OGH 15Os145/87

OGH15Os145/8729.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.September 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann B*** wegen des Verbrechens der Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 9.Juli 1987, GZ 32 Vr 181/87-38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch nach § 21 Abs. 2 StGB und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs nach § 38 StGB) aufgehoben sowie die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen; ansonsten wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann B*** (I.) des Verbrechens der Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB, (II. 1. und 2.) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB sowie (II. 3.) des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 1 StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs. 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Der nur gegen den Schuldspruch laut Punkt I. und gegen den Ausspruch über die Anstaltseinweisung gerichteten, auf § 281 Abs. 1 Z 3, 5 und 9 lit c StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Offenbar unbegründet ist die den zuletzt bezeichneten Schuldspruch betreffende Mängelrüge (Z 5).

Denn darauf, ob sich die zum Beischlaf mißbrauchte Bettina M*** "beim Eindringen (gemeint: des Angeklagten mit seinem Glied in ihren Geschlechtsteil) ... wieder gewehrt" hat, kommt es bei der Frage, ob sie zu dieser Zeit im Sinn des § 201 StGB "widerstandsunfähig" war, nicht an; genügt es dazu doch jedenfalls, daß sie auf Grund der vom Beschwerdeführer gegen sie ausgeübten Gewalt physisch außerstande war, seinem solcherart realisierten Bestreben, mit ihr den Geschlechtsverkehr durchzuführen, erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen (vgl EvBl 1986/147 ua): gerade dann, wenn sich das Tatopfer während des erzwungenen Beischlafs unausgesetzt, aber erfolglos dagegen wehrt, befindet es sich in einem Zustand der Widerstandsunfähigkeit im Sinn dieser Gesetzesstelle. Mit der darauf bezogenen, vom Angeklagten relevierten Bekundung der genannten Zeugin (S 514) mußte sich demnach das Erstgericht bei den das hier aktuelle Tatbestandsmerkmal betreffenden Feststellungen (US 6/7) nicht im besonderen auseinandersetzen.

In diesem Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs. 1 Z 2 StPO). Mit Recht hingegen ficht der Beschwerdeführer damit seine Anstaltseinweisung an.

Aktenwidrig ist allerdings die Behauptung, im vorliegenden Verfahren habe keine Voruntersuchung stattgefunden (vgl dagegen S 1, 2/I) und der Angeklagte sei bis zur Rechtskraft der Anklage nicht durch einen Verteidiger vertreten gewesen (vgl dagegen S 3 b vso/I und ON 27/I, wonach ihm schon am 5.März 1987 für das gesamte Verfahren, ja sogar mit dem ausdrücklichen Beisatz "allenfalls auch wegen § 21 Abs. 1 und 2, § 22 StGB", ein Verteidiger beigegeben und wonach schon am 9.März 1987, also längst vor der am 21.Mai 1987 vorgenommenen Einbringung der Anklageschrift, ON 33/I, der nunmehrige Verfasser der Rechtsmittelschrift im Rahmen dieser Beigebung zum Verteidiger bestellt sowie am 13.März 1987 hievon verständigt wurde). Die Verfahrensrüge (Z 3) ist daher - ganz abgesehen davon, daß Verstöße gegen § 436 (Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 429 Abs. 2 Z 1) StPO vom Gesetz nicht mit Nichtigkeit bedroht sind (vgl ÖJZ-LSK 1978/141) und daß im Hinblick auf das in § 281 Abs. 1 Z 3 StPO normierte Erfordernis einer ausdrücklichen Nichtigkeitssanktion eine "extensive Auslegung" (gemeint wohl: sinngemäße Anwendung) des § 430 (Abs. 3) StPO nicht in Betracht kommt - schon aus diesem Grund nicht zielführend.

Verfehlt ist ferner die Beschwerdeauffassung (Z 9 lit c, der Sache nach indessen Z 11), daß die bekämpfte Einweisungsanordnung auch deswegen unzulässig gewesen sei, weil der öffentliche Ankläger weder in der Anklageschrift noch in der Hauptverhandlung einen dahingehenden Antrag gestellt hat.

Denn eine Einschränkung der Strafbefugnis des Gerichts (Z 11) in bezug auf eine Anstaltseinweisung nach § 21 Abs. 2 StGB durch die Voraussetzung einer darauf abzielenden Antragstellung des Anklägers ist für den Regelfall einer Strafverfolgung mittels Anklage im Gesetz nicht vorgesehen: die vom Angeklagten relevierten Bestimmungen des § 441 StPO, nach denen (indispensabel) ein (schriftlicher) Unterbringungsantrag des Anklägers erforderlich ist, gelten nur für den (hier nicht aktuellen) Fall einer selbständigen Anordnung vorbeugender Maßnahmen im Sinn des § 65 Abs. 5 StGB. § 437 erster Satz StPO aber, wonach der Ankläger gegebenenfalls seine Absicht, einen Einweisungsantrag nach § 21 Abs. 2 StGB zu stellen, in der Anklageschrift zu erklären hat, zielt lediglich darauf ab, die Vorbereitung der Hauptverhandlung zu erleichtern, und ist nicht sanktioniert; dementsprechend gilt der (insoweit nur klarstellend wirkende) zweite Satz des § 437 StPO, demzufolge das Gericht eine derartige Unterbringung auch ohne einen solchen Antrag anordnen kann, im Bereich des Anklage-Verfahrens uneingeschränkt und dispensiert nicht bloß, wie der Beschwerdeführer vermeint, lediglich vom Erfordernis eines schon in der Anklageschrift zu stellenden Unterbringungsantrags, der diesfalls zumindest in der Hauptverhandlung gestellt werden müßte.

