OGH 1Ob684/87

OGH1Ob684/8721.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz B***, Landwirt, Zell am Ziller, Rohrberg 66, vertreten durch Dr. Josef Heis, Rechtsanwalt in Innsbruck, wieder die beklagte Partei Johann S***, Land- und Gastwirt, Zell am Ziller, Rohrberg 91, vertreten durch Dr. Walter Anderl, Rechtsanwalt in Mayrhofen, wegen Entfernung (Streitwert S 30.000,--), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 8. April 1987, GZ 2a R 176/87-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Zell am Ziller vom 4. Dezember 1986, GZ C 488/85 -19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.831,40 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (hievon S 757,30 Umsatzsteuer und S 1.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 23 I KG Rohrberg mit den Grundstücken 473, 466, 463, 462, 461 und 458. Über diese Grundstücke führt die vom Beklagten errichtete Grindlalm-Seilbahn. Die Talstation der Seilbahn befindet sich in Rohr in 570 m Seehöhe, die Bergstation am Rohrberg in 1150 m Seehöhe. Zu Lebzeiten der Mutter (und Rechtsvorgängerin) des Klägers war der Post- und Telegrafenverwaltung auf Dauer das Recht eingeräumt worden, über die erwähnten Grundstücke ein Telefonkabel zu verlegen, zu welchem Zweck 16 Masten aufgestellt wurden. Nach einem Betriebsunfall im Jahre 1975 wurde die Grindlalm-Seilbahn von der Seilbahnbehörde als nicht mehr betriebssicher erachtet. Dem Beklagten wurde vorgeschrieben, für die Sprechverbindung und die elektrische Steuerung der Bahn eine Leitung außerhalb des bestehenden Seilbahnkörpers mit eigenem Stromkreis zu verlegen; über die bestehenden drei Seilbahnstützen durfte das Kabel nicht geführt werden. Es hätte die Möglichkeit bestanden, im Bereich der Trasse der Grindlalmbahn einen Kabelgraben auszuheben, was bedeutende Kosten verursacht hätte. Der Beklagte hätte sich zudem mit den betroffenen Grundeigentümern über die Einräumung einer Servitut einigen müssen. Als kostengünstige Lösung bot sich an, die vorgeschriebene neue Leitung auf die Masten der Telefonleitung zu verlegen. Für den Kläger bedeutete dies insofern eine Erschwernis, als bei Holzschlägerungsarbeiten im Nahbereich der Leitung zwei Kabel abgenommen werden mußten. Mit der Vereinbarung vom 1. Mai 1976 räumte der Kläger dem Beklagten das Recht zur Verlegung des Fernmeldekabels in der geschilderten Art gegen Leistung einer jährlichen Entschädigung von 100 Liter Vollmilch erster Klasse in Naturalien bzw. Leistung des entsprechenden Entgelts in der Höhe des Abgabepreises an die Sennerei ein. Das Fernmeldekabel sollte vereinbarungsgemäß von der Post- und Telegrafenverwaltung auf deren Gestänge verlegt werden. Darüber, wie lange dem Beklagten das Leitungsrecht zustehen sollte, wurde nicht gesprochen. Im Jahre 1978 wurde die Kreuzjochbahn errichtet, die ebenfalls über die Grundstücke des Klägers führt. Im Bereich der Seilbahntrasse wurde ein Kabelgraben ausgehoben, in den das bahneigene Kabel und das Telefonkabel der Post- und Telegrafenverwaltung verlegt wurden. Der Beklagte interessierte sich im Jahre 1978 ebenfalls dafür, sein Fernemeldekabel in den Leitungsgraben der Kreuzjochbahn verlegen zu dürfen. Nachdem die Post- und Telegrafenverwaltung im Jahre 1983 das Erdkabel in Betrieb genommen hatte, wurde das Kabel der Post- und Telegrafenverwaltung von den Masten abgenommen. Die Masten selbst überließ die Post- und Telegrafenverwaltung dem Beklagten. Der Beklagte setzte in der Folge seine Bemühungen um die Einräumung einer zu verbüchernden Leitungsdienstbarkeit fort. Der Kläger strebte jedoch auch eine Entschädigung für die über seinen Grund führende Grindlalmbahn an. Der von den Streitteilen als Vermittler eingesetzte Rechtsanwalt Dr. Franz W*** schlug ein Gesamtentgelt von

S 8.500,-- (S 7.000,-- für die Benützung der Grundstücke des Klägers durch die Bahn und S 1.500,-- für die Einräumung des Leitungsrechtes) vor, doch war dieses Entgelt dem Beklagten zu hoch. Der Kläger begehrte die Entfernung der privaten Leitungsanlage des Beklagten einschließlich der 16 Masten von seiner Liegenschaft und brachte zur Begründung vor, die Vereinbarung vom 1. Mai 1976 habe nur für die Dauer des Betriebes der Telefonleitung durch die Post- und Telegrafenverwaltung Gültigkeit gehabt. Durch die unterirdische Verkabelung der Telefonleitung im Bereich der Trasse der Kreuzjochbahn sei das Leitungsrecht des Beklagten erloschen. Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Das Leitungsrecht sei ihm für die Dauer des Betriebes der Grindlalmbahn eingeräumt worden. Das Leitungsrecht wäre nur dann erloschen, wenn der Kläger ihm das Einlegen des Steuerungskabels in den Kabelgraben der Kreuzjochbahn gestattet hätte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte fest, der Kläger habe sich bei Abschluß der Vereinbarung vom 1. Mai 1976 mit dem eher geringfügigen Entgelt begnügt, weil die Telefonmasten bereits standen und die Anbringung eines zusätzlichen Kabels keine ins Gewicht fallende Erschwernis für ihn bedeutet habe. In rechtlicher Hinsicht führte der Erstrichter aus, das dem Beklagten eingeräumte Recht sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses den Bestimmungen des Mietengesetzes unterlegen, weil die Leitungsanlage als mietengeschützte Geschäftsräumlichkeit zu beurteilen sei. Nach der Übergangsvorschrift des § 49 MRG seien die Kündigungsbeschränkungen der §§ 19 bis 23 MG auf den vorliegenden Fall bis 31. Dezember 1986 anzuwenden. Die Aufkündigung des Bestandverhältnisses hätte daher gerichtlich erfolgen müssen. Selbst wenn man dieser Rechtsauffassung nicht beipflichten wollte, wäre für den Kläger nichts gewonnen. Die Verlegung der Leitung der Post- und Telegrafenverwaltung in den Kabelgraben der Kreuzjochbahn rechtfertige als wichtiger Grund die Auflösung des zwischen den Streitteilen begründeten Dauerschuldverhältnisses nur dann, wenn der Kläger dem Beklagten die Verlegung seines Kabels in den Kabelgraben gestattet hätte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte es im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000,--, jedoch nicht S 300.000,-- übersteigt. Das Berufungsgericht erklärte die Revision für nicht zulässig. Die zwischen den Streitteilen abgeschlossene Vereinbarung unterliege nicht den Regelungen des Mietengesetzes bzw. des Mietrechtsgesetzes, weil beide Gesetze nur die Raummiete, die Flächenmiete hingegen nur unter ganz bestimmten, hier nicht gegebenen Voraussetzungen erfaßten. Mit dem Vertrag vom 1. Mai 1976 sei aber jedenfalls ein Dauerschuldverhältnis begründet worden. Dauerschuldverhältnisse könnten bei Vorliegen wichtiger Gründe durch empfangsbedürftige Erklärung aufgelöst werden. Ein wichtiger Grund liege immer dann vor, wenn einem Teil die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses objektiv nicht mehr zugemutet werden könne. Dieser Grundsatz gelte auch für die Auflösung einer Servitut; nur wenn eine dingliche Bindung begründet wurde, was hier mangels Verbücherung des Leitungsrechtes des Beklagten nicht zutreffe, seien jedoch strengere Maßstäbe für die Auflösung anzuwenden. Die Verlegung der Telefonleitung der Post- und Telegrafenverwaltung in einen neuen Kabelgraben und die damit gegebene Entbehrlichkeit der Masten und der darauf verlegten Freileitung sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für keinen der beiden Streitteile vorhersehbar gewesen. Unter den gegebenen geänderten Umständen sei dem Kläger die Einhaltung der ursprünglichen Vereinbarung nicht mehr zumutbar, zumal das vom Beklagten zu leistende Entgelt geringfügig sei und die auf den Grundstücken des Klägers errichteten 16 Leitungsmasten die landwirtschaftliche Nutzung der Liegenschaft nicht bloß unerheblich erschwerten.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen außerordenlichen Revision des Beklagten kommt Berechtigung zu. Das Berufungsgericht ging zutreffend davon aus, daß Dauerschuldverhältnisse grundsätzlich aus wichtigen Gründen vorzeitig aufgelöst werden können. Als wichtige Gründe kommen insbesondere Vertragsverletzungen, der Verlust des Vertrauens in die Person des Schuldners oder schwerwiegende Änderungen der Verhältnisse in Betracht, die die Fortsetzung der vertraglichen Bindung nicht zumutbar erscheinen lassen. Die Begründung für die Möglichkeit der vorzeitigen Auflösung liegt darin, daß auf Dauer angelegte Rechtsverhältnisse in besonderem Maße empflindlich für die Veränderung der für den Vertrag maßgebenden Verhältnisse sind und es auch den sorgfältigsten Parteien nicht möglich ist, für alle solche Fälle der Zukunft vertraglich vorzusorgen (SZ 57/186; SZ 56/144;

MietSlg. 36.183, 35.221, 34.258, 33.196; SZ 48/77; SZ 46/109;

SZ 45/20; Rummel in Rummel, ABGB, Rz 27 zu § 859; Bydlinski in Klang Komm.2 IV/2, 200; Ehrenzweig-Mayrhofer, System3 II/I, 619;

Mayrhofer, JBl. 1974, 593, 596; Koziol-Welser, Grundriß8 I 188). Die dargestellten Grundsätze gelten auch für sonstige Dauerrechtsverhältnisse wie Dienstbarkeiten und dingliche Gebrauchsrechte (JBl. 1974, 618) nur wird deren Auflösung lediglich als Notventil zur Beseitigung einer untragbar gewordenen Lage anerkannt (MietSlg. 31.223; Petrasch in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 524; Mayrhofer a.a.O. 600). Die Befugnis zur vorzeitigen Auflösung von Dauerschuldverhältnissen wird im wesentlichen mit der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung begründet (vgl. Mayrhofer a.a.O. 598). Diese setzt jedoch voraus, daß die Einhaltung der Verpflichtung durch außerhalb der Verantwortung des Verpflichteten liegende Umstände nicht mehr zugemutet werden kann (SZ 56/144; SZ 48/77 ua). Der mit einer Dienstbarkeitsverpflichtung Belastete kann nun aber sogar gegen den Willen des Berechtigten den Verlauf einer ihn belastenden Dienstbarkeit verlegen, wenn dadurch der Dienstbarkeitsberechtigte nicht benachteiligt wird (SZ 38/162; EvBl 1979/166 ua). Der Beklagte hätte sich also nicht zur Wehr setzen können, wenn der Kläger ihn veranlaßt hätte, seine Leitung zugleich mit der Post- und Telegrafenverwaltung in den Kabelgraben der Kreuzjochbahn zu verlegen. Auf keinen Fall kann er sich dann aber auf die Unzumutbarkeit der Belassung des derzeitigen Zustandes berufen, wenn der Beklagte ohnehin bereit war, seine Leitung zu verlegen, und er selbst ihm das verweigerte. Auf die Unzumutbarkeit der Weitergeltung der vom Kläger selbst herbeigeführten Lage kann sich dieser nicht berufen.

Nach Verlegung der Telefonleitung der Post- und Telegrafenverwaltung in den Kabelgraben der Kreuzjochbahn wäre dem Kläger vielmehr die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wegen der mit dem Verbleiben der Leitungsmasten auf seinen Grundstücken verbundenen Erschwernis und unter Bedachtnahme auf das relativ geringfügige Entgelt nur dann unzumutbar geworden, wenn er dem Beklagten eine Verlegung seines Leitungskabels in den Kabelgraben der Kreuzjochbahn unter den bisherigen vertraglichen Bedingungen angeboten und der Beklagte dies abgelehnt hätte. Die Verlegung des Kabels in den Kabelgraben hätte für den Kläger keine Erschwernis bedeutet und wäre ihm daher zumutbar gewesen. Verweigerte der Kläger dem Beklagten die mögliche mildere Form der Rechtsausübung, kann er sich nicht darauf berufen, daß ihm die weitere Einhaltung der von ihm vertraglich übernommenen Verpflichtung unzumutbar ist. Auf Wegfall der Geschäftsgrundlage kann sich der Kläger schon deswegen nicht berufen, weil ihm ein Nachweis, daß das Recht des Beklagten zur Führung seiner Leitung über den Grund des Klägers mit der Dauer der offenen Kabelführung durch die Post- und Telegrafenverwaltung begrenzt sein sollte, nicht gelungen ist.

Demzufolge ist der Revision Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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