Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
"Das Klagebegehren, die zweit- und drittbeklagte Partei seien zur ungeteilten Hand schuldig, an die klagende Partei den Betrag von S 99.000 samt 4 % Zinsen seit Klagszustellung binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen und es werde festgestellt, daß die zweit- und drittbeklagte Partei dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 27.8.1982 auf der Reschenschnellstraße S 15 bei Kilometer 16,2 südwestlich von Ried im Oberinntal für alle zukünftigen Schäden haften, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei bis zur Höhe der zum Unfallszeitpunkt aufrechten Versicherungssumme beschränkt sei, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der zweit- und drittbeklagten Partei die mit S 10.705,68 bestimmten Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens (darin sind S 973,26 an Umsatzsteuer enthalten), die mit S 18.370,91 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin sind S 8.000,-- an Barauslagen und S 942,81 an Umsatzsteuer enthalten) je zur Hälfte binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."
Die klagende Partei ist schuldig, den zweit- und drittbeklagten Parteien je zur Hälfte die mit S 16.223,63 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 10.000,-- an Barauslagen und S 565,78 an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt von den beklagten Parteien zur ungeteilten Hand die Zahlung eines Schmerzengeldbetrages von S 99.000 sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien aus dem näher bezeichneten Verkehrsunfall vom 27.8.1982 für alle künftigen Schäden, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei bis zur Höhe der zum Unfallszeitpunkt aufrechten Versicherungssumme beschränkt sei. Der Zweitbeklagte sei Lenker eines von der erstbeklagten Partei gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten Kleinbusses gewesen. Er sei eingeschlafen, dadurch auf die Gegenfahrbahn geraten und dort mit einem entgegenkommenden PKW zusammengestoßen. Der Kläger habe bei diesem Unfall die näher bezeichneten schweren Verletzungen erlitten, an deren Folgen er heute noch leide. Der Zweitbeklagte sei wegen dieses Unfalles rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden. Gemäß dem § 369 StPO sei er zur Zahlung eines Schmerzengeldbetrages von S 1.000 an den Kläger als Privatbeteiligten verhalten worden. Die erst- und zweitbeklagten Parteien hafteten nach den Bestimmungen des EKHG, die drittbeklagte Partei nach dem § 63 KFG. Der Zweitbeklagte sei nicht Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG gewesen. Das Gericht sei an den Zuspruch eines Schmerzengeldbetrages von S 1.000 gebunden. Da die drittbeklagte Partei diesen Betrag gezahlt habe, liege ein Anerkenntnis vor. Im Hinblick auf Dauerfolgen sei das Feststellungsbegehren erforderlich.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Zweitbeklagte habe im Auftrag seines Arbeitgebers, der erstbeklagten Partei, die in Rum bei Innsbruck eingesetzten Arbeiter mit dem Firmenbus nach Hause gebracht. Auf dieser Fahrt habe sich der Unfall ereignet, der somit als Arbeitsunfall zu qualifizieren sei. Der Zweitbeklagte sei Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG gewesen, sodaß er von einer Haftung ausgeschlossen sei. Das gleiche gelte für die erstbeklagte Partei, weil ein vorsätzliches Verhalten nicht vorliege. Somit entfalle auch eine Haftung der drittbeklagten Partei. Aus der Zahlung des vom Strafgericht zugesprochenen Schmerzengeldbetrages von S 1.000 durch die drittbeklagte Partei könne ein Anerkenntnis nicht mit Erfolg abgeleitet werden, weil diese nach dem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag verpflichtet gewesen sei, den Zweitbeklagten von dieser Leistung zu befreien. Sie sei daher berechtigt, den Haftungsausschluß nach dem § 333 ASVG geltend zu machen.
Das Erstgericht gab dem Zahlungs- und Feststellungsbegehren in Ansehung der zweit- und drittbeklagten Parteien statt und wies das die erstbeklagte Partei betreffende Klagebegehren - insoweit rechtskräftig - ab. Es traf folgende für das Revisionsverfahren noch wesentliche Feststellungen:
Am 27.8.1982 kam es auf der Reschenschnellstraße zu einem Verkehrsunfall, an dem der Zweitbeklagte als Lenker eines Kleinbusses beteiligt war. Halter dieses bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten Kleinbusses war die erstbeklagte Partei. Der Zweitbeklagte geriet mit seinem Kraftfahrzeug auf die Gegenfahrbahn und prallte frontal gegen einen entgegenkommenden PKW. Hiebei erlitt der Kläger die näher festgestellten schweren Verletzungen mit Dauerfolgen.
