OGH 6Ob634/85

OGH6Ob634/8515.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Petrag als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Prof. Dipl. Ing. Dr. Robert K***, beeideter Ingenieurkonsulent für Bauwesen, Wien 18., Pötzleinsdorferstraße 94, vertreten durch Dr. Christian Dorda und Dr. Walter Brugger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Prof. Dipl.Ing. Dr. techn. Manfred W***, Zivilingenieur für Bauwesen, Götzens, Abentung-Weg 35, vertreten durch Dr. Otto Philp und Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwälte in Wien,

2. Prof. Dipl. Ing. Dr. Jörg M. S***, Zivilingenieur für Bauwesen, Stuttgart-Vaihingen, Pfaffenwaldring 7, vertreten durch Dr. Kurt Heller, Dr. Heinz H. Löber, DDr. Georg Bahn, Dr. Werner Huber und Dr. Günter J. Horvath, Rechtsanwälte in Wien, wegen Widerruf und Veröffentlichung (Revisionsinteresse S 99.147), infolge der Revisionen der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 14. Februar 1985, GZ 2 R 340,341/84-78, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 4. Oktober 1984, GZ 6 Cg 182/84-70, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Den Revisionen wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, und zwar dem Erstbeklagten S 14.641,70 (darin enthalten S 4.250,-- Barauslagen und S 944,70 Umsatzsteuer) und dem Zweitbeklagten S 15.241,70 (darin enthalten S 4.850,-- Barauslagen und S 944,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde im Jahre 1971 von der Gemeinde Wien beauftragt, die Konstruktionspläne für das Wiener Weststadion zu erstellen. Der Kläger kam diesem Auftrag nach. Der Bau wurde sodann von der Firma S*** & A*** ausgeführt. Als Ende 1977 an der Außenwand des Stadions Risse auftraten, befürchtete man eine Gefährdung von Zuschauern bei Benützung der Tribüne. Am 7. Oktober 1977 wurde bei einer Begehung eine "Abplatzung" am Träger Nr. 7 West der Nordtribüne festgestellt. Nach einer Reihe von werkstofftechnischen und anderen Detailuntersuchungen wurde das Stadion durch den Bürgermeister der Stadt Wien am 4. November 1977 gesperrt und eine Gutachterkommission beauftragt, die Ursachen dieser Schäden festzustellen. Dieser Gutachterkommission gehörten neben den Beklagten auch noch folgende Personen an:

Univ.Prof. Dipl.Ing. Dr. Richard J***, Wien,

Roland K***, Journalist, ORF-Wien,

Prof. Dipl.Ing. Hans-Jürgen L***, Zürich,

Prof. Dr. Dipl.Ing. Christian M***, Zürich,

Prof. Dr. Ing. Ulrich S***, Stuttgart.

Die Kommission befaßte sich bei ihren Sitzungen vom 24. November, 6. Dezember und 17. Dezember 1977 mit den technischen Ursachen der Schäden und legte mit Datum 17. Dezember 1977 ihrem Auftraggeber einen "Bericht der Expertenkommission Weststadion Wien" vor.

Im Punkt 3 dieses Berichtes wurden folgende wesentliche Schäden im Verbindungsbereich zwischen Dachträger und Stufenträger festgestellt:

Die beobachteten Schäden lassen sich in drei Kategorien zusammenfassen:

a) Schrägrisse bei den oberen Verankerungsplatten der Spannstangen;

b) Vertikalrisse und Abplatzungen an den Seiten- und Stirnflächen der Dach- und Stufenträger im Bereich der Hauptbewehrung (Zugzone);

c) Risse und lokale Abplatzungen bei der Stoßfuge und den Ankerplatten.

Zu den Ursachen dieser Schäden und ihrem Einfluß auf die Standsicherheit des Daches wurde im Punkt 4 der Expertise wie folgt Stellung genommen:

Zu 3 a - Schrägrisse

Die für die Krafteinleitung unmittelbar unter den Ankerplatten erforderliche horizontale Bewehrung ist bei der oberen Ankerplatte nicht ausreichend. Es ist möglich, daß sich die Schrägrisse entlang der gekrümmten Hauptbewehrung nach außen zur Stirnfläche hin fortsetzen und dadurch die Verankerung der Spannstangen in Frage stellen.

Zu 3 b - Vertikale Risse

Die beobachteten vertikalen Risse sind durch horizontale Zugspannungen entstanden. Zugspannungen in diesem Bereich werden verursacht durch:

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind berechtigt.

