OGH 14ObA503/87

OGH14ObA503/8721.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.- Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Harald Foglar-Deinhardstein und Adolf Klement als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der antragstellenden Partei Ö*** G***, Gewerkschaft Handel, Transport,

Verkehr, Wien 1., Teinfaltstraße 7, vertreten durch Dr. Robert Krepp, Rechtsanwalt in Wien, wider den Antragsgegner F*** F*** D*** G*** in der Sektion Verkehr der B***

D*** G*** W***, Wien 4., Wiedner Hauptstraße 63, über den gemäß dem § 54 Abs. 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Es wird festgestellt, daß die Wochenarbeitszeit von Fahrern und Begleitpersonal im Straßengüterverkehr in das Ausland in den einzelnen Wochen eines Durchrechnungszeitraumes von zwei Wochen bis zu 44 Stunden ausgedehnt werden kann, wenn die durchschnittliche Wochenarbeitszeit im Durchrechnungszeitraum 40 Stunden nicht übersteigt. Darüber und über 9 Stunden täglich hinausgehende Arbeitszeiten sind als Überstunden zu entlohnen.

Text

Begründung

Die antragstellende Partei ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ArbVG. Die ihr schon vor dem 1. Juli 1974 zuerkannte Kollektivvertragsfähigkeit besteht gemäß § 165 ArbVG auch nach dem Inkrafttreten des Arbeitsverfassungsgesetzes weiter (Floretta-Strasser ArbVG 1025 f). Der Antragsgegner ist eine gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitgeber gemäß § 4 Abs. 1 ArbVG. Beide Teile sind daher im Sinne des § 54 Abs. 2 erster Satz ASGG als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert.

Die antragstellende Partei führt zur Begründung ihres aus dem Spruch ersichtlichen Antrags aus, daß zahlreiche Fernfahrer im Ausland eine Arbeitszeit von 9 Stunden täglich überschreiten. Nach dem Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe (Arbeiter) betrage die wöchentliche Normalarbeitszeit 40 Stunden. Jede darüber hinausgehende Arbeitsleistung sei als Überstundenarbeit zu werten und als solche besonders zu entlohnen. Dennoch sehe dieser Kollektivvertrag in Art. XV Z 3 vor, daß die von den Arbeitnehmern im Ausland geleisteten Arbeitsstunden erst ab der 10. Stunde als Überstunden gemäß Art. VI KV entlohnt werden. Auf Grund dieser Bestimmung verweigerten manche Arbeitgeber unabhängig vom Ausmaß der Wochenarbeitszeit auch die Entlohnung der jeweils 9. Arbeitsstunde pro Arbeitstag. Soweit diese Bestimmung über den der kollektiven Rechtsgestaltung durch das Arbeitszeitgesetz eingeräumten Freiraum zu Lasten der Arbeitnehmer hinausgehe, sei sie nichtig. Eine Verlängerung der Normalarbeitszeit nach § 5 AZG für die Fälle der Arbeitsbereitschaft sei durch den Kollektivvertrag nicht erfolgt. Die Parteien des Kollektivvertrages hätten lediglich von der durch § 16 AZG geschaffenen Möglichkeit der Verlängerung der zulässigen Einsatzzeit Gebrauch gemacht.

Gemäß § 4 Abs. 7 iVm den Abs. 5 und 6 AZG sei für Lenker und Beifahrer grundsätzlich eine Ausdehnung der Wochenarbeitszeit auf 44 Stunden bei zweiwöchiger Durchrechnung gestattet. Eine generelle Ausdehnung der Wochenarbeitszeit ohne Durchrechnung sei unzulässig. Nach Art. XV Z 3 des Kollektivvertrages, wonach Überstunden lediglich ab der 10. Stunde täglich zu entlohnen seien, ergebe sich die Möglichkeit einer Verlängerung der Normalarbeitszeit auf 54 Stunden bei einer Sechstagewoche und auf 45 Stunden bei einer Fünftagewoche. Art. XV Z 3 des Kollektivvertrages sei insoweit durch § 4 Abs. 7 AZG zu ersetzen oder zumindest mit dieser Regelung, die einen Durchrechnungszeitraum von zwei Wochen vorsehe, zu kombinieren. Alle in einer einzelnen Woche über 44 Stunden hinaus und in einem Durchrechnungszeitraum von zwei Wochen über 80 Stunden hinaus geleisteten Arbeitsstunden seien daher als Überstunden zu entlohnen.

Die Antragsgegnerin stellte sinngemäß den Antrag, den Feststellungsantrag abzuweisen. Die Kollektivvertragsvereinbarungen über die Arbeitszeit seien voM Gedanken getragen, daß im Güterbeförderungsgewerbe regelmäßig und im erheblichen Umfang Arbeitsbereitschaft im Sinne des § 5 AZG anfalle. Aus diesem Grund hätten die Parteien des Kollektivvertrags im Sinne der im § 5 Abs. 1 AZG erteilten Ermächtigung Regelungen über die Arbeitszeit getroffen, die den Erfordernissen dieser Branche angepaßt seien. Die für im Ausland erbrachte Arbeitsleistungen vereinbarte Überstundenregelung gehe ebenfalls von diesem Gesichtspunkt aus. Die im Ausland anfallenden Warte- und Bereitschaftszeiten entzögen sich weitgehend der Kontrolle des Arbeitgebers, sodaß dem Arbeitnehmer im gewissen Rahmen eine Gestaltung der Arbeitszeit ermöglicht werde. Es falle in erheblichem Umfang eine "Arbeitsleistung im weiteren Sinn" an, welche zum Unterschied zur eigentlich ausbedungenen Arbeitsleistung eine erheblich geringere Intensität der Arbeit erfordere. Die Kollektivvertragsparteien hätten diesem Umstand lohnrechtlich Rechnung getragen und deshalb eine Überstundenzuschlagspflicht erst ab der 10. Stunde statuiert. Die von der Antragsgegnerin herangezogene Bestimmung des § 4 AZG betreffe lediglich Regelungen über eine andere Verteilung der Normalarbeitszeit, welche auf die lohnrechtliche Relevanz des Vorliegens einer Arbeitsleistung im engeren oder weiteren Sinn nicht Bedacht nehme. Werde dieser Unterschied berücksichtigt, sei eine differenzierte Behandlung der Entlohnung möglich.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat auf der Grundlage des von der antragstellenden Partei behaupteten Sachverhalts (§ 54 Abs. 4 erster Satz ASGG) über den Feststellungsantrag erwogen:

Gegenstand des Antrages ist die Frage der mit dem Ausmaß der Wochenarbeitszeit von Fahrern und Begleitpersonal im Straßengüterverkehr in das Ausland zusammenhängenden Überstundenentlohnung. Der Antrag betrifft somit eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG, die schon ihrem Wesen nach und auf Grund des behaupteten, von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalts für mindestens drei Arbeitnehmer von Bedeutung ist.

Bei der Beurteilung der vorerwähnten Rechtsfrage ist davon auszugehen, daß gemäß § 6 Abs. 1 AZG Überstundenarbeit vorliegt, wenn entweder a) die Grenzen der nach den §§ 3 oder 5 AZG zulässigen Wochenarbeitszeit überschritten werden oder b) die Tagesarbeitszeit überschritten wird, die sich auf Grund der Verteilung dieser Wochenarbeitszeit gemäß den §§ 3 bis 5 und 18 Abs. 2 AZG ergibt. Es ist daher vorerst auf den Umfang der Normalarbeitszeit, der sich aus den §§ 3 bis 5 AZG ergibt, einzugehen. Nach § 3 Abs. 1 AZG darf, soweit nicht anderes bestimmt ist, die Tagesarbeitszeit 8 Stunden und die Wochenarbeitszeit 40 Stunden nicht überschreiten. Die Wochenarbeitszeit für Lenker und Beifahrer von Kraftfahrzeugen kann gemäß § 4 Abs. 5 und 7 AZG bei einem Durchrechnungszeitraum von zwei Wochen bis zu 44 Stunden ausgedehnt werden, wenn innerhalb dieses Zeitraums die durchschnittliche Wochenarbeitszeit die nach § 3 AZG zulässige Dauer nicht überschreitet. Im Falle einer anderen Verteilung der Arbeitszeit nach § 4 Abs. 5 und 7 AZG darf die Tagesarbeitszeit 9 Stunden nicht überschreiten (§ 4 Abs. 10 AZG). Fällt in die Arbeitszeit regelmäßig und im erheblichen Umfang Arbeitsbereitschaft, kann nach § 5 Abs. 1 AZG durch Kollektivvertrag zugelassen werden, daß die nach § 3 zulässige Wochenarbeitszeit um höchstens 20 Stunden verlängert wird. Die Tagesarbeitszeit darf in solchen Fällen 12, für Arbeitnehmerinnen 10 Stunden nicht überschreiten. Gemäß § 16 AZG kann durch Kollektivvertrag in den Fällen der Arbeitsbereitschaft (§ 5) abweichend von § 7 Abs. 3 AZG zugelassen werden, daß die Einsatzzeit bis zu 14 Stunden und wenn sich zwei Lenker im Fahrzeug befinden, bis zu 17 Stunden betragen darf.

