OGH 2Ob615/86

OGH2Ob615/8616.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Annemarie S***, Hausfrau, 8643 Allerheiligen i.M., Wieden 57, vertreten durch DDr. Ferdinand Gross, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wider die beklagte Partei Peter S***, Angestellter, 8643 Allerheiligen i.M., Wieden 57, vertreten durch Dr. Gerhard Folk, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 13. März 1986, GZ 6 R 27/86-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 23.September 1985, GZ 5 Cg 83/85-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.397,35 (darin S 308,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 3.2.1962 geheiratet. Sie haben drei Kinder (Hans-Peter S***, geb. 4.12.1960, Elisabeth S***, geb. 16.3.1963, und Heinz S***, geb. 7.9.1972).

Mit der am 26.7.1978 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Ehescheidung aus dem Verschulden des Beklagten und behauptete, der Beklagte verhalte sich lieb- und interesselos, spreche stark dem Alkohol zu, habe die Klägerin mißhandelt und mit anderen Frauen ehestörende Beziehungen unterhalten. Der Beklagte bestritt die ihm angelasteten Eheverfehlungen. Nachdem das Verfahren mehrfach zum Ruhen gekommen und wieder fortgesetzt worden war, beantragte die Klägerin das letztemal am 4.3.1985 die Fortsetzung des Scheidungsverfahrens, weil der Beklagte sein Verhalten nicht geändert habe, weiterhin übermäßig Alkohol trinke, dabei exzediere und die Klägerin mit Worten "Drecksau, Schwein, Wabn" etc. beschimpft habe.

Der Beklagte bestritt das Scheidungsbegehren und stellte einen Mitschuldantrag, weil die Klägerin beispielsweise am Nachmittag, ohne Näheres zu sagen, weggegangen und erst am Abend wieder heimgekommen sei. Sie sei lieblos und interesselos. Das Erstgericht sprach die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten aus, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Bereits rund drei Jahre nach der Eheschließung hätten die ersten Schwierigkeiten in der Ehe begonnen, als der Beklagte zunehmend Kontakt zu anderen Frauen gesucht habe. Der Beklagte sei damals als Vertreter tätig gewesen und habe sich unter Ausnutzung dieser Berufstätigkeit mit anderen Frauen eingelassen, wobei er Tage und Nächte lang nicht nach Hause gekommen sei. Als der Beklagte im Jahre 1969 einen schweren Verkehrsunfall gehabt und sich dann fast 1 1/2 Jahre im Krankenstand befunden habe, habe ihn dies nicht gehindert, sich mit einer Krankenschwester in ehestörende Beziehungen einzulassen. Die Klägerin habe dem Beklagten wegen seines Verhaltens wiederholt Vorwürfe gemacht, worauf dieser auf sie eingeschlagen habe, wenn ihm diese Vorhalte nicht paßten. Als die Klägerin zum dritten Kind schwanger war, habe sie sich auf das Kind gefreut, während der Beklagte "in jeder Hinsicht desinteressiert" gewesen sei. Dennoch sei die Ehe der Streitteile nach der Geburt dieses Kindes durch zwei bis drei Jahre besser als zuvor gegangen, sodaß die Klägerin weiterhin bereit gewesen sei, an der Ehe festzuhalten. Danach habe jedoch der Beklagte wiederum, und zwar mehr als früher, zu trinken begonnen. Der Beklagte habe die Klägerin auch, ohne daß sie dazu Veranlassung gegeben hätte, geschlagen und habe erneut Kontakt zu anderen Frauen gesucht. Er habe sich nur mehr wenig um die Klägerin gekümmert. Im Jahre 1978 habe die Klägerin die Scheidungsklage eingebracht. Im Laufe des Verfahrens habe der Beklagte wiederholt beteuert, sich zu bessern, wodurch sich die Klägerin habe verleiten lassen, in ein Ruhen des Verfahrens einzuwilligen. Kurze Zeit später habe der Beklagte jedoch wieder sein ursprüngliches Verhalten gezeigt. In Gegenwart des Kindes habe er auf die Klägerin eingeschlagen und in alkoholisiertem Zustand geäußert, es sei ihm alles gleich. Dazu habe die Klägerin vor Dritten wiederholt vernehmen müssen, daß sie mit dem Beklagten irgendwo gesehen worden sei, was aber nicht gestimmt habe, so daß sie daraus entnommen habe, daß der Beklagte sich dort mit einer anderen Frau aufgehalten habe. Selbst an Feiertagen, etwa am Heiligen Abend, sei der Beklagte nicht nach Hause gekommen. Als die Klägerin anläßlich der Scheidungsklage im Jahre 1978 den Vorwurf erhoben habe, der Beklagte habe sich mit Wilhelma R*** eingelassen, habe er schriftlich versprochen, sich mit dieser Frau nicht mehr zu treffen, woraufhin es zum Ruhen des Verfahrens gekommen sei. Nach einiger Zeit habe der Beklagte jedoch in anderer Weise "wiederum sein negatives Verhalten" gezeigt. All dies habe zu einer vollständigen Zerrüttung im ehelichen Zusammenleben der Streitteile geführt. Es sei wiederholt zu ehelichen Auseinandersetzungen gekommen, die in Verletzungen der Klägerin gipfelten. Wegen der ehelichen Schwierigkeiten hätten sich die Kontakte der Streitteile oftmals nur darauf beschränkt, daß die Klägerin dem Beklagten das Essen bereitstellte und daß sämtliche Mitteilungen durch geraume Zeit schriftlich abgewickelt wurden. Wenn der Beklagte spät abends nach Hause gekommen und der Klägerin gegenüber heftig geworden sei, habe diese öfters Schutz bei ihren Eltern im angebauten Haus nebenan gesucht. Im Herbst 1984 hätten sich auf Grund des Verhaltens des Beklagten die Streitteile endgültig auseinandergelebt. Auch die Klägerin habe nun keine Möglichkeit zur Fortsetzung der Ehe mehr gesehen. Trotz der auch während des Verfahrens gezeigten Beteuerungen des Beklagten, sich zu bessern, habe dieser bis in die letzte Zeit unvermindert weiter getrunken. In diesem Zustand sei der Beklagte erst in der Nacht nach Hause gekommen und habe die Klägerin "belästigt". Auf Grund des Verhaltens des Beklagten sei die Ehe der Streitteile so weit zerrüttet, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne.

