OGH 11Os62/87

OGH11Os62/8721.7.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Juli 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sailler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Herbert Franz S*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9.März 1987, GZ 7 d Vr 12.202/86-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 21.August 1947 geborene Herbert Franz S*** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach fügte er am 18.Oktober 1986 in Wien seiner Ehegattin Hildegund S*** durch Versetzen mehrerer Hiebe mit einer Hacke gegen Kopf und Arme absichtlich schwere, mit einer 24 Tage überschreitenden Gesundheitsstörung und Berufsunfähigkeit verbundene Verletzungen zu (Rißquetschwunde im Hinterkopfbereich, offener Eindrückungsbruch an der rechten Scheitel-Hinterkopfregion, Prellungen und ausgedehnte Blutergüsse an der rechten Gesichtshälfte und am rechten Unterarm).

Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf den § 281 Abs. 1 Z 3 und 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; den Strafausspruch bekämpfen der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Als Nichtigkeitsgrund nach der Z 3 des § 281 Abs. 1 StPO will die Beschwerde den Umstand gewertet wissen, daß das Tatopfer von seinem Entschlagungsrecht als Ehegattin des Angeklagten sowohl beim Untersuchungsrichter (ON 8) als auch in der Hauptverhandlung (S 174) Gebrauch machte, das Schöffengericht aber die Polizeiangaben dieser Zeugin verlas (S 178) und in der Urteilsbegründung verwertete (S 189 bis 191).

Dieser auch in der Literatur vertretenen Auffassung (z.B. Bertel, Grundriß2, Rz. 618 ff) ist jedoch zu entgegnen, daß die taxative Aufzählung derjenigen Vorschriften, deren Mißachtung mit Nichtigkeit bedroht ist, ein Verbot der Verlesung solcher von der Sicherheitswache, dem Kriminalbeamtenkorps oder der Gendarmerie (also von Angehörigen eines Wachkörpers) im Zuge der Erhebungen angefertigten (formlosen) Niederschriften oder Berichte (wie hier: siehe S 13/14, 19/20) nicht enthält, vielmehr § 252 Abs. 2 StPO die Verlesung dieser - als Anzeigebestandteile - für die Sache bedeutsamen Schriftstücke anordnet (vgl. hiezu 11 Os 24,25/87). Damit handelt es sich bei den verlesenen Polizeiberichten auch nicht um nichtige Vorerhebungs- oder Voruntersuchungsakte, die dem Nichtigkeitstatbestand des § 281 Abs. 1 Z 2 StPO subsumiert werden könnten. Das Beschwerdevorbringen ist im gegebenen Zusammenhang auch unter dem - von der Beschwerde außer Betracht gelassenen - Gesichtspunkt der dem Angeklagten durch die Entschlagung des Tatopfers entgangenen Möglichkeit der Fragestellung vor Gericht (§ 281 Abs. 1 Z 4 StPO) nicht zielführend, weil nach Vernehmung der an den Erhebungen beteiligt gewesenen Polizeibeamten und Verlesung der Einlassungen der Hildegund S*** vor diesen Polizeiorganen Beweisanträge welcher Art immer, die auf eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes der verlesenen Aussagen hinausliefen, überhaupt nicht gestellt wurden (S 177 unten und 178), sodaß es im Nichtigkeitsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof jedenfalls an den formellen Voraussetzungen für eine erfolgversprechende Verfahrensrüge fehlt (vgl. hiezu Mayerhofer-Rieder2, ENr. 1 bis 6 zu § 281 Z 4 StPO, 11 Os 141/85, 11 Os 14/86, 13 Os 3/86). Der Oberste Gerichtshof nimmt hier auf die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall U*** entwickelten Grundsätze zur Auslegung des Art. 6

Abs. 1 und 3 lit. d EMRK Bezug, wonach weder das Aussageverweigerungsrecht naher Angehöriger noch Verlesungen von Aussagen dieser Personen vor der Gendarmerie in der Verhandlung an sich gegen die EMRK verstoßen, jedoch müssen bei der Verwertung dieser Aussagen als Beweismittel die Rechte der Verteidigung gewahrt werden. Schon die Europäische Kommission für Menschenrechte hatte im zitierten Straffall darauf hingewiesen, daß das innerstaatliche Recht ohne Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK formelle Bedingungen für Beweisanträge aufstellen kann, um den Gerichten die Prüfung der Relevanz solcher Anträge zu ermöglichen (EuGRZ 1987, S 147 bis 154).

Aber auch die Mängelrüge (Z 5) bringt keinen formellen Begründungsmangel zur Geltung, wenn sie meint, die Feststellung der "Absicht" (§ 5 Abs. 2 StGB) finde weder in der Aussage der Verletzten noch in der Verantwortung des Angeklagten, er habe sich im Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit befunden, eine Stütze. Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß das Gericht unter Hinweis auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen die Verantwortung des Angeklagten mit "Erinnerungslücken" als Verdrängungsmechanismus interpretierte und die Feststellungen über Verletzungshergang und -erfolg auf der Basis des gerichtsmedizinischen Gutachtens unter vergleichender Heranziehung der verlesenen und im Beweisverfahren bestätigten Angaben der Hildegund S*** vor Polizeiorganen traf. Auf Grund aller Beweisergebnisse zog dann das Gericht den denkrichtigen und lebensnahen Schluß, daß sich die Absicht des Beschwerdeführers, seiner Ehefrau eine schwere Verletzung zuzufügen, aus der Begehungsweise der Tat ergibt, nämlich aus dem Versetzen mehrerer Hiebe mit einer Hacke auch gegen den Kopf (S 192). Damit erweist sich das Vorbringen zu diesem Nichtigkeitsgrund ausschließlich als nach der Prozeßordnung unzulässige Bekämpfung der schöffengerichtlichen Beweiswürdigung.

Die sohin zur Gänze nicht dem Gesetz gemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war nach dem § 285 d Abs. 1 Z 1 StPO in Verbindung mit dem § 285 a Z 2 StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Mangels Sachentscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde fehlt es aber an der Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes zur Erledigung der beiderseitigen Berufungen (EvBl. 1981/46 u.v.a.). Über sie wird der örtlich zuständige Gerichtshof zweiter Instanz zu befinden haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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