Beizupflichten jedoch ist dem (formell im Rahmen der Berufungsausführung erhobenen) Vorwurf von Feststellungsmängeln (der Sache nach Z 11) in bezug auf die Urteilsannahme, der Angeklagte habe die ihm angelasteten Taten unter dem Einfluß einer geistigen oder seelischen Abartigkeit "von höherem Grad" begangen (ON 10); in Ansehung dieser Rechtsfrage (idS 9 Os 92/86) lassen nämlich die Entscheidungsgründe in der Tat zur Beurteilung ausreichende Konstatierungen vermissen.

Für das Vorliegen einer solcherart höhergradigen Abartigkeit des Täters ist vorauszusetzen, daß dessen eindeutig außerhalb der Variationsbreite des Normalen liegender Zustand seine Willensbildung wesentlich beeinflußt (vgl SSt 48/40, EvBl 1981/87 ua); dabei sind zur Einstufung des Krankheitsbildes aktuelle exogene Einflüsse, wie etwa ein periodischer Alkoholgenuß, wohl mitzuberücksichtigen (idS 9 Os 52/79), doch ist jedenfalls ein strenger Maßstab anzulegen (idS 11 Os 66/86). Jene Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer durch seinen chronischen Alkoholkonsum - im Sinn eines (vom Sachverständigen gar nicht mit dieser Bezeichnung diagnostizierten) "organischen Psychosyndroms" - schwer persönlichkeitsverändert, egozentrisch, triebhaft sowie insbesondere in alkoholisiertem Zustand aggressiv und enthemmt ist (US 10, 15/16), genügen darnach ohne ein präziseres Tatsachensubstrat noch nicht zur verläßlichen Annahme einer den dargelegten Kriterien entsprechenden geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades.

Dies umsoweniger, als der Sachverständige Dr. J*** entgegen der Urteilsbegründung (US 16) in der Hauptverhandlung keineswegs dezidiert das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 StGB festgestellt hat, sondern ganz im Gegenteil vorerst ausdrücklich erklärte, der Angeklagte sei zwar seelisch-geistig abartig, doch sei die Frage, "ob das schon höhergradig sei oder nicht, ... eine Frage der Einstufung": jener sei "an der Grenze zwischen mittlerer und schwerer Abartigkeit"; und als auch die weitere gutächtliche Bekundung, "theoretisch" seien die in Rede stehenden Voraussetzungen "schon gegeben", im Hinblick auf deren Begründung "weil er an sich schon ein abartiger Typ ist" augenscheinlich nur die grundlegende Prämisse einer geistigen oder seelischen Abartigkeit an sich, nicht aber auch schon deren hier problematischen Grad betrifft (S 555/I). Der vom Beschwerdeführer zutreffend aufgezeigte Feststellungsmangel erfordert in Ansehung einer allfälligen Anstaltseinweisung und im Hinblick auf deren konkret aktuellen Zusammenhang (§ 289 StPO) mit dem Ausmaß der zu verhängenden Freiheitsstrafe (vgl RZ 1979/54, 10 Os 140/84 ua) auch in bezug auf den Strafausspruch eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz (§ 288 Abs. 2 Z 3 zweiter Satz StPO), sodaß insoweit (gleichfalls nach Anhörung der Generalprokuratur schon in nichtöffentlicher Sitzung) wie im Spruch zu erkennen war (§ 285 e StPO); mit seiner Berufung war der Angeklagte darauf zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird das Schöffengericht (auf einer im Sinn des § 126 StPO zu erweiternden Beweisgrundlage) zur Beurteilung der Frage, ob die Willensbildung des Beschwerdeführers durch seine geistige oder seelische Abartigkeit (auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes) wesentlich beeinflußt wurde, ausreichende Feststellungen zu treffen haben.

Den Erfolgsaussichten einer psychiatrischen Behandlung seines Zustands wird dabei allerdings, seiner Auffassung zuwider, keine Bedeutung beizumessen sein, weil eine derartige Therapierbarkeit - anders als nach § 22 Abs. 2 StGB für die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher - kein nach § 21 Abs. 2 StGB zu berücksichtigendes Kriterium darstellt und eine sinngemäße Anwendung jener Einschränkung im hier aktuellen Bereich zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen würde, daß gerade in den schwersten Fällen einer geistigen oder seelischen Abartigkeit des Täters der vom Gesetz angestrebte Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Rechtsbrechern nicht realisiert werden könnte (idS Triffterer, AT, S 490; Moos in ZnStR I S 68; Laich in Bezauer Tage 1979, S 64; Kodek in ZVR 1986 S 93; Ratz in ÖJZ 1986, S 680-682; die bei Leukauf-Steininger, StGB2, RN 20 zu § 21 zitierte Auffassung Mayerhofers in RZ 1976, Sondernnummer, S 53, hingegen betrifft ebenso wie jene von Fleisch in ÖJZ 1977, S 549, lediglich die Abgrenzung zwischen § 21 Abs. 2 und § 23 StGB; tendenziell aA Pallin im WK, Rz 15 zu § 21; sowie Eder-Rieder, Die freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahmen, Manz 1985, S 89, 92 f.).

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