OGH 4Ob526/87

OGH4Ob526/8730.6.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Schlosser, Dr. Petrag und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Alexander H***, geboren 21.August 1971, Schüler, 3100 St. Pölten, Domplatz 2, vertreten durch seine Mutter und gesetzliche Vertreterin Dkfm. Helga H***, ebendort, diese vertreten durch Dr. Alfred Lukesch und Dr. Eduard Pranz, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei H*** Fremdenverkehrsgesellschaft mbH & Co KG, 3445 Göstling 66, vertreten durch Dr. Herbert Hofbauer und Dr. Peter Krömer, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen S 336.210,-- samt Anhang und Feststellung (Streitwert S 30.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12.Februar 1987, GZ 3 R 176/86-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 27.Dezember 1985, GZ 1 Cg 190/84-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 16.309,05 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.133,55 Umsatzsteuer und S 3.840,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte betreibt auf dem Hochkar den zum 1770 m hoch gelegenen Geischlägerhaus führenden Schilift. Dieses Schutzhaus gehört Ing. Franz G***, dem Geschäftsführer der Beklagten, der es verpachtet hat. Den Platz vor dem Geischlägerhaus betreut ausschließlich die Beklagte, die ihn präpariert, das Niveau reguliert und Absperrmaßnahmen trifft (ON 15 S.77). Dieser Vorplatz ist 10 bis 12 m breit und reicht bis zu einer Geländekante, von wo an das mit Felsabbrüchen durchsetzte Gelände mit einer Neigung von rund 65 Grad in Richtung Süden abfällt. Entlang dieser Geländekante befindet sich eine rund 50 cm hohe Terrassenummauerung aus Beton. An das östliche Ende der Terrasse schließt ein Bergkamm an; dort befindet sich in etwa 3 m Entfernung von der Terrasse ein Niederschlagsmeßgerät.

Am 20.2.1983 war der Kläger mit seinen Eltern auf dem Hochkar Schifahren. Zu Mittag besuchte die Familie das Bergrestaurant im Geischlägerhaus. Weil auf der Toilettenanlage großer Andrang herrschte, begab sich der Kläger ins Freie, verließ die Terrasse an deren östlichem Ende, ging am Bergkamm bis hinter das Schneemeßgerät und stieg dort etwa 5 bis 8 m zu einer Latschengruppe ab, wo er seine kleine Notdurft verrichtete. Den Rückweg schlug er jedoch unmittelbar zur Terrasse hinauf durch das steil abfallende Gelände ein. Kurz bevor er die Terrasse erreichte, rutschte er aus und stürzte etwa 300 m den steilen Abhang hinunter. Dabei erlitt er eine Gehirnerschütterung, einen Trümmerbruch des linken Oberschenkels, einen Bruch des linken Oberarms und Nervenverletzungen im Bereich des rechten Oberarms, die zu dessen Lähmung führten. Der Kläger begehrt von der Beklagten S 336.210 samt Anhang (ON 10 S 54), und zwar 230.000 S Schmerzengeld, 100.000 S als Verunstaltungsentschädigung und die Kosten für Fahrten in Krankenhäuser von insgesamt S 6.210; weiters beantragt er die Feststellung, daß ihm die Beklagte für alle in Hinkunft aus dem Ereignis vom 20.2.1983 auftretenden Schäden hafte. Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie die Terrasse gegen das anschließende, steil abfallende Gelände nicht ausreichend abgesichert habe. Ein lose an in den Schnee gerammten Holzpflöcken befestigtes Band sei nicht entlang der gesamten Südseite des Vorplatzes gezogen worden, sondern habe nur 2/3 des Vorplatzes umfaßt. Weder eine Absperrung noch eine Tafel, die auf allfällige Gefahren beim Verlassen des Vorplatzes hingewiesen hätte, habe ihn daran gehindert, die wenigen Schritte bis zur Latschengruppe zurückzulegen. Personen, die nicht mit dem Gelände vertraut seien, könnten allein daraus, daß der Abhang etwas steiler abfalle, die mit seinem Betreten verbundenen Gefahren nicht erkennen. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Seit 8. Jänner 1983 habe sie ihre Sicherungsmaßnahmen dadurch verstärkt, daß Bänder gespannt und Warntafeln aufgestellt worden seien. Im Unfallszeitpunkt sei der Vorplatz gegen das übrige Gelände bestens abgesichert gewesen; die Absicherungen seien gewissenhaft kontrolliert worden. Das Alleinverschulden am Unfall treffe sohin den Kläger; möglicherweise würden die Eltern wegen Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 1309 ABGB haften. Die Schadenersatzforderungen seien auch überhöht; Dauerfolgen des Unfalls seien nicht zu erwarten.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Er traf zusätzlich zum eingangs wiedergegebenen Sachverhalt noch folgende wesentliche Feststellungen:

