OGH 7Ob122/74

OGH7Ob122/7424.10.1974

SZ 47/116

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 1965 Art3
Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 1965 Art3

 

Spruch:

Obliegenheitsverletzung in der Rechtsschutzversicherung durch Betrauung eines frei gewählten Rechtsanwaltes zu vorprozessualen Vergleichsverhandlungen, da dadurch die Interessen des Versicherers gefährdet werden können

OGH 24. Oktober 1974, 7 Ob 122/74 (KG Leoben R 128/74; BG Leoben 6 C 601/73)

Text

Der Kläger begehrt die Gewährung des Rechtsschutzes aus der bei der Beklagten abgeschlossenen Kraftfahrzeug-Rechtsschutzversicherung für den Unfall vom 20. April 1973. Der Kläger hat diesen Unfall zunächst nicht bei der Beklagten gemeldet, sondern den Klagevertreter mit der Vertretung seiner Interessen beauftragt und bevollmächtigt. Die Beklagte erhielt erst durch einen Brief des Klagevertreters vom 30. Oktober 1973 vom Unfall Kenntnis. In diesem Brief gab der Klagevertreter bekannt, daß die gegnerische Haftpflichtversicherung den Sachschaden am PKW des Klägers nicht zur Gänze decke und daß der Kläger ihn mit der Einbringung der Klage beauftragt habe; er ersuchte, die Klagsführung zur Einforderung des restlichen, nicht schon an den Klagevertreter überwiesenen Schadenersatzes entsprechend dem beigelegten, an das Bezirksgericht P als Gericht des Unfallsortes gerichteten Klagsentwurf zu genehmigen.

Die Beklagte macht Leistungsfreiheit geltend, weil der Kläger den Versicherungsfall nicht unverzüglich angezeigt und sich zur Verfolgung seiner Anspruche eines nicht vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes bedient habe.

Der Erstrichter wies die Klage ohne Aufnahme von Beweisen ab. Nach seiner Rechtsansicht ist die Beklagte nach Art. 4 lit. g ARB 1965 leistungsfrei, weil der Kläger den Klagevertreter mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt und bevollmächtigt hat, ohne vorher das Einvernehmen mit der Beklagten in Form einer Schadensmeldung herzustellen.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung Folge und hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es wertete die Ausschlußbestimmung des Art. 4 lit. g ARB 1965 als eine verhüllte Obliegenheit und hielt eine Klärung des Grades des Verschuldens des Versicherungsnehmers an der Verletzung derselben für erforderlich. Zusätzlich werde aufzuklären sein, ob und welchen Einfluß die Obliegenheitsverletzung auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt habe (Art. 10 ARB).

Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen beider Parteien Folge.

Der angefochtene Beschluß wurde aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung aufgetragen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die von beiden Parteien gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes erhobenen Rekurse sind begrundet, weil die Rechtssache spruchreif ist.

Nach Art. 4 lit. g ARB 1965 "entfällt der Versicherungsschutz", wenn

sich der Versicherte zur Verfolgung seiner Ansprüche ... nicht eines

vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes ... 1 bedient.

Unbekämpft und zutreffend hat das Berufungsgericht diese Bestimmung entgegen ihrer Überschrift "Ausschlüsse" als (versteckte) Obliegenheit gewertet (VersR 1973, 979; ebenso 7 Ob 168/71), deren Verletzung nach § 6 Abs. 3 VersvG in Verbindung mit Art. 10 ARB 1965 zu beurteilen ist.

Die Meinung des Klägers, daß in seinem Ansuchen an den Versicherer, den bereits tätigen Vertreter für den Rechtsstreit zu beauftragen, die behauptete Obliegenheitsverletzung nicht liege, weil dem Versicherer daraus keine Mehrkosten entstanden wären, und daß außergerichtliche Vergleichsverhandlungen nicht Gegenstand der Versicherung seien, trifft nicht zu. Nach Art. 3 ARB 1965 umfaßt der Versicherungsschutz in den unter Art. 1 genannten Fällen - zu denen der gegen den Unfallsgegner erhobene Anspruch unbestrittenermaßen gehört - die zur Wahrung der rechtlichen Interessen notwendigen außergerichtlichen und gerichtlichen Maßnahmen. Auch aus Art. 7 Abs. 3 ARB geht klar hervor, daß die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen die Abführung von Vergleichsverhandlungen mitumfaßt. Die oben als Obliegenheitsverletzung nachgewiesene Bestimmung des Art. 4 lit. g ARB verbietet daher dem Versicherten auch, sich außergerichtlich zur Verfolgung seiner Ansprüche eines nicht vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes zu bedienen.

Allerdings hat der Versicherte nach Art. 6 Abs. 2 ARB das Recht, bei der Anzeige des Versicherungsfalles einen Rechtsanwalt vorzuschlagen, den der Versicherer mit der Wahrung der Interessen des Versicherten beauftragen soll; dieser Anwalt muß aber nach dem Folgesatz der ARB im Sprengel des Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde seinen Sitz haben, die für das durchzuführende Verfahren zuständig sind, und nur unter dieser Voraussetzung ist der Versicherer nach Art. 7 Abs. 4 ARB verpflichtet, dem Vorschlag nachzukommen. Die Behauptung des Klägers, daß sein Vertreter für Verhandlungen vor dem Bezirksgericht Leoben nur den einfachen Einheitssatz verrechnet hätte, ist daher nicht nur als unzulässige Neuerung unbeachtlich, sondern geht auch deshalb ins Leere, weil die Klage gegen den Unfallsgegner beim Bezirksgericht Pottenstein einzubringen war. Darüber hinaus hatte der Kläger den vorgeschlagenen Rechtsanwalt nicht bloß informiert, sondern sich seiner bei den der Anzeige des Versicherungsfalles an den Versicherer vorausgegangenen Vergleichsgesprächen mit der Gegenseite, also nach außen hin, auch tatsächlich bedient.

Dieses Verhalten erfüllt den Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nach Art. 4 lit. g ARB 1965. Nach dieser Bestimmung steht es dem Versicherten entgegen der Meinung des Klägers nicht frei, vor Geltendmachung des Rechtsschutzes durch einen selbstgewählten Anwalt eine vergleichsweise Bereinigung der Sache mit dem Gegner zu versuchen. Derartige unmittelbare Verhandlungen können tatsächlich die Interessen des Versicherers gefährden, weil er außerstande gesetzt wird, die Sache nach seinen Vorstellungen zu führen. Der Rechtsschutz-Versicherte muß sich an die Obliegenheit des Art. 4 lit. g ARB halten und darf dem Versicherer die Verhandlungsfuhrung nicht aus der Hand nehmen, wenn er auf den Rechtsschutz nicht verzichten will.

Auch die Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 ARB - "Fordert der Versicherte Rechtsschutz ..., so hat er ..." - kann demnach nur dahin ausgelegt werden, daß der Versicherte sich vor Beginn der Verfolgung seiner Ansprüche entscheiden muß,ob er sich eines nicht vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes bedienen oder des Versicherungsschutzes teilhaftig werden will.

Nach Art. 10 ARB 1965 in Übereinstimmung mit § 6 VersVG ist der Versicherer (die Beklagte) von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn die Verletzung der Obliegenheit (hier des Art. 4 lit. g ARB) auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Nur bei grob fahrlässiger Verletzung bleibt der Versicherer zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung Einfluß gehabt hat. Bei Vorsatz, das ist bewußter und gewollter Verletzung der Obliegenheit, ist hingegen die Kausalität der Obliegenheitsverletzung in bezug auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung nicht zu prüfen, die Leistungsfreiheit tritt in diesem Fall bedingungslos ein. Einheitliche Rechtsansicht ist es weiters, daß der Versicherer bloß den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung zu beweisen hat, während die Beweislast für mangelndes Verschulden (hier fehlenden Vorsatz) nach der zutreffenden Ansicht der Beklagten den Versicherten trifft (Prölß - Martin[19], 98; Bruck - Möller VVG[8] 1.205Nr.52, SZ 43/214u. v. a.).

Bei dieser Rechtslage bleibt für die vom Berufungsgericht als erforderlich erachteten weiteren Erhebungen zur Frage des Grades des Verschuldens des Klägers kein Raum. Er hätte entsprechende Sachbehauptungen schon im Verfahren erster Instanz vorbringen müssen. Dennoch hat der Rekurswerber bloß rechtlich ausgeführt, daß eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung nicht vorliege, ohne in irgend einer Weise darzulegen, wieso die Inanspruchnahme eines selbstgewählten Vertreters für die außergerichtlichen Vergleichsgespräche vor der Anzeige des Versicherungsfalles an den Versicherer ohne das Bewußtsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm erfolgt sein soll (vgl. Prölß - Martin VersVG[19], 95). Nur infolge einer unrichtigen Rechtsansicht über die Beweislastverteilung konnte das Berufungsgericht annehmen, daß das Erstgericht auf das Vorbringen des beklagten Versicherers eingehen hätte müssen und daß der Kläger allfälliges Gegenvorbringen noch erstatten könne. Ebenso kommt es bei nicht widerlegtem Vorsatz auf die Kausalität der Verletzung der Obliegenheit nach dem oben Gesagten nicht an.

Die Rechtssache ist daher im Sinne der Bestätigung des Ersturteils spruchreif.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte