OGH 6Ob569/87

OGH6Ob569/8714.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** S***, vertreten durch das Amt der Salzburger

Landesregierung, Abt. X, 5010 Salzburg, Michael-Pacher-Straße 36, vertreten durch Dr. Anton Dick, Dr. Norman Dick, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Dkfm. Peter P***, Kaufmann, 4866 Unterach, Oberburgau, vertreten durch Dr. Wolfgang Lirk, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 3,000.000,-- infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13. Jänner 1987, GZ. 4 R 64/86-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 30. Dezember 1985, GZ. 13 Cg 192/85-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei hat der B*** Möbelfabrik

Dkfm. P*** Gesellschaft mbH (im folgenden: B*** GesmbH) zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens und zur Erhaltung der Arbeitsplätze im Jänner 1982 ein unverzinsliches, in den ersten drei Jahren tilgungsfreies Darlehen von drei Millionen Schilling mit einer Gesamtlaufzeit von zehn Jahren gewährt. Ein weiteres Darlehen in der Höhe von sechs Millionen Schilling erhielt die B*** GesmbH. von der R*** Ö***. Die Sanierung des Unternehmens ist jedoch nicht gelungen. Über das Vermögen der Darlehensschuldnerin wurde mit Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 13. April 1984 (S 29/84) der Konkurs eröffnet. Für diesen Fall sahen die Darlehensverträge die sofortige Rückzahlung des Darlehens samt 8 % Verzugszinsen vor. Beide Darlehensforderungen haften zur Gänze unberichtigt aus. Der Beklagte war Geschäftsführer und Gesellschafter der B*** GesmbH. Er hat sich der klagenden Partei gegenüber am 4. Jänner 1982 solidarisch zur Rückzahlung des Darlehens bis zum Höchstbetrag von drei Millionen Schilling verbürgt. Nunmehr wird er aus dieser Bürgschaft mit dem Begehren in Anspruch genommen, der klagenden Partei den Klagsbetrag samt 8 % Zinsen seit 1. Mai 1984 zu zahlen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Seinen Behauptungen zufolge sollte mit der Bürgschaftserklärung nur sichergestellt werden, daß er dem Unternehmen zur Durchziehung des erarbeiteten Sanierungskonzepts zur Verfügung stehe. Die klagende Partei sei sich von Anfang an darüber klar gewesen, daß der Beklagte mangels eigenen Vermögens die Bürgschaftsverpflichtung nicht werde erfüllen können. Einen diesbezüglichen Einwand des Beklagten habe die klagende Partei damit beantwortet, daß die Bürgschaftserklärung eine reine Formsache sei. Sie stelle sich daher als eine von der klagenden Partei akzeptierte Scheinerklärung dar, um den Formvorschriften Genüge zu tun. Jedenfalls habe dem Beklagten der Verpflichtungswille im Sinne des § 869 ABGB gefehlt, was der klagenden Partei allein schon auf Grund seiner Vermögenssituation klar gewesen sei. Die Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung sei von Anfang an geradezu unmöglich im Sinne des § 878 ABGB gewesen. Der Bürgschaftsvertrag sei auch aus dem Grunde des § 879 Abs. 2 Z 4 ABGB nichtig; die Bürgschaftserklärung sei in einer Zwangslage abgegeben worden. Die Zwangslage habe darin bestanden, daß man den Beklagten für die Insolvenz des Familienunternehmens und den Verlust von 120 Arbeitsplätzen in seiner Heimatgemeinde B*** verantwortlich gemacht hätte. Der Beklagte sei diesbezüglich auch massiven Drohungen ausgesetzt gewesen. Im übrigen könne es nicht dem Wesen der Bürgschaft entsprechen, daß ihm gleichsam eine Arbeitsplatzgarantie für 120 Beschäftigte abgenötigt worden sei. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es führte aus, der Beklagte habe den ihm oblegenen Beweis, seine Bürgschaftsverpflichtung habe nur rein formellen Charakter gehabt und hätte im Falle eines Scheiterns der Sanierungsbemühungen gar nicht zum Tragen kommen sollen, nicht erbracht. Das Wissen um die Bedeutung und Tragweite einer Bürgschaftserklärung habe der Beklagte selbst einbekannt. Eine allfällige Mentalreservation sei unbeachtlich. Es liege aber auch kein Anhaltspunkt für eine Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages im Sinne des § 879 ABGB vor, weil das mit dem verbürgten Darlehen verfolgte Sanierungskonzept Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Die hiefür maßgeblichen Feststellungen lauten wie folgt:

