Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 20.371,90 (darin enthalten S 942,90 Umsatzsteuer und S 10.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger schloß mit der Beklagten für den Zeitraum vom 15. April 1985 bis 1. Mai 1995 für seinen PKW Subaru, K 350.207, eine Kraftfahrzeughaftpflicht- und Kaskoversicherung ab. Am 23. Mai 1985 hielt sich der Kläger in den Abendstunden in einem Gasthaus auf und trank Alkohol. Da er sich nicht mehr als fahrtüchtig erachtete, ersuchte er Wilfried S***, der nicht getrunken hatte, ihn mit seinem PKW zu seiner Freundin zu bringen. Am 24. Mai 1985 gegen 0 Uhr 30 kam dieser mit dem Fahrzeug des Klägers infolge überhöhter Geschwindigkeit und eines fahrtechnischen Fehlverhaltens auf einer Freilandstraße von der Fahrbahn ab, rutschte über eine Böschung und prallte an einen Baum. Dabei wurden beide Fahrzeuginsassen leicht verletzt. Der PKW des Klägers wurde total beschädigt. Die Behebung der unfallskausalen Schäden erfordert den Betrag von S 117.641,--. Weder der Kläger noch Wilfried S*** meldeten den Unfall bei der Gendarmerie. Der Kläger wußte nicht, daß "derartiges" zu melden wäre.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung der Reparaturkosten (abzüglich des vereinbarten Selbstbehaltes) von S 111.021,-- samt 4 % Zinsen seit 25. Juni 1985. Die Beklagte habe die Leistung aus dem Kaskoversicherungsvertrag zu Unrecht abgelehnt. Er habe die behauptete Verletzung der Aufklärungspflicht nicht begangen, weil auch bei unverzüglicher Anzeige des Verkehrsunfalles keine genauere Rekonstruktion des Unfallsablaufes ermöglicht worden wäre. Die objektiven Anhaltspunkte, nämlich die Lage des Baumes und die Schäden am Fahrzeug seien nicht verlorengegangen. Ein Alko-Test hätte bei ihm nicht vorgenommen werden können, weil er das Fahrzeug nicht gelenkt habe. Schließlich habe er die Meldung des Verkehrsunfalles bei der nächsten Sicherheitsdienststelle nicht vorsätzlich unterlassen, weil er der Meinung gewesen sei, daß diese Meldepflicht nicht ihn, sondern den Lenker getroffen habe. Mit seiner Alkoholisierung sei auch eine entsprechende Beeinträchtigung seines Bewußtseins und seiner Willensbildung verbunden gewesen. Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Sie sei von der Leistung gemäß Art. 6 Abs. 2 Punkt 1 (richtig: Art. 6 Abs. 2 Z 2) der Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfallversicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) von der Leistung frei, weil der Kläger durch die vorsätzliche Unterlassung der in § 4 Abs. 5 StVO normierten Verständigungspflicht die ihm obliegende Aufklärungspflicht nach dem Unfall verletzt habe. Die Anzeigepflicht habe bestanden, weil beim Unfall sowohl Personen verletzt, als auch Sachen beschädigt worden seien. Durch diese Obliegenheitsverletzung sei die Feststellung von Umständen, die der Aufklärung des Schadensereignisses dienlich gewesen wären, nämlich die genaue Ermittlung der Person des Lenkers und dessen Alkoholisierung, verabsäumt worden. Unmittelbar nach dem Unfall hätten die Beteiligten erfahrungsgemäß wahrheitsgemäße Angaben gemacht.