Auch der Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe geht davon aus, daß die regelmäßige wöchentliche Normalarbeitszeit 40 Stunden beträgt (Art. V Z 1) und daß grundsätzlich jede über die Normalarbeitszeit hinausgehende Arbeitsleistung als Überstundenarbeit zu werten und als solche besonders zu entlohnen ist (Art. VI Z 1). Nach Art. VI Z 4 darf für im Güternahverkehr eingesetzte Kraftfahrer und Beifahrer im Sinne des § 5 AZG die Gesamtarbeitszeit (Normalarbeitszeit und Überstunden) ohne behördliche Genehmigung auf 60 Wochenstunden verlängert werden. Abweichend von den Bestimmungen der Art. V und VI gilt für Fahrten, die über 150 km vom Standort des Betriebs hinaus durchgeführt werden, folgendes:

1. Im Sinne der §§ 5 bzw. 16 AZG sind für diese Fahrten Einsatzzeiten zugelassen, die bei Besetzung des Kraftwagens mit einem Lenker 14 Stunden und bei Besetzung des Kraftwagens mit zwei Lenkern sowie Ausstattung des Kraftfahrzeuges mit einer Schlafkabine 17 Stunden umfassen dürfen.

.............

4. Die gesamte Einsatzzeit mit Ausnahme einer einstündigen

Essenspause wird als Arbeitszeit bezahlt.......

Prüft man nun die keinen Hinweis auf einen allfälligen Ausgleich für geringere Arbeitsbelastung beinhaltende Bestimmung des Art. XV Z 3 des Kollektivvertrages, wonach Überstunden erst ab der

10. Stunde täglich gemäß Art. VI (Mehrarbeitsleistung und Überstundenentlohnung) entlohnt werden, auf seine Gesetzmäßigkeit, ist entscheidend, ob diese Bestimmung mit den §§ 6 Abs. 1 und 10 AZG über die Überstundenvergütung in Widerspruch steht. Dem Antragsgegner ist insoweit beizupflichten, daß es verschiedene Grade der Intensität gibt, mit welcher ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen kann, und daß die verschiedenen Formen der Arbeitsleistung zwischen der eigentlichen, vertraglich bedungenen Arbeitsleistung und der Arbeitsruhe rechtlich nicht einheitlich gewertet werden können. Hiebei müssen die arbeitszeitliche (arbeitnehmerschutzrechtliche) und die lohnrechtliche Seite auseinandergehalten werden (Arb. 9.166 = ZAS 1974/27 = DRdA 1975, 50 mwH). So kann etwa grundsätzlich für Zeiten einer bloßen Arbeitsbereitschaft oder des Zuwartens ein geringeres Entgelt als für die vereinbarte Arbeitsleistung bedungen werden (Arb. 9.166; vgl. Cerny Arbeitszeitrecht2 30). Die Bestimmung des § 10 AZG regelt nur die Höhe des Überstundenzuschlags, nicht aber auch die Frage, ob und in welcher Höhe eine Arbeitsleistung an sich zu vergüten ist (Arb. 10.059, 9.166; DRdA 1986/17 ua). Es trifft daher zu, daß das Vorliegen von Arbeitsleistungen im engeren und im weiteren Sinn eine unterschiedliche lohnrechtliche Regelung zuläßt. Ob eine solche Differenzierung im vorliegenden Fall berechtigt ist, kann nicht beurteilt werden, da der dazu vorgebrachte Sachverhalt dazu nicht ausreicht. Dem Einwand des Antragsgegners, daß eine im Ausland erbrachte Arbeitsleistung schon deshalb geringer zu entlohnen sei, weil sie weniger kontrollierbar sei, kann jedenfalls nicht begepflichtet werden. Der Kraftfahrer ist auch im Ausland zur Führung der vorgeschriebenen Aufzeichnungen verpflichtet und jeglicher Mißbrauch unterliegt ohnehin Sanktionen. Eine derartige generelle Abgeltung des Mißtrauens des Arbeitgebers ist dem Wortlaut des Kollektivvertrages nicht zu entnehmen. Es bleibt daher die Frage, ob der Kollektivvertrag von der Zulassungsnorm des § 5 Abs. 1 AZG Gebrauch gemacht oder nur die zulässige Einsatzzeit verlängert hat.

