OGH 10ObS81/87

OGH10ObS81/8717.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Meches und Claus Bauer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ehrenfried M***, ohne Beschäftigungsangabe, 1140 Wien, Schanzstraße 7/11, vertreten durch Dr. Gerlinde Dellhorn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B*** G***, 7001 Eisenstadt, Esterhazyplatz 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Krankengeldes, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. April 1987, GZ 32 Rs 41/87-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien vom 6. Oktober 1986, GZ 7 b C 540/85 -35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erhielt von der Beklagten aus dem am 20. April 1984 eingetretenen Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit bis 14. April 1985 Krankengeld.

Mit Bescheid vom 8. Juli 1985 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Barleistungen ab 15. April 1985 mit der Begründung ab, daß er nach dem Gutachten des Kontrollarztes seit dem genannten Tag wieder arbeitsfähig sei.

In seiner dagegen am 5. September 1985 erhobenen Klage behauptete der Kläger, er befinde sich aufgrund eines Arbeitsunfalls seit 20. April 1984 im Krankenstand und sei noch immer arbeitsunfähig. Deshalb beantragte er die Barleistungen (Krankengeld) im gesetzlichen Ausmaß ab 15. April 1985, schränkte dieses Begehren aber in der Tagsatzung vom 12. Mai 1986 auf die Zeit bis 3. Juli 1985 ein.

Die Beklagte beantragte die Abweisung dieses Begehrens und wendete im wesentlichen ein, daß der Kläger seit 15. April 1985 nicht mehr arbeitsunfähig sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es ging von folgenden Feststellungen aus:

Der bei der Beklagten "sozialversicherte" Kläger erlitt am 20. April 1984 bei seiner Tätigkeit als Nachtportier einen Arbeitsunfall, bei dem er sich an der Wirbelsäule verletzte. Er wohnte damals in Purbach und wurde von der dortigen Ärztin Dr. Emilie N*** in den Krankenstand genommen. Ab 28. März 1985 wurde er in der Orthopädischen Universitätsklinik in Wien behandelt. Damals wohnte er auch in Wien. Bei der kontrollärztlichen Untersuchung am 5. April 1985 in Neusiedl wurde seine Arbeitsunfähigkeit bis 14. April 1985 bestätigt. Die praktische Ärztin nahm den Kläger darüber hinaus in den Krankenstand. In der Folge wurde er auch von der W*** G*** krank

geschrieben. Der Kläger ist aber seit dem 15. April 1985 nicht arbeitsunfähig. Er kann alle leichten und mittelschweren Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen mit den üblichen Unterbrechungen leisten, die nicht in ständig gebückter Haltung verrichtet werden müssen, kein Heben und Tragen von über 10 kg schweren Lasten und keine Feinstmanipulationen verlangen. Die Anmarschwege sind nicht eingeschränkt. Die mit der zuletzt ausgeübten Beschäftigung verbundene psychische Belastung ist ihm weiterhin zumutbar. Da der Kläger seit 15. April 1985 nicht mehr arbeitsunfähig sei, habe er seither keinen Anspruch auf das begehrte Krankengeld. Dagegen erhob der Kläger Berufung wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das erstgerichtliche Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es aufzuheben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es verneinte den geltend gemachten Verfahrensmangel und teilte

auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

In seiner Revision macht der Kläger Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend und beantragt, das Berufungsurteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung. Die in einem Verfahren über eine wiederkehrende Leistung in einer Sozialrechtssache erhobene Revision ist nach § 46 Abs. 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

Zur Mängelrüge:

Rechtliche Beurteilung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 22/106; ÖBl. 1984, 109; EFSlg. 49.387 uva) können vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz nicht als wesentliche Mängel des Berufungsverfahrens nach § 503 Abs. 1 Z 2 ZPO geltend gemacht werden, wenn es sich nicht um ein vom Untersuchungsgrundsatz beherrschtes familienrechtliches Verfahren handelt.

Der erkennende Senat hat in seiner bisher noch nicht veröffentlichten Entscheidung vom 6. Oktober 1987, 10 Ob S 23/87, dargelegt, daß die genannte Ausnahme auf Sozialrechtssachen, in denen der Untersuchungsgrundsatz nicht gilt, nicht ausgedehnt werden kann.

Deshalb kann die unterlassene Vernehmung der Zeugin Dr. Emilie N*** in der Revision nicht neuerlich gerügt werden. Die Nichtvernehmung der Zeugen H*** und L*** kann schon deshalb keinen Verfahrensmangel bilden, weil diese Zeugen - wie noch zur Rechtsrüge ausgeführt werden wird - zu nicht entscheidungswesentlichen Fragen beantragt wurden.

Zur Rechtsrüge:

Durch die rechtzeitige Einbringung der Klage trat der Bescheid des Beklagten Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft (§ 384 Abs. 1 Halbsatz 1 ASVG). Zur Entscheidung über den Bestand des Anspruches des Klägers auf Krankengeld nach dem 14. April 1985, also in einer Leistungssache im Sinne des § 354 Z 1 ASVG, war nach § 371 Z 1 leg. cit. in erster Instanz ausschließlich das Schiedsgericht zuständig, dessen Verhandlungen nach § 387 Abs. 1 ASVG unter anderem nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung durchzuführen waren und das nach § 391 Abs. 1 leg. cit. über den erhobenen Anspruch mit Urteil zu entscheiden hatte. Das anstelle des beklagten Versicherungsträgers zur Entscheidung über den nunmehr eingeklagten Anspruch des Klägers zuständig gewordene Schiedsgericht hatte nicht das vom Versicherungsträger durchgeführte und mit dem durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheid beendete (Verwaltungs-)Verfahren zu überprüfen, sondern in einem völlig neuen (Gerichts-)Verfahren über den in der dieses Verfahren einleitenden Klage erhobenen Anspruch nach den Grundsätzen des schiedsgerichtlichen Verfahrens zu verhandeln und zu entscheiden (sogenannte "sukzessive Kompetenz").

Das Schiedsgericht hatte daher nur darüber zu verhandeln und zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für den aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit behaupteten Anspruch auf Krankengeld auch noch seit dem 15. April 1985 bestanden.

Dies hatte das Erstgericht in einem unter anderem nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung durchzuführenden Verfahren festzustellen, ohne dabei etwa an die Ergebnisse des vom beklagten Versicherungsträger durchgeführten Ermittlungsverfahrens gebunden zu sein. Daher wurden die Zeugen H*** und L***, die nur zum Beweis eines Kontrollauftrages der Beklagten an die W***

G*** und darüber beantragt wurden, daß der Beklagten die Übersiedlung des Klägers bekannt gewesen sei, vom Erstgericht mit Recht nicht vernommen. Darin, daß das Berufungsgericht die diesbezügliche Mängelrüge nicht behandelt hat, liegt daher auch kein wesentlicher Mangel des Berufungsverfahrens.

Ob das Schiedsgericht die Tatfrage richtig gelöst hat, durfte wegen der Beschränkung der zulässigen Berufungs- bzw. Revisionsgründe durch den nach § 101 Abs. 2 ASGG hier noch maßgebenden § 400 Abs. 2 ASVG bzw. durch § 503 Abs. 1 ZPO weder vom Berufungsgericht noch vom Revisionsgericht überprüft werden. Die entscheidungswesentlichen schiedsgerichtlichen

Feststellungen über die Leistungsfähigkeit des Klägers seit dem 15. April 1985 wurden vom Berufungsgericht zutreffend rechtlich dahin beurteilt, daß der Kläger seither wieder als Nachtportier arbeitsfähig ist und daher aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit keinen Anspruch auf Krankengeld mehr hat.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

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