OGH 2Ob670/87

OGH2Ob670/8728.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Renate O***, Kellnerin, 6020 Innsbruck, Sillgasse 15 b, vertreten durch Dr. Max Dengg, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Philomena S***, 6020 Innsbruck, Fürstenweg 7, vertreten durch Dr. Walter Nowak, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 624.782,-- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 1. Juli 1987, GZ 3 R 182/87-83, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 24. März 1987, GZ 16 Cg 54/87-71, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat der Beklagten die mit S 16.196,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.472,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über Antrag der Klägerin erließ das Erstgericht gegen die Beklagte einen Wechselzahlungsauftrag über S 624.782,-- s.A., hielt ihn in der Folge trotz der Einwendung, die Beklagte habe den zugrundliegenden Wechsel vom 27. September 1982 nicht unterfertigt, dieser sei vielmehr verfälscht, aufrecht und gab dem auf Zahlung der Wechselsumme gerichteten Klagebegehren statt.

Nach vom Berufungsgericht ausgesprochenen Urteilsaufhebungen und Rückverweisungen der Rechtssache an das Erstgericht kam dieses im zweiten und dritten Rechtsgang auf der Grundlage der eingeholten Sachverständigengutachten und der weiteren Beweisergebnisse jeweils zur Ansicht, daß die Beklagte den Wechsel unterfertigt habe und entschied wiederum im Sinne der Klage.

Mit dem angefochtenen Urteil änderte das Berufungsgericht die erstgerichtliche Entscheidung des dritten Rechtsganges dahin ab, daß der vom Erstgericht erlassene Wechselzahlungsauftrag aufgehoben und das Klagebegehren abgewiesen werde. Das Berufungsgericht nahm eine Beweiswiederholung durch Verlesung der erstgerichtlichen Beweisergebnisse gemäß § 281 a ZPO sowie eine teilweise unmittelbare Beweiswiederholung durch Vernehmung der Streitteile als Parteien vor und kam zu dem von den erstgerichtlichen Feststellungen abweichenden Ergebnis, daß die Echtheit der Unterschrift der Beklagten auf der Wechselurkunde nicht gesichert sei und daher nicht als erwiesen unterstellt werden könne. In dem von der Beklagten beigebrachten Privatgutachten des Wolfgang K*** werde ausgeführt, die Echtheit der Unterschrift sei nicht nachweisbar, es bestehe eine große Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer nach Einübung freihändigen Nachahmung, wobei der Gutachter allerdings eine schlechte Qualität der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen zugegeben habe. Die vom Erstgericht bestellten beiden Sachverständigen Gottlieb O*** und Dr. Wolfgang C*** hätten die Echtheit der Unterschrift der Beklagten auch nicht mit einer für die Beweisführung erforderlichen Sicherheit zu bestätigen vermocht. Nach dem Gutachten des Sachverständigen O*** sei eine für die Echtheit der Unterschrift sprechende "gesteigerte Wahrscheinlichkeit" von "etwa 60 % oder mehr" anzunehmen, nach Dr. C*** sei die Unterschrift auf dem Wechsel "wahrscheinlich" (Wahrscheinlichkeitsgrad 60 bis 70 %) von der Beklagten geleistet worden. Somit seien die Ergebnisse des graphologischen Sachbefundes aber nicht geeignet, den der Klägerin obliegenden Beweis der Echtheit der Annehmerunterschrift auf der Wechselurkunde zu erbringen. Im weiteren befaßte sich das Berufungsgericht mit den übrigen Beweisergebnissen, insbesondere den Angaben der Klägerin in ihrer Parteienvernehmung, und hielt deren volle Glaubwürdigkeit aus den im einzelnen dargelegten Gründen nicht für gegeben. Mangels Beweises der Echtheit der Unterschrift der Beklagten auf der Wechselurkunde fehle es somit an der dem Klagebegehren zugrundegelegten Wechselverbindlichkeit. Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhebt die Klägerin eine auf die Revisionsgründe des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt die Klägerin die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung sowohl hinsichtlich des Inhaltes des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. C*** und der Unterlassung einer ergänzenden Vernehmung desselben in der Berufungsverhandlung als auch hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Angaben der Klägerin in ihrer Parteienvernehmung. Zwischen den zahlreichen Beweisergebnissen bestehe ein derart enger Beweiswürdigungszusammenhang, daß "es nicht angehe, daß sich das Berufungsgericht einfach auf die Bestimmung des § 281 a ZPO" berufe. Im Falle der Beweiswürdigungsrüge in der Berufung müsse das Berufungsgericht sämtliche Beweise wiederholen. Es sei der Revisionswerberin klar, daß sie mit ihrem Vorbringen unzulässigerweise auch die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung bemängle, doch habe das Berufungsgericht vorliegendenfalls die Grenzen der freien Beweiswürdigung durchbrochen. Die Klägerin wäre im übrigen anzuweisen gewesen, einen anderen Rechtsgrund, nämlich den der Darlehenszuzählung der Klägerin an die Beklagte, geltend zu machen.

In der Rechtsrüge bringt die Revisionswerberin vor, die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung ließe einen Verstoß gegen die Logik erkennen, denn die Beweiswürdigung finde in den Denkgesetzen ihre Grenzen. Der Erstrichter habe umfangreich begründet, daß nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C*** kein Zweifel an der Echtheit der Unterschrift der Beklagten auf dem Wechsel bestehe. Das Berufungsgericht habe sich mit diesem Gutachten aber nur dürftig auseinandergesetzt. Tatsächlich habe dieser Sachverständige erklärt, daß bei gesonderter Betrachtung des Vornamens der Beklagten auf der Wechselunterschrift sich das Kalkül schon in Richtung "hohe Wahrscheinlichkeit" bewege, lediglich weil die Unterschrift immer aus Vor- und Zunamen bestehe, könne diese Betrachtungsweise "nicht Platz greifen". Aus den übrigen Erklärungen des Sachverständigen ergebe sich insgesamt, daß die Unterschrift nicht gefälscht sein könne. Die Echtheit der Unterschrift werde ernstlich nur durch die verschiedene Weite des Vornamens und Familiennamens nahegelegt, auf Grund der situationsspezifischen Möglichkeit einer einmaligen Umkehr des Weitenverhältnisses zwischen Vor- und Familiennamen sei auch die Möglichkeit der Echtheit der fraglichen Unterschrift gegeben. Somit sei der einzige Punkt, der für die Unechtheit sprechen könnte, zweifelhaft und unentschieden, so daß es einfach den Denkgesetzen widerspreche, wenn das Berufungsgericht wegen dieses einzigen Punktes die Unterschrift nicht für echt halte. Die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung widerspreche daher den Gesetzen der Logik.

Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:

Nach der klaren Regelung des § 281 a ZPO ist für die Durchführung einer Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht die bloße Verlesung der Protokolle des erstinstanzlichen Verfahrens ausreichend, wenn nicht eine der Parteien dagegen ausdrücklich Widerspruch erhebt (JBl 1985, 173; 1 Ob 694/84, 6 Ob 574/86 ua). Die Beurteilung durch das Berufungsgericht, ob eine verläßliche Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstgerichtes nur auf Grund des unmittelbaren Eindruckes der Zeugen und Parteien oder auf Grund einer Beweisaufnahme gemäß § 281 a ZPO möglich ist, gehört dem Bereich der durch den Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbaren Beweiswürdigung an (EvBl 1985/70; MietSlg. 37.775/7; 5 Ob 506/85 ua).

Vorliegendenfalls hat das Berufungsgericht die Beweisaufnahme durch Einvernahme der Streitteile als Parteien selbst wiederholt und die übrigen Beweisergebnisse, insbesondere auch den Inhalt der vom Erstgericht eingeholten Sachverständigengutachten, im Sinne des § 281 a ZPO ohne Widerspruch zur Verlesung gebracht. Damit hat es sämtliche Beweise wiederholt, so daß der Vorwurf einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens unbegründet erscheint. Im übrigen erklärt die Revisionswerberin selbst, daß ihre Angriffe gegen die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung als solche unzulässig sind, weil das Gesetz einen derartigen Revisionsgrund nicht vorsieht.