In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zum Ergebnis, daß die Ehe aus dem Verschulden des Beklagten unheilbar zerrüttet sei. Die vom Beklagten behaupteten Eheverfehlungen der Klägerin seien nicht konkretisiert worden, sodaß aus diesem Grunde weitere Beweisaufnahmen nicht notwendig gewesen seien.

Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos; das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Beklagten aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Abs.1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Aufhebung der Entscheidung und Rückverweisung der Rechtssache an eine der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Unter dem Anfechtungsgrund nach § 503 Abs.1 Z 2 ZPO rügt der Beklagte als Mangel des Berufungsverfahrens, daß das Berufungsgericht auf die vom Beklagten in der Berufung geltend gemachte Verletzung der Anleitungspflicht nach § 182 ZPO durch den Erstrichter nicht eingegangen sei. Trotz der gegenteiligen Parteiaussage der Klägerin habe das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, daß eine Verzeihung der dem Beklagten angelasteten Eheverfehlungen durch die Klägerin weder behauptet noch bewiesen worden sei. Diesbezüglich wäre zu klären gewesen, für welchen Zeitpunkt diese Verzeihung in Betracht komme.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß der Beklagte in der Berufung als Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens rügte, der Erstrichter habe ihn nicht entsprechend angeleitet, zu erklären, ob überhaupt die Abweisung der Klage beantragt und nur hilfsweise ein Mitverschuldensantrag gestellt werde. Überdies seien die Parteien nicht gefragt worden, wann der letzte eheliche Verkehr stattgefunden habe, da dieser Umstand als Verzeihung allfälliger früherer Eheverfehlungen zu werten sei. Der letzte eheliche Verkehr habe im Juni 1985 stattgefunden, somit knapp vor der Ehescheidung; mit dem Geschlechtsverkehr hätten aber die vorher gelegenen Eheverfehlungen des Beklagten als von der Klägerin verziehen zu gelten. Was zunächst die Unterlassung eines förmlichen Antrages des Beklagten auf Abweisung des Klagebegehrens anlangt, hat das Berufungsgericht ohnehin die Bestreitung des Scheidungsbegehrens durch den Beklagten als Antrag auf Klagsabweisung gewertet. In dieser Hinsicht kann sich der Beklagte daher nicht als beschwert erachten. Bezüglich der erstmalig in der Berufung vom Beklagten aufgestellten Behauptung der Verzeihung seiner Eheverfehlungen durch die Klägerin durch Gestattung des ehelichen Verkehrs ist darauf hinzuweisen, daß die Aufgabe der Prozeßleitungspflicht des Richters nicht darin besteht, den Parteien die Geltendmachung völlig neuer Rechtsgründe oder Einwendungen zu ermöglichen; ihr Ziel ist es vielmehr, im Rahmen der geltend gemachten Rechtsgründe oder Einwendungen auf eine Konkretisierung und Ergänzung des Vorbringens und Beweisanbotes hinzuwirken (EvBl.1976/190, 8 Ob 57,58/78 ua.). Da der Beklagte im Verfahren erster Instanz weder ausdrücklich noch durch Hinweis auf einen ehelichen Verkehr auch nur andeutungsweise eine Verzeihung seiner Eheverfehlungen durch die Klägerin behauptet hat, bestand für den Erstrichter auch im Rahmen der Anleitungspflicht im Sinn des § 182 ZPO keine Veranlassung, von sich aus auf die Erhebung einer solchen Einwendung durch den Kläger zu dringen. Vielmehr hat das Berufungsgericht das diesbezügliche Vorbringen in der Berufung zutreffend als unbeachtliche Neuerung beurteilt.

Da der Beklagte im Berufungsverfahren keine weiteren Verletzungen der richterlichen Anleitungspflicht als Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens aufgeworfen hat, ist ihm diesbezüglich die Erhebung einer neuerlichen Mängelrüge in der Revision verwehrt (EFSlg. 8.959, 12.311 ua.).

In der Rechtsrüge führt der Beklagte aus, die Unterlassung der Einvernahmen der Zeugen Hans-Peter S*** und Urban N*** durch das Erstgericht trotz seiner ausdrücklichen Erklärung, auf die Einvernahme dieser Zeugen nicht zu verzichten, stelle einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens dar, den das Berufungsgericht zu Unrecht nicht als gegeben erachtet habe. Damit wird aber keine unrichtige rechtliche Beurteilung in materiellrechtlicher Hinsicht geltend gemacht, sondern vielmehr ein angeblicher Verfahrensmangel erster Instanz. Diesbezüglich hat das Berufungsgericht indes das Vorliegen eines Mangels des erstinstanzlichen Verfahrens verneint. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die aber vom Berufungsgericht nicht als solche erkannt worden sind, können nicht auch noch in dritter Instanz mit Erfolg geltend gemacht werden (EvBl.1968/344 uva). Dieser Grundsatz gilt gemäß § 460 Z 4 ZPO, welche Bestimmung durch das Bundesgesetz vom 11.November 1983 über Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechts, BGBl. Nr.566, eingefügt wurde und gemäß dessen Art.X Z 4 auf Eheverfahren, in denen die mündliche Verhandlung erster Instanz nach dem 31.Dezember 1983 (im vorliegenden Fall: am 26.August 1985) geschlossen wurde, bereits anzuwenden ist, auch im Ehescheidungsverfahren (1 Ob 669,670/85 ua.). Soweit der Beklagte - wieder unrichtig unter dem Revisionsgrund nach § 503 Abs.1 Z 4 ZPO - weiteres Vorbringen bezüglich angeblicher Verletzung der Prozeßleitungs- und Aufklärungspflicht durch den Erstrichter erstattet, ist er auf die obigen Ausführungen des Revisionsgerichtes zum Anfechtungsgrund nach § 503 Abs.1 Z 2 ZPO zu verweisen.

Schließlich meint der Beklagte, die von den Vorinstanzen angenommene unheilbare Zerrüttung der Ehe finde in den Beweisergebnissen keine Deckung. Das Scheidungsverfahren sei seit 1978 anhängig, es sei immer wieder zu Versöhnungen gekommen; das Berufungsgericht habe nicht begründet, warum nunmehr eine Versöhnung nicht mehr möglich sein sollte.

Auch diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung ist eine unheilbare Ehezerrüttung dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben; es genügt also, daß der klagende Ehegatte die eheliche Gesinnung verloren hat (7 Ob 152/75; EF 33.958, JBl.1981, 36; EF 41.241; 1 Ob 526/84 ua.). Wesentlich ist, ob das Verhalten des schuldigen Gatten geeignet war, dem anderen Gatten die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen, und ob es diese Wirkung gehabt hat (EvBl.1959/34; EF 10.283; EF 11.904 ua.). Diese Wirkung kann allerdings auch erst allmählich und im Zusammenhang mit neuen Eheverfehlungen eintreten (6 Ob 276/63; 8 Ob 36/64; 8 Ob 211/75). Dafür, daß die als Scheidungsgrund geltend gemachten Eheverfehlungen auch tatsächlich als ehezerstörend empfunden wurden, spricht in der Regel schon die Erhebung der Scheidungsklage (2 Ob 255/74; EF 27.438; EF 34.624; 8 Ob 531/82 ua.). Für die Beurteilung der Ehezerrüttung ist die Bereitwilligkeit des schuldigen Gatten zur Fortsetzung der Ehe unerheblich (EvBl.1959/34; EF 8533; 6 Ob 598/79 ua.).

Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet und berücksichtigt, daß die Eheverfehlungen des Beklagten bis in die letzte Zeit angehalten haben und der Beklagte selbst nach Aussöhnungsversuchen während des Verfahrens immer wieder sein ehewidriges und ehezerstörendes Verhalten fortgesetzt hat, kann auch in der Annahme der unheilbaren Zerrüttung der Ehe wie des Alleinverschuldens des Beklagten daran keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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