OGH 8Ob31/87

OGH8Ob31/8721.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Elfriede L***, Forstarbeiterin, Franking, Eggenham 24, und 2.) VVS, V*** FÜR V*** UND H*** IN S***, Wien 15., Hütteldorferstraße 79, beide vertreten durch Dr. Otto Ackerl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei D*** Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Schottenring 15, vertreten durch Dr. Gertrud Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 136.000,-- s.A. und Feststellung (S 35.000,--) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11. Dezember 1984, GZ 18 R 268,294/85-42, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Mai 1985, GZ 18 Cg 737/82-38, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die hinsichtlich der bereits rechtskräftig erledigten Ansprüche unberührt bleiben, werden dahin abgeändert, daß das Begehren des Zweitklägers, die Beklagte sei schuldig, ihm den Betrag von S 114.080,-- samt 4 % Zinsen seit 5. November 1980 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen, abgewiesen wird.

Der Zweitkläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 47.642,78 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin die Barauslagen von S 5.876,-- und die USt. von S 3.796,98), die mit S 6.465,46 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin die Barauslagen von S 1.280,-- und die USt. von S 471,41) und die mit S 8.143,64 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 1.920,-- und die USt. von S 565,79) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstklägerin wurde am 2. September 1980 als Mitfahrerin in einem von Michael H*** gelenkten, bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW gemeinsam mit anderen Mitfahrern verletzt. Michael H*** wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Wildshut vom 19. November 1980, U 215/80-9, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB verurteilt.

Die Ansprüche der Erstklägerin sind bereits rechtskräftig erledigt.

Der Zweitkläger begehrte mit der nicht mehr strittigen Behauptung, daß ihm die Erstklägerin ihre Ansprüche - soweit sie nicht von ihr geltend gemacht wurden - zum Inkasso abgetreten habe, die Bezahlung von 136.000,-- S s.A.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Michael H*** habe über Auftrag seines Dienstgebers die beim selben Dienstgeber beschäftigte Erstklägerin jeden Tag zum und vom Arbeitsplatz geführt. Es komme ihm und damit der Beklagten daher die Haftungsbefreiung nach § 333 Abs 4 ASVG zugute. Das Erstgericht sprach dem Zweitkläger S 119.080 s.A. zu und wies das Mehrbegehren von S 16.920 s.A. ab. Es traf folgende Feststellungen:

Die Erstklägerin ist Arbeitnehmerin der Castell-Castell'schen Forstverwaltung in Hochburg in Oberösterreich. Beim Arbeitgeber ist es aufgrund eines Rundschreibens vom 8. Juli 1976 üblich, daß Besitzer von Privat-PKW Arbeitnehmer mit zur Arbeitsstätte nehmen.

In diesem Rundschreiben heißt es unter Punkt 2 b:

"Kraftfahrer als Aufseher:

Ein Kraftfahrer wird regelmäßig dann als Aufseher im Betrieb gelten, wenn ihm neben der Lenkung und Wartung des Wagens auch die Verantwortung für die im Auftrage des Arbeitgebers mitbeförderten Arbeitnehmer des Betriebes übertragen wird. Dies gilt auch, wenn sich unter den Mitbeförderten ein Vorgesetzter befindet. Wesentlich ist dabei, daß während der Fahrt alle Mitbeförderten auch Höhergestellte, den Weisungen des Kraftfahrers im Hinblick auf die Fahrsicherheit (Anweisung eines sicheren Platzes auf der Ladefläche, Verbot des Aufstehens während der Fahrt usw.), unterstellt sind."