Die weitere Ansicht der Revisionswerberin, sie hätte zur Geltendmachung eines anderen Klagsgrundes, nämlich den der Darlehenszuzählung, angeleitet werden müssen, ist ebenfalls verfehlt. Die Prozeßleitungspflicht besteht nicht darin, den Parteien die Geltendmachung neuer Rechtsgründe oder Einwendungen zu ermöglichen, ihr Ziel ist es vielmehr, im Rahmen der geltend gemachten Rechtsgründe oder Einwendungen auf eine Konkretisierung und Ergänzung des Vorbringens und Beweisanbotes hinzuwirken (8 Ob 57, 58/78, 5 Ob 750, 751/82, 2 Ob 615/86 ua). Im übrigen setzt die Wahrnehmung einer Verletzung der materiellen Prozeßleitungspflicht des Erstgerichtes durch den Obersten Gerichtshof auch eine diesbezügliche Rüge im Berufungsverfahren voraus, welche nicht erhoben wurde. Der behauptete Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO liegt somit nicht vor.

In der Rechtsrüge macht die Klägerin Verstöße des Berufungsgerichtes gegen die Denkgesetze geltend, da sich aus den Erklärungen des Sachverständigen Dr. C*** insgesamt ergebe, daß die Unterschrift der Beklagten auf dem Wechsel nicht gefälscht sein könne, weil bis auf einen einzigen Punkt alles für die Echtheit der Unterschrift spreche, dieser Punkt selbst aber unentschieden bleibe. Die berufungsgerichtliche Schlußfolgerung, die Echtheit sei dennoch nicht erwiesen, widerspreche daher den Gesetzen der Logik. Ein berufungsgerichtlicher Verstoß gegen die Regeln der Logik bzw. gegen die Denkgesetze liegt indes nicht vor. Die beiden vom Berufungsgericht nach Beweiswiederholung zugrundegelegten Sachverständigengutachten enthielten unbekämpftermaßen keine gegen zwingende Denkgesetze oder gegen die objektiv überprüfbaren zwingenden Gesetze des sprachlichen Ausdruckes verstoßenden, mit Rechtsrüge geltend zu machenden Schlußfolgerungen. Richtig verweist die Revisionswerberin zwar darauf, daß der zuletzt vernommene Sachverständige Dr. C*** ausführte (ON 61, AS 434 f), unter der für die gegenständliche Wechselunterschrift spezifischen Schreibsituation - geringer zur Verfügung stehender Raum - erscheine auch "die Umkehr des Weitenverhältnisses zwischen Vor- und Familiennamen der Beklagten durchaus einmal möglich"; der Befund der Weitenverhältnisse erscheine daher insgesamt als zweifelhaft und unentschieden, sodaß es auf den Identifizierungswert der restlichen Schriftmerkmale ankomme. Diesbezüglich bekundete der Sachverständige sodann (ON 61, AS 435, 409), mit Ausnahme des Weitenverhältnisses zwischen Vor- und Familienname fänden sich sämtliche Schriftmerkmale der Wechselunterschrift in den Vergleichsunterschriften der Beklagten wieder. Mit dieser einen und im Befund unentscheidbaren Ausnahme existiere kein einziges Schriftmerkmal der strittigen Unterschrift, das nicht eine genaue Entsprechung in den unzweifelhaft von der Beklagten geschriebenen Vergleichsschriften hätte. Alle Schriftmerkmale dieser strittigen Wechselunterschrift lägen durchaus im Variationsrahmen der Vergleichsschriften und stimmten mit ihnen, abgesehen eben vom genannten Weitenverhältnis, überein. Hinsichtlich dieses Weitenverhältnisses sei zu sagen, daß ein Fälscher eine derart schlechte Raumeinteilung kaum gewählt hätte; hätte er dies aber dennoch getan, so wäre ihm wohl nur unter Hinterlassung von Fälschermerkmalen gelungen, eng zu schreiben. Solche Merkmale seien nicht vorzufinden (AS 433).

Im Ergebnis kam der Sachverständige Dr. C*** hinsichtlich der streitgegenständlichen Wechselunterschrift zum Schluß, das Gewicht aller der genannten quantitativen und qualitativen Übereinstimmungen lasse es insgesamt als "wahrscheinlich" erscheinen, daß die Beklagte die Wechselunterschrift selbst geschrieben habe (AS 435). Das Kalkül "wahrscheinlich" wurde vom Sachverständigen Dr. C*** als eine 60- bis 70 %-ige Wahrscheinlichkeit definiert (ON 69, AS 459). Zu einem ähnlichen Wert war auch der Vorgutachter Gottlieb O*** gekommen, der letztlich (ON 49, AS 300) eine "hohe Wahrscheinlichkeit" der Echtheit der Unterschrift der Beklagten auf der Wechselurkunde angab und dieses Kalkül mit "etwa 75 %" definierte" (ON 49, AS 300).

Die durch die Kritik der Revisionswerberin aufgeworfene Frage, warum bei einem offenbar weitgehend eindeutigen Befund die Kalküle dennoch bloß auf 60- bis 75 %-ige Wahrscheinlichkeit lauten, findet im Gutachten des Sachverständigen Dr. C*** durchaus ihre Erklärung. Danach konnten im Hinblich auf das zur Verfügung stehende Vergleichsmaterial aus dem für die Untersuchung relevanten Zeitraum der Jahre 1979 bis 1982, nämlich einen Text mit Unterschrift im Original sowie einem weiteren Text samt Unterschrift und fünf weiteren Unterschriften in Kopie, von Anfang an lediglich Wahrscheinlichkeitsergebnisse und zwar bestenfalls hohe oder einfache Wahrscheinlichkeiten, erwartet werden (ON 61, AS 387, 389). Es ist daher davon auszugehen, daß die mehr oder weniger volle Übereinstimmung der zu prüfenden Unterschrift mit einer Originalvergleichsunterschrift aus der selben Zeitperiode nach den Regeln der von den Schriftsachverständigen betriebenen Wissenschaft nur zu der angeführten Wahrscheinlichkeit von 60 bis 75 % führt und "sehr hohe" oder "mit an Sicherheit grenzende" Wahrscheinlichkeiten das Vorhandensein weiterer Originalvergleichsschriften derselben Zeitperiode erforderten.

Die Ermittlung des Wahrscheinlichkeitsgrades für das Vorliegen einer bestimmten Tatsache fällt in den in dritter Instanz unüberprüfbaren Bereich der Sachverhaltsfeststellung. Ein dabei begangener Verstoß der Sachverständigen gegen die Denkgesetze liegt nicht vor.

Die Frage, ob der von den Sachverständigen angegebene Grad der Wahrscheinlichkeit der Echtheit der Unterschrift der Beklagten dazu hinreicht, den Beweis der Echtheit als gelungen zu werten, stellt eine Rechtsfrage dar. Die diesbezügliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist jedoch frei von Rechtsirrtum. Die Wahrscheinlichkeit der Echtheit einer Unterschrift von 70 % reicht im Sine der berufungsgerichtlichen Ausführungen alleine noch nicht hin, den vom Kläger zu führenden Beweis der Echtheit als erbracht anzusehen. Vorliegendenfalls hat das Berufungsgericht die Beweisergebnisse insgesamt dahin gewürdigt, daß es die Echtheit der Wechselunterschrift nicht als erwiesen annahm. Hierin liegt eine Tatsachenfeststellung, welche mangels erkennbaren Verstosses gegen die Logik vor dem Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar ist. Damit erweist sich aber auch die Rechtsrüge der Revisionswerberin als nicht stichhältig.

Der Revision war demgemäß ein Erfolg zu versagen.

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