Am 20.2.1983 war auf dem Vorplatz südlich des Geischlägerhauses durch Schneeräumung ein ebenes und waagrechtes Niveau geschaffen worden; am Südende des Vorplatzes ragte die schneebedeckte Terrassenummauerung ca. einen halben Meter über das Niveau dieses Platzes heraus. Außerhalb der Terrassenummauerung waren etwa 3 m lange Stangen, die bis zu 2 m aus dem Schnee herausragten, in einem Abstand von 4 bis 5 m zueinander eingeschlagen und durch zwei rot-weiße Signalabsperrbänder verbunden, von denen das eine ca. 60 cm und das andere rund 1 m vom Boden entfernt war. Diese Absperrung reichte über das östliche Ende der Terrassenummauerung hinaus bis zum Niederschlagsmeßgerät, wo die Bänder festgebunden waren. Die Absperrung wies keine Unterbrechung auf, das untere Band war jedoch möglicherweise durch Schnee verdeckt. Warntafeln waren nicht aufgestellt.

Der Kläger ging um das Schneemeßgerät herum und, weil ihm die Luftlinie von der Latschengruppe bis zum Geischlägerhaus erheblich kürzer schien als sein Anmarschweg, durch das steile Gelände zurück; er wollte sodann über die Terrassenummauerung steigen. Rechtlich vertrat der Erstrichter die Auffassung, daß die Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Auch ein Pistenerhalter habe grundsätzlich nur die ausdrücklich oder schlüssig gewidmeten Schipisten und die ausdrücklich gewidmeten Schirouten zu sichern, nicht aber das freie Schigelände außerhalb dieses Raumes. Das müsse umso mehr für Flächen gelten, die zum Schifahren gar nicht geeignet seien, wie der Steilhang, in den sich der Kläger freiwillig begeben habe. Daß die Beklagte die von ihm begangene Strecke vom Geischlägerhaus zu den Latschen östlich und unterhalb des Niederschlagsmeßgerätes und im steilen Gelände zurück begehbar gemacht hätte, habe der Kläger nicht behauptet. Die Beklagte habe keine Gefahrenquelle geschaffen, für die sie entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen gehabt hätte; weitere als die tatsächlich getroffenen Sicherungsmaßnahmen wären ihr nicht zumutbar gewesen. Auch für den im Unfallszeitpunkt erst 11 Jahre alten Kläger sei erkennbar gewesen, daß ein Abstieg in das südlich der Terrassenummauerung steil abfallende Gelände lebensgefährlich sein könne. Ein Pistenerhalter könne nicht überall dort, wo vielleicht einmal jemand - aus welchen Gründen auch immer - hingehen und abstürzen könne, Absperrungen errichten oder Warntafeln anbringen. Ein derartiges Verlangen würde in der Bergwelt sozusagen "käfigartige" Verhältnisse schaffen. Maximale Sicherheit könne im Gebirge nicht erreicht werden.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es übernahm die vom Erstrichter getroffenen Feststellungen als das Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und führte rechtlich aus:

Die Beklagte treffe sowohl als Pistenhalter als auch deshalb, weil sie es übernommen habe, für die Absicherung der Terrasse vor dem Geischlägerhaus gegenüber dem freien Gelände Sorge zu tragen, eine Verkehrssicherungspflicht. Diese beruhe auf dem Gedanken, daß derjenige, der einen Verkehr eröffne, der im Verkehr eine Gefahrenquelle schaffe oder der in seiner Sphäre eine solche bestehen lasse, für die dadurch eintretenden Schäden hafte. Hier handle es sich zwar nicht um den Unfall eines Schifahrers; die Terrasse vor dem Geischlägerhaus sei auch nicht Teil einer Schipiste, schließe aber an eine solche unmittelbar an, so daß die von der Rechtsprechung zur Haftung des Pistenhalters entwickelten Grundsätze sinngemäß heranzuziehen seien. Auch wer im Gebirge einen gastwirtschaftlichen Betrieb in Verbindung mit Liftanlagen betreibe, eröffne dadurch einen Verkehr, durch den für ihn ebensolche Verkehrssicherungspflichten entstünden wie für den Pistenhalter. Allerdings sei zu beachten, daß sich in der unmittelbaren Umgebung von Berghütten, die in der Regel an exponierten Stellen errichtet seien, überwiegend Personen befänden, die sich zu Fuß fortbewegten, und daß Schifahrer in Hüttennähe nur noch langsam führen oder stehen blieben. Gegen die besonderen Gefahren, die aus der Schnelligkeit der Fortbewegung beim Schifahren entstehen, bedürfe es daher in der Umgebung einer Berghütte keiner Sicherung. Schließe allerdings - wie hier - an eine Terrasse ein steiler und gefährlicher Geländeabbruch an, dann müsse dagegen Vorsorge getroffen werden, daß jemand von der Terrasse in dieses steile Gelände abstürze. Um anzuzeigen, daß ein bestimmter Bereich im alpinen Gelände nicht betreten werden solle, genüge im allgemeinen eine einfache Absperrung mit Holzstangen und Plastikbändern, wie sie die Beklagte hier vorgenommen habe. Damit werde insbesondere für jeden Schifahrer hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, daß das Gelände jenseits der Absperrung so gefährlich sei, daß es nicht betreten werden sollte. Im vorliegenden Fall komme noch die ungewöhnliche Steilheit (65 Grad) des abgesperrten Geländes dazu, dessen Gefährlichkeit jedermann, sohin auch einem 11-jährigen Schüler, habe bewußt sein müssen. Der Sachverhalt wäre daher nicht anders zu beurteilen, wenn die Absperrung nur so vorhanden gewesen wäre, wie es die Eltern des Klägers bekundet hätten. Der Kläger sei ja nicht zwischen dem Ende der Terrasse und dem Schneemeßgerät ab- oder aufgestiegen, sondern er habe sich bereits in einer gewissen Entfernung von der Terrasse in das ausgesetzte Gelände begeben und erst dann den schützenden Bereich der Latschengruppe verlassen. Eine allenfalls mangelhafte Absperrung der Terrasse und des daran anschließenden Geländes bis zum Schneemeßgerät sei demnach gar nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden gewesen. Zu der Latschengruppe habe nämlich der Kläger ohne Rücksicht darauf gelangen können, ob die von ihm als erforderlich angesehenen Absperrungen vorhanden waren oder nicht. Von der Beklagten zu verlangen, dagegen Vorsorge zu treffen, daß jemand aus dem allgemein zugänglichen freien Gelände unter Überquerung des an die Terrasse anschließenden Steilhanges versuche, zu dieser aufzusteigen, wäre eine Überspannung der Verkehrssicherungspflichten. Im vorliegenden Fall sei es auch höchst zweifelhaft, ob auf der Terrasse angebrachte Warntafeln den Kläger von seinem erst nach Verrichtung der Notdurft in der Latschengruppe gefaßten Entschluß, den Rückweg durch den Steilabfall zu nehmen, hätten abhalten können.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit Revision aus dem Grunde des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO, er stellt einen Abänderungsantrag auf Klagestattgebung und hilfsweise einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach Ansicht des Klägers hätte die Beklagte Warntafeln aufzustellen gehabt, weil vom Vorplatz aus zwar zu erkennen sei, daß das Gelände steil abfalle, nicht aber, daß ein allfälliger Sturz wegen der besonderen Beschaffenheit des Geländes, insbesondere der Durchsetzung mit Felsabbrüchen, 300 m in die Tiefe gehe. Sie habe den ihr obliegenden Beweis, daß der Unfall auch dann geschehen wäre, wenn solche Warntafeln vorhanden gewesen wären, nicht angetreten; deshalb hafte sie für den eingetretenen Schaden. Außerdem sei die festgestellte Absicherung als Abschrankung gegenüber einem Steilabfall von mehreren hundert Metern völlig unzureichend. Sicherlich seien auch zahlreiche andere Kinder im Bereich der Terrasse extrem gefährdet. Die Tatsache, daß der Kläger zunächst nicht in den Steilhang eingestiegen, sondern seitlich im Bogen zu einer Latschengruppe gegangen sei, ändere nichts daran, daß er infolge der mangelhaften Ausstattung der Abgrenzung der Terrasse über die bestehenden Gefahren nicht ausreichend aufgeklärt worden sei.

Diesen Ausführungen kann nicht zugestimmt werden.

Der Kläger hat seinen Schadenersatzanspruch auf die Verletzung der die Beklagte treffenden Verkehrssicherungspflicht und nicht auf irgendeine vertragliche Beziehung zur Beklagten gegründet. Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, wird allgemein anerkannt, daß jeder, der auf einem ihm gehörenden oder seiner Verfügung unterstehenden Grund und Boden einen Verkehr für Menschen eröffnet und unterhält, auch ohne Bestehen eines Vertragsverhältnisses für die Verkehrssicherheit zu sorgen hat (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2, 57; EvBl 1979/1 mwN). Er hat die Pflicht, die anderen zur Benützung eingeräumten Anlagen und Flächen in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand zu halten (SZ 48/100 mwN; SZ 54/183 uva).

Demnach war die Beklagte verpflichtet, jede Gefährdung der Benützer des Vorplatzes hintanzuhalten. Dazu gehörte selbstverständlich auch die Pflicht, dafür zu sorgen, daß niemand von dort in das nach Süden hin steil abfallende Gelände abstürzt. Damit ist aber für den Kläger nichts zu gewinnen, weil sein Unfall nicht auf einen mangelhaften Zustand des Vorplatzes, insbesonders seiner Abgrenzung zum Gelände der Umgebung, zurückzuführen ist. Er ist nicht über die Terrassenummauerung gestürzt, weil sie zu niedrig, oder durch die Abschrankung gefallen, weil sie zu schwach gewesen wäre. Die Frage, ob andere Personen wegen des Zustandes dieser Absperrung mit Plastikbändern gefährdet sein könnten, bedarf hier keiner Untersuchung. Der Kläger ist verunglückt, nachdem er den Vorplatz, für den die Beklagte verantwortlich ist, verlassen hatte. Er hat damit ebenso auf eigene Gefahr gehandelt wie etwa ein Schifahrer, der die markierte Piste verläßt und eine nicht gekennzeichnete Abfahrt benützt (EvBl 1979/1).

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, auf alle Gefahren hinzuweisen, die außerhalb der von ihr betreuten Fläche drohen; es genügt, wenn sie diese Fläche deutlich von der Umgebung abgrenzt, wie sie es ohnehin getan hat.

Der Kläger konnte selbst sehen, daß er sich im steilen Gelände bewegte; es mußte ihm klar sein, daß dies - insbesonders bei der damals vorhandenen Schneelage - mit Gefahren verbunden war. Sofern er aber die dafür erforderliche geistige Reife noch nicht gehabt haben sollte, wäre es Aufgabe seiner Eltern gewesen, ihn in den Bergen nicht aus den Augen zu lassen. Der Beklagten kann dagegen unter diesen Umständen kein Schuldvorwurf gemacht werden. Das angefochtene Urteil war demgemäß zu bestätigen. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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