OGH 7Ob34/87

OGH7Ob34/879.7.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erika H***, Videofilmvermieterin, Flirsch 172, vertreten durch Dr. Alois Fuchs, Rechtsanwalt in Landeck, wider die beklagte Partei G*** W*** V***, Graz, Herrengasse 18-20, vertreten

durch Dr. Günther Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 960.000,-- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. November 1986, GZ 1 R 273/86-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. Juli 1986, GZ 5 Cg 23/86-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 17.013,15 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.546,65 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin betrieb mit dem Standort Imst, Kramergasse 31, eine Videothek. Sie hatte mit der beklagten Partei eine Bündelversicherung mit Versicherungsbeginn 1.6.1985 abgeschlossen, die auch eine Einbruchdiebstahlversicherung umfaßte. Gegenstand dieser Versicherung war unter anderem das gesamte Warenlager der Videothek mit einer Versicherungssumme von S 1,100.000. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Einbruchdiebstahlversicherungs-Bedingungen (AEB) Fassung 1972 zugrunde. Nach Art. 8 der AEB werden als Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Schadenfall bestimmt, unverzüglich, nachdem er von dem Schaden Kenntnis erlangt hat, dem Versicherer sowie der Sicherheitsbehörde schriftlich oder mündlich Anzeige zu erstatten. Übersteigt der mutmaßliche Schaden den Betrag von S 10.000, so ist, abgesehen von der Mitteilung an die Sicherheitsbehörde, der Schaden telegraphisch oder telefonisch dem Versicherer anzuzeigen. Eine Aufstellung der entwendeten Sachen ist der Sicherheitsbehörde innerhalb dreier Tage nach Feststellung des Verlustes einzureichen (Art. 8 Abs. 1 lit. b); soweit es von ihm billigerweise verlangt werden kann, dem Versicherer jede Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang der Entschädigungspflicht zu gestatten, jede hiezu dienliche Auskunft auf Verlangen zu erteilen (auch durch die im Art. 4 Abs. 3 vorgesehenen Verzeichnisse) und Belege beizubringen (Art. 8 Abs. 1 lit. c). Der Versicherungsnehmer hat alle schriftlichen und mündlichen Angaben im Zuge der Schadenerhebung dem Versicherer richtig und vollständig zu machen (Art. 8 Abs. 2). Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehenden Obliegenheiten, mit Ausnahme der unter Abs. 1 lit. b vorgesehenen Obliegenheit zur telegraphischen oder telefonischen Übermittlung der Anzeige, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, es sei denn, daß die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Verletzung dieser Obliegenheiten bleibt der Versicherer zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Verletzung einen Einfluß weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat.

In der Nacht auf den 16.6.1985 wurde in die Videothek der Klägerin eingebrochen. Die Klägerin behauptet den Diebstahl von ca. 800 Videokassetten und begehrt eine Ersatzleistung von S 960.000 s.A. Die beklagte Partei bestreitet den Diebstahl von Videokassetten in der behaupteten Zahl und die Höhe des Schadens und macht unter anderem Leistungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 3 der AEB wegen Verletzung der Obliegenheiten nach Art. 8 Abs. 1 lit. b und c und nach Abs. 2 geltend. Von ihrem Sachvorbringen, das vom Berufungsgericht eingehend dargestellt wurde, ist die Behauptung hervorzuheben, die Klägerin habe wahrheitswidrig angegeben, von Deutschland als Übersiedlungsgut 1000 Kassetten eingeführt zu haben. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen betrieb die Klägerin im Jahre 1984 in Düsseldorf ein Videogeschäft, das sie im Herbst 1984 aufgab. Damals übersiedelte sie nach Österreich. Einen Teil der Videokassetten verkaufte sie in Deutschland, einen Teil von ca. 500 bis 600 nahm sie anläßlich der Übesiedlung nach Österreich mit. Bei der Zollabfertigung verschwieg sie sowohl die Zahl der Kassetten als auch den Umstand, daß diese für einen Gewerbebetrieb bestimmt waren, und deklarierte lediglich diverse Videokassetten im Zusammenhang mit dem übrigen Hausrat. Nach der Übersiedlung betrieb die Klägerin ein Videogeschäft in Pettneu. Am 10.5.1985 kaufte sie von Martina S*** das Inventar des Videogeschäftes in Imst und betrieb dieses im eigenen Namen. Bei beiden Geschäften trat sie nur nach außen hin als Inhaberin auf. Die praktische Führung der Geschäfte überließ sie ihrem Ehemann Klaus Peter H***. Zu dem von Martina S*** übernommenen Inventar gehörten 350 Videofilme. Bis zur gänzlichen Bezahlung des Gesamtkaufpreises von S 360.000 wurde Eigentumsvorbehalt vereinbart. Zu diesem Bestand kam eine nicht näher feststellbare Zahl an weiteren Videokassetten, die Klaus Peter H*** von dem Geschäft in Pettneu transferierte. Anläßlich der Antragstellung auf Abschluß der Einbruchdiebstahlversicherung im Mai 1985 wurde der Bestand der Videokassetten mit 600 bis 700 ermittelt. Aufgrund dieser Zahl und eines Mittelwertes von S 1.500 pro Kassette wurde die Versicherungssumme bestimmt.

Im Zuge der Gendarmerieerhebungen gab Klaus Peter H*** am 17.6.1985 als Anzeiger an, daß 850 Kassetten und ca. 25 Pornokassetten gestohlen worden seien. Den Schaden bezifferte er mit S 1,550.000. Kurze Zeit später reduzierte Klaus Peter H*** die Höhe des Schadens auf S 1,025.500. Am 17.6.1985 wurde mit Hilfe des Versicherungsvertreters eine Schadensmeldung erstellt, wobei die vermutliche Schadenshöhe mit S 1,600.000 angegeben wurde. Die Anzahl der gestohlenen Kassetten enthielt die Schadensmeldung nicht. Zur Ermittlung der Schadenshöhe schaltete die beklagte Partei den Sachverständigen Ing. Fritz E*** ein, der seinen Mitarbeiter Ing. Otto G*** mit der Befundaufnahme beauftragte. Diesem gegenüber nannte Klaus Peter H*** verschiedene Zahlen der gestohlenen Kassetten (zwischen 800 und 1000). Als Klaus Peter H*** von Ing. Otto G*** zur Vorlage von Belegen über die Herkunft der Kassetten aufgefordert wurde, erklärte er, keine Rechnungen zur Verfügung zu haben, und behauptete in diesem Zusammenhang, 1000 Kassetten aus Deutschland eingeführt zu haben. Diese Zahl nannte Klaus Peter H*** wider besseres Wissen. Es war ihm bekannt, daß aus Deutschland nur ein Bestand von 500 bis 600 Kassetten eingeführt worden war. Im Zuge der weiteren Erhebungen wurden zwar Rechnungen über den Erwerb von Videokassetten für das Geschäft in Düsseldorf vorgelegt, diese betrafen aber nicht nur den Kauf von Videokassetten, sondern auch die Miete zum Zwecke der Weitervermietung. Die Rechnungen, aus denen ein Eigentumserwerb durch die Klägerin hervorgeht, ergeben eine Anzahl von 392 Kassetten. Durch die Angestellte Daniela S*** ließ Klaus Peter H*** eine handschriftliche Liste von Videokassettentiteln erstellen. Diese ergab eine Zahl von 275 Kassetten des Videosystems "2000" und 461 Videokassetten des Systems "VHS". Insgesamt wies die Liste 736 Stück aus. Sie wurde dem Sachverständigen Ing. Otto Gröhenig übergeben, aber auch dem Zollamt Innsbruck im Zusammenhang mit einer Selbstanzeige über die Einfuhr von Übersiedlungsgut vorgelegt.

