A. und stellt ein Feststellungsbegehren hinsichtlich seiner künftigen Unfallsschäden, wobei er (siehe ON 105) ein Eigenverschulden am Unfall von einem Drittel zugesteht.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung und stellten den am Fahrzeug des Zweitbeklagten durch den Unfall entstandenen Schaden von S 14.850,-- den Klagsansprüchen aufrechnungsweise gegenüber.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht änderte die erstgerichtliche Entscheidung mit Teilurteil dahin ab, daß es die Forderung des Klägers auf der Grundlage einer Verschuldensteilung von 2 : 1 zu seinen Lasten mit S 140.000,--, die Gegenforderung der beklagten Parteien mit S 9.900,-- als zu Recht bestehend feststellte und dem Kläger demgemäß einen Betrag von S 130.100,-- s.A. zusprach. Weiters stellte es die Haftung der beklagten Parteien für die künftigen Unfallschäden des Klägers im Ausmaß von einem Drittel, bei der drittbeklagten Partei eingeschränkt auf die Versicherungssumme, fest. Ein Mehrbegehren von S 226.286,67 s.A. sowie das Feststellungsmehrbegehren wies es ab. Hinsichtlich des restlichen Klagsanspruches von S 29.720,-- s.A. hob es das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurück.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richten sich die auf § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO gestützten Revisionen aller Parteien. Der Kläger beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß ihm auf der Grundlage eines gleichteiligen Verschuldens ein Betrag von S 202.575,-- s.A. zugesprochen und dem Feststellungsbegehren im Ausmaß von 50 % stattgegeben werde. Hinsichtlich eines Betrages von S 44.580,-- beantragt er die Aufhebung des bekämpften Teilurteiles und die Rückverweisung der Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht. Die beklagten Parteien beantragen die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles. Hilfsweise werden in beiden Revisionen Aufhebungsanträge gestellt.

In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Streitteile jeweils, der gegnerischen Revision nicht Folge zu geben. Keine der beiden Revisionen ist gerechtfertigt.

Nach den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen befuhr der Erstbeklagte beim Übersetzen der Kreuzung Wiener

Straße - Klosterneuburger Straße den rechten Fahrstreifen und wechselte sodann, da auf diesem Streifen ein PKW vor ihm nach rechts einbog, auf den linken Fahrstreifen. Als er nach Passieren der Kreuzung wieder auf den rechten Fahrstreifen zurückkehren wollte, bemerkte er auf Höhe des Hauses Wiener Straße 4 einen die Fahrbahn von rechts nach links überquerenden Fußgänger. Während er diesem gerade durch eine Rechtslenkung auswich, nahm er einen weiteren Fußgänger, nämlich den Kläger wahr, der vom Haustor des Hauses Nr. 4 kommend geradlinig die Wiener Straße überquerte und in die andere Richtung blickte. Trotz Einleitung einer Bremsung wurde der Kläger von der rechten Frontseite des noch eine Geschwindigkeit von ca. 40 km/h aufweisenden PKW erfaßt und ca. 15 m weit weggeschleudert. Im Unfallsbereich besteht eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h. Es herrschte Dunkelheit und Regen, die Straßenbeleuchtung war eingeschaltet, die Fahrbahn naß. Die Straße ist im Unfallsbereich durch eine doppelte Sperrlinie in zwei Richtungsfahrbahnen getrennt, deren vom Erstbeklagten befahrene eine Breite von 6,8 m aufwies. Die Ausgangsgeschwindigkeit des Erstbeklagten und ebenso die Gehgeschwindigkeit des Klägers können nicht festgestellt werden. Dieser und auch der erstgenannte Fußgänger Erich W*** waren dunkel gekleidet; sie hatten vor dem Unfall alkoholische Getränke zu sich genommen. Durch den Unfall erlitt der Kläger einen offenen Bruch des linken Schienbeines mit Muskel- und Knochenhautdefekten und Ausbruch eines Knochenteiles. Die Behandlung wurde durch das Auftreten einer Wundeiterung der Haut und des Schienbeines kompliziert und verlängert. Überdies kam es zur Ausbildung einer Pseudoarthrose. Der Kläger mußte sich in der Folge mehrfachen Operationen unterziehen. Er trug einen Gipsverband und konnte sich zeitweilig nur mit Stützkrücken fortbewegen. In diesem Zustand war er bei allen seinen Verrichtungen auf fremde Hilfe angewiesen. Ab 1. September 1982 war er wieder in der Lage, leichte, kurzzeitig auch mittelschwere Arbeiten, vorwiegend im Sitzen, auszuüben, wobei aber kurzzeitig auch im Gehen und Stehen ausgeübte Tätigkeiten zumutbar waren. Die Verletzungen hatten durch 38 Tage starke, 72 Tage mittelstarke und 298 Tage leichte Schmerzen zur Folge. Im Juli 1985 bestanden noch nachstehende Unfallsfolgen: Eine geringe Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk, eine praktische Versteifung des linken vorderen Sprunggelenkes, eine "spurweise" Verkürzung des linken Beines von knapp einem Zentimeter, eine geringe Verschmächtigung des linken Oberschenkels bei geringer Schwellung des linken Unterschenkels und Knöchels, zwei gering verwachsene Operationsnarben am linken Unterschenkel, eine geringe Herabsetzung der Empflindlichkeit am linken Fuß, eine gering verstärkte Kniearthrose links bei freier Beweglichkeit, vermehrte Abflachung des linken Fußgewölbes sowie reizlose Operationsnarben an beiden Beckenkämmen.

In seiner rechtlichen Beurteilung lastete das Erstgericht dem Kläger einen Verstoß gegen § 76 Abs. 4 StVO und damit ein Verschulden am Unfall an. Hinsichtlich des Erstbeklagten verwies es darauf, daß diese strafgerichtliche Verurteilung für das Zivilgericht zwar bindend sei, doch könnten Feststellungen über die Fahrgeschwindigkeit des Erstbeklagten oder hinsichtlich eines ihm unterlaufenen Aufmerksamkeitsfehlers nicht getroffen werden. Das strafgerichtlich festgestellte Verschulden erscheine jedenfalls geringfügig, so daß es gegenüber dem groben Verstoß des Klägers vernachlässigt werden könne.

Das Berufungsgericht trat der in der Berufung des Klägers vertretenen Rechtsansicht bei, daß dem in der rechtskräftigen Strafverfügung enthaltenen Ausspruch, der Erstbeklagte habe den Unfall durch eine überhöhte Fahrgeschwindigkeit verschuldet, gemäß § 268 ZPO für das Zivilgericht bindende Wirkung zukomme. Die erstgerichtlichen Ausführungen, daß die Ausgangsgeschwindigkeit des PKW des Beklagten im Zivilverfahren nicht festgestellt werden könne, sei daher insoweit unerheblich. Vielmehr müsse im Sinne der strafgerichtlichen Verurteilung von einer ins Gewicht fallenden Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit und damit einem wesentlichen Verschulden des Erstbeklagten am Unfall ausgegangen werden. Der Kläger seinerseits habe gegen die Vorschrift des § 76 Abs. 4 StVO verstoßen, indem er die Fahrbahn überquert habe, ohne im geringsten auf den herannahenden PKW zu achten. Seine Sicht auf den herankommenden PKW sei nicht behindert gewesen, er hätte wissen müssen, daß auf der zu überquerenden Straße reger Durchzugsverkehr herrsche und er zwei Fahrstreifen überqueren müsse um bis zur Fahrbahnmitte zu gelangen. Somit hätte er wegen der herrschenden Dunkelheit und des Regens die Verkehrslage besonders sorgfältig prüfen und eher ungünstig beurteilen müssen. Sein Verstoß falle demgemäß schwerer ins Gewicht als das Fehlverhalten des Erstbeklagten, eine Verschuldensteilung von 2 : 1 sei daher gerechtfertigt. Das vom Kläger begehrte Schmerzengeld erscheine im Hinblick auch auf die Dauerfolgen der begehrten Höhe nach angemessen, so daß ein Drittel davon d.i. S 140.000,-- zuzuerkennen sei. Die Gegenforderung bestehe mit zwei Dritteln zu Recht. Hinsichtlich der weiteren Klagsansprüche fehle es noch an der Spruchreife.

In der Revision des Klägers wird vorgebracht, in der gegen den Erstbeklagten erlassenen rechtskräftigen Strafverfügung sei auch ausgesprochen worden, daß er den Kläger "nicht rechtzeitig erkannt habe". Diese Feststellung könne nicht vernachlässigt werden, zumal auch der Sachverständige im Zivilverfahren eine mögliche Reaktionsverspätung von 0,2 bis 1 Sekunde errechnet habe. Demgemäß müsse aber ein gleichteiliges Verschulden am Unfall zugrundegelegt werden. Dies auch unter dem Gesichtspunkt, daß der Erstbeklagte seine Fahrgeschwindigkeit der Dunkelheit, der schlechten Sicht und der nassen Fahrbahn anpassen hätte müssen.

Die beklagten Parteien vertreten die Ansicht, trotz der Bindungswirkung des strafgerichtlichen Erkenntnisses hätte der Kläger im Zivilverfahren die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung des Erstbeklagten beweisen müssen, ein solcher Beweis sei ihm aber nicht gelungen. Somit könne nur von einer minimalen und zu vernachlässigenden Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen werden. Im Hinblick auf das grob verkehrswidrige Verhalten des Klägers erscheine ein Mitverschulden des Erstbeklagten am Unfall im Ausmaß von 1/3 aber jedenfalls überhöht. An Schmerzengeld sei lediglich ein Betrag von S 360.000,-- angemessen.

Weder den Revisionsausführungen des Klägers noch jenen der beklagten Parteien kann gefolgt werden.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den Erstbeklagten erlassene Strafverfügung lautet dahin, er habe "dadurch, daß er für die schlechten Sicht- und Fahrbahnverhältnisse mit zu hoher Geschwindigbeit fuhr, so daß er den die Fahrbahn überquerenden Fußgänger Kurt E*** nicht rechtzeitig erkannte, diesen rammte und niederstieß.... das Vergehen nach § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall StGB begangen". Damit wurde strafgerichtlich offenkundig lediglich eine für die schlechten Sicht- und Straßenverhältnisse zu hohe Geschwindigkeit als Unfallsursache, nicht aber zusätzlich eine Reaktionsverzögerung festgestellt. Selbst wenn die Revisionsausführungen des Klägers, im Zivilverfahren habe der Sachverständige eine mögliche Reaktionsverzögerung des Erstbeklagten von 0.2 bis 1 Sek. festgestellt, zuträfen, wäre dies belanglos, weil damit noch nicht eine tatsächliche Reaktionsverzögerung bewiesen wäre. Im übrigen werden Reaktionsverzögerungen von Sekundenbruchteilen von der Rechtsprechung nicht als schuldhaftes Fehlverhalten gewertet. Das Revisionsvorbringen des Klägers, es müsse auch berücksichtigt werden, daß der Erstbeklagte seine Fahrgeschwindigkeit der Dunkelheit, der schlechten Sicht und der nassen Fahrbahn anpassen hätte müssen, übersieht, daß diese Umstände ohnehin ausdrücklich der erlassenen Strafverfügung zugrundegelegt wurden. Somit erweist sich keines der Argumente des Klägers als stichhältig.

Für das Ausmaß des strafgerichtlich festgestellten Verschuldens (§ 4 StGB) ist grundsätzlich der vom Strafgericht zugrundegelegte Tatbestand maßgeblich. Die strafgerichtliche Beurteilung einer ziffernmäßig im Erkenntnis nicht festgehaltenen Geschwindigkeitsüberschreitung als Fehlverhalten, welches eine fahrlässige Körperverletzung zur Folge gehabt habe, indiziert notwendig das Vorlieg`n einer nicht bloß ganz geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitung (§ 6 StGB) und ihrer Kausalität für die eingetretene Körperbeschädigung. Das Zivilgericht kann demgemäß nicht von einem völlig zu vernachlässigenden Verschulden ausgehen, sondern hat ein erhebliches Verschulden des strafgerichtlich Verurteilten an der Körperverletzung zugrunde zu legen (vgl. SZ 55/154). Diesem ist bei der Verschuldensabwägung das Gewicht des schuldhaften Verhaltens des Verletzten selbst gegenüberzustellen. Vorliegendenfalls hat der Kläger zweifellos kraß gegen die Vorschrift des § 76 Abs. 4 StVO verstoßen, so daß es gerechtfertigt erscheint, sein Verschulden höher zu veranschlagen als jenes des Erstbeklagten. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten des Klägers ist daher zu billigen.

Gegen die berufungsgerichtliche Schmerzengeldbemessung bringen die beklagten Parteien nichts Wesentliches vor, insbesonders zeigen sie nicht auf, warum der zuerkannte Schmerzengeldbetrag um S 60.000,-- überhöht sei. Der Kläger mußte sich mehrfachen unfallsbedingten Operationen unterziehen, hatte durch rund 400 Tage Schmerzen zu ertragen und hat weiterhin an gewichtigen Dauerfolgen des Unfalles zu leiden. Nach dem gesamten Verletzungs- und Zustandsbild kann in der berufungsgerichtlichen Schmerzengeldbemessung kein Rechtsirrtum erkannt werden. Somit war keiner der Revisionen Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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