OGH 7Ob594/87

OGH7Ob594/874.6.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Anna W***, geboren am 25. Juli 1925 in Pruggern, Hausfrau, Weißenbach 170, vertreten durch Dr. Alois Kitzmüller, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagte und widerklagende Partei Anton W***, geboren am 11. Dezember 1927 in Bataszek, Pensionist, Weißenbach 170, vertreten durch Dr. Heinrich Wallner, Rechtsanwalt in Liezen, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26. Februar 1987, GZ 5 R 20,21/87-25, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 26. November 1986, GZ 5 Cg 258/86-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit S 5.657,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 514,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 20. August 1949 geheiratet. Der Ehe entstammen vier bereits volljährige Kinder. Beide Teile sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war Weißenbach bei Liezen.

Die Klägerin und Widerbeklagte (im folgenden nur Klägerin) begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten, weil dieser durch sein liebloses Verhalten und durch seine ehewidrigen Beziehungen zu Istvanne K*** die Ehe unheilbar zerrüttet habe. Der Beklagte und Widerkläger (im folgenden nur Beklagter) bestreitet die ihm angelasteten Eheverfehlungen, hält das Scheidungsbegehren der Klägerin sittlich nicht für gerechtfertigt und ihr Recht auf Scheidung durch Fristablauf für erloschen. Er begehrt seinerseits die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin. Sie sei krankhaft eifersüchtig, habe ihre eheliche Beistandspflicht verletzt, ihre Urlaube allein verbracht, die eheliche Gemeinschaft grundlos aufgegeben, Zeugen zu bestechen versucht, ehewidrige Beziehungen zu Gyula F*** unterhalten und den Beklagten des Diebstahls eines Schmuckstückes bezichtigt.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes verlief die Ehe durch rund 20 Jahre im wesentlichen gut. Der Beklagte neigte allerdings dazu, mit anderen Frauen Verbindungen einzugehen. So holte ihn die Klägerin einmal aus einem Holzschuppen, in dem er sich mit einem jungen Mädchen aufgehalten hatte. Ein anderes Mal fand die Klägerin Liebesbriefe einer Mitbediensteten des Beklagten, worauf er in einer von der Klägerin herbeigeführten Aussprache erklärte, mit dieser Frau überallhin mitzugehen. Die Streitteile einigten sich jedoch, noch einmal "frisch anzufangen". Die Klägerin vernichtete hierauf die in ihren Händen befindlichen Liebesbriefe. Später stritt der Beklagte jede Beziehung zu dieser Frau ab. Ab dem Jahre 1964 fuhren die Streitteile öfters nach Ungarn, in die Heimat des Beklagten, auf Urlaub. Hiebei wohnten sie bei Verwandten oder Bekannten. Da die Klägerin nicht ungarisch spricht, fungierte der Beklagte als Dolmetsch. Im Jahre 1981 verbrachten die Streitteile ihren Urlaub in Ungarn bei einer bekannten Familie. Über Einladung dieser Familie fuhren sie auch im Jahre 1982 dorthin. Während des Urlaubes lernte der Beklagte 1982 die in der Nähe wohnhafte verheiratete, jedoch von ihrem Mann getrennt lebende Istvanne K*** kennen, die mit ihrer Mutter in einem großen Haus wohnte. Dieses Wohnhaus sieht dem Elternhaus des Beklagten sehr ähnlich. Die Mutter der Istvanne K*** bot dem Beklagten ein Zimmer in ihrem Haus an. Der Beklagte gab daraufhin der Klägerin zu verstehen, daß sie nunmehr nicht mehr mit ihm gemeinsam nach Ungarn fahren könne, da sie auf seine Mutter schauen müsse. Er wolle einmal allein wegfahren und das Dolmetschen verursache ihm Kopfschmerzen. Zur Weinlese 1982 fuhr der Beklagte bereits allein nach Ungarn. Er nahm das Anbot der Mutter der Istvanne K*** an und bewohnte während seines Ungarnaufenthaltes in deren Haus ein Zimmer. Der Beklagte half im Haus und im Weingarten mit und freundete sich mit Istvanne K*** an. Als er von diesem Urlaub heimkehrte, verhielt er sich der Klägerin gegenüber so, als zu der Zeit, zu der er mit einer Mitbediensteten Beziehungen unterhalten hatreB In der Folge schrieb Istvanne K*** dem Beklagten in ungarischer Sprache immer wieder Briefe. Diese ließ der Beklagte anfänglich offen in der Wohnung liegen, später las er sie heimlich und versteckte sie. Auch der Beklagte entwarf Antwortbriefe in ungarischer Sprache. In ihren Briefen beteuerte Istvanne K*** ihre Liebe und innige Beziehung zum