Soweit sich die Revisionswerber gegen die Umformulierung des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht wenden, machen sie einen Verstoß gegen § 405 ZPO und damit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend. Auch Verfahrensfehler der zweiten Instanz von erheblicher Bedeutung unterliegen im Rahmen einer Grundsatzrevision der Prüfung durch den Obersten Gerichtshof. Eine solche erhebliche Bedeutung kommt der Entscheidung jedenfalls dann zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen. Dazu gehört auch die Anordnung des § 405 Satz 1 ZPO. (Medien und Recht 1986, Heft 5, S 26). Wird durch eine Neuformulierung eines ohnehin bestimmten, deutlichen und dem Sachvorbringen entsprechenden Klagebegehrens über einen gar nicht geltend gemachten Anspruch entschieden, dann liegt eine erhebliche Verletzung einer verfahrensrechtlichen Vorschrift vor, die die Rechtssicherheit gefährdet.

Die Verfahrensrüge ist daher zulässig; sie ist aber auch berechtigt.

Zufolge des im Zivilprozeß herrschenden Dispositionsgrundsatzes bestimmt der Kläger mit seinem Klagebegehren den Umfang der richterlichen Sachentscheidung. Nur dort wo das Begehren versehentlich unrichtig formuliert ist, sei es, daß es nicht hinreichend bestimmt ist oder von dem abweicht, was der Kläger nach dem der Klage zugrundeliegenden Sachvorbringen gewollt hat, kann ihm das Gericht im Urteilsspruch eine klarere und deutlichere Fassung geben (vgl. MietSlg 32.693, 34.785, zuletzt 1 Ob 615/87). In der Klage erwähnte der Kläger zunächst, daß bei der Pressekonferenz vom 11. Jänner 1978, bei der die Expertise präsentiert wurde, an der aber die Beklagten nicht teilnahmen, kein Zweifel gelassen worden sei, daß er persönlich als Konstrukteur und Planverfasser allein der Schuldtragende dafür sei, daß eine Einsturzgefahr des Weststadions bestehe. Sein Widerrufsbegehren richtete der Kläger aber nicht etwa gegen die im Punkt 4 der Expertise dargelegten Folgerungen für die Standsicherheit des Bauwerkes sondern nur gegen die Schlußbemerkung, in der unter anderem von schwerwiegenden Planungsfehlern die Rede ist. Im Schriftsatz ON 7 (AS 39 und 40) erklärte der Kläger auch noch ausdrücklich, daß Gegenstand des Klagebegehrens auf Widerruf der Wortlaut der "ganz allmein gehaltenen Tatsachenbehauptungen in der Schlußbemerkung" sei. Folgerichtig vertrat der Kläger den Standpunkt, ihm sei überhaupt kein Planungs- oder Berechnungsfehler vorzuwerfen, die bereits aufgetretenen Schäden (Risse) seien nicht auf Planungs- und Kontruktionsfehler, sondern auf andere Ursachen zurückzuführen, die der Kläger nicht zu vertreten habe (ON 32 AS 216 und 220). Damit war aber klargestellt, daß das weitgefaßte, die ganz allgemein gehaltene Wertung "schwerwiegend" enthaltende Widerrufsbegehren durchaus den Intentionen des Klägers entsprach und sich nicht nur gegen die im Punkt 4 der Expertise aufgestellte Behauptung richtete, die Standsicherheit des Gebäudes sei infolge der - unter anderem auf mangelhafte Planung - zurückzuführenden Schrägrisse und vertikalen Risse nicht gewährleistet. Das Klagebegehren war demnach keineswegs versehentlich zu weit gefaßt, sondern entsprach vollkommen dem Sachvorbringen des Klägers. Der Umstand, daß der Kläger nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens und mehr als drei Jahre nach Veröffentlichung der Expertise den inkriminierten Ausdruck "schwerwiegende Planungsfehler" nur mehr auf solche bezog, die die Standsicherheit des Bauwerkes unmittelbar gefährdeten (Schriftsatz vom 27. August 1982, ON 45, AS 320 und vom 24. Dezember 1982, ON 51 AS 340 ff, beide vorgetragen in der Tagsatzung vom 16. Februar 1983, ON 52) und damit einen von seinem bisherigen Sachvorbringen abweichenden Standpunkt vertrat, kann nicht dazu führen, das hinreichend deutliche und dem ursprünglichen Vorbringen entsprechende Klagebegehren umzuformulieren und ihm damit eine Fassung zu geben, die nach dem Inhalt der Klage und des ergänzenden Vorbringens gar nicht beabsichtigt war. Es wäre vielmehr am Kläger gelegen gewesen, diesem neuen abweichenden Rechtsschutzziel durch eine entsprechende Änderung des Klagebegehrens Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die Berücksichtigung späteren, vom bisherigen Standpunkt abweichenden Vorbringens durch amtswegige Umformulierung des Begehrens im vorliegenden Fall zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Rechtsverteidigung der Beklagten auch im Hinblick auf die gegen ein geändertes Klagebegehren nach den §§ 1489 und 1490 Abs 2 ABGB naheliegende Einrede der Verjährung führt.

