Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
"Das Begehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 27.12.1982 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente ab 1.11.1986 weiterzugewähren, wird abgewiesen."
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin erlitt am 27. Dezember 1982 einen Arbeitsunfall. Mit Bescheid vom 12. Juli 1983 wurde der Klägerin eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente zuerkannt. Mit Bescheid vom 28. August 1984 wurde diese Rente als Dauerrente festgestellt. Mit Bescheid vom 2. September 1986 sprach die beklagte Partei die Entziehung dieser Rente mit Wirksamkeit ab 1. November 1986 mit der Begründung aus, daß zufolge einer Besserung des Zustandes eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenbegründenden Ausmaß nicht mehr vorliege.
Das Erstgericht gab dem auf Weitergewährung der Versehrtenrente über den 31. Oktober 1986 hinaus gerichteten Begehren der Klägerin statt, ohne der beklagten Partei entgegen der Bestimmung des § 89 Abs 2 ASGG eine vorläufige Leistung aufzuerlegen. Es legte seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehende Feststellungen zugrunde:
Die Klägerin rutschte am 27. Dezember 1982 in der Ordination ihres Gatten, bei dem sie angestellt war, aus, stürzte und verletzte sich im Bereich des linken Handgelenks. Die Diagnose lautete auf Speichenbruch an typischer Stelle links. Der Knochenbruch zeigte keine wesentliche Verschiebung. Derzeit bestehen noch subjektive Beschwerden sowie eine geringgradige Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk. Röntgenologisch zeigt die Fraktur eine knöcherne Heilung in anatomischer Stellung. Die geringfügigen Arthrosezeichen im Handgelenk können nicht eindeutig der Verletzung zugeschrieben werden, weil auch an anderen Gelenken klinisch Arthrosezeichen bestehen. Gegenüber dem Vorbefund, der zur Rentengewährung führte, ist eine Besserung der Beweglichkeit des Handgelenks links in beiden Bewegungsebenen eingetreten. Außerdem ist derzeit keine eindeutige Handgelenksschwellkung mehr zu finden. Die eingetretene Besserung setzt die Minderung der Erwerbsfähigkeit gegenüber den Vorbefunden um 5 % herab.
Dazu führte das Erstgericht aus, daß die Herabsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die inzwischen eingetretene Besserung um 5 v.H. nicht wesentlich im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG sei, sodaß die Voraussetzungen für die Entziehung nicht gegeben seien.
Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge und legte der beklagten Partei entgegen den Bestimmungen der §§ 89 Abs 2 ASGG, 463 Abs 1 ZPO ebenfalls keine vorläufige Leistung auf. Es vertrat die Auffassung, daß eine sich durch Vergleich des derzeitigen Zustandes mit dem Zustand zum Zeitpunkt der Rentengewährung ergebende Änderung erst dann wesentlich sei, wenn sich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 5 v.H. ändere. Folgte man der von der beklagten Partei angestrebten Auslegung, daß nämlich bei Vorliegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im Bereich der rentenfähigen Grenze auch eine geringe Änderung bereits die Entziehung rechtfertige, so käme man zum Ergebnis, daß bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. schon eine praktisch nicht meßbare Änderung um 1 v.H. entscheidend wäre. Diese Auslegung werde aber dem Begriff wesentlich im Sinn des § 183 ASVG nicht gerecht. Die Änderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit übersteige nicht 5 %, sodaß die Voraussetzungen für die Entziehung nicht gegeben seien. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern oder aber aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die klagende Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Gemäß § 183 Abs 1 ASVG ist die Rente auf Antrag oder von Amts wegen neu festzustellen, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eintritt, die für die Feststellung der Rente maßgeblich waren. Für die Anwendung dieser Bestimmung ist es erforderlich, daß die Änderung für die Erwerbsfähigkeit des Verletzten wesentlich ist. Es genügt also nicht, daß sich die Verhältnisse geringfügig geändert haben. Die Frage, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, kann nicht generell unter Zugrundelegung starrer Prozentpunkte entschieden werden; es sind vielmehr die konkreten Verhältnisse des Einzelfalles zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall wurde bisher an die Klägerin unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. eine Rentenleistung erbracht. Seit dem Zeitpunkt der Gewährung dieser Leistung hat sich der Zustand der Klägerin so weit gebessert, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit jetzt um 5 Prozentpunkte geringer ist und somit 15 % beträgt. Durch die Änderung hat sich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin tatsächlich um 25 % gebessert; das aber rechtfertigt die Annahme einer wesentlichen Änderung im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG und damit eine neue Feststellung der Rente (9 Ob S 20/87). Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im Sinn einer Abweisung des Begehrens der Klägerin abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 (1) Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch sind solche Gründe aus der Aktenlage erkennbar.
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