Beklagten, sie verweist verschiedentlich auf die stattgefundenen intimen Beziehungen, insbesondere auf ihr Empfinden, als wäre der Beklagte neben ihr in ihrem Bett. Sie spüre, wie er sie streichle und hoffe, daß sie wieder sein Streicheln verspüren werde. Sie nennt ihn mehrfach ihren Liebling, schickt ihm Millionen Küsse und gibt ihrer Erwartung auf sein baldiges Kommen und Beisammensein Ausdruck. In den Briefen, die der Beklagte für die Istvanne K*** entwarf, nennt er sie Herzchen und goldiges kleines schmutziges Kätzchen. Er versichert sie seiner Liebe und schickt ihr gleichfalls Millionen Küßchen. Der Beklagte war mit Istvanne K*** während seiner Ungarnaufenthalte sehr viel zusammen, beide besuchten Veranstaltungen und machten gemeinsame Ausflüge. Sie unterhielten intime Beziehungen. Der Beklagte machte Istvanne K*** und ihren beiden ehelichen Kindern Geschenke und verbrachte seine Freizeit nahezu zur Gänze mit ihr. Im Mai, September und Dezember 1983 hielt er sich jeweils wochenlang in Ungarn bei Istvanne K*** auf. Istvanne K*** erkrankte an Leukämie. Sie mußte sich mehrfach in Krankenhausbehandlung begeben und teilte dies dem Beklagten auch mit. Dieser tröstete sie brieflich, machte ihr und ihrer Familie Geschenke und sprach ihr Mut zu. Die Mutter des Beklagten, die im gemeinsamen Haushalt der Streitteile lebt, unterstützte den Beklagten. Die Klägerin fühlte sich "ins Abseits" gedrängt, zog aus dem gemeinsamen Schlafzimmer aus und brachte im Juli 1984 die Scheidungsklage ein. Der Beklagte versuchte sie mit einem Schmuckstück zu versöhnen, was ihm auch gelang. Die Klägerin mußte jedoch erkennen, daß der Beklagte weiterhin Briefe aus Ungarn bekommt und auch selbst dorthin schreibt. Es gelang ihr eine Anzahl solcher Briefe in einem Versteck aufzufinden. Sie fertigte davon Fotokopien an und legte die Originale wieder ins Versteck zurück. Ein der ungarischen Sprache mächtiger Arbeiter, klärte die Klägerin über den ungefähren Inhalt der Briefe auf. Daraus konnte die Klägerin ersehen, daß der Beklagte seine Beziehungen zu Istvanne K*** noch nicht abgebrochen hat. Als die Klägerin erkannte, daß der Beklagte nach wie vor seine Beziehungen zu Istvanne K*** aufrecht erhält und dies auch nach einer Rückkehr aus Ungarn bekräftigte, gab sie ihm das geschenkte Schmuckstück zurück.

Im Herbst 1984 unternahmen die Familienmitglieder den Versuch, die Streitteile zu versöhnen. Dieser Versuch scheiterte an der Weigerung der Klägerin, die Fotokopien der Briefe herauszugeben. Mit ihrem Auszug aus dem gemeinsamen Schlafzimmer hatte sich auch das Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter verschlechtert, die das Verhalten der Klägerin nicht nur in der Familie, sondern auch außerhalb derselben kritisierte. Sie stellte die Klägerin als unwirtschaftlich hin und beschwerte sich über sie. Der Beklagte stellte sich hiebei nicht hinter die Klägerin. Die Sticheleien der Schwiegermutter waren auch der Anlaß, daß die Klägerin die Haushaltsführung für den Beklagten einstellte und sich in die von ihr benützten Räumlichkeiten im Obergeschoß des Hauses zurückzog. Mit 1. Jänner 1985 ging der Beklagte in Pension. Ab diesem Zeitpunkt verbrachte er monatlich 10 bis 14 Tage in Ungarn. Die Klägerin, die berufstätig ist, führte auch ihr eigenes Leben, verbrachte den Urlaub im Ausland und nahm an Ausflügen und Ausfahrten teil, ohne den Beklagten hiezu einzuladen. Am 5. Mai 1986 verstarb Istvanne K***. Der Beklagte fährt nach wie vor nach Ungarn, bewohnt das gleiche Zimmer, das er zu Lebzeiten der Istvanne K*** bewohnte und hält die enge Verbindung zu ihren Familienmitgliedern aufrecht. Nach der Scheidungsverhandlung fuhr die Klägerin im August 1986 nach Ungarn, um zu klären, ob es sinnvoll ist, Zeugen aus Ungarn für die nächste Verhandlung stellig zu machen. Sie bediente sich bei ihren Erkundigungen eines Ehepaares als Dolmetsch. Ihr diesbezügliches Unternehmen führte jedoch zu keinem Erfolg. Beide Streitteile sind nicht mehr gewillt, die Ehe fortzusetzen. Nach der Auffassung des Erstgerichtes sei die Ehe der Streitteile unheilbar zerrüttet, weil keiner der Ehegatten mehr gewillt sei, die Ehe fortzusetzen. Beide Teile treffe ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe. Der Beklagte habe durch seine ehewidrigen und ehebrecherischen Beziehungen zu Istvanne K*** die Zerrüttung der Ehe herbeigeführt, die Klägerin habe durch ihren Auszug aus dem Schlafzimmer und durch Einstellung der Haushaltsführung zur Zerrüttung beigetragen. Die Eheverfehlungen des Beklagten seien jedoch weitaus schwerwiegender, sodaß der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten gerechtfertigt sei. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung. Das Berufungsgericht teilte auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zum behaupteten Verfahrensmangel ist der Revisionswerber darauf hinzuweisen, daß die Parteienaussage das fehlende Sachvorbringen nicht ersetzen kann. Die Behauptung, daß die vom Berufungsgericht zutreffend als unzulässige Neuerungen behandelten Tatsachenbehauptungen und Beweisanbote bereits in erster Instanz vorgebracht worden seien, ist unzutreffend. Mit den Revisionsausführungen zur Aktenwidrigkeit wendet sich der Beklagte nur gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, deren Bekämpfung im Revisionsverfahren jedoch unzulässig ist. Von einer weiteren Begründung der Beurteilung, daß der geltend gemachte Verfahrensmangel und die Aktenwidrigkeit nicht vorliegen, wird gemäß § 510 Abs. 3 ZPO Abstand genommen.

Auch die Rechtsrüge ist unberechtigt. Das Ersturteil wurde nur vom Beklagten im Ausspruch über das Verschulden angefochten, nicht auch von der Klägerin, sodaß es unerörtert bleiben kann, ob der Klägerin zu Recht ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe angelastet wurde. Grundsätzlich kann nämlich einem Ehegatten ein der unheilbaren Zerrüttung der Ehe nachfolgendes ehewidriges Verhalten nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn die Ehe durch schwere und beharrliche Treuepflichtverletzungen des anderen bereits unheilbar zerrüttet ist (vgl. EFSlg. 34.051). Zutreffend hat schon das Berufungsgericht den Beklagten darauf hingewiesen, daß er offensichtlich den Sinn des § 49 zweiter Satz EheG völlig verkennt. Der Zweck dieser Bestimmung ist es, zu verhindern, daß derjenige Ehegatte, der durch sein Verhalten die Ehe schon geraume Zeit mißachtet hat, aufgrund seiner Scheidungsklage von der Ehe loskommt, wenn der andere Teil auch Eheverfehlungen begeht, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Eheverfehlungen des Klägers stehen oder von diesen bei weitem überwogen werden (EFSlg. 38.715 ua). Aufgrund des fortgesetzten ehebrecherischen Verhältnisses des Beklagten, daß das der Klägerin als Eheverfehlung angelastete Verhalten erst verursachte, könnte sich im vorliegenden Fall berechtigterweise nur die Klägerin, nicht aber der Beklagte auf die Verwirkungsklausel berufen. Beizupflichten ist dem Berufungsgericht auch darin, daß ein fortgesetztes ehewidriges Verhalten als Einheit aufzufassen ist (EFSlg. 41.266 ua), sodaß auch von einer Verfristung des Rechtes der Klägerin auf Scheidung keine Rede sein kann, setzte doch der Beklagte das ehewidrige Verhältnis zu Istvanne K*** auch im Jahre 1985 bis zu deren Ableben am 5. Mai 1986 fort. Dem Umstand, daß die Klägerin ihren Fortsetzungsantrag nicht noch zu Lebzeiten der Istvanne K*** gestellt hat, kommt keine Bedeutung zu. Richtig ist, daß der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens nur gerechtfertigt ist, wenn die Schuld des einen Ehegatten erheblich schwerer wiegt und das Verschulden des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg. 48.832 ua). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann aber im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein. Der Beklagte hat durch die Aufnahme des ehebrecherischen Verhältnisses zu Istvanne K*** die Zerrüttung der Ehe nicht nur eingeleitet, sondern durch Fortsetzung dieses Verhältnisses gegen den erklärten Willen der Klägerin und ungeachtet ihrer Versöhnungsbereitschaft die Zerrüttung zu einer unheilbaren gemacht. Diesen schweren und fortgesetzten Treuepflichtverletzungen gegenüber tritt das der Klägerin angelastete Verhalten fast völlig zurück. Soweit die Revision davon ausgeht, daß der Klägerin das Verhalten des Beklagten egal gewesen und sein Verhalten nur eine Folge der Vernachlässigung durch die Klägerin gewesen sei, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt und ist nicht gesetzmäßig ausgeführt. Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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