Abschließend sei noch zur Frage Stellung genommen, ob es sich nicht bei dem umformulierten, lediglich auf die Standfestigkeit beeinträchtigende Planungsfehler bezogenen Spruch um ein minus gegenüber dem ganz allgemein "schwerwiegende" Planungsfehler erfassenden Klagebegehren handelt, dessen Zuspruch ohne Verstoß gegen § 405 ZPO möglich gewesen wäre. Eine derartige Wertung ließe außer Betracht, daß das Widerrufsbegehren nicht auf eine positive sondern auf eine umfassende negative Feststellung gerichtet ist, was zur Folge hat, daß nur ein umfassender Beweis der Unrichtigkeit (Ausschluß jedes schwerwiegenden Planungsfehlers) zur Klagestattgebung führen könnte. Wäre daher auch nur ein gravierender Planungsfehler erwiesen, wäre die Sache spruchreif, ohne daß das Vorliegen weiterer behaupteter Planungsfehler oder die Frage zu untersuchen wäre, ob der Planungsfehler außer den erwiesenen schwerwiegenden weiteren (allenfalls noch schwerwiegendere) Folgen hatte. Der nur auf eine bestimmte Folge der Planungsfehler bezogene Spruch des Berufungsgerichtes ist daher gegenüber dem vom Kläger erhobenen umfassenden Widerrufsbegehren nicht als minus sondern als aliud anzusehen.

Geht man demnach von dem vom Kläger erhobenen Begehren aus, erweist sich auch die von beiden Revisionswerbern erhobene Rechtsrüge als berechtigt.

Zu Unrecht wendet sich der Zweitbeklagte allerdings gegen die Anwendung österreichischen Rechtes.

Nach der hier maßgeblichen Rechtslage vor Inkrafttreten des IPR-Gesetzes waren außervertragliche Schadenersatzansprüche nach dem Recht des Ortes zu beurteilen, an dem der Erfolg eingetreten ist (Schwind, Handbuch des Österreichischen Internationen Privatrechtes, 326). Im übrigen sei darauf verwiesen, daß das deutsche Recht im § 824 BGB eine mit der Vorschrift des § 1330 Abs 2 ABGB im wesentlichen übereinstimmende Regelung bezüglich der Rufschädigung enthält.

Der Kläger stützte sein Widerrufsbegehren darauf, daß die Beklagten kreditschädigende Tatsachenbehauptungen im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB verbreitet hätten. Diese Bestimmung setzt die Verbreitung von Tatsachen voraus. Nicht erfaßt werden schädigende Wertungen und Urteile. Maßgebend für die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Urteilen ist es, ob die Äußerung einen auf Grund objektiver Kriterien auf ihre Richtigkeit nachprüfbaren Inhalt

hat (vgl. ÖBl 1980, 130 = JBl. 1980,481; ÖBl 1979, 134; ÖBl 1978,

151; SZ 50/111 = ÖBl 1978, 34; Schönherr, Kreditschädigende

Tatsachenbehauptungen ÖBl 1975, 77 mwN; Reischauer in Rummel ABGB Rdz 10 zu § 1330). Der Oberste Gerichtshof legt den Begriff der Tatsachenbehauptungen stets weit aus. Es sind unter Tatsachenbehauptungen auch abfällige Urteile, die auf die entsprechenden Tatsachen schließen lassen, zu verstehen. Kann einem Urteil entnommen werden, daß es von bestimmten Tatsachen ausgeht, liegt insofern eine konkludente Tatsachenbehauptung vor (ÖBl 1984, 130; JBl. 1980, 481; Koziol Haftpflichtrecht II2, 174 f; Reischauer aaO Rdz 12; Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz 179).

Die Behauptung "schwerwiegender Fehler bei der Planung der Nordtribüne des Wiener Weststadions" enthielt den für das angesprochene Publikum erkennbaren Tatsachenkern, daß es sich um Planungsfehler handelte, die schwerwiegende Mängel des Bauwerkes zur Folge hatten. Als solcher Mangel ist wohl nicht nur sofort drohende Einsturzgefahr sondern auch das Auftreten von größeren Rissen anzusehen, die die Dauerhaftigkeit des Bauwerkes beeinträchtigen und Sanierungsmaßnahmen erforderlich machen. Daß diese Sanierungsarbeiten nur einen verhältnismäßig geringen Aufwand erforderten, hat der für die Unrichtigkeit der inkriminierten Tatsachenbehauptung beweispflichtige Kläger weder behauptet noch hat das Beweisverfahren einen Anhaltspunkt in dieser Richtung ergeben. Damit erweist sich die Sache als im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteiles spruchreif, ohne daß auf die weiteren von den Revisionswerbern aufgeworfenen Fragen, insbesondere betreffend die Anwendung der in SZ 56/74 für Gutachten gerichtlicher Sachverständiger ausgesprochenen Grundsätze auch auf Privatgutachten, einzugehen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO, wobei darauf hingewiesen sei, daß die in der Berufung des Klägers enthaltene Kostenrüge vom Berufungsgericht für unbegründet erkannt wurde.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte