OGH 1Ob585/87

OGH1Ob585/8713.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Komm.Rat Georg S***, Kaufmann, Wien 1, Werdertorgasse 14, vertreten durch Dr. Walter Scherlacher, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Franziska B***, Pensionistin, Wien 1,

Werdertorgasse 15, vertreten durch Dr. Heinrich Keller und Dr. Rainer Cuscoleca, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 100.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 13. Jänner 1987, GZ 45 R 745/85-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 15. September 1986, GZ 20 C 146/85-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.779,75 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 707,25 Umsatzsteuer und S 5.000,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer des Hauses Wien 1, Werdertorgasse 15 (EZ 1403 KG Innere Stadt). Die Beklagte unterhielt mit Ing. Hans H***, dem damaligen Eigentümer des Hauses, bis zu dessen Tod im Jahre 1961 eine nahezu 20 Jahre währende Lebensgemeinschaft. Mit Notariatsakt vom 27. November 1961 räumte Ing. Hans H*** der Beklagten auf deren Lebenszeit die Dienstbarkeit der Wohnung (§ 521 ABGB) in Ansehung der Wohnung Nr. 11 im genannten Haus ein. Nach dieser Vertragsbestimmung hatte sie weder Zins noch Steuern, sondern nur den auf diese Wohnung entfallenden Betriebskostenanteil zu entrichten. Ing. Hans H*** wollte damit die Beklagte, die nur eine kleine Pension bezieht, versorgen und räumte ihr daher das Recht, die Wohnung unterzuvermieten, ein. Die Beklagte vermietet seither laufend Zimmer an Studenten, die für sie kleine Dienste verrichten und die Wohnung während ihrer Abwesenheit betreuen, insbesondere auch deshalb, weil sie in der Wohnung, vor allem seit einem Einbruch, nicht allein sein will. Der Sohn und Erbe Ing. Hans H***, Dr. Hans H***,

gestand der Beklagten mit Schreiben vom 13. Februar 1962 ausdrücklich das lebenslange kostenlose Benützungsrecht an der Wohnung Nr. 11, "womit auch das unumstrittene Recht unterzuvermieten gemeint" sei, zu.

Mit Vertrag vom 7. Mai 1982 verkaufte Dr. Hans H*** die Liegenschaft mit dem Haus in Wien 1, Werdertorgasse 15, an den Kläger. Bei den Vertragsverhandlungen wurde der Kläger von Rechtsanwalt Dr. Walter S*** (dem Klagevertreter) vertreten. Im Punkt V des Kaufvertrages ist festgehalten, daß auf der Kaufliegenschaft das Wohnungsrecht gemäß Punkt 1 des Notariatsakts vom 27. November 1961 für die Beklagte einverleibt und die Liegenschaft ansonsten lastenfrei sei. Im Zuge der Vertragsgespräche wurde der Verkäufer befragt, ob in bezug auf die zu verkaufende Liegenschaft irgendwelche (weitere) Verpflichtungen vorhanden seien; dieser verneinte, dachte dabei aber nicht an das der Beklagten eingeräumte Recht zur Untervermietung; Dr. Hans H*** war auch der Unterschied zwischen Wohnungsgebrauchsrecht und Wohnungsfruchtnießung nicht geläufig. Über Inhalt und Umfang des Rechtes wurde der Verkäufer nicht gefragt.

Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung der Nutzung der Wohnung zu anderen Zwecken als zum eigenen Gebrauch. Er habe lediglich die Dienstbarkeit der Wohnung übernommen; aus dem vorgelegten Notariatsakt sei ersichtlich gewesen, daß der Beklagten die Wohnung auf Lebenszeit lediglich gegen Entrichtung des auf diese entfallenden Betriebskostenanteils überlassen worden sei. Erst im Zuge einer Bauführung habe er in Erfahrung gebracht, daß die Beklagte in der Wohnung einen Unterkunftsbetrieb eingerichtet habe. Er habe das Haus nur mit der Belastung eines Wohnungsgebrauchsrechtes, nicht aber einer Wohnungsfruchtnießung erworben. Davon, daß das Wohnungsrecht nachträglich erweitert worden sei, sei er nie in Kenntnis gesetzt worden.

Die Beklagte wendete ein, anläßlich der Errichtung des Vertrags über die Einräumung der Dienstbarkeit der Wohnung sei ausdrücklich vereinbart worden, daß sie die Wohnung auch untervermieten dürfe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da der Beklagte von Ing. Hans H*** ausdrücklich auch das Recht eingeräumt worden sei, die Wohnung unterzuvermieten, sei eine Wohnungsfruchtnießung anzunehmen. Der im Notariatsakt vom 27. November 1961 enthaltene Hinweis auf die Bestimmung des § 521 ABGB lasse es offen, für welche der beiden in dieser Gesetzesstelle angeführten Rechte sich die Vertragsparteien entschieden hätten.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteige. Gemäß § 443 ABGB würden mit dem Eigentum unbeweglicher Sachen auch die im Grundbuch eingetragenen Lasten übernommen. Andere Ansprüche an den bücherlichen Eigentümer gingen auf den Erwerber nicht über. Damit bleibe eine nichtverbücherte Erweiterung einer Dienstbarkeit dem Erwerber gegenüber wirkungslos, es sei denn, dieser habe davon Kenntnis gehabt. Guter Glaube des Erwerbers sei anzunehmen, wenn keine Umstände vorlägen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren, vom Grundbuchsstand abweichenden Sachverhalt erkennen ließen. Persönliche Ansprüche belasteten den Erwerber nicht. Im Notariatsakt vom 27. November 1961 sei der Beklagten die Dienstbarkeit der Wohnung eingeräumt worden; dabei sei auf § 521 ABGB verwiesen worden. Das Wohnungsrecht sei entweder eine besondere Art des Gebrauches oder des Fruchtgenusses. Während der Wohnungsgebrauch das Recht sei, die beweglichen Teile eines Hauses zum Bedürfnis des Berechtigten zu benützen, gewähre die Wohnungsfruchtnießung das Recht, alle beweglichen Teile des Hauses mit Schonung der Substanz ohne Einschränkung zu genießen. Im letzteren Fall dürfe der Berechtigte die Räume auch anders als durch eigenes Bewohnen verwerten. Ob das eine oder das andere Recht anzunehmen sei, sei Frage der Auslegung des Erwerbstitels. Im Zweifel sei Gebrauch, Fruchtgenuß sei hingegen dann anzunehmen, wenn ein selbständiges Gebäude als Wohnung überlassen werde. Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze sei nach dem verbücherten Notariatsakt bloßes Wohnungsgebrauchsrecht anzunehmen. Ein an sich möglicher Fruchtgenuß sei dem Notariatsakt nicht zu entnehmen, weil die damit verbücherten weitergehenden Rechte, vor allem zur Überlassung der Wohnung an Dritte, nicht eingeräumt seien. Auch die Belastung mit dem Betriebskostenanteil spreche nicht für eine Fruchtnießung. Daher hätte der Klagevertreter keine weiteren Nachforschungen über den Umfang des Wohnungsrechtes anstellen müssen. Eine Unterlassung dieser Erörterung erschüttere noch nicht den guten Glauben auf den Grundbuchsstand.

Die von der Beklagten erhobene Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Recht, die Wohnung unterzuvermieten, hat der Beklagten schon deren Lebensgefährte Ing. Hans H*** eingeräumt; sein Sohn Dr. Hans H*** hat dieses Recht mit Schreiben vom 13. Februar 1962 bekräftigt. Allerdings kommt diese Befugnis der Beklagten weder im Notariatsakt vom 27. November 1961 noch in der Eintragung der darin bestellten Dienstbarkeit der Wohnung im Grundbuch eindeutig zum Ausdruck. In der Eintragung im Hauptbuch wird lediglich auf den Notariatsakt verwiesen, der wiederrum nur auf die Bestimmung des § 521 ABGB verweist. Die in dieser Gesetzesstelle geregelte Dienstbarkeit der Wohnung ist aber je nach dem Umfang der Gestaltung entweder den Grundsätzen des Gebrauchsrechtes (§§ 504 ff ZPO) oder den Regeln der Fruchnießung (§§ 509 ff ZPO) zu unterstellen (§ 521 erster und dritter Satz ABGB; SZ 57/155 u.v.a.; Petrasch in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 521; Koziol-Welser, Grundriß 7 II 145). Das Recht, die mit Dienstbarkeit überlassene Wohnung unterzuvermieten, sie also durch entgeltliche Gebrauchsüberlassung zu verwerten, wird nur mit der Fruchtnießung, nicht aber auch mit dem Gebrauchsrecht eingeräumt (MietSlg. 33.045, 25.039 ua; Petrasch aaO Rz 4; Klang in Klang 2 II 598). Die im Erwerbstitel enthaltene Verweisung auf § 521 ABGB stellt nicht klar, welche Ausgestaltung des Wohnungsrechtes der Beklagten die Parteien vereinbarten. Auch die Verpflichtung der Beklagten zur Entrichtung der anteiligen Betriebskosten läßt entgegen ihrer Auffassung keinen Schluß auf den Umfang ihrer Befugnis zu, weil sich die vertragliche Kostentragungsregel weder mit den im übrigen nur dispositivrechtlich geregelten (§ 504 erster Satz ABGB) Pflichten des Gebrauchsberechtigten (§ 508 ABGB) noch mit jenen des Fruchtnießers (§§ 512 f ABGB) decken: Hat dieser im Gegensatz zu jenem die Steuern und die Instandhaltungskosten zu tragen, soweit sie aus dem Ertrag der dienstbaren Sache entrichtet werden können, sind der Beklagten die Steuern überhaupt erlassen; sie hat wohl die anteiligen Betriebs-, nicht aber auch die Erhaltungskosten zu leisten (vgl. Klang 2 aaO 581 f, 590 f).

Der Kläger hat die mit der Dienstbarkeit der Beklagten belastete Liegenschaft erworben, ohne Erkundigungen über den Inhalt des verbücherten Rechtes einzuziehen. Gemäß § 443 erster Satz ABGB übernimmt der Erwerber einer unbeweglichen Sache nur die im Grundbuch einverleibten Lasten. Dennoch verdrängt der bücherliche Einzelrechtsnachfolger des Veräußerers selbst einen nur außerbücherlich Wohnungsberechtigten dann nicht, wenn er in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der Rechtsausübung handelt oder das belastende Recht offenkundig ist (MietSlg. 30.070; SZ 48/78; SZ 39/146 ua; Schubert in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 1500). Noch weniger kann dann ein ohnehin einverleibtes Recht, dessen Umfang leicht erkennbar ist, eingeschränkt werden.

Im vorliegenden Fall ist der Wohnungsberechtigten Beklagten vom (damaligen) Eigentümer das Recht zur Untervermietung der Wohnung eingeräumt worden. Durch die bloße Einsicht in das Grundbuch (und in den Erwerbstitel) konnte der Kläger beim Erwerb der belasteten Liegenschaft nicht feststellen, welche Befugnisse von der bücherlichen Rechtsstellung der Beklagten mitumfaßt sind, weil die einverleibte Dienstbarkeit der Wohnung gemäß § 521 ABGB auch als Wohnungsfruchtnießung, bestellt worden sein konnte. Da sowohl die Eintragung im Grundbuch als auch der zugrundeliegende Erwerbstitel Zweifel über den Umfang des Wohnungsrechtes der Beklagten aufkommen lassen, konnte der Kläger nicht darauf Vertrauen, daß der Beklagten nicht auch ein Fruchtnießungsrecht zustand. Der Schutz des bücherlichen Vertrauensgrundsatzes kommt nur dem gutgläubigen Erwerber zu; guter Glaube kann aber nur angenommen werden, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit Zweifel erwecken. Ergeben sich hingegen Zweifel über Inhalt und Umfang eines belastenden Rechtes, so hat er geeignete Erkundigungen einzuziehen (SZ 55/191; SZ 55/46 ua; Schubert aaO, Koziol-Welser aaO 98). Der Kläger hat anscheinend keine über die Einsicht in das Grundbuch hinausgehenden Nachforschungen angestellt. Er hat nicht einmal im Zuge der Vertragsverhandlungen beim Veräußerer über die nähere Ausgestaltung des Wohnungsrechtes der Beklagten Rückfrage gehalten (ON 10, S. 5). Es spricht aber schon die Lebenserfahrung für die Annahme, daß die Überlassung einer nahezu 160 m 2 großen Wohnung an eine alleinstehende Frau in Form einer Dienstbarkeit die Möglichkeit, einzelne Räume zu vermieten, beinhaltet und damit auch Versorgungszwecken dient. Durch bloßes Aufsuchen der Beklagten in ihrer Wohnung hätte sich der Kläger über die tatsächliche Ausübung ihres Rechtes ohne weiteres informieren können; die Beklagte hätte ihre Befugnisse dann auch durch die später im Prozeß vorgelegten Urkunden dartun können. Im Hinblick auf die Unterlassung der gebotenen Erkundigungen kann dem Kläger guter Glaube nicht zugebilligt werden, so daß er auch das Recht der Beklagten, wie es ihr tatsächlich von seinem Rechtsvorgänger eingeräumt wurde, gegen sich gelten lassen muß. Damit erweist sich aber das Unterlassungsbegehren als unberechtigt.

In Stattgebung der Revision der Beklagten ist somit das erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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