Die B*** GesmbH war bereits im Jahre 1981 in beträchtliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Deshalb hat sich der Beklagte mit Stellen, wie der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Salzburg, dem Land und dem Arbeitsamt wegen einer Unterstützung in Verbindung gesetzt. Ing. Josef H*** wurde beauftragt, als Betriebsberater mit der Finanzierungsgarantiegesellschaft Möglichkeiten einer Weiterführung der B*** GesmbH zu suchen. Nach Prüfung der Gesellschaft kam Ing. Josef H*** zu einem positiven Ergebnis, daß heißt, daß das Unternehmen weitergeführt werden könne, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß öffentliche Stellen, die Hausbank und der Betrieb die in dem Gutachten aufgezeigten Sanierungsmöglichkeiten durchziehen. In diesem Zusammenhang haben verschiedene Gespräche zwischen dem Beklagten und Vertretern der Landesregierung bzw. des Arbeitsamtes Salzburg stattgefunden. Eine überprüfung der persönlichen Vermögensverhältnisse des Beklagten wurde nicht durchgeführt. Mit Schreiben vom 28. Dezember 1981 teilte das Amt der Salzburger Landesregierung dem Beklagten mit, daß die Fondskommission des Salzburger Strukturverbesserungsfonds sein Ansuchen um Gewährung von Förderungsmitteln zur Sicherung von 110 Arbeitsplätzen positiv entschieden hätte. Gleichzeitig wurden ein Schuldschein und ein Bürgschaftsvertrag zur Unterfertigung übermittelt. Der Beklagte war auch anläßlich von Gesprächen beim Arbeitsamt Salzburg auf die Notwendigkeit einer Bürgschaftsverpflichtung mit der Begründung hingewiesen worden, daß das Bundesministerium dies verlange. Eine Erklärung seiner Gesprächspartner in der Form, daß die Bürgschaft für den Fall des Scheiterns des Sanierungskonzeptes überhaupt nie zum Tragen komme, wurde nicht abgegeben. Der Beklagte war sich als Kaufmann und Hochschulabsolvent über das Wesen eines Bürgschaftsvertrages im klaren. Hätte er nicht unterschrieben, wäre allerdings die Sanierungsaktion gefährdet gewesen. Diesbezüglich stand der Beklagte unter einem gewissen wirtschaftlichen und persönlichen Druck, weil ein Großteil der Arbeitnehmer aus seiner Heimatgemeinde B*** stammte. Mit Datum vom 4. Jänner 1982 hat der Beklagte sowohl den Schuldschein als auch den Bürgschaftsvertrag, nachdem er beide Urkunden zu sich nach Hause mitgenommen hatte, unterfertigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und legte sie seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde. Es führte aus, in bezug auf die Bürgschaftsverpflichtung liege weder ein Scheingeschäft im Sinne des § 916 ABGB vor, noch sei die Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung dem Beklagten "geradezu unmöglich" (§ 878 ABGB), weil sich seine wirtschaftliche Lage ändern und somit auch verbessern könnte. Auch die Kenntnis der klagenden Partei von einer allfälligen Mentalreservation des Beklagten sei nicht erwiesen, so daß schon deshalb von mangelnder Ernstlichkeit des Verpflichtungswillens des Beklagten keine Rede sein könne. Ebenso liege Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages wegen Wuchers gemäß § 879 Abs. 2 Z 4 ABGB nicht vor. Die Nichtigkeitssanktion nach dieser Gesetzesstelle setze nämlich neben der Störung der Willensbildung auch eine solche der Äquivalenz der beiderseitigen Leistungen voraus. Worin eine solche Äquivalenzstörung im vorliegenden Fall liegen solle, sei nicht ersichtlich, habe doch die klagende Partei das Risiko übernommen, in die Sanierung eines Unternehmens drei Millionen Schilling zu investieren. Die Feststellungen des Erstgerichtes ließen nur eine moralische Zwangslage des Beklagten bei Übernahme der Bürgschaft erkennen. Eine derartige Situation erfülle den Tatbestand des § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB nicht. Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Beklagte beruft sich in seinem Rechtsmittel an die dritte Instanz nur mehr auf von der klagenden Partei durchschaute Mentalreservation und auf Nichtigkeit der Bürgschaft wegen Wuchers nach § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB. Beide auf Unwirksamkeit der Bürgschaft abzielende Einwendungen sind jedoch nicht berechtigt. Durchschauter geheimer Vorbehalt ist die Kenntnis des Erklärungsempfängers von der Mentalreservation des Erklärenden. Er zieht nach der Rechtsprechung (SZ 56/11 uva; vgl. jedoch Rummel in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 869 mwN) zwar die Unwirksamkeit der Willenserklärung und damit des Vertragsabschlusses nach sich, doch setzt er positives Wissen des Erklärungsempfängers von der Mentalreservation voraus. Ein solcher Beweis ist dem Beklagten im Verfahren erster Instanz mißlungen. Soweit er in der Revision dennoch davon ausgeht, entfernt er sich von den erstgerichtlichen Feststellungen. Daß der Vertragspartner den geheimen Vorbehalt bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte bemerken können, ist dagegen ohne Bedeutung, weil eine Nachforschungspflicht in dieser Richtung nicht besteht (SZ 56/11 ua).

Soweit der Beklagte nach wie vor Wucher geltend macht, übersieht er, daß dieser Tatbestand jedenfalls eine erhebliche Äquivalenzstörung voraussetzt. Worin diese im vorliegenden Fall liegen soll, kann seinen Ausführungen auch in der Revision nicht entnommen werden. Die klagende Partei stellte zur Sanierung des vom Beklagten als Geschäftsführer geleiteten Unternehmens, an dessen Rechtsträger er zudem als Gesellschafter beteiligt war, ein unverzinsliches und überdies in bezug auf die Rückzahlungsmodalitäten besonders günstiges Darlehen in beträchtlicher Höhe zur Verfügung und verlangte zur Besicherung die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten, der seinerseits damals immerhin damit rechnen konnte, daß das wirtschaftlich ihm zuzuordnende Unternehmen unter anderem auch mit Hilfe dieser Mittel erhalten werden konnte. Dazu kommt, daß ihm als Geschäftsführer der Gesellschaft zumindest maßgebender Einfluß auf die Bestrebungen, das Sanierungsziel zu erreichen, eingeräumt war. Das gemäß § 879 Abs. 2 Z.4 ABGB zur Annahme von Wucher erforderliche auffallende Mißverhältnis ist dann anzunehmen, wenn die Gegenleistung den Wert der Leistung bedeutend übersteigt, ohne daß dies durch die besonderen Umstände - etwa durch das eine Seite treffende besondere Risiko - gerechtfertigt wäre (1 Ob 624/85; Krejci in Rummel, ABGB, Rz 226 zu § 879). Zutreffend hat schon das Gericht zweiter Instanz auf das besondere Risiko der klagenden Partei, die dem vom Beklagten geleiteten, an sich bereits insolventen Unternehmen ein unverzinsliches Darlehen in Millionenhöhe gewährt hatte, hingewiesen. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch den vom Erstgericht festgestellten moralischen Druck auf den Beklagten nicht als eine die Annahme von Wucher rechtfertigende Zwangslage beurteilt (Krejci aaO Rz 220).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 40 und 50 ZPO; die klagende Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

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