OGH 10Os35/87 (10Os36/87)

OGH10Os35/87 (10Os36/87)28.4.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.April 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Lindner als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Ludwig E*** wegen des Vergehens der Täuschung nach § 108 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Landesgerichtes Klagenfurt vom 5. Juli 1985, GZ 10 E Vr 661/85-13, und des Oberlandesgerichtes Graz vom 13.Dezember 1985, AZ 11 Bs 507/85, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Stöger, und des Verteidigers Dr. Knees, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren zum AZ 10 E Vr 661/85 des Landesgerichtes Klagenfurt ist durch die Urteile

  1. 1. dieses Gerichtes vom 5.Juli 1985, ON 13, und
  2. 2. des Oberlandesgerichtes Graz (AZ 11 Bs 507/85) vom 13. Dezember 1985, ON 17,

    das Gesetz in der Bestimmung des § 108 Abs. 1 StGB verletzt worden.

    Beide Urteile werden aufgehoben; die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem oben unter 1. bezeichneten Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt wurde Dr. Ludwig E*** des Vergehens der Täuschung nach § 108 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in der Zeit von 1975 bis Anfang 1984 in Klagenfurt und St.Veit an der Glan fortgesetzt im bewußt gemeinsamen Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Apothekeninhabern Mag. Peter B***-S*** und Mag. Gertraud B*** als unmittelbare Täter der Kärntner Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte in ihrem Recht, bezüglich kassenunzulässiger Heilmittel "die Abgabe und Bezahlung ... für" (gemeint: die Abgabe auf ihre Rechnung an) "Versicherte oder deren anspruchsberechtigte Angehörige an eine chef- oder kontrollärztliche Bewilligung zu knüpfen", dadurch absichtlich einen Schaden zugefügt, daß er Angestellte dieser Kasse durch Täuschung "über die Leistungsverpflichtung" (gemeint: über Tatsachen, und zwar über die Art der abgegebenen Medikamente,) zur Vergütung derartiger Heilmittel (zu ergänzen: ohne Vorliegen einer solchen Bewilligung, also zu Handlungen, die den Schaden herbeiführten,) verleitete, indem er als Facharzt für Innere Medizin zum Schein kassenzulässige Heilmittel verordnete, deren Notwendigkeit zur Heilung der Krankheit und deren anderen Präparaten überlegene Wirtschaftlichkeit bestätigte sowie die betreffenden Rezepte durch die zuvor genannten Apothekeninhaber abstempeln, taxieren und dem Versicherungsträger zur Zahlung vorlegen, in Wahrheit aber den Überbringern kassenunzulässige, nur mit chef- oder kontrollärztlicher Bewilligung abzugebende Mittel ausfolgen ließ.

Die dagegen erhobene Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld wies das Oberlandesgericht Graz mit dem oben unter 2. relevierten Urteil als unbegründet zurück.

Rechtliche Beurteilung

Beide Urteile stehen mit dem Gesetz insofern nicht im Einklang, als die erstinstanzlichen Feststellungen, die ihnen zugrunde liegen, zur Annahme einer Schädigung der Kasse in einem durch § 108 Abs. 1 StGB geschützten Recht nicht ausreichen.

Denn durch das Herauslocken einer Leistung vom Versicherungsträger (hier: von Zahlungen unter der Vorgabe ihrer Bestimmung zur Vergütung von in Wahrheit nicht abgegebenen Medikamenten) unter Umgehung einer dafür vorauszusetzenden Bedingung (hier: des Vorliegens einer chef- oder kontrollärztlichen Bewilligung der tatsächlich abgegebenen Heilmittel) wird, wie vorweg zur Klarstellung vermerkt sei, nicht etwa - der Formulierung des erstgerichtlichen Tenors entsprechend - dessen Recht beeinträchtigt, die Erbringung dieser Leistung (oder derartiger Leistungen überhaupt) an die betreffende Bedingung zu knüpfen, sondern vielmehr seine Berechtigung, bei deren Nichterfüllung die Leistung abzulehnen; dementsprechend wurde im Verfahren gegen Mag. B*** wegen des sie mitbetreffenden Teiles der hier urteilsgegenständlichen Rezeptmanipulationen zum AZ 8 Vr 2487/84 des Landesgerichtes Klagenfurt das als geschädigt angenommene Recht der Kasse schon eher sachgemäß als "Recht, die Bezahlung nicht verschreibbarer Arznei- und Heilmittel abzulehnen" umschrieben. Auch eine dahingehende Formulierung trifft aber deswegen nicht den Kern der Sache, weil eine Schädigung des "Rechtes, eine vermögenswerte Leistung abzulehnen", der Sache nach doch nichts anderes bedeutet als die Veranlassung des Berechtigten zur Erbringung jener Leistung, zu der er nicht verpflichtet ist, und eben dadurch eine Schädigung am Vermögen bewirkt wird; in diesem Sinn tritt der angenommene vermögensschädigende Effekt der inkriminierten Täuschungshandlungen des Angeklagten klar auch darin zutage, daß die durch sie ausgelösten Handlungen der getäuschten Angestellten, die im Sinn des § 108 Abs. 1 StGB "den Schaden herbeiführten", dem Urteilstenor zufolge in der "Vergütung kassenunzulässiger Heilmittel", also in der den betreffenden Zahlungen entsprechenden Verringerung des Kassenvermögens, erblickt wurden.

Zu den durch § 108 Abs. 1 StGB geschützten konkreten Rechten gehören nun wohl (lege non distinguente) gewiß auch Vermögensrechte (vgl JBl 1976,601 ua; Leukauf-Steininger StGB 2 RN 4, Bertel im WK Rz 36 f., Foregger-Serini StGB 2 Anm. III. 1., Mayerhofer/Rieder StGB 2 Anm. 7, alle zu § 108); eine vereinzelt in der Literatur vertretene Gegenmeinung (Kienapfel BT I 2 RN 21 bis 24 zu § 108) beruht auf einer unsachgemäßen Überbewertung allgemein-systematischer Erwägungen gegenüber dem klaren Wortlaut der ausdrücklichen Absicht des Gesetzgebers (JAB 24). Handelt der Täter nicht mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, dann wird demnach der in Rede stehende Straftatbestand auch durch eine absichtliche Vermögensschädigung im Weg einer Täuschung über Tatsachen, durch die der Getäuschte zu einem schadenskausalen Verhalten bewogen wird, erfüllt.

Bei der Frage, ob die Kasse wirklich berechtigt gewesen wäre, die nach dem tatsächlichen Geschehensablauf (infolge der Vortäuschung ihrer Bestimmung zur Vergütung von in Wahrheit nicht abgegebenen Medikamenten) geleisteten Zahlungen im Fall der Einreichung von (der effektiven Medikamentenabgabe entsprechend) wahrheitsgemäß ausgefüllten Rezepten - also ohne den durch die Täuschung bewirkten Irrtum über die Art der abgegebenen Arzneien - abzulehnen, kommt es jedoch entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht darauf an, daß dann jedenfalls die erforderliche chefärztliche Genehmigung der betreffenden (tatsächlich abgegebenen) Medikamente (noch) nicht vorgelegen wäre, sodaß zur Zeit der Einreichung deren Bewilligung (nach einer folgenden chefärztlichen Prüfung) "keineswegs als sicher" anzunehmen gewesen wäre; denn ein Schaden am Vermögen konnte ihr durch die (ihr in Wahrheit für die tatsächlich abgegebenen kassenunzulässigen Medikamente herausgelockten) Zahlungen jeweils nur dann entstehen, wenn im Einzelfall tatsächlich die materiellen Voraussetzungen für eine Ablehnung dieser Leistungen im Sinn der maßgebenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen (wie insbesondere nach § 136 Abs. 1 lit. a ASVG und den darauf bezogenen Vorschriften) vorlagen.

Feststellungen darüber aber lassen beide Urteile vermissen, weil die Gerichte von der irrigen Rechtsansicht ausgingen, die Schutzfunktion des § 108 Abs. 1 StGB erstrecke sich auch auf das Recht der Kasse, "die materiellen Leistungsvoraussetzungen im Wege einer chefärztlichen Bewilligung einer besonders strengen Prüfung zu unterziehen", und umfasse daher gleichermaßen schon "die listige Umgehung chefärztlicher Prüfung": nicht die Erfüllung formaler Prüfungskriterien ist Schutzobjekt dieser Strafbestimmung, sondern die Wahrung jener materiellen Rechtspositionen, zu deren Ermittlung sie dienen (idS 12 Os 136/85 im schon erwähnten Parallel-Verfahren gegen Mag. B***).

An der bloßen Prüfungs- und Kontrollfunktion der chefärztlichen Bewilligung aber vermag auch der Hinweis des Berufungsgerichtes darauf nichts zu ändern, daß im Fall einer Bewilligung kassenunzulässiger Heilmittel deren Registrierung für etwaige künftige Leistungsansprüche gegen die Kasse von Bedeutung sein könne, wie etwa für die weitere Gewährung derartiger Medikamente oder für die Bewilligung einer Kurbehandlung; geht es doch bei der dabei aufgeworfenen Problematik letzten Endes wieder nur um die materielle Berechtigung der - zur Tatzeit noch gar nicht aktuellen - allfälligen künftigen Leistungsbegehren, in Ansehung deren der ins Treffen geführten Objektivierung der Vorbehandlung abermals eine reine Kontrollfunktion zukommt.

Die durch den Schuldspruch wegen des Vergehens der Täuschung nach § 108 Abs. 1 StGB in erster Instanz und durch die Zurückweisung der vom Angeklagten dagegen ergriffenen Berufung wegen Nichtigkeit (§§ 281 Abs. 1 Z 9 lit. a, 468 Abs. 1 Z 4, 489 Abs. 1 StPO) in zweiter Instanz unterlaufenen Verletzungen des Gesetzes in dieser Strafbestimmung waren daher in Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes festzustellen und nach § 292 letzter Satz StPO wie im Spruch zu beheben.

Im neu durchzuführenden Verfahren wird zu beachten sein, daß dann, wenn die Täuschungshandlungen der Apothekeninhaber - in Ansehung deren die Entscheidungsgründe der kassierten Urteile Feststellungen über das (im Spruch des Ersturteils angenommene) Tatverhalten von Mag. B*** als unmittelbarer Täterin und über das (rechtsrichtig als Tatbeitrag nach § 12 dritter Fall StGB hiezu zu beurteilende) Zusammenwirken des Angeklagten mit ihr nicht enthalten - zur Vergütung kassenunzulässiger Medikamente ohne einen entsprechenden materiellen Leistungsanspruch der Versicherten (oder ihrer Angehörigen) und damit zu einem Vermögensschaden der Kasse geführt haben, die diese Leistungen ohne die inkriminierten Rezeptmanipulationen nicht erbracht hätte, auf der objektive` Tatseite auch alle Voraussetzungen des Betruges (§ 146 StGB) vorliegen.

Eine (allenfalls teilweise) Aufrechnung des Wertes derartiger Leistungen mit dem Wert der zum Schein verordneten (kassenzulässigen) Medikamente, auf deren Vergütung durch die Kasse die Patienten nur im Fall ihres tatsächlichen Bezuges (möglicherweise) Anspruch gehabt hätten, bei der Schadensberechnung käme dabei schon deswegen nicht in Betracht, weil jene Präparate tatsächlich nicht an sie abgegeben worden waren, sodaß ein darauf abstellender Wertausgleich infolge seiner Bezugnahme auf einen rein hypothetischen Geschehensablauf jedenfalls außer Betracht zu bleiben hätte.

In subjektiver Hinsicht schließlich könnte dann, wenn sich der - zur Tatbestandsverwirklichung nach § 108 Abs. 1 StGB in der qualifzierten Erscheinungsform der Absicht (§ 5 Abs. 2 StGB), worüber die verfahrensgegenständlichen Urteile gleichfalls ausreichende Feststellungen vermissen lassen,

erforderliche - Vorsatz des Angeklagten zumindest eventualiter (§ 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz StGB) auch auf den tatbedingten Vermögensschaden der Kasse erstreckt hätte (vgl S 470/I), nach Lage des Falles vom Fehlen eines nach § 146 StGB tatbestandsmäßig*n-Bereicherungsvorsatzes seinerseits, wovon die Gerichte ohne erkennbares Tatsachensubstrat ausgingen, nicht gesprochen werden; würde sich doch diesfalls der Schaden, den der Versicherungsträger durch die ungerechtfertigte Vergütung der kassenunzulässigen Medikamente erlitten hätte, augenscheinlich zugleich als die Kehrseite jenes vermögenswerten Nutzens darstellen, der den Patienten durch den ohne Rechtsanspruch kostenlosen Bezug dieser Präparate zufloß, sodaß ein die schadensrelevanten Tatumstände erfassender Tätervorsatz faktisch gleichermaßen auch die dem Schaden der Kasse korrelate unrechtmäßige Bereicherung der Medikamenterwerber zumindest in Form eines Begleitwissens mitumfaßt hätte.

Eine Beurteilung des inkriminierten Tatverhaltens als Täuschung im Sinn des § 108 Abs. 1 StGB wird demnach, wie der Oberste Gerichtshof auch schon in dem mehrfach erwähnten Strafverfahren gegen Mag. B*** erkannt hat (12 Os 136/85), unter den hier aktuellen Umständen jedenfalls nicht in Betracht kommen; einer nach den Ergebnissen des zu erneuernden Verfahrens allenfalls indizierten Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges hingegen würde das nur für den Sanktionenbereich wirksame Verschlimmerungsverbot (§§ 293 Abs. 3, 290 Abs. 2 StPO) nicht entgegenstehen (vgl EvBl 1986/89 = RZ 1986/32 ua).

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