Das weitere Vorbringen der Streitteile über den Zeitpunkt der Zahlung der Erstprämie ist im Hinblick darauf, daß die Beklagte die Einwendung ihrer Leistungsfreiheit wegen verspäteter Zahlung derselben im Revisionsverfahren nicht mehr aufrechthält, nicht mehr von Bedeutung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest. Rechtlich bejahte es die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungspflicht durch Verstoß gegen die dem Kläger gemäß § 4 Abs. 2 StVO wegen der Verletzung des Wilfried S*** obliegenden Pflicht, sofort die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu verständigen. Der Kläger habe dabei vorsätzlich gehandelt, weil er keine besonderen entschuldigenden Umstände nachgewiesen habe. Der normale Unfallschock und die Alkoholisierung hätten seine Zurechnungsfähigkeit nicht ausgeschlossen. Zumindest hätte der Kläger nach dem Wegfall dieser Hinderungsgründe seiner Verständigungspflicht nachkommen müssen. Die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungspflicht befreie den Kaskoversicherer selbst dann von seiner Leistungspflicht, wenn die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluß auf die Feststellung oder den Umfang der von ihm zu erbringenden Leistung gehabt habe. Das Berufungsgericht erkannte über Berufung des Klägers im Sinne des Klagebegehrens und sprach aus, daß die Revision gemäß § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO unzulässig sei. Es behandelte die in der Berufungsbeantwortung erhobene Tatsachen- und Beweisrüge und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Rechtlich verneinte das Berufungsgericht die Pflicht des Klägers, den gegenständlichen Verkehrsunfall bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle anzuzeigen. Die Verletzung nach § 4 Abs. 5 StVO könne nicht vorliegen, weil nur das eigene Fahrzeug des Klägers beschädigt worden sei. Die von der Beklagten in Wahrheit gemeinte Anzeigepflicht gemäß § 4 Abs. 2 StVO habe nicht bestanden, weil der Kläger das Fahrzeug nicht gelenkt habe. Gemäß § 4 Abs. 1 StVO treffe diese Melde- bzw. Anzeigepflicht nur jene Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall im ursächlichen Zusammenhang stehe. Ein solches Verhalten habe der Kläger nicht gesetzt. Daß der Kläger Versicherungsnehmer sei, reiche nicht aus, um ihn der Pflicht gemäß § 4 Abs. 2 StVO zu unterwerfen. Da der Kläger auch keinen Verzug bei der Bezahlung der Erstprämie zu verantworten habe, habe die Beklagte die sich aus dem Kaskoversicherungsvertrag ergebende Leistung zu erbringen.
Gegen dieses Urteil erhebt die Beklagte die außerordentliche Revision aus dem Grunde des § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Der Kläger beantragt, die Revision nicht zuzulassen bzw. ihr nicht Folge zu geben.
Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig, weil die Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes zur Frage der Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Kläger von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ZVR 1979/294 abweichen. Sie ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Beklagte weist in ihrem Rechtsmittel zu Recht darauf hin, daß die Aufklärungspflicht des Versicherten nach Art. 6 Abs. 2 Z 2 AKIB über die Verständigungspflicht gemäß § 4 Abs. 2 und 5 StVO hinausgeht. Den Kläger traf zwar, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, nicht die Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 2 StVO, weil er das Fahrzeug nicht selbst gelenkt und somit nicht zu dem in § 4 Abs. 1 StVO genannten anzeigepflichtigen Personenkreis gehört hat. Nach Art. 6 Abs. 2 Z 2 AKIB hatte er jedoch nach dem Eintritt des Versicherungsfalles nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen. Die Aufklärungspflicht trifft den Versicherungsnehmer nicht nur, wenn er selbst den Unfall verursacht hat, sondern auch dann, wenn er bei einem vom berechtigten Lenker verschuldeten Unfall anwesend war (Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den Kfz-Versicherungen, ZVR 1985, 65 ff insbesondere 77). Somit wäre der Kläger, da bei dem Verkehrsunfall Personen verletzt wurden, verpflichtet gewesen, an der Unfallstelle bis zum Eintreffen der Gendarmerie zu verbleiben und, falls der Lenker seines Fahrzeuges zu deren Verständigung nicht bereit gewesen sein sollte, selbst Anzeige bei der nächsten Sicherheitsdienststelle zu erstatten. Der Kläger verließ jedoch gemeinsam mit dem Lenker die Unfallstelle. Die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers dient neben der Information über den Versicherungsfall auch der Klarstellung aller jener Umstände, die für die allfällige Ablehnung der Deckung oder künftige Regreßansprüche gegen den Versicherten von Bedeutung sein können. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, alles zweckdienliche zur Aufklärung des Unfallsereignisses selbst dann vorzunehmen, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereicht (SZ 42/173; VersR 1973, 1179, ZVR 1975/102, Petrasch aaO, 75).
Ist die Leistungsfreiheit für den Fall vereinbart, daß eine Obliegenheit verletzt wird, die nach dem Eintritt des Versicherungsfalles dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, so tritt die vereinbarte Rechtsfolge nicht ein, wenn die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Verletzung bleibt der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung Einfluß gehabt hat (§ 6 Abs. 3 VersVG). In der Kaskoversicherung ist bei Vorsatz - im Gegensatz zu den in Art. 8 Abs. 2 AKHB genannten Obliegenheitsverletzungsfällen in der Haftpflichtversicherung - der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen (Petrasch aaO, 70, 74). Vorsatz setzt voraus, daß das die Obliegenheitsverletzung begründende Verhalten bewußt und gewollt war (SZ 47/44; Petrasch aaO, 69). Für die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung nach Art. 6 Abs. 2 Z 2 AKIB genügt das allgemeine Bewußtsein des Versicherungsnehmers, daß er bei der Aufklärung des Sachverhaltes nach besten Kräften aktiv mitwirken muß. Dieses Bewußtsein ist mangels besonderer Entschuldigungsumstände bei einem Versicherungsnehmer, der selbst Kraftfahrer ist, in der Regel bis zum Beweis des Gegenteiles vorauszusetzen. Es kann daher nur der Nachweis besonderer entschuldigender Umstände den Vorsatz in Frage stellen (ZVR 1974/71, 1976/238, 1978/80, SZ 53/55; Petrasch aaO, 69). Durch einen Unfallschock wird der Vorsatz nur ausgeschlossen, wenn eine so starke Zerrüttung des Bewußtseins und der Willensbildung vorliegt, daß Unzurechnungsfähigkeit anzunehmen ist. Dies ist nach den festgestellten Verhaltensweisen des Klägers unmittelbar nach dem Unfall nicht anzunehmen. Aus denselben Gründen kann auch aus der vorhandenen Alkoholisierung des Klägers nicht auf eine Unzurechnungsfähigkeit geschlossen werden. Aus der Feststellung, der Kläger habe nicht gewußt, daß "derartiges" zu melden wäre, kann nur darauf geschlossen werden, daß er die einzelnen Normen, die die Anzeigepflicht enthalten, nicht kannte. Auf deren Kenntnis kommt es bei der Beurteilung des Vorsatzes aber nicht an.
Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt allerdings nur dann vor, wenn dadurch im konkreten Fall etwas verabsäumt wurde, das der Aufklärung des Schadensereignisses dienlich gewesen wäre (ZVR 1979/294 mwN). Es ist also notwendig, daß ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden oder objektive Beseitigung eines Beweismittels infolge der Verletzung im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Dieser Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels müssen vom Versicherer behauptet und bewiesen werden (SZ 49/84; SZ 51/180; Petrasch aaO, 77). Die dafür erforderlichen Behauptungen stellte die Beklagte schon in der Klagebeantwortung auf. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß der Verdacht, der alkoholisierte Kläger sei mit seinem Fahrzeug selbst gefahren, durch erhebende Gendarmeriebeamte unmittelbar nach dem Unfall erhärtet oder entkräftet hätte werden können. Somit standen den Vorinstanzen zur Prüfung der Frage, wer das Fahrzeug tatsächlich gelenkt hat, nur die Aussage des Wilfried S*** und des Klägers zur Verfügung, wobei auf die Aussage des Zeugen Wilfried S*** (ON 20 S 2 = AS 80) verwiesen wird, wonach dieser nur sicher war "im Augenblick des Unfalls" gefahren zu sein, nicht jedoch, ob dies auch davor der Fall gewesen sei, dies jedoch zu glauben, weil alles andere "eigentlich nicht logisch" wäre. Das sicherere Beweismittel der Aussage von Beteiligten, die noch unter dem frischen Eindruck des Unfallsgeschehens stehen, wurde der Beklagten durch das Verhalten des Klägers somit vorenthalten.
Den Ausführungen des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung, eine über die gesetzlichen Verpflichtungen der StVO hinausgehende Verpflichtung zur Meldung von Verkehrsunfällen bei den Sicherheitsdienststellen müßte ausdrücklich in den Versicherungsbedingungen angeführt sein, kann nicht beigepflichtet werden. Der Kläger, der bei einem Verkehrsunfall, den er zwar nicht selbst verursachte, leicht verletzt wurde, mußte als kaskoversicherter Eigentümer des Unfallsfahrzeuges davon ausgehen, daß der schuldtragende Lenker zur Anzeige verpflichtet ist. Er unterließ dadurch, daß er sich mit diesem von der Unfallstelle entfernte, die ihm obliegende Aufklärung des Unfallsgeschehens. Ihm fällt somit nicht die Verletzung der ihn im vorliegenden Fall nicht treffenden Anzeigepflicht, sondern der Aufklärungspflicht nach Art. 6 Abs. 2 Z 2 AKIB zur Last. Diese wurde wegen der vorauszusetzenden Kenntnis des Bestehens der Anzeigepflicht des berechtigten Lenkers vorsätzlich begangen.
Der Revision war sohin ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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