Im Zuge der Schadensabwicklung verlangte die beklagte Partei von der Klägerin den Nachweis, daß die von Martina S*** bezogenen Videokassetten voll bezahlt und bereits Eigentum der Klägerin sind. Obwohl Klaus Peter H*** wußte, daß auf den Kaufpreis nur ein Teilbetrag von S 150.000 bezahlt worden war, ersuchte er Martina S***, der beklagten Partei gegenüber wahrheitswidrig die Bezahlung des gesamten Kaufpreises zu bestätigen mit dem Versprechen, den Restkaufpreis aus der daraufhin erwarteten Akontozahlung der beklagten Partei zu begleichen. Martina S*** und Klaus Peter H*** unterfertigten eine an die beklagte Partei gerichtete Erklärung, daß der Kaufpreis ordnungsgemäß bezahlt und das Eigentum an die Klägerin übergegangen ist. Martina S*** widerrief jedoch in der Folge diese Erklärung.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes habe die Klägerin die Erklärungen ihres Ehemannes zu vertreten. Dieser habe zumindest in zwei Fällen im Zuge der Ermittlungen zur Feststellung des Schadensumfanges bewußt unrichtige Angaben gemacht bzw. veranlaßt. Einerseits durch die Behauptung, die Klägerin habe aus Deutschland 1000 Kassetten mitgebracht und andererseits durch die Aufforderung an Martina S*** zur Bestätigung der vollständigen Bezahlung des Kaufpreises und des Eigentumsüberganges an die Klägerin. Die Klägerin habe daher eine vorsätzliche Verletzung der Obliegenheit nach Art. 8 Abs. 2+ AEB zu vertreten, was die Leistungsfreiheit der beklagten Partei zur Folge habe.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung und teilte auch dessen Rechtsansicht. Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO). Richtig haben die Vorinstanzen erkannt, daß dem Versicherungsnehmer die Verletzung von Obliegenheiten durch den von ihm zur Abwicklung des gesamten Versicherungsverhältnisses bevollmächtigten Dritten zuzurechnen ist (SZ 53/100). Da hier die Klägerin die Führung der gesamten Geschäfte ihrer Videothek ihrem Ehemann überlassen hatte und auch schon bei der Anbahnung des Versicherungsverhältnisses mit der beklagten Partei ausschließlich von ihm vertreten wurde (AS 58 f, AS 69), haben die Vorinstanzen auch zutreffend dessen Obliegenheitsverletzung der Klägerin zugerechnet. Abzulehnen ist die Meinung der Revision, daß dem Ehemann der Klägerin keine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung angelastet werden könne. Vorsatz liegt vor, wenn das die Obliegenheitsverletzung begründende Verhalten ein bewußtes und gewolltes war (SZ 47/44 ua). Auf der Grundlage der Feststellung, daß Klaus Peter H*** wider besseres Wissen behauptete, 1000 Kassetten seien nach Österreich eingeführt worden, sind die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen, daß jedenfalls insoweit eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung vorliegt. Diese Feststellung wird von der Revision vernachlässigt. Liegt aber eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung vor, kommt es nicht mehr darauf an, ob auch die Unrichtigkeit weiterer Angaben auf Vorsatz beruhte. Die Obliegenheit nach Art. 8 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 AEB dienen dem Zweck, den Versicherer in die Lage zu versetzen, nach Eintritt des Versicherungsfalles eine sachgerechte Entscheidung über die Entschädigungspflicht und die Höhe der zu leistenden Entschädigung zu treffen. Die beklagte Partei konnte sich zu der in Art. 8 Abs. 1 lit. c AEB vorgesehenen Untersuchung auch eines Beauftragten bedienen. Dies wird von der Revision auch nicht bezweifelt. Es kann daher unerörtert bleiben, ob auch unrichtige Angaben gegenüber der Zollbehörde oder gegenüber der Gendarmerie eine Obliegenheitsverletzung darstellen. Da eine entsprechende Buchführung der Klägerin fehlte, kam den Auskünften über die Herkunft der Kassetten zur Prüfung des behaupteten Schadensumfanges erhebliche Bedeutung zu. Es kann daher auch nicht gesagt werden, daß unrichtige Angaben darüber nicht geeignet gewesen wären, berechtigte Interessen des Versicherers zu beeinträchtigen. Die in Deutschland entwickelte Relevanzrechtsprechung hat überdies in Österreich nicht Eingang gefunden. Als einzige Einschränkung ist anerkannt, daß Obliegenheitsverletzungen, durch die nach menschlichem Ermessen die Interessen des Versicherers schon abstrakt in keiner Weise gefährdet werden können, außer Betracht bleiben, weil damit die Erfüllung der Obliegenheit zwecklos ist (Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den Kfz-Versicherungen in Der Sachverständige 1984, 5). Davon kann aber nach den obigen Darlegungen im vorliegenden Fall keine Rede sein. Daß bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers in der Regel bedingungslos eintritt (SZ 47/116), wird von der Revision ohnehin nicht bestritten.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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