Der Zweitbeklagte war bei der erstbeklagten Partei als Arbeiter beschäftigt. Am 27.8.1982 erhielt er den Auftrag, anstelle seines im Urlaub befindlichen Vaters mit dem Firmenbus (der erstbeklagten Partei) mehrere im Tiroler Oberland wohnhafte Arbeitnehmer von der Arbeitsstelle nach Hause zu bringen. Die Heimfahrt war im Betrieb der erstbeklagten Partei so organisiert, daß Heimfahrtlisten erstellt wurden, in welche die Teilnehmer eingetragen wurden, die in einem bestimmten Bus mitfuhren. Diese Liste wurde dem eingeteilten Fahrer zur Kenntnis gebracht. Auf Grund dieser Liste ergab sich eine bestimmte Fahrtroute, die der eingeteilte Fahrer einzuhalten hatte. Die Mitfahrer wurden vom Fahrer jeweils an Einsteigstellen abgesetzt. Der Fahrer hatte keinerlei Weisungen an seine Mitfahrer zu erteilen. Die Fahrtroute wurde von der erstbeklagten Partei festgelegt. Der Fahrer durfte keine Umwege machen. Er erhielt den Auftrag, nach Abschluß der Heimfahrt den Bus an seinem Wohnort stehen zu lassen. Privatfahrten waren ihm untersagt. Zum Arbeitsbeginn hatte er die bei ihm mitfahrenden Arbeitnehmer abzuholen und dafür zu sorgen, daß diese am Arbeitsplatz wieder rechtzeitig eintrafen. Die Aussteigstellen waren dem Fahrer zwar nicht von vornherein vorgegeben, doch hatte er den kürzesten Weg zu wählen. Im konkreten Fall beruhten die Einsteigstellen nicht auf Anweisungen der erst- oder zweitbeklagten Partei; sie hatten sich vielmehr auf Grund längerer Übung eingebürgert. Weder der Kläger noch die mitfahrenden Arbeitnehmer äußerten Sonderwünsche. Die Aussteigstelle des Klägers lag nicht unmittelbar vor seinem Wohnhaus, sondern an der Straße, wo er abgesetzt wurde. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Zweitbeklagte dem Kläger oder den anderen mitfahrenden Arbeitnehmern übergeordnet gewesen wäre und daß er ihnen Weisungen hätte erteilen können, die über das übliche, sich aus der Straßenverkehrsordnung ergebende Maß hinausgereicht hätten. Im Falle einer Panne war der Zweitbeklagte für den Bus verantwortlich. Eine allfällige Mithilfe "kann nur im Sinne einer kameradschaftlichen Zusammenarbeit festgestellt werden, nicht jedoch im Hinblick auf ein Verhältnis 'Vorgesetzter - Untergebener'". Die Unfallsfahrt wurde ebenfalls unter diesen Bedingungen durchgeführt.
Der Zweitbeklagte wurde wegen dieses Unfalls rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Er wurde ferner gemäß dem § 369 StPO zur Zahlung eines Betrages von S 1.000 an den Kläger verurteilt. Die drittbeklagte Partei erlegte diesen auf Schmerzengeld entfallenden Teilbetrag sowie die Kosten der Privatbeteiligtenvertretung in der Höhe von S 10.722 am 24.5. und am 4.6.1985.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, der gegenständliche Wegunfall sei ein Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG. Da bezüglich der erstbeklagten Partei, der Arbeitgeberin des Zweitbeklagten, eine vorsätzliche Verursachung dieses Unfalles nicht einmal behauptet worden sei, komme ihr das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG zugute. Eine Bindung des rechtskräftigen Strafurteils einschließlich der Entscheidung im Adhäsionsverfahren bestehe nur hinsichtlich der Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit der Verletzung des Klägers durch den Zweitbeklagten sowie des Zuspruchs eines Betrages von S 1.000 an Schmerzengeld. Mangels Weisungsbefugnis der Zweitbeklagten gegenüber den im Kleinbus mitfahrenden Arbeitnehmern sei dieser nicht Aufseher im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG gewesen. Daß die Fahrt auf Grund eines Dienstauftrages erfolgt und im Interesse der erstbeklagten Partei gelegen sei, reiche für die Annahme der Aufsehereigenschaft nicht aus.
Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung des Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei diese Entscheidung. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch, traf die gleichen Feststellungen wie das Erstgericht und billigte dessen Rechtsauffassungen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der zweit- und drittbeklagten Parteien mit dem Antrag, das angefochtene Urteil auch hinsichtlich der Revisionswerber abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, kommt es für die Annahme einer Aufsehereigenschaft im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG vor allem darauf an, ob der Arbeitnehmer zur Unfallszeit eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war. Bei der Beförderung von Personen ist zu unterscheiden, ob der Lenker für ihre Sicherheit nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich war oder ob er ihnen gegenüber noch darüber hinausreichende Befugnisse und Pflichten hatte (SZ 51/128 mwH). Ein Arbeitnehmer, der einen im selben Betrieb arbeitenden Kollegen im eigenen Kraftwagen (oder auch in einem Dienstfahrzeug) in den Betrieb oder zu einer anderen Arbeitsstätte mitnimmt, ohne daß ihm diese Beförderung vom gemeinsamen Arbeitgeber aufgetragen worden wäre, führt diese Fahrt nicht im Namen des Betriebes und nicht in Erfüllung einer Dienstpflicht aus. Er ist nur ein "gewöhnlicher" Kraftwagenlenker und daher nicht Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG. Einer solchen, auf Gefälligkeit beruhenden Mitnahme von Arbeitskollegen im eigenen PKW oder im PKW des Dienstgebers kann aber die vorliegende Beförderung von Betriebsangehörigen an einen bestimmten Arbeitsplatz (oder vom Arbeitsplatz zum Wohnort), die auf einer Anordnung des Arbeitgebers beruhte, nicht ohne weiteres gleichgehalten werden. Wer einen solchen Auftrag seines Arbeitgebers befolgt, hat insoweit eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation zu erfüllen. Er ist somit "Aufseher im Betrieb". Maßgebend ist, daß der beförderte Arbeitskollege hier nicht aus persönlicher Gefälligkeit, sondern im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufgaben mitgenommen wird (Art. 10.429, 8660; ZVR 1974/97; ZVR 1984/23 mwH; 4 Ob 51/84 ua). Ein solcher Arbeitnehmer hat nicht nur für die persönliche Sicherheit der Mitfahrer zu sorgen, sondern darüber hinaus deren Transport nach den Interessen des Betriebes sachgemäß durchzuführen und gewissermaßen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die im Einzelfall über die Vorschriften betreffend den Straßenverkehr hinausreichen kann, gegenüber seinen Arbeitskollegen zu gewährleisten. Diese erweiterte Verantwortung hat ein entsprechendes zeitlich und umfänglich naturgemäß sehr eingeschränktes Weisungsrecht des Lenkers während der Fahrt zur Folge (Arb. 9094, 8943, 8919; ZVR 1984/23; 4 Ob 177/82 ua.). Diese Voraussetzungen eines Aufsehers im Betrieb lagen entgegen der Meinung der Untergerichte im Unfallszeitpunkt vor. Der Zweitbeklagte hatte als Busfahrer im Auftrag seines Arbeitgebers, der erstbeklagten Partei, Arbeitnehmer des gemeinsamen Arbeitgebers, also Arbeitskollegen, mit einem firmeneigenen Kleinbus von der Arbeitsstelle nach Hause und am nächsten Arbeitstag von zu Hause nach der Arbeitsstelle zu bringen. Er hatte dafür zu sorgen, daß die von ihm beförderten Arbeitskollegen rechtzeitig am Arbeitsplatz eintrafen. Diese Verantwortung setzte voraus, daß dem Zweitbeklagten eine Einflußnahme auf den jeweiligen Zeitpunkt zustand, zu dem er seine Arbeitskollegen abholte. Daß eine bestimmte Wegstrecke aus ökonomischen Gründen vorgegeben war, von der der Zweitbeklagte nicht abweichen durfte, ergab sich aus der besonderen Sachlage. Dies ändert aber nichts daran, daß er, wenn auch in einem beschränkten Teilbereich, insoweit eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation über Auftrag des gemeinsamen Arbeitgebers zu erfüllen hatte. Er beförderte diese Arbeitskollegen nicht etwa aus persönlicher Gefälligkeit, sondern in Abwicklung der ihm übertragenen Aufgaben im Rahmen eines wenn auch eingeschränkten Pflichtenkreises und einer mit einer gewissen Selbständigkeit verbundenen Stellung. Für diesen Teilbereich oblag ihm, über die Vorschriften betreffend den Straßenverkehr hinaus, die Obsorge für eine sichere Beförderung und insoweit auch die Aufsicht über die mitfahrenden Personen (ZVR 1972/120). Daß ihm ein Weisungsrecht nicht ausdrücklich eingeräumt worden ist, vermag an dieser aus den dargelegten Gründen eine Aufsehereigenschaft im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG begründenden betrieblichen Funktion nichts zu ändern. Daraus folgt jedoch der Haftungsausschluß des Zweitbeklagten und der - eine Haftung des Zweitbeklagten
voraussetzenden - drittbeklagten Partei. In der Zahlung des vom Strafgericht im Adhäsionsverfahren dem Privatbeteiligten (nunmehr Kläger) zugesprochenen Betrages von S 1.000 sowie der Kosten der Privatbeteiligung durch die drittbeklagte Partei kommt weder ein Anerkenntnis noch ein Verzicht auf die Einwendung des Haftungsprivilegs des § 333 Abs 4 ASVG zum Ausdruck, weil die drittbeklagte Partei insoweit nur ihren Verpflichtungen aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag nachgekommen ist.
Der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SZ 51/128 lag nicht - wie hier - eine vom Arbeitgeber organisierte Fahrt zur Arbeit und von der Arbeit zugrunde, so daß für die Auffassung des Berufungsgerichts nichts zu gewinnen ist.
Der berechtigten Revision war daher Folge zu geben und das gesamte Klagebegehren auch hinsichtlich der zweit- und drittbeklagten Parteien abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.
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