Der Begriff der Einsatzzeit ist weiter als jener der Arbeitszeit, da er neben der Arbeitszeit auch die Ruhe- und Lenkpausen umfaßt (Cerny Arbeitszeitrecht2 118; Grillberger AZG 102 f). Bei einem Vergleich des Art. VI Z 4 des Kollektivvertrages mit den "Abweichungen von den Bestimmungen der Art. V und VI" fällt auf, daß die Bestimmung über diese Abweichungen ausschließlich von der Zulassung längerer Einsatzzeiten handelt, die mit Ausnahme einer einstündigen Essenspause in ihrer Gesamtheit als Arbeitszeit bezahlt werden sollen. Hingegen räumt Art. VI Z 4 des Kollektivvertrages ausdrücklich die Möglichkeit ein, die Gesamtarbeitszeit (Normalarbeitszeit und Überstunden) zu verlängern. Die bloße Zitierung des auch in § 16 Abs. 3 und 4 AZG angeführten § 5 AZG reduziert sich damit auf den Hinweis auf Fälle der Arbeitsbereitschaft, die nach § 14 Abs. 1 AZG für Lenker und Beifahrer von Kraftfahrzeugen ohnehin vollwertige Arbeitszeiten sind (Cerny aaO 115), ohne daß dadurch eine Verlängerung der Normalarbeitszeit im Sinne des § 5 Abs. 1 AZG bewirkt worden wäre. Auch wenn der in § 16 Abs. 3 und 4 AZG enthaltene Hinweis auf eine Abweichung von § 7 Abs. 3 AZG so verstanden werden kann, daß mit einer Verlängerung der Einsatzzeit auch eine Verlängerung der Arbeitszeit erlaubt sein soll (Grillberger AZG 103), kann die Einschränkung der Überstundenentlohnung in Art. XV Z 3 des Kollektivvertrages nicht die unterlassene Verlängerung der Normalarbeitszeit ersetzen. Diese Entlohnungsregel steht nicht nur im Widerspruch zu Art. VI Z 1 des Kollektivvertrages und Z 4 der Abweichungen, sondern sie läßt auch völlig offen, welcher Teil der eigentlichen Arbeitszeit, der Zeit der Arbeitsbereitschaft und der Überstunden ohne Entgelt bleiben soll. Da der Kollektivvertrag in Art. V Z 1 nur eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit vorsieht und die tägliche Normalarbeitszeit nicht regelt, kann es durch diese lohnrechtliche Maßnahme im Ergebnis in Betrieben, in denen eine Fünftagewoche eingeführt ist, zu einer Verlängerung der wöchentlichen Normalarbeitszeit auf 45 Stunden und in Betrieben mit Sechstagewoche zu einer Verlängerung auf 54 Stunden kommen. Soweit von den Arbeitnehmern Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 AZG erbracht wird, steht diese Regelung in Widerspruch zu den §§ 4 Abs. 5, 7 und 10 sowie 6 Abs. 1 AZG und muß daher als unwirksam angesehen werden (Strasser in Floretta-Strasser Komm. ArbVG 39; Strasser in Floretta-Spielbüchler-Strasser Arbeitsrecht2 II 97 f). Kommt es im Rahmen der verlängerten Einsatzzeit zu einer Verlängerung der Arbeitszeit, ist aus dem in § 16 Abs. 3 und 4 AZG erfolgten Verweis auf § 7 Abs. 3 AZG zu schließen, daß die verlängerte Arbeitszeit Überstundenarbeit ist (Cerny aaO, Grillberger aaO).

Aus diesen Erwägungen war dem Feststellungsantrag stattzugeben.

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