Aufgrund eines Auftrages seines Vorgesetzten holte Michael H*** am 2. September 1980, wie auch schon vorher, einige Arbeitnehmer von zu Hause ab, um sie zu einer gemeinsamen Sammelstelle zu bringen. Dort wurden dann die jeweiligen Arbeitspartien zusammengestellt und zu den Arbeitsplätzen gebracht. Für diesen Transport vom Wohnhaus der Erstklägerin zur Sammelstelle bediente er sich des in seinem Eigentum stehenden und von ihm gehaltenen PKWs.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß Michael H*** unter den festgestellten Umständen nicht sogenannter Aufseher im Betrieb war.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten insoweit Folge, als es wegen vorliegender Streitanhängigkeit den Zuspruch von S 5.000 an den Zweitkläger aufhob und die Klage in diesem Umfang zurückwies. Im übrigen, also hinsichtlich eines Zuspruchs von S 114.080,-- s.A., bestätigte es die erstgerichtliche Entscheidung. Es ließ die Revision zu, weil die Rechtsprechung zur fraglichen Aufsehereigenschaft uneinheitlich sei. Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, "daß ein Aufseher im Betrieb hinsichtlich der Beschränkung des Schadenersatzanspruches des Dienstnehmers dem Dienstgeber gleichgestellt werde, weshalb diese Beschränkung nur dann zu rechtfertigen sei, wenn der Schaden von einer Person verursacht wird, die Befugnisse ausübt, die denen des Dienstgebers vergleichbar seien". Solche stünden einer Person, die bloß den Auftrag zum Transport von Dienstnehmern hat, gewöhnlich nicht zu. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Zweitkläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei Beurteilung der Frage, ob jemand zum Unfallszeitpunkt Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG war, vor allem darauf an, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalles eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war. Bei der Beförderung von Personen ist zu unterscheiden, ob der Lenker für ihre Sicherheit nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich war oder ob er ihnen gegenüber noch darüber hinausgehende Befugnisse und Pflichten hatte (ZVR 1974/59; SZ 51/128 ua). Ein Arbeitnehmer, der einen im selben Betrieb tätigen Kollegen im eigenen Kraftwagen in den Betrieb oder zu einer anderen Arbeitsstätte mitnimmt, ohne daß ihm diese Beförderung vom gemeinsamen Arbeitgeber aufgetragen worden wäre, führt diese Fahrt nicht im Rahmen des Betriebes und nicht in Erfüllung einer Dienstpflicht aus. Er ist nur ein "gewöhnlicher" Kraftwagenlenker und als solcher nicht Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG. Einer solchen, auf reiner Gefälligkeit beruhenden Mitnahme von Arbeitskollegen im eigenen PKW kann aber die auf einer Anordnung der zuständigen Stelle der Betriebsleitung beruhende Beförderung von Betriebsangehörigen an einen bestimmten Arbeitsplatz nicht ohne weiteres gleichgehalten werden. Wer einen solchen Auftrag seines Dienstgebers befolgt, hat einen, wenn auch beschränkten Teilbereich von Vorgängen, die der Erreichung des Betriebszweckes dienen, also hinsichtlich der beförderten Betriebsangehörigen eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation zu erfüllen und ist damit "Aufseher im Betrieb". Maßgebend ist, daß der beförderte Arbeitskollege hier nicht aus persönlicher Gefälligkeit, sondern im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufgaben mitgenommen wird (SZ 23/266; Arb 8660; ZVR 1974/97; 2 Ob 218/81; 8 Ob 54/85; JBl 1985, 565 ua).

Im konkreten Fall holte Michael H*** die Erstklägerin über unmittelbaren und darauf abzielenden Auftrag seines Vorgesetzten, der Castell-Castell'schen Forstverwaltung, bei welcher er und die Erstklägerin beschäftigt waren, ab, um sie zu einer gemeinsamen Sammelstelle zu bringen. Ausdrücklich wurde im von dem Berufungsgericht zitierten Rundschreiben Beilage I darauf hingewiesen, daß die Grundsätze über die Aufsehereigenschaft gemäß § 333 Abs 4 ASVG auch dann gelten, wenn die Beförderung von Betriebsangehörigen bei der Klägerin in einem arbeitnehmereigenen Fahrzeug erfolgt, wenn nur - wie hier - ein ausdrücklicher Auftrag hiezu vom Arbeitgeber vorliegt. Dieses von der Betriebsleitung herausgegebene Rundschreiben entspricht den Grundsätzen, wie sie der Oberste Gerichtshof in langjähriger Rechtsprechung entwickelte und wie sie in den oben angeführten Belegstellen zum Ausdruck kommen. Im Gegensatz zur Ansicht des Berufungsgerichtes handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Mitnahme der Erstklägerin aus reiner Gefälligkeit, sondern um eine auftragsgemäße Abwicklung eines Transportes zur gemeinsamen Sammelstelle. Damit übernahm Michael H*** einen wenn auch beschränkten Teilbereich von

Vorgängen, die der Erreichung des Betriebszweckes dienten, demnach hinsichtlich der beförderten Erstklägerin eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation der Castell-Castell'schen Forstverwaltung und ist damit "Aufseher im Betrieb" (JBl 1985, 565 und die oben dargestellte Judikatur).

Dies hat zur Folge, daß Michael H*** das Haftungsprivileg des § 333 Abs 4 ASVG zugutekommt, weshalb das Klagebegehren des Zweitklägers - da eine vorsätzliche Schadenzufügung nach dieser Gesetzesstelle nach Lage des Falles nicht in Betracht kommt - soweit es noch aufrecht blieb, abzuweisen war.

Die Abänderung der Entscheidung hatte die Neuberechnung der Kosten zur Folge. Der Kostenzuspruch an die Beklagte erfolgte aufgrund der §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte